7Ra34/25h – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Glawischnig als Vorsitzende, die Richter Mag. Nigl und Mag. Zechmeister sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Michael Böhm und ao. Univ.Prof. Mag.Dr. Monika Drs in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, IT-Techniker, **, vertreten durch die Nusterer Mayer Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wider die beklagte Partei B* GmbH , FN **, **, vertreten durch die DLA Piper Weiss-Tessbach Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 14.039,95 brutto s.A., über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 14.1.2025, **-14, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 1.696,02 (darin enthalten EUR 282,67 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Das Berufungsgericht hält die Rechtsmittelausführungen für nicht stichhältig, erachtet hingegen die damit bekämpften Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils für überzeugend. Es genügt daher eine auf die wesentlichen Punkte beschränkte Begründung (§§ 2 Abs 1 ASGG, 500a zweiter Satz ZPO).
Der Kläger war bei der beklagten Partei von 6.5.2002 bis 30.6.2024 zuletzt als IT-Business-Partner beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis kam der Kollektivvertrag für Stein- und keramische Industrie zur Anwendung.
Der Kläger stützt seine Ansprüche auf eine unrichtige Einstufung in den Kollektivvertrag und Entlohnung. Er sei in Verwendungsgruppe IV eingestuft gewesen, richtigerweise wäre er in Verwendungsgruppe V einzustufen und entsprechend zu entlohnen gewesen. Der Kläger habe mit der beklagten Partei eine „All-in-Vereinbarung“ getroffen und sei die sich durch die geänderte Einstufung ergebende Mehrleistung 2022 und 2023 in Form einer Unterdeckung nicht vom vereinbarten bzw ausbezahlten Entgelt abgedeckt gewesen.
Die beklagte Partei bestritt. Die geltend gemachten Überstunden seien nicht nachvollziehbar. Gemäß § 5 Abs 13 des geltenden Kollektivvertrages, wonach Ansprüche wegen Überstunden spätestens 4 Monate nach der in Betracht kommenden Arbeitsleistung bzw binnen 4 Monaten nach dem Arbeitsjahr geltend gemacht werden müssten werde, sei die Klagsforderung im Hinblick darauf, dass für das Jahr 2024 de facto keine Überstunden geltend gemacht würden bzw auch nicht vorliegen würden, verfallen.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger EUR 14.039,95 brutto s.A. binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu Handen der Klagevertreter zu bezahlen, ab und verpflichtete den Kläger zum Kostenersatz.
Es legte dieser Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger war bei der beklagten Partei zuletzt als IT-Business-Partner beschäftigt und in der Verwendungsgruppe IV des Kollektivvertrages für Angestellte der Stein- und keramischen Industrie eingestuft. Bis inkl. März 2023 war der Kläger in Teilzeit mit einem Stundenausmaß von 35 Stunden beschäftigt. Ab 1.4.2023 war der Kläger in Vollzeit mit einem Stundenausmaß von 38,5 Stunden beschäftigt. Der Kläger bezog ein sogenanntes All-in-Gehalt, in welchem vor allem die vom Kläger verrichteten Überstunden mit abgedeckt sein sollten. Näheres über die Ausgestaltung des All-in-Gehaltes wurde zwischen den Parteien nicht vereinbart.
Der Kläger bezog im Zeitraum Jänner 2022 bis inkl. Oktober 2022 ein Bruttomonatsgehalt (exkl. Sonderzahlungen und Boni) von EUR 5.372,76, ab November 2022 ein Bruttomonatsgehalt von EUR 5.767,12, ab April 2023 ein Bruttomonatsgehalt von EUR 6.343,77 sowie ab November 2023 ein Bruttomonatsgehalt von EUR 6.880,90.
Das kollektivvertrageliche Gehalt für Verwendungsgruppe IV betrug bei mehr als zehnjähriger Beschäftigung (jeweils für 38,5 Wochenstunden) bis inkl. Oktober 2022 EUR 4.114,26 (sohin EUR 3.740,24 für 35 Wochenstunden), ab November 2022 bis inkl. Oktober 2023 EUR 4.414,20 (sohin EUR 4.012,91 für 35 Wochenstunden), und ab November 2023 EUR 4.776,16.
