3R55/25t – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Iby als Vorsitzenden, die Richterin MMag. a Pichler und den Richter Mag. Resetarits in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geb. **, **, vertreten durch Summer Schertler Kaufmann Rechtsanwälte GmbH in Bregenz, wider die beklagte Partei B* Limited , **, Malta, vertreten durch BK.PARTNERS Bugelnig Kirner Rechtsanwälte OG in Wien, wegen EUR 35.864,10 s.A., über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 27.2.2025, **-13, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 3.662,52 (darin enthalten EUR 610,42 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu Handen der Klagevertreterin zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Beklagte mit Sitz in Malta veranstaltet Internet-Glücksspiel auf der Internetseite **. Sie verfügt in Malta über eine aufrechte Glücksspiellizenz. Über eine Konzession nach dem österreichischen GSpG verfügt sie nicht.
Die in Österreich wohnhafte Klägerin registrierte sich bei der Beklagten zum Zweck der Teilnahme am Online-Glücksspiel. Im Zeitraum 8.11.2016 bis 6.2.2024 zahlte die Klägerin bei der Beklagten EUR 122.115,-- ein. Ausgezahlt erhielt sie in diesem Zeitraum EUR 86.250,90. Der Gesamtverlust beläuft sich damit auf EUR 35.864,10.
Die Klägerinbegehrt die Zahlung von EUR 35.864,10 samt 4 % Zinsen seit 7.2.2024 und bringt vor, die Beklagte betreibe ein Online-Casino und habe dafür keine Lizenz nach dem GSpG, weshalb die Klägerin ihre Spielverluste zurückfordern könne. Das österreichische Glückspielmonopol verstoße nach ständiger Rechtsprechung der Höchstgerichte nicht gegen das Unionsrecht.
Die Beklagte wendet im Wesentlichen ein, sie verfüge über eine aufrechte Lizenz der Malta Gaming Authority und dürfe daher Glücksspiele im Internet anbieten. Das österreichische Glücksspielmonopol sei – aus umfangreich dargestellten Gründen - unionsrechtswidrig, es greife unzulässig in die Dienstleistungsfreiheit ein. Der Klägerin stehe daher kein Rückforderungsanspruch zu.
Mit dem angefochtenen Urteilgab das Erstgericht dem Klagebegehren statt. Es traf dazu neben dem eingangs bereits zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt die auf den Urteilsseiten 3 und 4 wiedergegebenen Feststellungen. Rechtlich kam das Erstgericht zum Ergebnis, dass österreichisches Recht anwendbar sei. Die Durchführung einer Ausspielung ohne Konzession stelle ein verbotenes Glücksspiel dar. Es lägen zahlreiche aktuelle Entscheidungen des OGH vor, dass das im GSpG normierte Monopol- bzw Konzessionssystem bei gesamthafter Würdigung sämtlicher damit verbundener Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt (insbesondere der Werbemaßnahmen der Konzessionäre) den vom Europäischen Gerichtshof aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts entspreche. Die Beklagte sei daher verpflichtet, der Klägerin ihren Spielverlust zurückzustellen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit einem auf Klagsabweisung gerichteten Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
1. Die Entscheidung war trotz des Antrags der Beklagten, „in eventu nach Verfahrensergänzung“zu entscheiden, in nicht öffentlicher Sitzung zu treffen, weil der Berufungssenat gemäß § 480 Abs 1 ZPO eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
2. Zur Mängelrüge:
2.1. Die Beklagte beanstandet, dass das Erstgericht entgegen ihrem Antrag kein Sachverständigengutachten aus den Fachgebieten „Marktforschung“ und „Werbepsychologie“ zum Werbeverhalten der Konzessionsinhaber eingeholt hat.
2.2.Das Erstgericht hat zum Werbeverhalten der Konzessionsinhaber gar keine Feststellungen getroffen, weshalb die von der Berufung relevierten Umstände keinen (primären) Stoffsammlungsmangel sondern nur eine sekundäre Mangelhaftigkeit im Sinn des § 496 Abs 1 Z 3 ZPO begründen könnten, die im Rahmen der Erledigung der Rechtsrüge behandelt wird. Einen primären Verfahrensmangel im Sinn des § 496 Abs 1 Z 2 ZPO bringt die Berufungswerberin damit nicht zur Darstellung (vgl RS0043304).
