6R92/25f – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Fabian als Vorsitzende sowie die Richterin Mag. Nigl, LL.M., und den Richter MMag. Klaus in der Rechtssache der Antragstellerin Republik Österreich (Finanzamt Österreich) , vertreten durch die Finanzprokuratur, **, gegen den Antragsgegner A* , geboren am **, **, wegen Insolvenzeröffnung, über dessen Rekurs gegen den Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 3.2.2025, **-8, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass er lautet:
„Der Antrag der Republik Österreich, Finanzamt Österreich, vom 29.11.2024 auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des A*, geboren am **, wird abgewiesen.“
Die durch diese Entscheidung erforderlichen Anordnungen werden dem Erstgericht übertragen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt EUR 30.000,-.
Der ordentliche Revisionrekurs ist nicht zulässig.
Text
Begründung
Mit einem am 29.11.2024 beim Erstgericht eingebrachten Antrag begehrte die Republik Österreich/Finanzamt Österreich ( Antragstellerin ) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des A* ( Antragsgegner/Schuldner ). Dieser schulde ihr laut dem beiliegenden Rückstandsausweis EUR 24.636,83 an rückständigen und vollstreckbaren Abgaben. Der Antragsgegner sei zahlungsunfähig. Das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit folge insbesondere aus der mit dem Rückstandsausweis nachgewiesenen Höhe der Abgabenforderungen und aus dem mehr als 6-monatigen Zeitraum, in dem diese Abgaben vom Antragsgegner nicht bezahlt worden seien. Damit liege eine vorübergehende Zahlungsstockung nicht mehr vor. Dem Antrag war ein Rückstandsausweis vom 20.11.2024 angeschlossen, aus dem sich offene Abgabenschulden mit Fälligkeitsdatum von Februar 2021 bis Oktober 2024 aus Einkommens- und Umsatzsteuer ergeben.
Erhebungen des Erstgerichtes ergaben, dass der Antragsgegner seit 19.3.2019 als gewerblich selbständig Erwerbstätiger gemeldet ist (ON 2.2). Laut Abfrage im Firmenbuch (ON 2.4) ist der Antragsgegner alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter der B* GmbH mit einer gründungsprivilegierten Stammeinlage von EUR 10.000.
Eine Abfrage im Gewerbeinformationssystem Austria wies zwei aufrechte Gewerbeberechtigungen des Antragsgegners für „Gastgewerbe in der Betriebsart Imbissstube“ (ON 2.10) und für „Handelsgewerbe mit Ausnahme der reglementierten Handelsgewerbe“ (ON 2.11) aus.
Registerabfragen im Grundbuch, im Kfz-Zentralregister, wegen offenkundiger Zahlungsunfähigkeit, im Pfändungsregister und in der Liste der Vermögensverzeichnisse verliefen negativ (ON 2.13 bis ON 2.17).
Das Erstgericht beraumte für 23.1.2025 eine Einvernahmetagsatzung an (ON 3). Mit der Ladung wurden dem Antragsgegner der Antrag und ein Formular für das Vermögensverzeichnis übermittelt. Die Ladung wurde am 12.12.2024 durch Übernahme zugestellt.
Die Österreichische Gesundheitskasse teilte mit, dass keine Beitragsrückstände bestünden (ON 4.1). Die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen meldete einen Zahlungsrückstand von EUR 178,52, Exekution werde nicht geführt (ON 4.2).
Eine Namensabfrage im Exekutionsregister ab dem Jahr 2019 ergab acht eingestellte Exekutionsverfahren (ON 5).
Die Antragstellerin teilte am 22.1.2025 mit, dass der Rückstand auf EUR 25.563,81 angestiegen sei und kein Kostenvorschuss erlegt werde (ON 6).
Zur Einvernahmetagsatzung erschien der Antragsgegner nicht.
Mit dem angefochtenen Beschluss stellte das Erstgericht die Zahlungsunfähigkeit des Antragsgegners fest und sprach aus, das Insolvenzverfahren werde mangels Kostendeckung nicht eröffnet. Es wies den Insolvenzeröffnungsantrag daher ab.
