22Bs180/25v – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* B*und einen Angeklagten wegen § 92 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Berufung der genannten Angeklagten wegen Nichtigkeit und des Ausspruchs über die Schuld, Strafe und privatrechtlichen Ansprüche gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 29. Oktober 2024, GZ **-61, durch die Senatspräsidentin Mag. Mathes als Vorsitzende sowie den Senatspräsidenten Mag. Hahn und den Richter Mag. Gruber als weitere Senatsmitglieder gemäß §§ 470 Z 3, 489 Abs 1 StPO nichtöffentlich zu Recht erkannt:
Spruch
Aus Anlass der Berufung wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in Ansehung der A* B* in amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrunds nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO im sie betreffenden Schuldspruch, Strafausspruch, Adhäsionserkenntnis und Kostenausspruch aufgehoben und die Strafsache im Umfang der Aufhebung zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen .
Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte auf die Kassation verwiesen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen – auch einen nach Rückziehung des angemeldeten Rechtsmittels (vgl. ON 64) bereits in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch gegen den Mitangeklagten C* B* enthaltenden – Urteil wurde die am ** geborene A* B* des Vergehens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB und des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 2, Abs 3 Z 1 idF BGBl I 40/2009 schuldig erkannt und hiefür nach § 28 Abs 1 StGB nach § 107b Abs 3 StGB idF BGBl I 40/2009 zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung dreijähriger Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt.
Gemäß §§ 366 Abs 2 iVm 369 Abs 1 StPO wurde die Angeklagte zur ungeteilten Hand mit C* B* verhalten, D* EUR 4.000,-- binnen 14 Tagen zu zahlen.
Der Schuldspruch erfolgte, weil A* B* im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäterin (§ 12 StGB) mit dem Pflegevater C* B* in **
I./ als Pflegemutter des am ** geborenen D* dadurch, dass vor allem C* B* nachfolgend genannte „Erziehungsmaßnahmen“ vornahm und A* B* diesen darin unterstützte bzw. es unterließ, dagegen einzuschreiten, wobei sie D* zwei- bis dreimal wöchentlich über Nacht und für mehrere Stunden auch untertags in den Keller ohne Schlafmöglichkeit sowie in eine Kammer mit Schlafgelegenheit einsperrten, C* B* diesen regelmäßig etwa zwei- bis dreimal wöchentlich mit der Hand bzw. auch mit der Faust überwiegend ins Gesicht schlug, wodurch dieser auch anhaltende Rötungen und Prellungen erlitt und ihn aggressiv anschrie, ihn wiederholt als Bestrafung unter die Dusche stellte, gewaltsam festhielt und mit eiskaltem Wasser abduschte und beide als Strafmaßnahme das Essen streng rationierten;
A./ im Zeitraum von Sommer 2007 bis 31. Mai 2009 einem ihrer Fürsorge unterstehenden Pflegekind, welches das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, körperliche und seelische Qualen zufügte, wobei C* B* D* in diesem Zeitraum überdies
1./ einmalig zu einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt mit der flachen Hand ins Gesicht schlug, sodass D* Nasenbluten bekam, woraufhin er ihn in dessen Zimmer einsperrte und D* im blutigen Bett schlafen musste;
2./ als Erziehungsmaßnahme gegen seine Angst zu einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt in der Nacht im Wald an einen Baumstamm anband und ihn anschrie „Hörst du jetzt auf zu plärren?“, woraufhin dieser letztlich zu weinen aufhörte und er diesen wieder losband;
3./ zu einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt im Winter vor einem mit C* B* verwandten Buben gegen seinen Willen nackt auszog und mit Schnee einrieb;
4./ einmal zu einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt im Sommer 2007 mit einem großen Schmalzbrot im Zimmer einsperrte und sagte, er dürfe erst heraus, sobald er es gegessen habe, wobei D* davor grauste und er dieses nicht essen wollte, sodass er ihn deshalb einen Tag lang eingesperrt im Zimmer beließ und ihn schlug, nachdem dieser das Brot nicht aufgegessen und versteckt hatte,
und A* B* diese Maßnahmen billigte und es unterließ, dagegen einzuschreiten;
B./ im Zeitraum 1. Juni bis 24. August 2009 gegen D*, mithin gegen eine unmündige Person, eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausübte.
