Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Atria als Vorsitzenden, die Richterin Mag. Oberbauer und den Richter Mag. Schmoliner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Eva Woharcik Binder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Marele Sladek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*, geb. **, **, vertreten durch Mag. Markus Hager, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Rehabilitationsgeld, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 28.4.2025, GZ **-44, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Berufung selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte sprach mit Bescheid vom 15.10.2020 (Beilage ./2) aus, dass für die Klägerin ab 1.4.2020 für die weitere Dauer der vorübergehenden Berufsunfähigkeit Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung bestehe.
Mit Bescheid vom 23.2.2024 (Beilage ./A = ./1) entzog die Beklagte der Klägerin das Rehabilitationsgeld per 31.3.2024 und sprach aus, dass medizinische Maßnahmen der Rehabilitation nicht mehr zweckmäßig seien und kein Anspruch auf berufliche Maßnahmen der Rehabilitation bestehe.
Dagegen richtet sich die vorliegende Klage mit dem Antrag, der Klägerin über den Entziehungszeitpunkt 31.3.2024 hinaus die Berufsunfähigkeitspension bzw ein Rehabilitationsgeld im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Weder die Beschwerden noch das medizinische Leistungskalkül hätten sich im Vergleich zum Gewährungszeitpunkt verbessert. Vielmehr sei insbesondere im Hinblick auf die bestehende Wirbelsäulenerkrankung und die psychische Leistungsfähigkeit eine Verschlechterung eingetreten und eine COPD-Erkrankung hinzugekommen. Die Klägerin, die als kaufmännische Angestellte Berufsschutz genieße, sei daher weiterhin berufsunfähig.
Die Beklagte wendet zusammengefasst ein, die Nachuntersuchung habe ergeben, dass der Gesundheitszustand der Klägerin im Vergleich zum Gewährungszeitpunkt durch medizinische Maßnahmen der Rehabilitation wesentlich habe verbessert werden können. Sie sei daher wieder imstande, die im Beobachtungszeitraum in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten ausgeübte oder eine innerhalb des Verweisungsfelds liegende Berufstätigkeit auszuüben. Ein Anspruch auf Rehabilitationsgeld bestehe daher nicht mehr.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren ab. Es traf dazu die aus den Urteilsseiten 2 bis 4 ersichtlichen Feststellungen, von denen hervorgehoben wird (bekämpfte Feststellungen sind unterstrichen dargestellt):
Zum Zeitpunkt der Gewährung des Reha-Geldes war die Klägerin für eine Vollzeitbeschäftigung nicht belastbar genug. Es bestand bei der Klägerin eine depressive Störung leichten bis mittleren Grades sowie eine familiäre Belastungssituation. Sowohl die Diagnose als auch das Krankheitsbild haben sich mittlerweile wesentlich gebessert und ist die Klägerin nun wieder am allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar. Im Ergänzungsgutachten vom 6.3.2025 von Dr. B*, Sachverständiger für Neurologie, bestätigte dieser eine mittelgradige Depression. Die Einschränkungen bestehen wie beschrieben. Im Zeitpunkt der Gewährung bestand nicht nur eine mittelgradig depressive Störung, sondern auch eine familiäre Belastungssituation, weshalb zum damaligen Zeitpunkt keine ausreichende Stabilität für den Einsatz am allgemeinen Arbeitsmarkt bestand. Die familiäre Belastungsituation liegt nicht länger vor und ist es zu einer wesentlichen Besserung im Gesundheitszustand der Klägerin gekommen. Die Klägerin ist nunmehr wieder stabil genug für den Einsatz am allgemeinen Arbeitsmarkt.
Der Klägerin ist die Ausübung von Tätigkeiten als kaufmännische Angestellte in kundenberatenden Verwendungen (zB Verkaufsberatungsberufen) nicht zumutbar. Mehr als fallweiser Kundenkontakt ist Teil des typischen Berufsanforderungsprofils in entsprechenden Verwendungen.
