6R130/25v – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Fabian als Vorsitzende sowie den Richter Dr. Pscheidl und die Richterin Mag. Müller in der Rechtssache der Antragstellerin Österreichische Gesundheitskasse , **, wider den Antragsgegner A*, geboren am **, **, vertreten durch Mag. Günther Billes, Rechtsanwalt in Wien, wegen Insolvenzeröffnung, über den Rekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 25.3.2025, ** 12, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben .
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Erstgericht eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung:
Mit einem am 14.1.2025 eingebrachten Antrag begehrte die Österreichische Gesundheitskasse ( ÖGK; Antragstellerin ) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragsgegners . Dieser schulde laut Rückstandsausweis vom selben Tag offene und fällige Sozialversicherungsbeiträge samt Zinsen und Nebengebühren in Höhe von EUR 7.065,80 für den Zeitraum Juni bis Dezember 2024. Der Antragsgegner sei zahlungsunfähig. Auf das beim Bezirksgericht Floridsdorf geführte Exekutionsverfahren zu ** werde verwiesen (ON 1).
Erhebungen des Erstgerichts ergaben, dass der Antragsgegner seit 4.4.2019 als gewerblich selbstständig Erwerbstätiger gemeldet ist (ON 2.1). Die Abfrage im Gewerbeinformationssystem Austria ergab fünf aufrechte Gewerbeberechtigungen (ON 2.3 bis 2.8).
Abfragen zu „A*“ im Firmenbuch, im Grundbuch, wegen offenkundiger Zahlungsunfähigkeit, im Pfändungsregister und in der Liste der Vermögensverzeichnisse verliefen negativ (ON 2.2, 2.10 bis ON 2.13).
Das Erstgericht beraumte für 10.3.2025 eine Einvernahmetagsatzung an. Mit der Ladung wurde dem Antragsgegner der Antrag und ein Formular für das Vermögensverzeichnis mit der Aufforderung, dieses zur Vernehmung mitzubringen, übermittelt. Die Ladung wurde am 15.1.2025 elektronisch zugestellt.
Über Anfrage des Erstgerichts teilte das Finanzamt Österreich mit, dass per 15.1.2025 ein ungeregelter, exekutiv betriebener Abgabenrückstand von EUR 2.029,45 bestehe (ON 4.1).
Die Antragstellerin gab am 12.2.2025 bekannt, dass mit dem Antragsgegner eine Ratenvereinbarung getroffen worden sei. Die Vereinbarung gelte nur unter der Voraussetzung, dass nicht aufgrund des gegenständlichen Antrag seine Insolvenzverfahren eröffnet werde (ON 5).
Abfragen im Exekutionsregister zum 14.2.2025 und 6.3.2025 ergaben ein von der Republik Österreich vor dem Bezirksgericht Leopoldstadt zu ** geführtes Exekutionsverfahren.
Mit Beschluss vom 14.2.2025 forderte das Erstgericht den Antragsgegner auf, binnen 10 Tagen die Zahlung an das Finanzamt nachzuweisen sowie dass keine Exekutionsverfahren offen sind. Mit Note vom 19.2.2025 forderte das Erstgericht den Antragsgegner auf, binnen 10 Tagen die Zahlung des Rückstandes beim Finanzamt und jener Schuld nachzuweisen, hinsichtlich derer Exekution geführt wird.
Zur Einvernahmetagsatzung erschien der Antragsgegner nicht. Die Antragstellerin bezifferte den aktuellen Beitragsrückstand mit EUR 4.607,26 und teilte mit, dass ein Kostenvorschuss nicht erlegt werde (ON 10). Sie wies auch darauf hin, dass die Raten von dritter Seite bezahlt worden seien.
Nachdem auch auf eine weitere Aufforderung des Erstgerichts vom 10.3.2025, die Zahlung oder Regelung der Forderungen des Finanzamtes und der Republik Österreich nachzuweisen oder einen Kostenvorschuss von EUR 4.000 zu erlegen (ON 11), keine Reaktion des Antragsgegners erfolgte, stellte es mit dem angefochtenen Beschluss die Zahlungsunfähigkeit des Antragsgegners fest und erklärte, das Insolvenzverfahren mangels kostendeckenden Vermögens nicht zu eröffnen. Es wies den Insolvenzeröffnungsantrag daher ab.