Nach den für das Rechtsmittelverfahren wesentlichen Feststellungen des Erstgerichts waren A* und C* B* von März 2007 bis 2012 die Pflegeeltern des am ** geborenen D*. Sie entschieden sich gemeinsam für eine „harte“ Erziehung und gingen im Laufe der Zeit immer weniger auf die tatsächlichen Bedürfnisse und Wünsche des Kindes ein. Mit dessen Reaktionen, mit denen es die Anordnungen des Ehepaars oft nicht befolgte und auch häufig laut schrie, waren sie von Beginn an überfordert und es kam von Sommer 2007 bis 24. August 2009 zu massiven – im Schuldspruch näher beschriebenen – Übergriffen. Die Angeklagten legten den Erziehungsstil und die Erziehungsmaßnahmen gemeinsam fest und entschieden sich gemeinsam, den Willen des Kindes durch die im Urteilsspruch angeführten Handlungen zu brechen und es derart gefügig zu machen, wobei C* B* eine führende Rolle bei den Ausführungshandlungen, nämlich den Gewaltakten, zukam.
A* B* war von Beginn an mit den „Erziehungsmaßnahmen“ einverstanden, billigte sie und schritt nicht dagegen ein, obwohl sie die Möglichkeit dazu gehabt hätte.
Die Angeklagten fügten durch die vorbeschriebenen Tathandlungen in der Zeit von Sommer 2007 bis 31. Mai 2009 ihrem ihrer Fürsorge und Obhut unterstehenden Pflegekind D* körperliche und seelische Qualen zu. Dieser hatte infolge ihrer Übergriffe einen längeren Zeitraum andauernde bzw. sich wiederholende Schmerzen, Leiden und Angstzustände, die mit einer erheblichen Beeinträchtigung seines psychischen und physischen Wohlbefindens verbunden waren. Durch das wiederholte stundenlange Einsperren im Zimmer und Keller wurde das Kind widerrechtlich gefangen gehalten, durch die wiederkehrenden Schläge wurde es am Körper misshandelt und teilweise auch verletzt. Durch das gewaltsame Festhalten in der Dusche wurde er darüber hinaus regelmäßig gegen seinen Willen zur Duldung einer Dusche mit kaltem Wasser genötigt und ebenfalls misshandelt. Derart übten sie in der Zeit vom 1. Juni bis 24. August 2009 gegen eine unmündige Person längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt.
Die Angeklagten kannten das Alter von D* und wussten, dass er als Pflegekind ihrer Fürsorge unterliegt und sie als Pflegeeltern verpflichtet sind, für das körperliche und geistige Wohl des Kindes zu sorgen. Ungeachtet dessen fügten sie ihm durch die vorbeschriebenen Tathandlungen vorsätzlich andauernde bzw. sich wiederholende Schmerzen, Leiden und auch Angstzustände zu, die mit einer erheblichen Beeinträchtigung seines psychischen und physischen Wohlbefindens verbunden waren. Sie hielten es ernstlich für möglich und fanden sich damit auch ab, dass sie durch ihre „Erziehungsmaßnahmen“, insbesondere durch die Schläge, das Einsperren, die Essensrationierung und das kalte Abduschen, dem sensiblen Kind körperliche und seelische Qualen zufügten und nahmen billigend in Kauf, dass ihr Opfer wesentlich über die mit Misshandlungen gewöhnlich verbundene Schmerzintensität oder Schmerzdauer hinaus physisch und psychisch schwer getroffen wird.
Beide Angeklagten hielten es ernstlich für möglich und fanden sich damit ab, dass C* B* D* durch die Schläge am Körper verletzte oder zumindest misshandelte. Meist wollten sie zumindest das körperliche Wohlbefinden des Kindes nicht ganz unerheblich beeinträchtigen. Sie wollten ihm laufend Unbehagen und Schmerzen zufügen. Die Angeklagten wussten auch, dass sich das Kind nicht freiwillig unter das kalte Wasser der Dusche stellte und wollten es durch das gewaltsame Festhalten zur Duldung der kalten Dusche nötigen. Sie handelten auch mit dem zumindest bedingten Vorsatz, es durch das stundenlange Einsperren im Zimmer und Keller gegen seinen Willen widerrechtlich gefangen zu halten.