Die Forderung der Antragstellerin sei durch den vollstreckbaren Rückstandsausweis mit einem Betrag von EUR 24.636,83 glaubhaft gemacht. Die Zahlungsunfähigkeit ergebe sich daraus, dass die Beitragsrückstände bis 2021 zurückreichten, der Rückstand auf EUR 25.563,81 angestiegen sei und bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen ein vollstreckbarer Beitragsrückstand von EUR 178,52 bestehe. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Antragsgegner über ein Vermögen verfüge, welches zumindest ausreiche, um die Anlaufkosten des Insolvenzverfahrens zu decken.
Dagegen richtet sich der Rekurs des Antragsgegners mit dem erkennbaren Antrag auf Abänderung im Sinn einer Abweisung des Insolvenzeröffnungsantrags mangels Zahlungsunfähigkeit.
Die Antragstellerin beteiligte sich nicht am Rekursverfahren.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt .
1. Darin macht der Antragsgegner geltend, dass ein Fehler vorliege, der auf die „Unstimmigkeit in der Buchhaltung“ zurückzuführen sei. Die „Firma“ sei nicht zahlungsunfähig; vielmehr weise sie einen positiven Cashflow auf und sei nicht in den roten Zahlen. Mit dem Rekurs legte der Antragsgegner einen Auszug seines Steuerkontos vor, wonach zum 24.1.2025 und 13.2.2025 jeweils ein Guthaben von EUR 2.039,12 bestand. Weiters wurde ein Auszug aus dem Beitragskonto bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen vorgelegt, der zu einem nicht ersichtlichen Stichtag einen Negativsaldo von EUR 4.833,81 ausweist. Dem schloss der Rekurswerber einen Einzahlungsbeleg der B* GmbH vom 13.2.2025 über diese Summe an.
2.Jede Abweisung eines Insolvenzeröffnungsantrags mangels kostendeckenden Vermögens setzt voraus, dass die Eröffnungsvoraussetzungen des § 70 IO bescheinigt sind.
Gemäß § 70 Abs 1 IO ist das Insolvenzverfahren auf Antrag eines Gläubigers unverzüglich zu eröffnen, wenn er glaubhaft macht, dass er eine – wenngleich nicht fällige – Insolvenzforderung hat und der Schuldner zahlungsunfähig ist. Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn ein Schuldner infolge eines nicht bloß vorübergehenden Mangels an bereiten Zahlungsmitteln seine fälligen Schulden in angemessener Frist nicht erfüllen und sich die dafür erforderlichen Mittel auch nicht alsbald beschaffen kann (RS0064528).
Die Nichtzahlung von rückständigen Abgaben und Sozialversicherungsbeiträgen ist ein ausreichendes Indiz für das Bestehen der Zahlungsunfähigkeit, weil es sich bei diesen Forderungen um Betriebsführungskosten handelt, die von den zuständigen Behörden bekanntlich so rasch in Exekution gezogen werden, dass sich ein Zuwarten mit ihrer Zahlung bei vernünftiger wirtschaftlicher Gestion verbietet und im Allgemeinen nur aus einem Zahlungsunvermögen erklärbar ist ( Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger, InsR 4 § 66 KO Rz 69; Mohr, IO 11 § 70 E 70, E 74).
3. Die Antragstellerin bescheinigte mit der Vorlage des vollstreckbaren Rückstandsausweises vom 20.11.2024 ihre Insolvenzforderung sowie aufgrund der bis Februar 2021 zurückreichenden Abgabenrückstände die Zahlungsunfähigkeit des Antragsgegners.
4. Wird vom Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit fürs Erste bescheinigt, liegt es am Antragsgegner, die Gegenbescheinigung zu erbringen, dass er zahlungsfähig ist.
