4R194/24i – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Rendl als Vorsitzenden sowie den Richter Dr. Futterknecht, LL.M., BSc, und den Kommerzialrat DI Fida in der Rechtssache der klagenden Partei A*, geboren **, **, vertreten durch Mag. Dr. Klaus Gimpl, Rechtsanwalt in Ybbs an der Donau, wider die beklagte Partei B* AG, **, vertreten durch die Themmer, Toth Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellungen (Streitwert EUR 20.000) über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 15. Oktober 2024, ** 22, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 2.220,42 (darin EUR 370,07 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt EUR 5.000, nicht jedoch EUR 30.000.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihr die Beklagte für den Schadensfall vom 17.8.2016, insbesondere für die Klagsführung gegen die C* AG als Herstellerin auf Aufhebung des listig herbeigeführten Kaufvertrags zwischen dem D* und der Klägerin sowie Herausgabe des Fahrzeuges E* Zug um Zug gegen Erhalt von EUR 36.530,06 samt Zinsen, Deckung zu gewähren habe.
Das Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet. Die Klägerin sei von 22.7.2011 bis 15.2.2018 mit F* verheiratet gewesen. Der Letztgenannte habe bei der Beklagten eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen gehabt, bei der die Klägerin mitversichert gewesen sei. Sie habe im Juni 2016 einen E* für ausschließlich private Benützung gekauft. Vom „Dieselskandal“ habe die Klägerin aus den Medien erfahren. Sie habe jedoch nicht gewusst, das ihr Fahrzeug davon betroffen sei. Lediglich „vorsichtshalber“ habe sie mit der Rechtsanwaltskanzlei G* zur Prüfung, ob ihr Fahrzeug betroffen sein könnte, Kontakt aufgenommen. Die G* Rechtsanwalts GmbH habe die Beklagte mit Schreiben vom 13.6.2023 über eine OGH Entscheidung informiert und mitgeteilt, dass nach Begründung dieser Klage [gemeint: Entscheidung] für die Klägerin möglicherweise mit Erfolgsaussicht ein Schadenersatzprozess angestrebt werden könnte. Erst mit Schreiben der G* Rechtsanwalts GmbH vom 14.7.2023 habe die Klägerin schlüssig Kenntnis davon erlangt, dass ihr Fahrzeug betroffen sei.
Mit Schreiben vom 19.6.2023 habe die Beklagte mitgeteilt, dass sie weitere Informationen von der Klägerin benötige. Das Antwortschreiben sei am 22.6.2023 an die Beklagte übermittelt worden. Mit Schreiben vom 27.6.2023 habe die Beklagte die Haftung wegen verspäteter Schadensmeldung abgelehnt.
Die Beklagtebestritt und brachte - soweit für das Berufungsverfahren von Relevanz - vor, der ehemalige Versicherungsnehmer der Beklagten habe seinen Versicherungsvertrag gekündigt. Das Versicherungsvertragsverhältnis sei zum 1.1.2020 storniert worden. Der Schadensmeldung vom 13.6.2023 sei eine Vollmacht vom 18.11.2022 angeschlossen gewesen. Zwischen Vollmachtserteilung und Schadensmeldung würden sieben Monate liegen, woraus zwingend die verspätete Schadensmeldung gemäß § 33 VersVG folge. Infolge der grob schuldhaften, auch mit dolus coloratus vorgenommenen Verletzung der Verpflichtung zur unverzüglichen Anzeige gemäß § 33 VersVG sei die Beklagte leistungsfrei. Bei einem bereits beendeten Rechtsschutzversicherungsvertrag sei auch einem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer einsichtig, dass der Versicherer ein erhöhtes und uneingeschränktes Interesse an einer im Sinne des § 33 VersVG iVm Art 8.1.1. ARB unverzüglichen Anzeige aller Versicherungsfälle habe, weil der Versicherer trotz der Beendigung des Vertrages sein zu übernehmendes Risiko umgehend beurteilen und einschätzen können müsse und für die Deckung gesondert vorzusorgen habe. Durch die Vollmacht sei erwiesen, dass die Klägerin weit vor dem 18.11.2022 Kenntnis vom Versicherungsfall gehabt habe.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren ab und verhielt die Klägerin zum Kostenersatz. Ausgehend von dem auf der Seite 4 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen kam es in rechtlicher Hinsicht zum Ergebnis, die Klägerin habe eine Entscheidung zu einer Geltendmachung von Ansprüchen spätestens am 16.11.2022 durch Beauftragung der Kanzlei G* getroffen. Spätestens jedoch nach Mitteilung, das ihr Fahrzeug betroffen gewesen sei, was am 9.12.2022 gewesen sei, wäre sie angehalten gewesen, dem Rechtsschutzversicherer von der beabsichtigten Geltendmachung von Ansprüchen zu informieren.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt .
1.1. Mit der Beweisrüge wendet sich die Berufungswerberin gegen die im angefochtenen Urteil „auf Seite 1, 2. und 3. Absatz“ getroffenen Feststellungen und begehrt stattdessen die Ersatzfeststellung „Die Klägerin entschied sich mit 2.6.2023 zur Klagsführung für den Fall, dass Versicherungsdeckung gegeben ist“ .
1.2. Die gesetzmäßige Ausführung der Beweisrüge erfordert, dass der Rechtsmittelwerber darlegt, welche konkrete Feststellung bekämpft wird, aufgrund welcher unrichtigen Beweiswürdigung sie getroffen wurde, welche Feststellung begehrt wird und aufgrund welcher Beweisergebnisse und Erwägungen diese zu treffen gewesen wäre. Die Ausführungen zur Beweisrüge müssen somit eindeutig erkennen lassen, auf Grund welcher Umwürdigung bestimmter Beweismittel welche vom angefochtenen Urteil abweichenden Feststellungen angestrebt werden ( A. Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO 5§ 471 Rz 15 mwN; RS0041835 [T2]).
Diesen Anforderungen wird die Beweisrüge nicht gerecht, zumal nicht einmal nachvollziehbar ist, welche Feststellungen die Berufungswerberin bekämpfen will, zumal sich auf der ersten Seite der Urteilsausfertigungen keine Feststellungen befinden.
1.3. Das Berufungsgericht übernimmt daher die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts und legt sie seiner weiteren rechtlichen Beurteilung zugrunde (§ 498 Abs 1 ZPO).
2.1. In der Verfahrensrüge verweist die Berufungswerberin auf das im Rahmen der Beweisrüge erstattete Vorbringen und erblickt, soweit nachvollziehbar, eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens darin, dass das Erstgericht die von ihr begehrte Ersatzfeststellung nicht getroffen habe.
2.2. Eine nicht festgestellte entscheidungserhebliche Tatsache bewirkt jedoch keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens, sondern begründet einen im Rahmen der Rechtsrüge wahrzunehmenden sekundären Feststellungsmängel (RS0053317 [T5]). Wenn zu einem bestimmten Thema jedoch Tatsachenfeststellungen getroffen wurden, mögen diese auch von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweichen, können diesbezüglich keine rechtlichen Feststellungsmängel erfolgreich geltend gemacht werden (RS0053317 [T1]; RS0043480 [T15]). Konkret stellte das Erstgericht ohnehin fest: „Am 2.6.2023 wurde die Klägerin von G* per E-Mail informiert, dass nunmehr ein klagsweises Vorgehen empfehlenswert sei. Die Klägerin bestätigte, dass sie Ansprüche erheben wolle und wurde aufgefordert, Versicherungsdaten einer Rechtsschutzversicherung bekannt zu geben.“ . Damit traf das Erstgericht ohnehin Feststellungen im Sinne der begehrten Ersatzfestellung. Es liegt daher – unter Vorwegnahme der Rechtsrüge – kein sekundärer Feststellungsmangel vor.
2.3. Das Vorbringen zur Begründungspflicht des § 272 Abs 3 ZPO beschränkt sich auf die Wiedergabe allgemeiner Grundsätze dazu. Da jedoch nicht ausgeführt wird, worin konkret der Verstoß gegen die Begründungspflicht liege, ist darauf nicht weiter einzugehen.