3. Zur Rechtsrüge:
3.1. In ihrer Rechtsrüge beruft sich die Beklagte auf die Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols und darauf, dass das Kohärenzgebot nicht beachtet worden sei. Als sekundären Feststellungsmangel rügt sie, dass das Erstgericht zu den Auswirkungen des österreichischen Glücksspielmonopols sowie zur Einhaltung der vom EuGH entwickelten Kohärenzkriterien durch den österreichischen Monopolisten keine Feststellungen getroffen hat, obwohl die Beklagte dazu umfangreiches Vorbringen erstattet und Beweise vorgelegt habe. Das Erstgericht habe auch keine Feststellungen in Bezug auf das österreichische Glücksspielmonopol und dessen Auswirkungen getroffen, insbesondere auch nicht zum Markt- und Werbeverhalten des österreichischen Monopolisten.
3.2.Richtig ist, dass die Vereinbarkeit von nationalem Recht mit Unionsrecht als Rechtsfrage grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen ist. Könnten aber bei Regelungen, bei denen sowohl der Wortlaut als auch die erklärte Zielsetzung des Gesetzgebers gegen die Annahme eines Unionsrechtsverstoßes sprechen, ausnahmsweise tatsächliche Umstände zu einem anderen Ergebnis führen, so trifft diejenige Partei, die eine Unionsrechtswidrigkeit behauptet, auch eine entsprechende Behauptungslast (vgl RS0129945).
3.3.Zur Vereinbarkeit des österreichischen Glücksspielmonopols mit dem Unionsrecht liegen zahlreiche Entscheidungen der drei österreichischen Höchstgerichte vor. Der OGH hat in seinen Entscheidungen (vlg zB 3 Ob 72/21s; 5 Ob 30/21d zum Zeitraum Jänner 2012 – Dezember 2015; 1 Ob 229/20p zum Zeitraum Jänner 2013 bis Mai 2019; 9 Ob 20/21p zum Zeitraum 2014 – 2019; 7 Ob 213/21f zum Zeitraum Dezember 2017 – September 2018) mit oftmals ausführlicher Begründung stets an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten und ausgesprochen, dass er in ständiger Judikatur davon ausgehe, dass das im GSpG normierte Monopol- bzw Konzessionssystem bei gesamthafter Würdigung sämtlicher damit verbundener Auswirkungen (insbesondere der Werbemaßnahmen der Konzessionäre) auf dem Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts entspreche (RS0130636 [T7]). In diesen Entscheidungen wird zu den von der Beklagten vorgebrachten Argumenten, ob die Beschränkungen des Angebots von Glücksspielen durch das Glücksspielgesetz die damit angestrebten Ziele des Spielerschutzes und der Kriminalitätsbekämpfung in kohärenter und systematischer Weise verfolgen, ebenso Stellung genommen wie zu jenen zur unterschiedlichen Behandlung von Online-Sportwetten und Online-Glücksspielen, zur restriktiveren Behandlung von Online-Glücksspielen im Vergleich zu Offline-Glücksspielen und zum Spielerschutz bei Ausspielungen von Video-Lotterie-Terminals (VLT). Auch die Werbepraxis der Konzessionsinhaber wurde vom OGH in mehreren Entscheidungen beurteilt (vgl 7 Ob 163/21b; 1 Ob 174/21a). In seinen späteren Entscheidungen (vgl 2 Ob 221/22x mwN; 7 Ob 44/23f) hält der OGH an der bisherigen Rechtsprechung fest.
3.4.In seiner Entscheidung 1 Ob 25/23t hielt der Oberste Gerichtshof fest, dass selbst die Aufhebung von Teilen des § 25 Abs 3 GSpG durch den VfGH (G 259/2022) an dieser Beurteilung nichts ändere. Dass der Gesetzgeber durch das (primäre) Abstellen (nur) auf die Einholung einer Bonitätsauskunft den unionsrechtlich gebotenen Spielerschutz von Spielbankbesuchern nicht in einer dem Sachlichkeitsgebot entsprechenden Weise verwirklicht habe, bedeute noch nicht, dass dieses Anliegen im Glücksspielrecht als Ganzes nicht in kohärenter Weise verfolgt würde. Aus der teilweisen Verfassungswidrigkeit bloß einer Einzelregelung zum Spielerschutz im Bereich der Spielbanken könne nicht abgeleitet werden, dass das österreichische System der Glücksspiel-Konzessionen – entgegen der bisher ständigen Rechtsprechung – unionsrechtswidrig wäre. Zu den Voraussetzungen der unionsrechtlichen Zulässigkeit eines Glücksspielmonopols sowie der dadurch bewirkten Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit liege bereits umfangreiche Rechtsprechung des EuGH vor. Entgegen der Darstellung der (dortigen) Revisionswerberin ergebe sich aus der Entscheidung des EuGH C-920/19, Fluctus , auch kein Verbot für ein nationales Gericht, sich auf Vorentscheidungen „höherer“ (nationaler) Gerichte (hier auf in zahlreichen Parallelverfahren ergangene Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes) zu berufen.