Das kollektivvertrageliche Gehalt für Verwendungsgruppe V betrug bei mehr als zehnjähriger Beschäftigung (jeweils für 38,5 Wochenstunden) bis inkl. Oktober 2022 EUR 5.451,56 (sohin EUR 4.955,96 für 35 Wochenstunden), ab November 2022 bis inkl. Oktober 2023 EUR 5.848,97 (sohin EUR 5.317,25 für 35 Wochenstunden) und ab November 2023 EUR 6.328,59.
Es kann nicht festgestellt werden, wie viele Überstunden der Kläger in den Monaten von Jänner 2022 bis Dezember 2023 geleistet hat.
Der Kläger war bereits seit dem Jahr 2018 der Meinung, dass er aufgrund seiner Tätigkeit falsch eingestuft und tatsächlich in die Verwendungsgruppe V einzustufen sei. Dies sprach er auch mehrfach gegenüber der beklagten Partei an, eine Änderung der Einstufung des Klägers ist nicht erfolgt.
Die beklagte Partei führte jährlich eine Deckungsprüfung in Bezug auf das vom Kläger bezogene All-in-Gehalt durch. Diese Deckungsprüfung erfolgte anhand der vom Kläger selbst geführten elektronischen Zeitaufzeichnungen, die dem Kläger selbst auch zur Verfügung standen. Die Deckungsprüfung wurde in weiterer Folge von der beklagten Partei auch dem Betriebsrat übermittelt und von diesem nachgeprüft.
Der Kläger erhob nie Beanstandungen hinsichtlich seiner Überstundenleistungen oder der von der beklagten Partei übermittelten Gehaltsabrechnung.
Der Kläger machte vor Klagseinbringung keine Ansprüche gegen die Beklagte aufgrund unrichtiger Abrechnung von Überstunden geltend.
Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht auch der Tatsachenebene zuzuordnen aus, dass ausgehend von einer Einstufung des Klägers in Verwendungsgruppe IV zu keinem Zeitpunkt eine Unterdeckung vorlag. Es führte weiters aus, dass der Kläger selbst sämtliche Unterlagen zur Verfügung hatte , um selbst eine Deckungsprüfung durchzuführen, sowie dass die beklagte Partei die Deckungsprüfung auch korrekt entsprechend der tatsächlich erfolgten Einstufung des Klägers durchgeführt hat und die Gehaltsabrechnung vom Kläger nie beanstandet wurde.
Rechtlich führte das Erstgericht zusammengefasst und so weit hier relevant aus:
§ 5 Abs 13 des Kollektivvertrages für Angestellte in der Stein- und keramischen Industrie laute wie folgt:
Überstunden, Entlohnungen und sonstige Zuschläge im Sinne dieses Paragraphen müssen binnen 4 Monaten nach dem Tag der in Betracht kommenden Arbeitsleistung bei der Firmenleitung geltend gemacht werden, widrigenfalls der Anspruch erlischt. Im Falle einer Pauschalabgeltung von Überstunden tritt an die Stelle des Tages der in Betracht kommenden Arbeitsleistung das Ende des für die Übermittlung der durchschnittlichen Überstundenzahl maßgeblichen Betrachtungszeitraumes, besteht kein solcher, das Ende des Kalenderjahres, in dem die Überstundenleistung erfolgte.
Der Kläger hätte somit nicht bezahlte Überstunden aus dem Jahr 2022 bis längstens 30.4.2023 und solche aus dem Jahr 2023 bis spätestens 30.4.2024 geltend machen müssen. Es wäre einzig und allein am Kläger gelegen, eine von ihm bereits seit mehreren Jahren monierte falsche Einstufung und die daraus resultierende angebliche Unterdeckung zeitnah geltend zu machen. Wenn nach der zitierten kollektivvertraglichen Bestimmung sämtliche tatsächlich geleisteten und aufgrund der tatsächlichen Einstufung erfolgten Überstunden bei verspäteter Geltendmachung verfallen seien, müsse dies umso mehr für bloß aufgrund einer in Zukunft erst klagsweise geltend gemachten falschen Einstufung und einer daraus allenfalls resultierenden Unterdeckung gelten.