Bei Vorliegen von Berufsschutz iSd § 273 Abs 1 ASVG bestehen aus berufskundlicher Sicht weitere Möglichkeiten einer Berufstätigkeit in Voll- oder Teilzeitbeschäftigung als Angestellte, welche zumutbar [sind], da in diesen das vorliegende medizinische Leistungskalkül nicht überschritten werden, zB als SachbearbeiterIn/Einkauf. […]
Rechtlich führte das Erstgericht aus, es sei eine wesentliche Verbesserung im Gesundheitszustand der Klägerin eingetreten, weil die zuvor angegebene familiäre Belastungssituation nicht länger vorliege und die Stabilität für Arbeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt wieder ausreiche. Damit sei ihr Leistungskalkül nunmehr wieder ausreichend, um den beispielsweise aufgezählten Verweisungstätigkeiten, die im Verweisungsfeld der §§ 273 ff ASVG lägen, ab dem Zeitpunkt der Entziehung nachzugehen. Die Voraussetzungen für eine Weitergewährung des Rehabilitationsgeldes seien daher zum Zeitpunkt der Entziehung nicht mehr vorgelegen.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und sekundärer Feststellungsmängel mit dem Antrag, das Urteil im Sinne einer Klagsstattgebung abzuändern, hilfsweise es aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beteiligte sich nicht am Berufungsverfahren.
Die Berufung ist nicht berechtigt.
1. Zur Mangelhaftigkeit des Verfahrens:
Die Klägerin sieht einen Begründungsmangel iSd § 496 Abs 1 Z 2 ZPO verwirklicht, weil das Erstgericht lediglich floskelhaft auf den logischen Aufbau und die Nachvollziehbarkeit der Sachverständigengutachten verwiesen habe, obwohl sich aus den Gutachten tatsächlich Gegenteiliges zu dem ergäbe, was das Erstgericht festgestellt habe.
Ein Begründungsmangel ist aber nur dann zu bejahen, wenn dem angefochtenen Urteil die Erwägungen nicht zu entnehmen sind, die zu den getroffenen Feststellungen geführt haben ( Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, ZPO 5 § 272 Rz 1 und 3). Das ist hier nicht der Fall: Das Erstgericht hat zwar knapp, jedoch in einer für das Berufungsgericht noch überprüfbaren Weise dargelegt, warum es insbesondere den Ausführungen des Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Nervenheilkunde Dr. B* folgte (US 5, erster Absatz). Ob ein medizinisches Sachverständigengutachten schlüssig und nachvollziehbar ist, ist hingegen eine Frage der Beweiswürdigung (vgl 10 ObS 225/98f), weshalb darauf bei der Behandlung der Beweisrüge eingegangen werden wird.
2. Zur Beweisrüge:
Anstelle der oben unterstrichenen dargestellten Feststellungen begehrte die Klägerin die Ersatzfeststellungen „ Es ist zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands gekommen. Die Klägerin ist weiterhin am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht einsetzbar. “
Die ersatzweise begehrten Feststellungen seien schon aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. B* zu treffen, der in seinem schriftlichen Gutachten von einer leichten Verschlechterung der neurologischen und psychischen Symptome ausgegangen sei. Diese Ausführungen dürfen jedoch nicht isoliert betrachtet werden: Der Sachverständige hat nämlich im Rahmen der mündlichen Gutachtenserörterung dargelegt, dass sich sowohl die Diagnose als auch das Krankheitsbild gebessert haben, sodass die Klägerin nunmehr im Rahmen des Kalküls wieder am allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar sei (ON 28, PS 2, erster Absatz). Den vermeintlichen Widerspruch zu seinem schriftlichen Gutachten vermochte er damit aufzuklären, dass im Gewährungszeitpunkt nicht die damals bestehende leichte bis mittelgradige depressive Störung der Grund war, die Klägerin vom Arbeitsmarkt auszuschließen, sondern die familiäre Belastungssituation, die sich zum Entziehungszeitpunkt nicht mehr gezeigt hat (ON 40, PS 2 f).
Wenn daher das Erstgericht ausgehend von diesen Ausführungen des Sachverständigen die bekämpfte Feststellung getroffen hat, begegnet dies keinen Bedenken des Berufungsgerichts. Der Erstrichter ist nämlich befugt, dem ihn überzeugend erscheinenden Gutachten eines Sachverständigen zu folgen, wenn er sich nicht selbst die nötige Sachkunde und Erfahrung zutraut, die erforderlich ist, um ein eigenes Urteil zu bilden, sofern ihm die Darlegungen des Sachverständigen schlüssig und überzeugend erscheinen dürfen, ohne dass ihm dabei ein Verstoß gegen Denkgesetze zur Last fiele, und ohne dass ihm hätte erkennbar werden müssen, dass der Sachverständige nur unter Außerachtlassung erheblichen Verhandlungsstoffes zu dem Ergebnis gelangt sein könne ().