Die Antragstellerin habe mit dem vollstreckbaren Rückstandsausweis vom 14.1.2025 ihre Forderung über EUR 7.065,80 glaubhaft gemacht. Weiters habe das Finanzamt darüber informiert, dass ein Rückstand in Höhe von EUR 7.029,45 bestehe. Der Antragsgegner habe zwar mit der Antragstellerin eine Ratenvereinbarung abgeschlossen, doch sei ein Betrag in Höhe von EUR 4.607,26 immer noch offen. Die Ratenzahlungen seien von dritter Seite erfolgt. Hinsichtlich der Forderung des Finanzamts und des Exekutionsverfahrens habe der Antragsgegner weder eine Zahlung noch den Abschluss einer Ratenvereinbarung bescheinigt. Es habe bisher nicht festgestellt werden können, dass der Schuldner über Vermögen verfüge, welches zumindest ausreiche, die Anlaufkosten des Insolvenzverfahrens zu decken. Die Antragstellerin habe erklärt, keinen Kostenvorschuss zu erlegen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Antragsgegners, erkennbar mit dem Antrag auf Abänderung, den Insolvenzantrag mangels Zahlungsunfähigkeit abzuweisen; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt .
1. Der Antragsgegner bestreitet, am 25.3.2025 zahlungsunfähig gewesen zu sein. Er habe über Bankguthaben und Bargeld verfügt, um seine fälligen Verbindlichkeiten bei der Österreichischen Gesundheitskasse in Höhe von EUR 5.561,37, beim Finanzamt in Höhe von EUR 2.029,45 und die exekutiv betriebene Forderung der Republik Österreich in Höhe von EUR 776,90 zu begleichen. Er habe sich aufgrund privater Probleme einige Monate lang unzureichend um die Erfüllung seiner finanziellen Pflichten gekümmert.
Den Rückstand bei der Antragstellerin habe der Schuldner durch eine Überweisung von EUR 5.800 am 30.3.2025 zur Gänze beglichen, jene beim Finanzamt am 26.3.2025 in Höhe von EUR 2.029,45. Aus dem Kontoauszug vom 31.3.2025 lasse sich entnehmen, dass das Geschäftskonto nach diesen Zahlungen noch immer mit EUR 800 gedeckt gewesen sei. Der Überweisung an die Antragstellerin sei eine Bareinzahlung des Schuldners aus Eigenmitteln von EUR 6.000 vorausgegangen, über die er schon am 25.3.2025 verfügt habe.
Die Exekution B* des Bezirksgerichtes Leopoldstadt habe eine Kapitalforderung von EUR 700 betroffen. Am 1.4.2025 habe der Schuldner den offenen Betrag von EUR 776,90 an den Gerichtsvollzieher überwiesen, am 7.4.2025 eine Restzahlung von EUR 22,50. Der Schuldner habe nach Vollzahlung die Einstellung der Exekution beantragt.
Die liquiden Mittel, mit denen der Schuldner diese Schuld bezahlt habe, seien am 25.3.2025 bereits vorhanden gewesen.
Die Ratenzahlungen an die Antragstellerin seien auch nicht von dritter Seite erfolgt, sondern durch den Antragsgegner selbst, der sowohl seinen Vornamen als auch seinen Nachnamen mit Bescheiden des Magistrats der Stadt C* vom 25.9.2024 geändert habe. Bis zur Namensänderung habe er D* geheißen.
Der Schuldner sei im relevanten Zeitpunkt auch Gesellschafter und Geschäftsführer der E* GmbH (FN **) gewesen, die Komplementärin der E* GmbH Co KG (FN **) sei. Einziger Kommanditist sei der Schuldner. Die E* GmbH Co KG betreibe ein erfolgreiches Unternehmen im Geschäftszweig Hausbetreuung, Sommer Winterdienst, Botenfahrten, Personenbeförderung und Immobilienverwaltung. Der Schuldner beziehe ein Einkommen als Geschäftsführer.
2.Jede Abweisung eines Insolvenzeröffnungsantrages mangels kostendeckenden Vermögens setzt voraus, dass die Eröffnungsvoraussetzungen des § 70 IO bescheinigt sind.