3.5. Neue, in den zitierten Entscheidungen nicht bereits behandelte Aspekte oder relevante Änderungen des Sachverhalts hat die Beklagte nicht aufgezeigt, weshalb weder die (auch in der Mängelrüge relevierten) sekundären Feststellungsmängel noch eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorliegen und auf die zitierten Entscheidungen verwiesen werden kann.
3.6.Die Beklagte meint, die Neuregelung des § 14 GSpG hätte gemäß der Notifizierungsrichtlinie der Europäischen Kommission mitgeteilt werden müssen. Der Oberste Gerichtshof hat auch zu diesem Thema bereits mehrfach Stellung genommen und ist zum Ergebnis gelangt, dass § 14 GSpG keine Norm ist, die gerade für Online-Glücksspiele erlassen wurde; daher ist sie auch keine Vorschrift im Sinne des Art 1 Nr 5 der Transparenz-Richtlinie. Es handelt sich um eine Regelung, mit der die Ausübung bzw das Angebot von Glücksspieldienstleistungen von einer vorherigen Erlaubnis abhängig gemacht wird. Die Bestimmung normiert aber kein darüber hinausgehendes Verbot im Sinne des Art 1 Nr 11 zweiter Fall der Transparenz-Richtlinie und auch kein de facto-Verbot; es besteht daher keine Notifikationsverpflichtung im Sinne des Art 1 der Transparenz-Richtlinie (3 Ob 200/21i). Das Berufungsgericht schließt sich diesen Ausführungen an.
3.7. Die Beklagte behauptet, in jedem Fall seien die zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Glücksspielverträge nicht nichtig gewesen, die Klägerin könne ihren Verlust daher nicht zurückfordern.
Nach ständiger Rechtsprechung des Höchstgerichtes ist aber die Durchführung einer Ausspielung, für die nach den Bestimmungen des GSpG eine Konzession erforderlich wäre, welche aber nicht erteilt wurde, ein verbotenes Glücksspiel. Verbotene Spiele erzeugen nicht einmal eine Naturalobligation. Der Verlierer kann die gesamte Spielschuld zurückfordern, ohne dass dem die Bestimmungen des § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB oder § 1432 ABGB entgegenstünden, weil die Leistung nicht „zur Bewirkung“ der unerlaubten Handlung, sondern als Einsatz erbracht wurde. Den Rückforderungsanspruch zu verweigern, widerspräche dem Zweck der Glücksspielverbote (RS0134152 [T1, T2]).
3.8.Zuletzt wendet sich die Berufungswerberin gegen den Zinsenzuspruch des Erstgerichts. Voraussetzung für den Beginn des Zinsenlaufes sei die Fälligstellung der Forderung, was erst mit der Zustellung der Klage erfolgt sei. Dabei verkennt die Berufungswerberin jedoch, dass der Bereicherungsschuldner nach ständiger Rechtsprechung die mit dem gesetzlichen Zinssatz pauschalierten Nutzungen eines von ihm zu erstattenden Geldbetrags unabhängig vom Eintritt des Verzugs herauszugeben hat (4 Ob 46/13p; 7 Ob 10/20a), sodass auch der Zinsenzuspruch durch das Erstgericht nicht zu beanstanden ist. Es ist zwar richtig, dass in vereinzelten Entscheidungen von Rechtsmittelgerichten (so wie in der Berufung zitiert: OLG Innsbruck 5 R 70/22s; OLG Wien 16 R 205/22t) ein anderer Standpunkt vertreten wurde. Die oben referierte Rechtsansicht – der sich das Berufungsgericht anschließt – entspricht jedoch der völlig überwiegenden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte (so zB: OLG Wien: 16 R 4/23k, 16 R 220/22y, 16 R 183/22g, 13 R 228/22b, 12 R 137/22b, 12 R 30/22a; OLG Graz: 2 R 212/22x; OLG Linz: 15 R 161/22i, 2 R 154/22p, 4 R 174/22v). Die in der Berufung zitierte Entscheidung 8 Ob 107/17v betrifft einen ganz anderen Sachverhalt (von einem Geschäftsunfähigen abgeschlossener nichtiger Kreditvertrag).
3.9. Der Berufung war daher keine Folge zu geben.
4.Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet auf den §§ 41 und 50 ZPO.
5.Da eine gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu sämtlichen behandelten Aspekten besteht, von der das Berufungsgericht nicht abweicht, war die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen.