8Ra53/25k – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Mag. Zacek als Vorsitzende, den Richter Mag. Zechmeister und die Richterin Dr. Heissenberger, LL.M., sowie die fachkundigen Laienrichter Gerald Penz und Michael Grandinger in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch Mag. Jürgen Dorner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei B* ., **, vertreten durch Flitsch Leuthner Leiter Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Kündigungsanfechtung, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 14.3.2025, ** 29, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Ein Kostenersatz findet nicht statt.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am ** geborene Kläger war seit 1.7.2019 bei der Beklagten als Airport-Services-Agent am Flughafen C* beschäftigt. Am 2.6.2024 wurde er zum 30.9.2024 gekündigt. Im Betrieb der Beklagten, der dauernd mindestens 5 Arbeitnehmer beschäftigt, gibt es keinen Betriebsrat.
Der Kläger ficht diese Kündigung wegen Sozialwidrigkeit an. Er sei sorgepflichtig für 2 minderjährige Kinder und habe monatliche Fixkosten von ca EUR 2.500. Aufgrund seines Alters, seines Berufs- und Ausbildungsverlaufs, des Gehalts und der derzeitigen Situation auf dem Arbeitsmarkt, sei ihm nicht möglich in absehbarer Zeit einen gleichwertigen Arbeitsplatz zu finden und ein Einkommen zu erzielen, das ihm seine bisherige Lebensführung erhalte.
Die negative Sicherheitsüberprüfung sei nicht der Grund für die Kündigung gewesen, da der Kläger auch nach der negativen Sicherheitsüberprüfung weiterhin bei der Beklagten beschäftigt worden sei. Er sei nicht mehr am Flughafen C*, sondern am Flughafen in D* eingesetzt worden. Er sei auch bereit gewesen, an einem anderen Standort der Beklagten zu arbeiten, wenn ein Einsatz am Flughafen C* nicht mehr möglich gewesen wäre. Der Vorwurf der unberechtigten Spesen beruhe auf bloßen Mutmaßungen. Es sei üblich gewesen, bei beruflichen Aufenthalten im Ausland auch die Taxikosten und nicht nur die Kosten für öffentliche Verkehrsmittel zu ersetzen.
Die Beklagte bestritt. Die Kündigung sei nicht sozialwidrig. Der Kläger könne in angemessener Zeit eine gleichwertige Stelle finden, das Alter des Klägers sei nicht als hemmender Faktor zu werten. Derzeit herrsche im Bereich der Luftfahrt ein Arbeitskräftemangel. Der Kläger sei erst knapp fünf Jahre bei der Beklagten beschäftigt, sodass keine besonders zu berücksichtigende langjährige Betriebszugehörigkeit vorliege. Zudem lägen subjektiv betriebsbedingte Kündigungsgründe vor. Für die Tätigkeit des Klägers sei ein spezifischer Flughafenausweis, der es dem Mitarbeiter erlaube, den Sicherheitsbereich des Flughafens zu betreten, erforderlich. Dieser Flughafenausweis werde vom Flughafen C* nach Durchführung einer Zuverlässigkeitsprüfung durch das Bundesministerium für Klimaschutz für jeweils zwei Jahre ausgestellt. Der Kläger verfüge seit 26.12.2023 nicht mehr über einen solchen Ausweis, da er die Zuverlässigkeitsprüfung nicht bestanden habe. Es sei nicht absehbar, ob ein solcher wieder ausgestellt werden würde. Jeder Arbeitnehmer sei für die Erlangung und den Erhalt des Flughafenausweises selbst verantwortlich. Die Zuverlässigkeitsprüfung sei aufgrund eines Strafverfahrens wegen einer Handgreiflichkeit gegen den Kläger im August 2021 negativ ausgefallen. Der Kläger habe das anhängige Strafverfahren gegenüber der Beklagten nicht offen gelegt. Die Beklagte habe erst am 15.12.2023 von der negativen Zuverlässigkeitsprüfung erfahren. Nach mehrmaliger Aufforderung habe der Kläger erst am 11.1.2024 die Beklagte über das Strafverfahren informiert.
