19Bs61/25x – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegenA* und andere Angeklagte wegen §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 erster und fünfter Fall, Abs 2 StGB über die Berufungen der Angeklagten A*, B* C* und D* C* wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 12. Dezember 2024, GZ **-35.1, nach der unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Mag. Baumgartner, im Beisein der Richterinnen Mag. Wilder und Mag. Körber als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Dr. Lechner, ferner in Anwesenheit der Angeklagten B* C* und D* C* sowie deren Verteidigers Mag. Ayhan Calik, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten A* durchgeführten Berufungsverhandlung am 28. April 2025 zu Recht erkannt:
Spruch
Den Berufungen wegen Schuld wird nicht , hingegen jenen wegen Nichtigkeit dahin Folge gegeben, dass das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem schuldig sprechenden Teil, demzufolge auch in den Strafaussprüchen aufgehoben und die Strafsache in diesem Umfang an das Erstgericht zurückverwiesenwird, dem ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO aufgetragen wird.
Mit ihren weiteren Berufungen wegen Nichtigkeit und Strafe werden die Angeklagten auf die Kassation verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Text
Mit dem angefochtenen, auch rechtskräftige Freisprüche enthaltenden Urteil wurden A*, B* C* und D* C* des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 (erster und fünfter Fall), Abs 2 StGB schuldig erkannt und hiefür nach § 147 Abs 1 StGB zu gemäß § 43 Abs 1 StGB bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafen verurteilt, und zwar A* zu einer von neun Monaten, B* C* zu einer von sechs Monaten und D* C* zu einer von drei Monaten.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs haben A*, B* C* und D* C* „in E* im bewussten und gewollten Zusammenwirken (§ 12 StGB) Verfügungsberechtigte der F* AG betrügerisch zur am 18. Oktober 2023 erfolgten Überweisung von Reparaturkostenersatz in Höhe von 5.961,89 Euro (netto) auf das Konto der G* H* GmbH verleitet, indem A* als Verantwortlicher der in E* ansässigen G* H* GmbH die Schadensregulierung bei der Haftpflichtversicherung F* AG beantragte, wobei B* C* im dem Antrag beigefügten Unfallbericht durch ihre Unterschrift tatsachenwidrig ein auf der Fahrbahn der **straße stattgefundenes Unfallgeschehen der Fahrzeuglenker B* C* und angeblich I* behaupteten, obwohl die Kollision des bei der F* AG haftpflichtversicherten PKW Audi des Versicherungsnehmers J* mit dem PKW VW Touareg der G* H* GmbH tatsächlich durch B* C* und D* C* als Fahrzeuglenker auf Anweisung des A* absichtlich in der Halle des genannten Unternehmens herbeigeführt wurden, wobei sie den Betrug mit einem 5.000 Euro übersteigenden Schaden begingen, indem sie zur Täuschung eine falsche Urkunde und zugleich ein falsches Beweismittel, nämlich den zur Untermauerung der falschen Angaben und Erwirkung der Leistungserbringung einen falschen Sachverhalt darstellenden und mit dem Namen des I* als angeblichen Fahrzeuglenker versehenen Unfallbericht benützten“.
Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht bei sämtlichen Angeklagten die mehrfache Deliktsqualifikation erschwerend, mildernd hingegen den bisher ordentlichen Lebenswandel und das reumütige Geständnis. Bei A* wurde zudem die Schadensgutmachung mildernd in Anschlag gebracht, während die führende Beteiligung als weiterer Erschwerungsgrund berücksichtigt wurde. Bei D* C* zog das Erstgericht zusätzlich den Milderungsgrund der untergeordneten Beteiligung heran.
Gegen dieses Urteil richten sich die rechtzeitig in einem gemeinsamen Schriftsatz wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe angemeldeten (ON 38), zu ON 45 in den Anfechtungspunkten Nichtigkeit und Strafe ausgeführten Berufungen der Angeklagten.
Rechtliche Beurteilung
Die zunächst zu behandelnden ( Ratz in Fuchs/Ratz, WK StPO § 476 Rz 9), nicht ausgeführten Berufungen wegen des Ausspruchs über die Schuld vermögen nicht zu überzeugen. Denn der Erstrichter unterzog die erhobenen Beweise mit schlüssiger Begründung einer denkrichtigen und lebensnahen Würdigung und legte detailliert dar, wie er zu dem objektiven Handlungsablauf sowie den darauf bezogenen Feststellungen zur subjektiven Tatseite gelangte. Das Erstgericht konnte sich dabei insbesondere auf die geständigen Angaben der Berufungswerber stützen, welche sich mit dem übrigen Akteninhalt deckten.
Auch das Vorliegen der subjektiven Tatseiten wurde vom Erstgericht empirisch einwandfrei aus dem äußeren Tatgeschehen abgeleitet (US 6 f; vgl RIS-Justiz RS0116882, RS0098671).
Da somit auch das Rechtsmittelgericht bei der im Rahmen der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld anzustellenden Gesamtbetrachtung keine Zweifel an der erstrichterlichen Lösung der Schuldfrage hegt, hat der Schuldspruch Bestand.
