JudikaturOLG Wien

16R174/24m – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
25. Februar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Sonntag als Vorsitzenden sowie die Richterinnen des Oberlandesgerichts Mag. Elhenicky und Dr. Rieder in der Verfahrenshilfesache der Antragstellerin A* GmbH , FN **, **, über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 07.10.2024, ***, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag der Antragstellerin auf Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH wird zurückgewiesen .

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig .

Text

Begründung:

Mit Beschluss vom 29.08.2024 (ON 8) wies das Erstgericht den Verfahrenshilfeantrag der Antragstellerin ab. Dieser Beschluss wurde der Antragstellerin an ihrer „Postadresse“ (laut Verfahrenshilfeantrag) in 0* ** durch Hinterlegung am 3.9.2024 zugestellt und am 9.9.2024 bei der Post Geschäftsstelle 5* ** nach Prüfung der Identität an den Empfänger ausgefolgt (vgl Zustellnachweise zu ON 8).

Mit am 25.09.2024 zur Post gegebener Eingabe begehrte die Antragstellerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (erkennbar) gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung eines Rekurses gegen den Beschluss vom 29.08.2024) und beantragte die „nachträgliche Einbringung“ bzw. „nachträgliche Zulassung“ des Rekurses gegen den Beschluss sowie die Anrufung des EuGH gemäß Art 267 AEUV zur Klärung im Antrag näher genannter Fragen. Sie führte zur Begründung aus, dass die Zustellung des Beschlusses vom 29.08.2024 nicht an sie selbst erfolgt sei, sondern der Beschluss „an eine andere Person ausgehändigt“ worden und erst nach Ablauf der Rekursfrist, nämlich am 25.09.20204, in ihre Verfügungsgewalt gelangt sei. Infolge der nicht ordnungsgemäß erfolgten Zustellung sei sie an der fristgerechten Wahrnehmung ihrer Rechte gehindert worden.

Mit dem angefochtenen Beschlusswies das Erstgericht den Wiedereinsetzungsantrag ab und den Rekurs sowie den Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens zurück. Zur Begründung führte es aus, dass Zustellmängel nicht im Rahmen der Wiedereinsetzung geltend gemacht werden könnten, weil im Falle eines Zustellmangels keine Säumnis vorliege. Selbst wenn der Geschäftsführer der Antragstellerin nach einem Urlaub erst am 09.09.2024 an die Abgabestelle zurückgekehrt sein sollte, wie er mit Eingabe vom 20.8.2024 bekannt gegeben habe, sei die Zustellung spätestens am 10.09.2024 durch Hinterlegung nach § 17 Abs 3 ZustG ordnungsgemäß erfolgt. Der Vorgang und die Umstände der anschließenden Ausfolgung des hinterlegten Beschlusses seien für die Frage der Gesetzmäßigkeit der Zustellung ohne Belang. Zwar könne die unverschuldete Unkenntnis von einer gesetzmäßigen Zustellung grundsätzlich einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen; selbst wenn man das Tatsachenvorbringen der Antragstellerin aber für ausreichend erachte, seien dem Antrag weder Bescheinigungsmittel für fehlendes oder minderes Verschulden beigefügt noch angeboten. Enthalte ein Wiedereinsetzungsantrag - wie jener der Antragstellerin - keine Bescheinigungsmittel, sei er ohne Verbesserungsauftrag abzuweisen. Der (erkennbar) zeitgleich erhobene Rekurs sei demnach als verspätet zurückzuweisen. Die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH sei im Wiedereinsetzungsverfahren nicht erforderlich und könne von den Parteien eines Gerichtsverfahrens nur angeregt, nicht aber beantragt werden, weshalb auch dieser Antrag zurückzuweisen gewesen sei.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Antragstellerin (erkennbar) aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit den Anträgen auf Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Anerkennung des Rekurses gegen den Beschluss vom 29.8.2024 und Anrufung des EuGH.

Die Revisorin verzichtete auf die Erstattung einer Rekursbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt .

1.1 Festzuhalten ist zunächst, dass auch für Rekurse im Wiedereinsetzungsverfahren in Zusammenhang mit der Verfahrenshilfe kein Anwaltszwang herrscht (LGZ Wien, 41 R 164/91 = WR 493; Fucik in Rechberger/Klicka, ZPO 5 § 42 Rz 3; M. Bydlinski in Fasching/Konecny³II/1 § 72 ZPO Rz 10) und die Rekurswerberin den gegenständlichen Rekurs daher ohne Anwaltsfertigung einbringen konnte.

