19Bs138/25w – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* wegen § 84 Abs 4 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18. März 2024, GZ **-100.4, nach der unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Mag. Baumgartner, im Beisein der Richterinnen Mag. Wilder und Mag. Körber als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Gretzmacher, MAS LL.M., ferner in Anwesenheit des Angeklagten A* und seiner Verteidigerin Mag. Diana Kraft durchgeführten Berufungsverhandlung am 25. Juni 2025
I. zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird Folge gegeben und die Freiheitsstrafe – unter Aufhebung des Beschlusses nach § 53 Abs 1 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 4 StPO – auf zweieinhalb Jahre erhöht.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
II. den
B e s c h l u s s
gefasst:
Gemäß § 53 Abs 1 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 4 StPO wird die dem Angeklagten mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 27. November 2018, AZ **, gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen .
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen, auch einen unangefochten gebliebenen Verfallsausspruch enthaltenden Urteil wurde der ** geborene kenianische Staatsangehörige A* des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach (richtig:) § 84 Abs 4 StGB, des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 StGB, der Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB sowie (richtig:) des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 neunter Fall SMG und des des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 15 StGB, § 27 Abs 1 neunter Fall SMG schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und des § 39 Abs 1a StGB nach § 84 Abs 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.
Mit gleichzeitig gefasstem Beschluss wurde die dem Angeklagten mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 27. November 2018, AZ **, gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen (Freiheitsstrafe von fünf Monaten).
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A* in ** und anderen Orten
A./ Nachgenannten fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen bzw, wegzunehmen versucht (§ 15 StGB), und zwar
I./ am 5. Dezember 2022
1./ in ** einem nicht mehr ausforschbaren Geschädigten ein Fahrrad der Marke **, rot, in nicht mehr festzustellendem Wert;
2./ in ** dem B* Substitoltabletten im Wert von EUR 70,-;
3./ in ** der C* eine Geldbörse samt Bargeld im Gesamtwert von EUR 20,- sowie weiteres Bargeld iHv EUR 380,-;
II./ am 27. November 2023 in ** Verfügungsberechtigten der D* AG Lebensmittel im Wert von EUR 7,16, indem er diese in seine Tasche steckte und den Kassenbereich ohne zu bezahlen passierte, wobei es jedoch beim Versuch blieb, da er vom Ladendetektiv bei der Tat beobachtet und unmittelbar danach angehalten wurde;
III./ am 13. Dezember 2023 in ** Verfügungsberechtigten der E* GmbH Hühnerfleisch im Wert von EUR 4,39, indem er dieses in seine Tasche steckte und den Kassenbereich passierte, wobei er zwar andere Artikel (Gemüse), nicht jedoch das Hühnerfleisch bezahlte, es jedoch beim Versuch blieb, da er vom Ladendetektiv bei der Tat beobachtet und unmittelbar danach angehalten wurde;
B./ am 5. Dezember 2022 in ** nachgenannte Personen am Körper verletzt, und zwar
I./ F*, indem er ihr einen Stoß versetzte, wodurch sie mit dem Kopf gegen eine Wand und zu Boden stürzte und dadurch eine Zerrung des Nackens und eine Prellung des Kopfes sowie Hämatome erlitt;
II./ G*, wobei er dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine an sich schwere Verletzung herbeiführte, indem er dem Genannten einen festen Tritt gegen seinen Fuß versetzte, wodurch dieser einen Bruch des großen linken Zehs, sohin eine an sich schwere Verletzung mit einer 24 Tage übersteigenden Gesundheitsschädigung, sowie eine Prellung der übrigen Zehen am linken Fuß erlitt.
C/ am 5. Dezember 2022 in ** fremde bewegliche Sachen nämlich eine Dosensammlung der C* zerstört, indem er die Dosen verdrehte und zerdrückte;
D/ Urkunden, über die er nicht oder nicht alleine verfügen durften, mit dem Vorsatz unterdrückt, um zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden, und zwar anlässlich der zu Punkt A./I./3./ geschilderten Tat die in der weggenommenen Geldbörse verwahrten H* Mitgliedskarte und die Büchereikarte jeweils lautend auf C*;
E/ sich unbare Zahlungsmittel, über die er nicht oder nicht alleine verfügen durfte, mit dem Vorsatz verschafft, deren Verwendung im Rechtsverkehr zu verhindern, und zwar anlässlich der zu Punkt A./I./3./ geschilderten Tat die in der weggenommenen Geldbörse verwahrten Bankkarte, Debitkarte sowie Sparkontokarte, jeweils lautend auf C*;
F/ in ** vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Kokain (beinhaltend den Wirkstoff Cocain) in durchschnittlicher Straßenqualität anderen verschafft bzw zu verschaffen versucht (§ 15 StGB), indem er ohne konkretes Entgelt nachgenannte Abnehmer an den bereits abgesondert verurteilten Suchtmittelverkäufer I* vermittelte, und zwar
I./ J* zum Kauf einer nicht genauer festzustellenden Menge zum Preis von EUR 20,--;
II./ K* und L* zum Kauf von nicht genauer festzustellenden Mengen zum Preis von jeweils EUR 10,--, wobei es beim Versuch blieb, weil I* vor Abschluss des Verkaufs die Flucht ergriff.