3.Gemäß § 70 Abs 1 IO ist das Insolvenzverfahren auf Antrag eines Gläubigers unverzüglich zu eröffnen, wenn er glaubhaft macht, dass er eine – wenngleich nicht fällige – Insolvenzforderung hat und der Schuldner zahlungsunfähig ist. Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn ein Schuldner infolge eines nicht bloß vorübergehenden Mangels an bereiten Zahlungsmitteln seine fälligen Schulden in angemessener Frist nicht erfüllen und sich die dafür erforderlichen Mittel auch nicht alsbald beschaffen kann (RS0064528).
4. Die Antragstellerin hat durch die Vorlage des vollstreckbaren Rückstandsausweises sowohl den Bestand ihrer Forderung als auch auf Grund der Dauer des Rückstandes die Zahlungsunfähigkeit des Antragsgegners ausreichend bescheinigt. Die Nichtzahlung von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen ist ein ausreichendes Indiz für das Bestehen der Zahlungsunfähigkeit, weil es sich bei diesen um Betriebsführungskosten handelt. Sie werden von den zuständigen Behörden und Institutionen bekanntlich so rasch in Exekution gezogen, dass sich ein Zuwarten mit ihrer Zahlung bei vernünftigem wirtschaftlichem Vorgehen verbietet und im Allgemeinen nur aus einem Zahlungsunvermögen erklärbar ist ( Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger , InsR 4 § 66 KO Rz 69; Mohr, IO 11 § 70 E 70, E 74).
5. Wird vom Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit fürs Erste bescheinigt, liegt es am Antragsgegner, die Gegenbescheinigung zu erbringen, dass er zahlungsfähig ist.
Um die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit zu entkräften, ist gemäß den §§ 66 Abs 3, 70 Abs 4 IO der Nachweis erforderlich, dass die fälligen Forderungen sämtlicher Gläubiger – nicht nur jene der Antragstellerin – bezahlt werden konnten bzw dass der Schuldner über die zur Tilgung aller fälligen Verbindlichkeiten nötigen Geldmittel verfügt ( Mohr, IO 11 § 70 E 239 f) oder dass zumindest mit allen Gläubigern Zahlungsvereinbarungen getroffen wurden, die der Schuldner auch einzuhalten imstande ist ( Mohr , aaO E 243, E 271 ff). Diese Gegenbescheinigung der Zahlungsfähigkeit hat der Antragsgegner von sich aus zu erbringen.
6.Bei der Beurteilung der Frage, ob die Insolvenzvoraussetzungen vorliegen, ist im Rechtsmittelverfahren wegen der Neuerungserlaubnis des § 260 Abs 2 IO die Sachlage im Zeitpunkt der Beschlussfassung in erster Instanz - hier der 25.3.2025 - und die Bescheinigungslageim Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel maßgebend (RS0065013 [T1]; 8 Ob 19/17b ua).
Grundsätzlich gilt im Insolvenzverfahren für die Rekursausführungen kein Neuerungsverbot (RS0043943; Erlerin KLS², § 260 Rz 33). Die Neuerungserlaubnis findet jedoch ihre Grenze in § 259 Abs 2 IO, wonach Anträge, Erklärungen und Einwendungen, zu deren Anbringung eine Tagsatzung bestimmt ist, von den nicht erschienen, gehörig geladenen Personen nachträglich nicht mehr vorgebracht werden können (RS0115313; RS0110967 [T6] = 8 Ob 36/04h).
6.1. Hier ist der Antragsgegner nicht zur Einvernahmetagsatzung erschienen. Damit unterliegt sämtliches Rekursvorbringen, das er bereits in der Tagsatzung vom 10.3.2025 erstatten hätte können, dem Neuerungsverbot. Dies betrifft sein Vorbringen im Rekurs, aufgrund privater Probleme trotz vorhandener Liquidität auf die Erfüllung seiner finanziellen Pflichten unzureichend geachtet zu haben. Auch das Vorbringen, dass er an der der E* GmbH beteiligt sei und ein – im Übrigen nicht beziffertes – Einkommen als Geschäftsführer der E* GmbH Co KG beziehe, unterliegt dem Neuerungsverbot.
6.2. Der Antragsgegner bescheinigte im Rekurs eine Überweisung an das Finanzamt in Höhe von EUR 2.029,45 am 26.3.2025, an die Antragstellerin in Höhe von EUR 5.800 am 30.3.2025 und Zahlungen im Exekutionsverfahren F* des Bezirksgerichtes Leopoldstadt am 1. und 4.4.2025. Daraus folgt, dass zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Erstgerichts die Forderungen der Antragstellerin und der Republik Österreich nicht beglichen waren.