In Kenntnis all dieser Tathandlungen wollten die Angeklagten diese gegen D* setzen, wobei sie auch in Kenntnis der Regelmäßigkeit der Gewaltakte und sonstigen Übergriffe sowie des Zeitraums waren, in denen sie die Tathandlungen setzten. Sie hielten es dabei von Beginn an zumindest ernstlich für möglich und fanden sich damit ab, dass sie auf die genannte Weise fortgesetzt und über längere Zeit, nämlich mehrere Monate hindurch, Gewalt gegen ihr Opfer ausübten, und setzten die Angriffe dennoch bewusst und gewollt im einvernehmlichen Zusammenwirken. Sie handelten mit zumindest bedingtem Vorsatz, D* längere Zeit in seiner freien Lebensführung schwerwiegend zu beeinträchtigen. Zudem wussten sie, dass sie ihn durch ihre Handlungen in einen permanenten Zustand der Angst vor weiteren Gewaltakten versetzten und wollten dies auch.
Zu diesen Feststellungen gelangte die Erstrichterin aufgrund der für ehrlich und glaubwürdig befundenen Aussage des D* im Rahmen der kontradiktorischen Opfervernehmung, die sich vor allem auch mit der Stellungnahme der Diplomsozialarbeiterin E* und den Depositionen von F* und G* in Einklang bringen ließen. Zu den als Zeugen vernommenen Nachbarn hätte D* kein besonderes Vertrauensverhältnis gehabt und müssen Außenstehende in der Familie im häuslichen Bereich stattfindende Gewalt nicht bemerken. Die Verantwortung der Angeklagten sah die Erstrichterin als durch das Beweisverfahren widerlegte Schutzbehauptung an.
Die Konstatierungen zur inneren Tatseite erschloss sie aus dem objektiven Tatgeschehen.
Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen sowie den Umstand, dass die Straftaten als Volljährige gegen eine minderjährige Person und gegenüber einem Angehörigen verübt worden waren als erschwerend, mildernd hingegen den bisherigen ordentlichen Lebenswandel und das längere Zurückliegen der Taten und sah davon ausgehend eine Freiheitsstrafe von zwölf Monaten als allen spezial- und generalpräventiven Erwägungen hinreichend Rechnung tragende Unrechtsfolge an. Aufgrund des langen Zurückliegens der Taten, der sozialen Integration und der bisherigen gerichtlichen Unbescholtenheit wäre der sofortige Vollzug weder aus individual- noch allgemeinprohibitiven Erwägungen erforderlich gewesen.
Den Zuspruch an den Privatbeteiligten gründete es auf das Zufügen körperlicher und seelischer Qualen während eines zweijährigen Zeitraums und der längere Zeit hindurch fortgesetzten Gewaltausübung, wodurch D* wiederholt verletzt und in seiner freien Lebensführung schwerwiegend beeinträchtigt worden wäre.
Gegen dieses Urteil richtet sich die mit umfassendem Anfechtungsziel angemeldete (S 11 in ON 60) und fristgerecht wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 5 zweiter und fünfter Fall, Z 9 lit a StPO) und des Ausspruchs über die Schuld, Strafe und privatrechtlichen Ansprüche ausgeführte Berufung der Angeklagten (ON 62).