Bei der Strafbemessung wertete der Erstrichter als erschwerend vier einschlägige Vorstrafen, das Zusammentreffen eines Verbrechens mit mehreren Vergehen, die mehrfache Tatbegehung während (gemeint:) laufenden Strafverfahrens sowie die Erfüllung der Rückfallsbedingungen nach § 39 Abs 1 StGB neben jenen des § 39 Abs 1a StGB, als mildernd hingegen dass es teilweise beim Versuch geblieben ist sowie das teilweise (reumütige) Geständnis. Im Rahmen allgemeiner Strafzumessungserwägungen maß das Erstgericht der Tatbegehung innerhalb (richtig:) mehrerer offener Probezeiten sowie der Erfüllung mehrerer Alternativen des § 84 Abs 4 StGB aggravierende Wirkung bei. Zusätzlich geringfügig mildernd wertete es die die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließende Beeinträchtigung und Enthemmung durch Suchtmittel.
Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig angemeldete (ON 101), zu ON 105 ausgeführte Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Strafe, die eine Erhöhung der Sanktion begehrt.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Erstgericht herangezogenen Strafzumessungsgründe sind zunächst dahingehend zu korrigieren, dass als erschwerend die Tatwiederholung beim Schuldspruchpunkt A./ hinzuzutreten hat (dazu Riffel in Höpfel/Ratz , WK 2 StGB § 33 Rz 3).
Der vom Angeklagten für sich reklamierte Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 10 StGB (drückende Notlage) liegt in Ansehung des Faktums A./II./ vor, bei dem dieser als Tatmotiv Hunger und Mangel an Geldmitteln angab (ON 69.2.5). Dass der Rechtsmittelwerber die den Punkten A./I./ und A./III./ unterstellten Taten aufgrund einer drückenden Notlage im Sinne des § 34 Abs 1 Z 10 StGB begangen hatte, wurde aber nicht einmal von ihm selbst behauptet (ON 100.3 S 3 ff – der Angeklagte verantwortete sich entweder leugnend oder nannte als Tatmotive die Begleichung von Schulden und die intendierte Verwendung des Fleisches für das Grillen mit Freunden). Mit der Wegnahme von Substitoltabletten werden von Vornherein keine existenziellen Lebensbedürfnisse befriedigt ( Riffel in Höpfel/Ratz , WK 2 StGB § 34 Rz 24).
Entgegen dem Erstrichter und der Gegenausführung des Angeklagten entfaltet dessen Beeinträchtigung durch Suchtmittel keine mildernde Wirkung, weil ein Suchtmittelkonsum regelmäßig nur deliktisch verwirklicht werden kann (RIS-Justiz RS0091038).
Unter Berücksichtigung der solcherart geringfügig ergänzten und korrigierten Strafzumessungslage entspricht die vom Erstgericht ausgemessene, das mögliche Höchstmaß nicht einmal zu einem Drittel ausschöpfende Freiheitsstrafe von zwei Jahren bei einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe in Anbetracht des einschlägig getrübten Vorlebens des Angeklagten und der zahlreichen Tatangriffe weder dem Handlungs- und Erfolgsunwert noch der Täterpersönlichkeit. Die Sanktion war daher in Stattgebung der Berufung spruchgemäß anzuheben.
Zum Beschluss:
Bei Beschlüssen gemäß § 494a StPO handelt es sich um „bedingte“ Beschlüsse, deren rechtlicher Bestand von der Rechtskraft des Urteils abhängig ist, das den Anlass für die Beschlussfassung bildet. Jede Abänderung oder Aufhebung des Strafausspruches der Anlassverurteilung durch das Rechtsmittelgericht macht diese Beschlüsse – unabhängig davon, ob auch sie angefochten wurden oder nicht – hinfällig und bedingt deren Aufhebung (12 Os 85/19w). Daher musste der Beschluss aufgehoben und neuerlich originär über den allfälligen Widerruf entschieden werden.
Ein Widerruf der bedingten Nachsicht war schon aus Gründen des Meliorationsverbots (vgl Ratz in Fuchs/Ratz , WK StPO § 295 Rz 2; Birklbauer in Fuchs/Ratz , WK StPO § 16 Rz 19) geboten. Im Hinblick auf den mehrfachen Rückfall in einschlägige Delinquenz ist es aber ohnehin jedenfalls erforderlich, die dem Angeklagten gewährte bedingte Strafnachsicht zu widerrufen, um ihn zu einem nachhaltigen Gesinnungswandel anhalten zu können.