Auf die Frage, ob der Kläger aufgrund seiner tatsächlich verrichteten Tätigkeit richtig oder falsch eingestuft gewesen sei, komme es nicht an, weshalb auch der Antrag auf Einholung des hierzu beantragten berufskundlichen Sachverständigengutachten abzuweisen gewesen sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitige Berufung des Klägers aus den Berufungsgründen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung sowie der Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit einem auf Klagestattgebung gerichteten Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Entgegen der Aufzählung der Berufungsgründe bei der Anfechtungserklärung wird in der Berufung keine Beweisrüge zur Ausführung gebracht.
Die Beklagte beantragt der Berufung keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt .
1. Zur Mängelrüge :
1.1. Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Verfahrensmangel nur dann erfolgreich geltend gemacht werden, wenn der Mangel abstrakt geeignet ist, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu verhindern ( A. Kodek in Rechberger/Klicka 5§ 496 ZPO Rz 6). Wenn die Erheblichkeit des Mangels nicht offenkundig ist, ist der Rechtsmittelwerber zur Dartuung der abstrakten Eignung des Verfahrensmangels gehalten (RS0043027 [T10], RS0042762 [T8], uva).
1.2. Die Berufung bringt dazu nur vor, das Erstgericht habe „ausgehend von der voreiligen unrichtigen rechtlichen Beurteilung schlicht die Rechtsmeinung der klagenden Partei offenbar für unrichtig gehalten und nicht einmal in Betracht gezogen, einerseits Feststellungen über die tatsächliche Tätigkeit der klagenden Partei zu treffen und andererseits einen Buchsachverständigen zur Prüfung der Abrechnungen bzw geltend gemachten Forderungen hinzuzuziehen, obwohl eben durch die vorgelegte Kalkulation dargelegt worden sei, dass unter Heranziehung des KV-Gehalts der Verwendungsgruppe V eine Unterdeckung vorliege. Der Kläger habe zur Richtigkeit der eigens angestellten Kalkulation, somit der Klagegrundlage, die Einholung eines Buchsachverständigen beantragt. Das Erstgericht habe den Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass bereits aufgrund des unrichtigerweise angenommenen Verfalls eine reine Rechtsfrage zu lösen wäre und daher keine weiteren Beweise notwendig wären. Die Nichtzulassung des Beweisantrages sei geeignet, eine ungünstige Entscheidung zu begründen. Es liege aufgrund der Abweisung des Beweisantrages ein Stoffsammlungsmangel vor.
1.3. Warum unter Zugrundelegung der Rechtsansicht des Erstgerichts (vgl dazu Pkt 2.) die Einholung eines Gutachtens erforderlich sein sollte, wird weder dargelegt, noch ist das ersichtlich. Ob die Kalkulation des Berufungswerbers unter Zugrundelegung seiner (nicht zutreffenden – vgl wiederum Pkt 2.) Rechtsansicht richtig gewesen wäre, ist irrelevant.
Ein relevanter Verfahrensmangel ist damit zu verneinen (vgl auch jüngst 7 Ra 10/25d).
2. Zur Rechtsrüge :
2.1. Der Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung wendet sich gegen die rechtliche Subsumtion des Erstgerichts. Der Rechtsmittelwerber muss dabei von den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen ausgehen und darlegen, warum falsche rechtliche Schlüsse gezogen wurden. Die gesetzmäßige Ausführung dieses Rechtsmittelgrundes fordert – wie für das Revisions- (§ 506 Abs 2 ZPO) und das Rekursverfahren (§ 520 Abs 2 ZPO) ausdrücklich angeordnet – die Darlegung, aus welchen Gründen die rechtliche Beurteilung der Sache unrichtig erscheint ( A. Kodek in Rechberger/Klicka 5§ 471 ZPO Rz 16). Die letztlich unsubstantiierte Behauptung des Gegenteils reicht nicht aus (vgl OLG Wien 15 R 11/24h; 7 Rs 111/24f uva).
2.2. Stichhaltige Argument für eine korrekturbedürftige rechtliche Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts durch das Erstgericht, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen zu verweisen ist (§§ 2 Abs 1 ASGG, 500a zweiter Satz ZPO), sind den Berufungsausführungen nicht zu entnehmen.