Es sei dem Kläger nicht möglich, seine dienstvertraglichen Pflichten ohne Flughafenausweis zu erfüllen. Der Besitz eines Flughafenausweises sei zur Bedingung für das Dienstverhältnis gemacht worden.
Durch die Verschweigung des strafrechtlich relevanten Vorfalls sei das Vertrauensverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten unwiederbringlich zerstört. Außerdem habe der Kläger im Rahmen eines zweimonatigen dienstlichen Aufenthalts in D* (29.12.2023 bis 28.2.2024) Ersatz für zahlreichen Spesen, insbesondere Taxikosten in Höhe von EUR 2.576,87, geltend gemacht. Letztlich seien von einem Gesamtbetrag von EUR 4.091,37 beantragter Spesen zweifelsfrei nur EUR 518,60 berechtigt. Auf Nachfrage der Beklagten habe der Kläger wahrheitswidrig behauptet, dass die Ausgaben erforderlich gewesen und vom Vorgesetzten genehmigt worden seien.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren ab. Es ging dabei von den Feststellungen auf den Seiten 4 bis 5 der Urteilsausfertigung aus, auf welche zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.
Rechtlich folgerte es, der Kläger könne seine Lebenserhaltungskosten mit seinem letzten Nettogehalt nur knapp decken. Bei Einkommenseinbußen über 20 %, die zu erwarten wären, sofern keine Beschäftigung am Flughafen erlangt werden könne, wäre die Erhaltung seiner bisherigen Lebensführung nicht mehr möglich. Eine Verdiensteinbuße über 20 % sei nur dann vermeidbar, wenn er wieder eine Beschäftigung im Flughafenbereich finde. Die festgestellte Postensuchdauer von 6 bis 8 Monaten komme der in der Rspr als unzumutbar erachteten Suchdauer zumindest nahe. Zudem sei auch bei Verdiensteinbußen von unter 20% die Erhaltung der bisherigen Lebensführung des Klägers zumindest zweifelhaft. Ob tatsächlich eine wesentliche Beeinträchtigung der Interessen vorliege, müsse jedoch nicht abschließend geklärt werden, da ein subjektiv betriebsbedingter Kündigungsgrund vorliege.
Der Kläger habe zum Zeitpunkt der Kündigung mangels Flughafenausweises nicht innerhalb des Sicherheitsbereiches des Flughafens eingesetzt werden können. Eine Weiterbeschäftigung ohne Flughafenausweis in einem anderen Bereich wäre wirtschaftlich nicht zumutbar. Bereits im verschuldeten Verlust des Flughafenausweises liege zumindest ein einem Entlassungsgrund nahe kommendes Verhalten. Durch die stark eingeschränkte Flexibilität der Einsetzbarkeit des Klägers würden wesentliche betriebliche Interessen nachteilig berührt. Der Besitz eines gültigen Flughafenausweises sei eine den Kläger treffende Verpflichtung im Dienstvertrag. Dem Luftfahrunternehmen seien höchste Anforderungen hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit zuzubilligen. Diese seien durch den strafrechtlichen Vorfall, den der Kläger erst gemeldet habe, nachdem ihm der Flughafenausweis nicht weiter verlängert worden sei, verletzt. Dazu komme noch die zumindest aus der Sicht der Beklagten überhöhte Spesenabrechnung, die ebenfalls eine Vertrauensunwürdigkeit indiziere.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers aus den Berufungsgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn einer Klagsstattgabe abzuändern; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt .
1. Aus Zweckmäßigkeitsgründen ist zunächst auf die Rechtsrüge einzugehen.
1.1. Der Kläger moniert, dass die vorzunehmende Interessenabwägung zwingend voraussetze, dass das Gericht entscheide, ob die Kündigung wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtige. Es sei auch zu entscheiden, ob subjektiv oder objektiv betriebsbedingte Kündigungsgründe vorliegen. Erst dann könne die geforderte Interessenabwägung vorgenommen werden.