3.1 Im Rahmen der Rechtsrüge argumentiert die Berufungswerberin, sie sei nur dann verpflichtet, unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären, wenn sie sich entschieden habe, die Klage tatsächlich einzubringen. Da sie sich dazu erst am 2.6.2023 entschieden habe, liege kein schuldhafter Verzug vor.
3.2 Anders als bei aufrechtem Rechtsschutz-Versicherungsvertrag gilt die in § 33 Abs 1 VersVG iVm Art 8.1.1 ARB 2003 normierte Obliegenheit zur unverzüglichen Anzeige von allen Versicherungsfällen, von denen der Versicherungsnehmer unverschuldet erst nach Ablauf des Vertrags und (zu Gunsten des Versicherungsnehmers) nach Ablauf einer allfälligen im Vertrag vorgesehenen Ausschlussfrist erfährt, uneingeschränkt. Der Versicherungsnehmer hat dann alle Versicherungsfälle, von denen er erfährt, dem Versicherer unverzüglich zur Kenntnis zu bringen und nicht mit der Anspruchsverfolgung zu zögern oder zuzuwarten, bis sich kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen (7 Ob 206/19y). Schadensmeldungen im Fall eines Zeitraums von rund zwei Wochen und rund einem Monat wurden als nicht mehr unverzüglich erachtet (7 Ob 29/25b).
3.3. Bei der Deckungspflicht in der Rechtsschutzversicherung für Klagen gegen Autohersteller wegen Abgasmanipulationssoftware in Diesel-Fahrzeugen handelt es sich um Deckung für die Geltendmachung reiner Vermögensschäden, bei denen nach Art 2.3. ARB (hier 2008; vgl die unstrittige Beilage ./1 [RS0121557]) der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften als Versicherungsfall gilt. Nach dieser Bestimmung liegt der Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung vor, wenn einer der Beteiligten begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen.
Ein zeitlich lange vorangehender Gesetzesoder Pflichtenverstoß, mag er auch die spätere Rechtsverfolgung des Versicherungsnehmers adäquat kausal begründet haben, kann den Versicherungsfall erst auslösen und damit den Zeitpunkt des Verstoßes in Bezug auf den konkreten Versicherungsnehmer in der Rechtsschutzversicherung festlegen, wenn dieser erstmals davon betroffen, das heißt in seinen Rechten beeinträchtigt wird oder worden sein soll. Dies ist im Fall des serienmäßigen Einbaus eines nicht rechtskonformen Bauteils in eine Sache der Zeitpunkt des Erwerbs der mangelhaften Sache durch den Versicherungsnehmer. Erst damit beginnt sich auch die vom Rechtsschutzversicherer in Bezug auf den Versicherungsnehmer konkret übernommene Gefahr zu verwirklichen (7 Ob 121/24f; 7 Ob 82/24w).
3.4. Den Feststellungen zufolge kaufte die Klägerin das Fahrzeug mit Kaufvertrag vom 17.8.2016 und wurde am 9.12.2022 darüber informiert, dass ihr Fahrzeug von Abgasskandal betroffen sei. Die Deckungsanfrage vom 13.6.2023 war daher jedenfalls nicht mehr unverzüglich, sodass der Klägerin ein grob fahrlässiger Verstoß gegen die Obliegenheit nach § 33 Abs 1 VersVG vorzuwerfen ist, was zur Leistungsfreiheit der Beklagten führt.
3.5. Warum die Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig sei, bzw, dass die Verletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Feststellung und den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung einen Einfluss gehabt hat, brachte die diesbezüglich behauptungs- und beweispflichtige Klägerin nicht vor (RS0081313). Vielmehr vertritt sie auch in der Berufung weiterhin den Standpunkt, sie sei erst ab jenem Zeitpunkt, zu dem sie sich entschieden habe, Klage zu führen, verpflichtet gewesen, die Beklagte über die bestehende Sachlage aufzuklären.
3.6. Der Berufung war daher insgesamt ein Erfolg zu versagen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
5. Der Bewertungsausspruch gründet sich auf § 500 Abs 2 Z 1 lit b ZPO und folgt der unbedenklichen Bewertung der Klägerin.
6. Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil Rechtsfragen von der in § 502 Abs 1 ZPO genannten Qualität nicht zu beantworten waren.