1.2 Die Rekurswerberin bemängelt in erster Linie die Beurteilung der Zustellung des Beschlusses vom 29.8.2024 durch Hinterlegung gemäß § 17 Abs 3 ZustG als ordnungsgemäß. Tatsächlich sei der Beschluss nicht an sie, sondern an eine andere Person ausgehändigt worden, weshalb die Rekurswerberin daran gehindert gewesen sei, innerhalb der Rekursfrist Rekurs zu erheben. Die fehlerhafte Zustellung sei ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis iSd § 146 ZPO, das die Rekurswerberin daran gehindert habe, fristgerecht zu handeln. Selbst wenn die Zustellung korrekt durch Hinterlegung erfolgt sei, müsse die tatsächliche Kenntnisnahme der Partei berücksichtigt werden. Zudem seien an die Eingaben eines Laien andere Anforderungen zu stellen als an jene eines professionellen Rechtsvertreters. Andernfalls werde der Grundsatz der Verfahrenshilfe per se in Frage gestellt und ad absurdum geführt.

1.3 Besteht über die Zustellung - wie hier - eine öffentliche Urkunde (vgl Zustellnachweis zu ON 8: Hinterlegungsanzeige samt Übernahmebestätigung), macht diese zunächst vollen Beweis darüber, dass die darin beurkundeten Zustellvorgänge auch eingehalten wurden. Es ist Sache derjenigen Person, der gegenüber die Zustellung nicht wirksam sein soll, den Gegenbeweis zu erbringen, dass die Zustellung vorschriftswidrig war. Dazu bedarf es aber konkreter Darlegungen (Behauptungen) über den Zustellmangel und (zumindest des Anbots) eines entsprechenden Bescheinigungsmittels. Zustellmängel müssen vom Adressaten zumindest glaubhaft gemacht werden (vgl RS0040471 [T9, T10, T13]).

1.4 Dafür genügt nicht allein die Behauptung der Rekurswerberin, der Beschluss vom 29.08.2024 sei einer anderen Person ausgehändigt und von dieser erst am 25.9.2024 an sie weitergegeben worden. Damit ist nämlich noch nicht gesagt, dass es sich bei jener Person, die das Zustellstück am 9.9.2024 bei der Postgeschäftsstelle 5* ** abholte, nicht um einen Ersatzempfänger der Antragstellerin iSd § 16 Abs 2 ZustellG (also jede erwachsene Person, die an derselben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt oder Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers ist) oder um einen von ihr zur Entgegennahme von RSb-Postsendungen Bevollmächtigten handelte. Schon das Tatsachenvorbringen der Rekurswerberin reicht daher nicht aus, einen Zustellmangel darzulegen. Abgesehen davon, dass sie weder den Namen des Abholers nannte noch offenlegte, wie dieser in den Besitz der für eine Abholung notwendigen Hinterlegungsverständigung gelangt wäre, bot sie auch kein einziges Bescheinigungsmittel an, das die Annahme begründen könnte, die Postsendung wäre – entgegen der Beurkundung im Zustellschein - an einen unbefugten Dritten ausgehändigt worden.

1.5 Die fehlende Rechtskunde ihres Geschäftsführers, auf die sich die Rekurswerberin zu stützen versucht, bietet keine Rechtfertigung dafür, den Sachverhalt, der den Zustellmangel begründen soll, nicht konkret und in für das Gericht überprüfbarer Weise darzustellen. Auch für einen juristischen Laien ist es leicht einzusehen, dass die Ausfolgung eines Zustellstücks an eine andere (natürliche) Person als die Antragstellerin in dieser Allgemeinheit nicht zwingend mit einem Zustellmangel gleichzusetzen ist und es daher konkreter und überprüfbarer Behauptungen bedarf, die die Person des Abholers und dessen Befugnisse betreffen. Solche hat die Rekurswerberin aber weder im Wiedereinsetzungantrag aufgestellt noch im gegenständlichen Rekurs nachgeholt, obwohl bereits im angefochtenen Beschluss darauf hingewiesen wurde, dass dem Wiedereinsetzungsantrag jedenfalls mangels Anbots von Bescheinigungsmitteln ein Erfolg verwehrt bleiben muss. Für eine weitere Erleichterung der Behauptungs- und Bescheinigungslast, wie sie die Verfahrenshilfewerberin mit ihrem Hinweis auf fehlende Rechtskenntnisse anstrebt, besteht damit keine Grundlage.