Das Erstgericht übernimmt daher die bekämpfte Feststellung und legt sie gemäß § 2 Abs 1 ASGG iVm § 498 Abs 1 ZPO seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde.
3. Zu den sekundären Feststellungsmängeln:
Als sekundär mangelhaft wertet die Klägerin, das Erstgericht habe keinen „objektiven Vergleich“ zwischen dem Gesundheitszustand zum Gewährungszeitpunkt und jenem zum Entziehungszeitpunkt durchgeführt, sondern lediglich beurteilt, ob die Klägerin nunmehr arbeitsfähig sei oder nicht.
Die Entziehung des Rehabilitationsgeldes kommt nur in Betracht, wenn sich die Verhältnisse wesentlich geändert haben. Bei einer Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit kann die Änderung etwa in der Wiederherstellung oder Besserung des körperlich oder geistigen Zustandes des Leistungsberechtigten oder in einer Wiederherstellung oder Besserung seiner Arbeitsfähigkeit bestehen. Für den anzustellenden Vergleich sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Leistungszuerkennung mit den Verhältnissen im Zeitpunkt des Leistungsentzugs in Beziehung zu setzen (RS0083884 [insbes T2]). Daher ist zunächst der Gesundheitszustand der Klägerin im Zeitpunkt der Gewährungsentscheidung festzustellen (10 ObS 27/12b; 10 ObS 119/23g). Das hat das Erstgericht getan, indem es festgestellt hat, dass die Klägerin zum Gewährungszeitpunkt für eine Vollzeitbeschäftigung nicht belastbar genug gewesen sei, weil nicht nur eine mittelgradige depressive Störung, sondern auch eine familiäre Belastungssituation vorgelegen sei, sodass keine ausreichende Stabilität für den Einsatz am allgemeinen Arbeitsmarkt bestanden habe. In einem weiteren Schritt hat das Erstgericht die Verhältnisse im Zeitpunkt des Leistungsentzugs so festgestellt, dass hier die familiäre Belastungssituation nicht länger vorgelegen habe, und es damit zu einer wesentlichen Besserung im Gesundheitszustand der Klägerin gekommen sei, sodass sie wieder ausreichend stabil für den Einsatz am allgemeinen Arbeitsmarkt sei.
Wurden jedoch zu einem bestimmten Thema Tatsachenfeststellungen getroffen, mögen diese auch von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweichen, können diesbezüglich auch keine rechtlichen Feststellungsmängel erfolgreich geltend gemacht werden. Vielmehr ist es dann ein Akt der Beweiswürdigung, wenn die vom Rechtsmittelwerber gewünschten abweichenden Feststellungen nicht getroffen wurden (RS0053317 [T1; T3]). Da das Erstgericht hier Feststellungen getroffen hat, die vom Berufungsgericht übernommen wurden (siehe oben 2.), liegen keine sekundären Feststellungsmängel vor.
4. Da die Klägerin darüber hinaus keine Rechtsrüge ausführt und sich auch nicht gegen das festgestellte Leistungskalkül oder die angenommenen Verweisungsberufe wendet, erfolgte die Entziehung des Rehabilitationsgeldes durch die Beklagte zu Recht, weshalb die Klage und folglich auch die Berufung erfolglos bleiben mussten.
5.Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG wurden in der Berufung nicht vorgebracht und sind aus dem Aktinhalt nicht zu erkennen. Die Klägerin hat daher die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
6.Ob eine Verbesserung eingetreten ist, welche die Entziehung des Rehabilitationsgeldes rechtfertigt, kann nur aufgrund der im konkreten Einzelfall getroffenen Feststellungen beantwortet werden und begründet daher keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG. Zudem kann auch in Sozialrechtssachen ein Mangel des Verfahrens erster Instanz, dessen Vorliegen vom Berufungsgericht verneint wurde, mit Revision nicht mehr geltend gemacht werden (RS0043061). Die ordentliche Revision ist daher nicht zulässig.
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