Rechtliche Beurteilung
Aus Anlass der Berufung überzeugte sich das Oberlandesgericht davon, dass dem angefochtenen Urteil eine gemäß den §§ 290 Abs 1, 471, 489 Abs 1 StPO von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeit anhaftet. Dem Urteil können nämlich keine Konstatierungen zur Vornahme tatbestandskonformer Ausführungshandlungen auch durch A* B* entnommen werden. Unmittelbarer Täter nach § 12 erster Fall StGB ist, wer eine dem Wortlaut des Tatbestands entsprechende Ausführungshandlung setzt. Dies gilt nicht nur für den Alleintäter, sondern auch für – im bewussten und gewollten Zusammenwirken handelnde – Mittäter, von denen jeder eine tatbildliche Ausführungshandlung setzen muss (RIS-Justiz RS0117320, RS0089835; Fabrizy in WK 2 § 12 Rz 24 ff). Das Erstgericht gab die von C* B* ausgeführten Tathandlungen in US 7 bis US 9 wieder und konstatierte zur Berufungswerberin, dass diese von Beginn an mit den vorangeführten „Erziehungsmaßnahmen“ einverstanden war, sie billigte und nicht dagegen einschritt, obwohl sie die Möglichkeit dazu gehabt hätte (US 9). Diese Urteilsaussage aber auch die (allgemein gehaltenen) Konstatierungen, wonach die Angeklagten durch die vorbeschriebenen Tathandlungen ihrem ihrer Fürsorge und Obhut unterstehenden Pflegekind körperliche und seelische Qualen zufügten, durch das wiederholte stundenlange Einsperren im Zimmer und Keller das Kind widerrechtlich gefangen hielten, durch die wiederkehrenden Schläge am Körper misshandelten und teilweise auch verletzten, durch das gewaltsame Festhalten in der Dusche regelmäßig gegen seinen Willen zur Duldung einer Dusche mit kaltem Wasser nötigten und ebenfalls misshandelten, längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt übten, ihm durch die vorbeschriebenen Tathandlungen vorsätzlich andauernde bzw. sich wiederholende Schmerzen, Leiden und auch Angstzustände zufügten, die mit einer erheblichen Beeinträchtigung seines psychischen und physischen Wohlbefindens verbunden waren und sie es ernstlich für möglich hielten und sich damit abfanden, dass sie durch ihre „Erziehungsmaßnahmen“ dem sensiblen Kind körperliche und seelische Qualen zufügten und billigend in Kauf nahmen, dass ihr Opfer wesentlich über die mit Misshandlungen gewöhnlich verbundene Schmerzintensität oder Schmerzdauer hinaus physisch und psychisch schwer getroffen wurde (US 9 f), bleiben in Ansehung der A* B* ohne ausreichenden Sachverhaltsbezug.
Unter dem Aspekt einer Beitragstäterschaft (§ 12 dritter Fall StGB) der Angeklagten wiederum fehlen Feststellungen zu einer kausalen und von entsprechendem Vorsatz getragenen (physischen oder psychischen) Unterstützung durch sie (vgl. RIS-Justiz RS0090497, RS0089799, RS0090508 [T3, T4], RS0099235; Fabrizy aaO Rz 89 f). Für einen Beitrag durch Unterlassen (§ 2 StGB – vgl. Lehmkuhl in WK 2§ 2 Rz 95, 159, 162; Fabrizy aaO Rz 91) bietet das Urteil in subjektiver Hinsicht gleichfalls kein ausreichendes Sachverhaltssubstrat, enthält es doch insbesondere keine Konstatierungen zu den Vorsatzerfordernissen des § 2 StGB (vgl. hiezu Lehmkuhl aaO Rz 133, 135; RIS-Justiz RS0089546).
Diese Feststellungsdefizite erforderten die Aufhebung des A* B* betreffenden Schuld- und Strafausspruchs sowie Adhäsionserkenntnisses und Kostenausspruchs und Verweisung der Strafsache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung.
Im erneuerten Verfahren wird das Erstgericht daher ausreichende Feststellungen zur subjektiven Tatseite, allenfalls in Bezug auf eine Beitragstäterschaft oder einen Beitrag durch Unterlassen im Sinne des § 2 StGB, zu treffen haben. In diesem Zusammenhang wird auch auf die – zwar keine entscheidende, aber für die Straffrage durchaus berücksichtigungswürdige – Aussage des D* einzugehen sein, der nicht mit Sicherheit angeben hatte können, ob A* B* vom Einsperren Bescheid wusste (ON 16, 17). Darüber hinaus wird auch noch die – für den Schuldspruch von C* B* nicht entscheidungswesentliche – Deposition kritisch zu hinterfragen sein, ob das Opfer tatsächlich an den Baum angebunden wurde (vgl. ON 16, 24 f).
Mit ihrer Berufung war die Angeklagte auf die Kassation zu verweisen.