6.3.Eine Registerabfrage durch das Rekursgericht (§ 254 Abs 5 IO; RS0065221) ergab weiters, dass fünf aktuelle Exekutionsverfahren gegen den Antragsgegner unter seinem alten Namen D* geführt werden. Die betreibenden Gläubiger G* BeteiligungsgmbH (BG Floridsdorf **, ** und **) und H* GmbH und Co KG (BG Leopoldstadt **) blieben vom Antragsgegner überhaupt unerwähnt.
6.4. Zusammengefasst waren im wesentlichen Zeitpunkt der Beschlussfassung in erster Instanz nicht alle Forderungen gegen den Antragsgegner bezahlt oder geregelt. Das Erstgericht ist damit auch nach der im Rekursverfahren gegebenen Bescheinigungslage zu Recht von seiner Zahlungsunfähigkeit ausgegangen.
7.Die weitere Konkursvoraussetzung des § 71 IO, das Vorhandensein von kostendeckendem Vermögen, ist von Amts wegen zu prüfen. Solches liegt nach § 71 Abs 2 IO vor, wenn das Vermögen des Schuldners zumindest ausreicht, um die im Gerichtshofverfahren üblicherweise mit EUR 4.000 veranschlagten Anlaufkosten des Verfahrens bis zur Berichtstagsatzung zu decken. Dieses Vermögen muss weder sofort noch ohne Aufwand verwertbar sein; dabei sind auch Anfechtungsansprüche zu berücksichtigen.
7.1.Eine wesentliche Grundlage für die Erhebungen zum kostendeckenden Vermögen bildet das vom Schuldner zu unterfertigende Vermögensverzeichnis, zu dessen Vorlage er nach den §§ 71 Abs 4, 100, 100a und 101 IO vom Gericht anzuhalten ist.
7.2.Vor Fassung des angefochtenen Beschlusses wurde ein Vermögensverzeichnis des Antragsgegners nicht eingeholt. Angesichts der vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Sanktionsmöglichkeiten (§§ 100, 101 IO) kann zur Erfüllung der amtswegigen Erhebungspflicht mit der Übermittlung des Formulars an den Antragsgegner samt der Aufforderung, dieses binnen drei Wochen ausgefüllt vorzulegen, nicht das Auslangen gefunden werden.
Das Erstgericht wäre daher nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates befugt und verpflichtet gewesen, nach einmaligem Nichterscheinen des Antragsgegners trotz ordnungsgemäßer Ladung zu einer Einvernahmetagsatzung dessen zwangsweise Vorführung anzuordnen (§ 101 IO; OLG Wien 6 R 331/24a; vgl Mohr, IO 11 § 71 E 48 ff).
7.3.Das Unterbleiben eines Vorführversuchs begründen einen Verfahrensmangel, der, weil er gegen zwingende Verfahrensvorschriften der IO verstößt, auch wenn dies im Rekurs nicht geltend gemacht wird, von Amts wegen wahrgenommen werden muss ( Mohr, IO 11 § 71 E 75).
8. In Stattgebung des Rekurses war der angefochtene Beschluss daher aufzuheben. Das Erstgericht wird das Insolvenzeröffnungsverfahren fortzusetzen und das Vorliegen von kostendeckendem Vermögen neuerlich zu beurteilen haben. Im Zweifel wird von dessen Vorliegen auszugehen und der Konkurs unverzüglich zu eröffnen sein.
9.Im Übrigen wird darauf Bedacht zu nehmen sein, dass dem Antragsgegner auch die Möglichkeit einer Antragstellung nach den §§ 183 ff IO offen steht. § 183 IO sieht für natürliche Personen eine Ausnahme vom Kostendeckungsprinzip vor. Danach ist ein Insolvenzantrag trotz Fehlens eines zur Deckung der Kosten des Insolvenzverfahrens voraussichtlich hinreichenden Vermögens dann nicht abzuweisen, wenn der Schuldner ein genaues Vermögensverzeichnis und einen Zahlungsplan vorlegt, dessen Annahme beantragt und die Erfüllung bescheinigt, und wenn er weiters glaubhaft macht, dass seine Einkünfte die Kosten des Verfahrens voraussichtlich decken werden. Dies gilt auch in einem auf Gläubigerantrag eingeleiteten Insolvenzeröffnungsverfahren (RS0117184).