1.2.Bei der Anfechtung einer Kündigung nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG ist zunächst zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer durch die Kündigung erhebliche soziale Nachteile entstehen, die über die normale Interessenbeeinträchtigung bei einer Kündigung hinausgehen (RS0051746 [T7]). Ist dies der Fall, so ist das Vorliegen von subjektiven oder objektiven Kündigungsrechtfertigungsgründen zu prüfen und anschließend eine Interessenabwägung vorzunehmen (RS0116698).
In die Untersuchung, ob durch eine Kündigung wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt sind, ist nicht nur die Möglichkeit der Erlangung eines neuen, einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatzes, sondern die gesamte wirtschaftliche und soziale Lage des Arbeitnehmers und seiner (allfälligen) Familienangehörigen einzubeziehen (RS0051741; RS0051806; RS0051703).
1.3. Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es auf eine solche Abwägung zwischen den betrieblichen Interessen der Beklagten und dem Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung aber nicht an. Es mangelt nämlich schon an einer wesentlichen Interessenbeeinträchtigung des Klägers.
1.4.Bei Lösung der Frage, ob eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, muss vorerst ohne Rücksicht auf andere Anfechtungsvoraussetzungen und ohne Koppelung mit anderen Tatbeständen oder Tatbestandsmerkmalen geprüft werden, ob durch sie wesentliche Interessen der betroffenen Arbeitnehmer beeinträchtigt werden (RS0051640).
Unter Berücksichtigung der sozialen und familiären Lage wurde in der Rspr bei Prognose, längstens innerhalb von 8 Monaten ab dem Beendigungszeitpunkt ein den erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechendes Dienstverhältnis erlangen zu können, wenn auch mit einer Gehaltseinbuße von brutto bis zu 35 % (netto ca 30 %; Familieneinkommen ca 20 %) eine wesentliche Interessenbeeinträchtigung verneint (8 ObA 81/23d).
Es entspricht der Rechtsprechung, dass im Einzelfall auch bei einer Suchdauer von bis zu zwölf Monaten die Wesentlichkeit der Interessenbeeinträchtigung zu verneinen sein kann (9 ObA 77/18s mwN, 9 ObA 88/22i). Es sind nämlich alle wirtschaftlichen und sozialen Umstände zueinander in Beziehung zu setzen und nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu gewichten (RS0110944 [T3]).
Die Beweislast für die Interessenbeeinträchtigung trifft den Arbeitnehmer (8 ObA 38/12i Punkt 2.3. = RS0110944 [T4]).
1.5.Ausgehend vom maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (RS0051772) kann der Kläger in 6 bis 8 Monaten eine vergleichbare Beschäftigung am Flughafen erlangen, wobei mit Einkommenseinbußen von unter 20 % zu rechnen ist, sofern er den Flughafenausweis wiedererlangt. Der Kläger brachte selbst vor, dass die Sicherheitsauskunft mit August 2024 wieder positiv ausfallen müsste (ON 6.2, 2).
Der Kläger hat damit nicht bewiesen, dass er jedenfalls mit einer länger als sechsmonatigen Arbeitslosigkeit rechnen muss. Auch bei Berücksichtigung der Sorgepflichten, der monatlichen Fixkosten des Klägers (bei einem geringeren Einkommen kann der Kläger einen Unterhaltsherabsetzungsantrag stellen) und der zu erwartenden Gehaltseinbuße von unter 20 % (des Bruttoeinkommens, es ist davon auszugehen, dass die Einbuße beim Nettoeinkommen etwas geringer ausfällt), ergibt sich keine wesentliche Interessenbeeinträchtigung.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass bei der Beurteilung der für eine wesentliche Interessenbeeinträchtigung maßgeblichen Einkommensreduktion nicht auf starre Prozentsätze abzustellen ist (RS0051727 [T10]). Dabei muss insbesondere bei höheren Einkommen auch eine prognostizierte Einkommenseinbuße von 20 % oder mehr noch nicht zu einer wesentlichen Interessenbeeinträchtigung führen, weil die prozentuelle Einkommenseinbuße auch mit Bezug auf das absolut bezifferte Gesamteinkommen zu sehen ist (RS0051727 [T18]; RS0051753 [T17]). Mag eine Einkommenseinbuße von 30 % bei einem geringen Einkommen für die Wesentlichkeit der Interessenbeeinträchtigung ausschlaggebend sein, muss dies bei einem höheren Einkommen noch nicht der Fall sein (9 ObA 54/12z mwN). In Durchschnittsbetrachtung deuten jedoch erst Verdiensteinbußen von 20 % oder mehr auf gewichtige soziale Nachteile hin (9 ObA 125/13t). So wurde zB eine wesentliche Interessenbeeinträchtigung bei einer Arbeitsplatzsuchdauer von 5 bis 7 Monaten und einer voraussichtlichen Nettoeinkommenseinbuße von etwa 15 % verneint (RS0051727 [T19] = 8 ObA 46/22f).