2.3. Soweit ausgeführt wird, dass „die von der beklagte Partei selbst in den Lohn- und Gehaltsabrechnungen angeführten Überstunden der – wenn auch rechnerischen – Durchschnittskalkulation bzw dem Klagebegehren zu Grunde gelegt wurden“, ist auf die unbekämpfte Feststellung zu verweisen, wonach nicht festgestellt werden kann, wie viele Überstunden der Kläger in den Monaten von Jänner 2022 bis Dezember 2023 geleistet hat.
Die Tatsachengrundlage, dass der Kläger selbst sämtliche Unterlagen zur Verfügung hatte, um selbst eine Deckungsprüfung durchzuführen, sowie dass die beklagte Partei die Deckungsprüfung auch korrekt entsprechend der tatsächlich erfolgten Einstufung des Klägers durchgeführt hat und die Gehaltsabrechnung vom Kläger nie beanstandet wurde, blieb unbekämpft. Das Berufungsvorbringen, dass nicht nachvollziehbar sei, „inwiefern dem Kläger eine Überprüfbarkeit möglich gewesen wäre ist“ geht damit ins Leere. Gleiches gilt für die Ausführungen, dass der Kläger „mangels Stellungnahme der beklagten Partei die Ansprüche auch nicht geltend machen“ konnte.
Dass „Leistung und Anzahl der Überstunden“ nicht bestritten worden wären, trifft nicht zu. Bereits in der vorbereitenden Tagsatzung am 12.11.2024 (ON 7) brachte die beklagte Partei vor, dass die angeführten und geltend gemachten Überstunden nicht nachvollziehbar seien und hierzu auch bislang keinerlei Unterlagen vorgelegt worden seien.
2.4. Soweit in der Rechtsrüge ausgeführt wird, dass die Feststellung, dass die Deckungsprüfung von der beklagten Partei dem Betriebsrat übermittelt worden wäre, unrichtig sei, ist darauf zu verweisen, dass eine Tatsachenrüge (auf die in diesem Zusammenhang verwiesen wird) nicht ausgeführt wurde.
2.5. Das Argument, dass dadurch, dass „der Kläger gemäß dem festgestellten Sachverhalt seit 2018 der Meinung war, dass er falsch eingestuft wäre und die Ansprüche auf Basis des kollektiv Grundgehalts Verwendungsgruppe V zu berechnen sind, dies auch gemäß dem festgestellten Sachverhalt der beklagten Partei mitgeteilt hat, die beklagte Partei dies jedoch faktisch nicht ernst nahm“, hinsichtlich dieser Ansprüche „aus diesem Grund“ kein Verfall vorliegen könne, ist schlicht nicht verständlich.
2.5. Die Feststellungsgrundlage ist nur dann mangelhaft, wenn Tatsachen fehlen, die für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind und dies Umstände betrifft, die nach dem Vorbringen der Partei und den Ergebnissen des Verfahrens zu prüfen waren (RS0053317).
Die Berufung macht geltend, dass das Erstgericht „in voreiliger unrichtiger rechtlicher Beurteilung hinsichtlich der zuvor zum Verfall angeführten Aspekte davon ausgegangen sei, dass überhaupt keine Feststellungen zur Tätigkeit des Klägers zu treffen seien; das Erstgericht habe sich in keiner Weise damit auseinandergesetzt, welche Aufgaben seitens des Klägers wahrgenommen [richtig] geworden wären, und ob überhaupt eine Einstufung in der kollektivvertraglichen Verwendungsgruppe V oder wie seitens der beklagten Partei unrichtigerweise behauptet der kollektivvertraglichen Verwendungsgruppe IV, vorliegen würde“. Dies werde ausdrücklich als sekundärer Feststellungsmangel gerügt.
Diese Ausführungen legen aber nicht dar, warum unter Berücksichtigung der übrigen unbekämpften Tatsachengrundlage zur abschließenden rechtlichen Beurteilung erforderliche Feststellungen fehlen sollen. Auf deren Basis ist eine abschließende rechtliche Beurteilung ohne weiteres möglich.
Der zur Gänze unberechtigten Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet sich auf die §§ 2 Abs 1 ASGG, 41 und 50 ZPO.
Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im
Sinn des § 502 Abs 1 ZPO war die ordentliche Revision nicht zuzulassen.