1.6 Mangels ausreichender Behauptungen und angebotener Bescheinigungsmittel ist der Rekurswerberin der (Gegen-)Beweis eines Zustellmangels nicht gelungen, weshalb von einer ordnungsgemäßen Zustellung des Beschlusses vom 29.8.2024 durch Hinterlegung auszugehen ist. Die Zustellung wurde – wie das Erstgericht zutreffend ausführte – selbst unter Berücksichtigung der von der Rekurswerberin bereits vor Beschlussfassung bekannt gegebenen Ortsabwesenheit und Rückkehr an die Abgabestelle innerhalb der Abholfrist am 09.09.2024 spätestens mit 10.09.2024 wirksam (vgl § 17 Abs 3 ZustellG: „Hinterlegte Dokumente gelten [...] nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte. “) Der letzte Tag der Rekursfrist war somit (spätestens) der 24.09.2024. Der erst am 25.09.2024 zur Post gegebene Rekurs gegen den Beschluss vom 29.08.2024 war daher verspätet.

1.7 Damit bleibt die Beurteilung des Erstgerichts, der Wiedereinsetzungsantrag der Antragstellerin sei nicht berechtigt, zu prüfen:

1.7.1 Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat, - an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde, und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte, so ist dieser Partei gemäß § 146 Abs 1 ZPO auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Die Partei, welche die Wiedereinsetzung beantragt, hat in dem bezüglichen Schriftsatze oder in dem den Schriftsatz ersetzenden Anbringen zu Protokoll alle den Wiedereinsetzungsantrag begründenden Umstände anzuführen und die Mittel zu ihrer Glaubhaftmachung anzugeben (§ 149 Abs 1 S 1 ZPO).

1.7.2 Entscheidend ist demnach, dass die Rekurswerberin weder in ihrem Wiedereinsetzungsantrag noch im gegenständlichen Rekurs konkrete Tatsachen genannt oder Bescheinigungsmittel angeboten hat, die die Beurteilung erlauben, sie habe ohne eigenes Verschulden oder nur infolge eines minderen Grades des Versehens von der Zustellung des Beschlusses vom 29.08.2024 erst am 25.09.2024 Kenntnis erlangt. Damit ist es ihr aber – wie das Erstgericht zu Recht ausgeführt hat - nicht gelungen, das Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrundes sowie das Fehlen eines ihr vorzuwerfenden oder anzurechnenden, über einen minderen Grad des Versehens hinausgehenden Verschuldens zu behaupten und zu bescheinigen.

1.7.3 Soweit die Rekurswerberin argumentiert, selbst wenn die Zustellung formal korrekt durch Hinterlegung erfolgt sei, müsse bei Beurteilung der Berechtigung ihres Wiedereinsetzungsantrags ihre tatsächliche Kenntnisnahme vom anzufechtenden Beschluss berücksichtigt werden, besagt der von ihr für diese Auffassung ins Treffen geführte Rechtssatz RS0107394 [T5] zum einen lediglich, dass wenn die gesetzlichen Vorschriften über die Zustellung eingehalten wurden, aber die Partei dennoch von der Zustellung keine Kenntnis erhalten hat, der richtige Rechtsbehelf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und nicht die Nichtigkeitsklage ist, und zum anderen, dass die unverschuldete Unkenntnis einer Partei von einer ordnungsgemäßen Zustellung ein Wiedereinsetzungsgrund nach § 146 Abs 1 ZPO ist. Damit wird aber lediglich die gesetzliche Anordnung des § 146 Abs 1 ZPO wiederholt und deutlich gemacht, dass die Bewilligung eines Wiedereinsetzungsantrags das fehlende (grobe) Verschulden an der unterbliebenen Kenntnisnahme von einer ordnungsgemäßen Zustellung voraussetzt. Nur unter dieser Voraussetzung, von der hier aber aus den genannten Gründen nicht ausgegangen werden kann, ist daher die tatsächliche Kenntnis von der Zustellung von Bedeutung.

Auch mit ihren Ausführungen zur Möglichkeit der Anrufung des EGMR vermag die Rekurswerberin keine unrichtige rechtliche Beurteilung durch das Erstgericht aufzuzeigen.

Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

1.8 Die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH zu den von der Antragstellerin aufgeworfenen Fragen der Rechte der an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten Gesellschaften kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil sich solche Fragen im gegenständlichen Rekursverfahren nicht stellen.

Im Übrigen hat eine Prozesspartei keinen verfahrensrechtlichen Anspruch, die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH durch das Gericht zu beantragen (RS0058452).

Revisionsrekurse in Verfahrenshilfesachen sind jedenfalls unzulässig (§ 528 Abs 2 Z 4 ZPO).