1.5. Die ausgesprochene Kündigung ist daher nicht sozialwidrig, ohne dass es auf das Vorliegen von personenbezogenen Kündigungsgründen ankommen würde.
Das Vorbringen des Klägers, dass eine Weiterbschäftigung des Klägers in anderen Bereichen des Unternehmens ohne Flughafenausweis zumutbar sei, entfernt sich im Übrigen vom festgestellten Sachverhalt. Das Erstgericht hat (unbekämpft) festgestellt, dass eine längerfristige Beschäftigung eines Mitarbeiters ohne Flughafenausweis wirtschaftlich nicht sinnvoll ist, da die Beklagte eine gewisse Flexibilität ihrer Arbeitnehmer benötigt, beispielsweise um Krankenstände kurzfristig auszugleichen (ON 29, S. 4).
Wenn der Kläger weiters vorbringt, dass die verspätete Information über das Strafverfahren nicht mehr als Kündigungsgrund geltend gemacht werden könne, da die Beklagte ihn danach noch weiter beschäftigt habe und damit auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes verzichtet habe, ist ihm zu entgegnen, dass dieser Einwand dem Neuerungsverbot widerspricht. Der Kläger hat sich in erster Instanz nicht auf eine Verfristung bzw einen Verstoß gegen den Unverzüglichkeitsgrundsatz berufen.
2. Beweisrüge
2.1. Der Kläger bekämpft folgende Feststellung: „ Zudem wurde der Besitz eines gültigen Flughafenausweises als Voraussetzung im Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und der Beklagten vereinbart.“
Er begehrt stattdessen folgende Ersatzfeststellung: „Der Besitz eines gültigen Flughafenausweises wurde nicht als Voraussetzung für die Beschäftigung des Klägers bei der beklagten Partei vereinbart.“
2.2. Der bekämpften Feststellung kommt für die rechtliche Beurteilung keine Bedeutung zu, da es auf das Vorliegen von personenbezogenen Kündigungsgründen nicht mehr ankommt.
Sie ist aber auch inhaltlich nicht zu beanstanden. Das Erstgericht stützt sie auf Blg ./B, S. 14. Wenn der Kläger nunmehr vorbringt, dass die Erlangung des Flughafenausweises im Dienstvertrag keineswegs explizit als Voraussetzung für die Beschäftigung angeführt werde, ist er auf den Wortlaut der Blg ./B zu verweisen. Der Dienstvertrag nennt nämlich ausdrücklich „airport or civil aviation clearances“ und damit (auch) den Flughafenausweis.
3. Der Berufung kommt daher insgesamt keine Berechtigung zu.
4.Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 58 Abs 1 ASGG. Nach dieser Bestimmung steht den Parteien im Verfahren über Arbeitsrechtssachen nach § 50 Abs 2 ASGG in erster und zweiter Instanz kein Kostenersatz zu.
5.Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen. Ob die Sozialwidrigkeit der Kündigung nachgewiesen werden kann, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und stellt in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar (8 ObA 46/22f, 9 ObA 128/22x).