Um die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit zu entkräften, ist gemäß den §§ 66 Abs 3, 70 Abs 4 IO der Nachweis erforderlich, dass die fälligen Forderungen sämtlicher Gläubiger – nicht nur jene der Antragstellerin – bezahlt werden konnten bzw dass der Schuldner über die zur Tilgung aller fälligen Verbindlichkeiten nötigen Geldmittel verfügt ( Mohr, IO 11 § 70 E 239 f) oder dass zumindest mit allen Gläubigern Zahlungsvereinbarungen getroffen wurden, die der Schuldner auch einzuhalten imstande ist ( Mohr , aaO E 243, E 271 ff). Diese Gegenbescheinigung der Zahlungsfähigkeit hat der Antragsgegner von sich aus zu erbringen.
5.Bei der Beurteilung der Frage, ob die Insolvenzvoraussetzungen vorliegen, ist im Rechtsmittelverfahren wegen der Neuerungserlaubnis des § 260 Abs 2 IO die Sachlage im Zeitpunkt der Beschlussfassung in erster Instanz - hier der 3.2.2025 - und die Bescheinigungslageim Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel maßgebend (RS0065013 [T1]; 8 Ob 19/17b ua).
Grundsätzlich gilt im Insolvenzverfahren für die Rekursausführungen kein Neuerungsverbot (RS0043943; Erlerin KLS², § 260 Rz 33). Die Neuerungserlaubnis findet jedoch ihre Grenze in § 259 Abs 2 IO, wonach Anträge, Erklärungen und Einwendungen, zu deren Anbringung eine Tagsatzung bestimmt ist, von den nicht erschienen, gehörig geladenen Personen nachträglich nicht mehr vorgebracht werden können (RS0115313; RS0110967 [T6] = 8 Ob 36/04h).
Hier ist der Antragsgegner nicht zur Einvernahmetagsatzung erschienen. Damit unterliegt sämtliches Rekursvorbringen, das er bereits in der Tagsatzung vom 23.1.2025 erstatten hätte können, dem Neuerungsverbot. Laut dem mit Rekurs vorgelegten Auszug des Steuerkontos erfolgte am 24.1.2025 eine abgeänderte Festsetzung der Abgaben, wodurch sich ein Guthaben von EUR 2.039,12 errechnete. Dieses Vorbringen hätte der Antragsgegner in der am Vortag abgehaltenen Tagsatzung nicht erstatten können, weshalb es nicht dem Neuerungsverbot unterliegt.
6.Laut Erhebungen des Rekursgerichts (§ 254 Abs 5 IO; RS0064997, RS0065221) hat die Antragstellerin zum 24.1.2025 die Abgabenfestsetzung abgeändert, sodass zum Entscheidungszeitpunkt erster Instanz eine Abgabengutschrift bestand. Weiters wurde erhoben, dass auch bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen zum 3.2.2025 kein Abgabenrückstand mehr vorhanden war.
Die Abfrage im Exekutionsregister ergab lediglich ein aktuell anhängiges Exekutionsverfahren zu ** des Bezirksgerichtes Favoriten. Der Exekutionsantrag wurde erst am 4.2.2025 eingebracht, der betriebene Anspruch beträgt lediglich EUR 143,-.
Es ist daher im maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz nicht von der Zahlungsunfähigkeit des Antragsgegners auszugehen.
7. Der angefochtene Beschluss war daher im Sinn einer Abweisung des Insolvenzantrags ohne Feststellung der Zahlungsunfähigkeit abzuändern.
Die durch diese Rekursentscheidung notwendigen Anordnungen, insbesondere die Löschung der Eintragung in der Insolvenzdatei gemäß § 71b Abs 3 IO, werden dem Erstgericht übertragen.
8.Die Aussprüche über die Bewertung des Entscheidungsgegenstandes sowie über die Unzulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses gründen auf § 252 IO iVm §§ 526 Abs 3, 500 Abs 2 Z 1 und 3 sowie 528 Abs 2 ZPO. Rechtsfragen im Sinne der zuletzt genannten Bestimmung waren nicht zu lösen.