Hingegen sind die Diversionsrügen berechtigt. Ein Urteil ist dann aus Z 10a leg cit nichtig, wenn die darin enthaltenen Feststellungen bei richtiger Rechtsansicht die Nichtanwendung der Diversion nicht zu tragen vermögen oder wenn Ergebnisse der Hauptverhandlung auf einen Umstand hindeuten, der für die positive Beurteilung der diversionellen Voraussetzungen den Ausschlag gäbe, das Gericht dazu aber keine Feststellungen getroffen hat.
Eine Diversion kommt zunächst nur bei hinreichend geklärtem Sachverhalt in Frage, wovon im vorliegenden Fall auszugehen ist. Nach § 198 Abs 2 Z 2 StPO sind diversionelle Maßnahmen überdies nur dann zulässig, wenn die Schuld des Angeklagten nicht als schwer anzusehen wäre. Für den Begriff „schwere Schuld“ ist jener Schuldbegriff maßgeblich, der in § 32 Abs 1 StGB als Grundlage für die Bemessung der Strafe vorausgesetzt wird, wobei die Prüfung dieser Frage stets nach Lage des konkreten Falls eine ganzheitliche Abwägung aller unrechts- und schuldrelevanten Tatumstände verlangt. Handlungsunwert und Gesinnungsunwert müssen insgesamt eine Unwerthöhe erreichen, die im Wege einer überprüfenden Gesamtwertung als auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen ist. Ob eine schwere Schuld vorliegt, ist nach Strafbemessungsgrundsätzen (§ 32 StGB) zu beurteilen. Die Schuldabwägung hat sich primär an der gesetzlichen Strafdrohung, in welcher der Gesetzgeber eine generelle Vorbewertung des Unrechts- und Schuldgehalts des betreffenden Delikts zum Ausdruck bringt, zu orientieren (dazu Schroll/Kert in Fuchs/Ratz, WK StPO § 198 Rz 13 ff).
Das Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 erster und fünfter Fall, Abs 2 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen. Fehlt etwa eine Strafuntergrenze, muss bei Beurteilung des Schweregrads der Schuld auch die vom Gesetzgeber solcherart bedachte Möglichkeit einer besonders geringen Strafzumessungsschuld in Betracht gezogen werden. In Anbetracht des Strafrahmens ist im vorliegenden Fall sohin von einem im Vergleich zum Einzugsbereich diversionsfähiger Straftaten durchschnittlichen Unrechtsgehalt auszugehen (vgl Schroll/Kert in Fuchs/Ratz, WK StPO § 198 § 198 Rz 28 f). Angesichts der getroffenen Feststellungen erreichen weder Handlungs-, Erfolgs- noch Gesinnungsunwert eine Unwerthöhe, die im Wege einer überprüfenden Gesamtbetrachtung als auffallend ungewöhnlich zu beurteilen ist. Im Rahmen der Strafzumessung ist die (bereits vom Erstgericht zutreffend herangezogene, vgl RIS-Justiz RS0091058, RS0116020) mehrfache Deliktsqualifikation nach § 147 Abs 1 Z 1 erster und fünfter Fall, Abs 2 StGB sowie beim Erstangeklagten die führende Beteiligung erschwerend zu werten. Mildernd wirkt sich jeweils der bisher ordentliche Lebenswandel der Angeklagten, deren reumütige Geständnisse sowie (bei allen Berufungswerbern, siehe Riffel in Höpfel/Ratz, WK² StGB § 34 Rz 33) die vollständige Schadensgutmachung aus. Hingegen gelangt der dem Angeklagten D* C* vom Erstgericht gewährte Milderungsgrund der untergeordneten Beteiligung nicht zur Anwendung, zumal dessen Verhalten für die Tatausführung nicht als unerheblich einzustufen ist (vgl Riffel in Höpfel/Ratz, WK² StGB § 34 Rz 15 f). Ausgehend von diesen Prämissen liegt keine eine Diversion ausschließende schwere Schuld im Sinne des § 198 Abs 2 Z 2 StPO vor.
Ebenso wenig wie spezialpräventive Hinderungsgründe auszumachen sind, sprechen entgegen der Annahme des Erstrichters auch generalpräventive Vorbehalte nicht gegen eine diversionelle Erledigung. So würde ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO in der konkreten Fallkonstellation keine generalpräventiv beachtliche Bagatellisierung der Tat bedeuten und der Öffentlichkeit ein ausreichendes Signal der Rechtsbewährung signalisieren. Darüber hinaus enthalten die Diversionsbestimmungen auch durchaus eingriffsintensive Maßnahmen und sorgen auch solcherart für eine ausreichende Signalwirkung nach Außen zur Bestärkung der Rechtstreue der Bevölkerung.
In teilweiser Stattgebung der Berufungen wegen Nichtigkeit ist das angefochtene Urteil daher in seinem schuldig sprechenden Teil sowie in den Strafaussprüchen aufzuheben und die Strafsache in diesem Umfang an das Landesgericht für Strafsachen Wien mit dem Auftrag zurückzuverweisen, nach den Bestimmungen des 11. Hauptstücks der StPO vorzugehen.
Mit ihren weiteren Berufungen wegen Nichtigkeit (Z
11) und Strafe sind die Angeklagten auf die Kassation zu verweisen.