Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Sonntag als Vorsitzenden sowie die Richterinnen des Oberlandesgerichts Mag. Elhenicky und Dr. Rieder in der Rechtssache der klagenden Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen , **, vertreten durch Schmidt Pirker Podoschek Rechtsanwälte OG in Wien wider die beklagte Partei A* Ges.m.b.H, **, wegen EUR 25.360,09 sA über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 11. Dezember 2024, **-2, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos behoben und dem Erstgericht aufgetragen, das gesetzmäßige Verfahren über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund einzuleiten.
Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Begründung:
Mit Mahnklage vom 6.12.2024 begehrt die klagende Partei EUR 25.360,09 sA, bestehend aus einer Forderung über EUR 11.339,04 laut Beleg Nr. X272023 vom 19.5.2023 und einer Forderung über EUR 14.021,05 laut Beleg Nr. X252024 vom 22.3.2024. Dazu trägt sie vor, dass sie als Trägerin der Sozialversicherung den Differenzbetrag zwischen den von der beklagten Partei als vertriebsberechtigtes Unternehmen gemeldeten Preisen und den von der Preiskommission ermittelten EU-Durchschnittspreisen für die Arzneispezialitäten B* ** für das Jahr 2022 geltend mache. Die geltend gemachten Ansprüche seien zusammenzurechnen, weil sie in einem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang stünden. Beide Forderungen beträfen den (Rückforderungs-)Anspruch für das Jahr 2022.
Den Rückforderungsanspruch stützt die klagende Partei auf § 351c Abs 9a Z 2 ASVG bzw die in § 351c Abs 9a ASVG enthaltenen „Sonderbestimmungen für nicht im Erstattungskodex angeführte Arzneispezialitäten“ in folgender in der Klage wiedergegebenen Fassung (BGBl I Nr 49/2017), wobei die klagende Partei darauf verweist, dass seit der Änderung der Z 2 leg cit mit BGBl I Nr 32/2022 ab 1.4.2022 zusätzlich ein Abschlag von 6,5% zum ermittelten EU-Durchschnittspreis zurückzuzahlen sei:
„ 1. Der Preis der Arzneispezialität, sofern für diese in den vorangegangenen zwölf Monaten ein Umsatz über 750 000 € auf der Basis des Fabriksabgabepreises (maschinelle Heilmittelabrechnung) erzielt wurde, darf den EU-Durchschnittspreis nicht überschreiten. Bei der Umsatzermittlung sind die für Rechnung der Krankenversicherungsträger erzielten Umsätze aller Wirkstoffstärken und Packungsgrößen der Arzneispezialität, die nicht in den Erstattungskodex aufgenommen sind, zusammenzurechnen. Sobald diese Umsatzschwelle überschritten wurde, hat der Dachverband der Preiskommission diesen Umstand unverzüglich mitzuteilen. Innerhalb von acht Wochen nach dieser Mitteilung hat die Preiskommission einen EU-Durchschnittspreis festzustellen; Abs. 6 ist mit Ausnahme der im zweiten Satz genannten Frist anzuwenden.
2. Solange ein EU-Durchschnittspreis nicht festgestellt wurde, ist vorläufig der vom vertriebsberechtigten Unternehmen gemeldete Preis heranzuziehen. Wird durch die Preiskommission festgestellt, dass der vorläufige österreichische Erstattungspreis über dem ermittelten EU-Durchschnittspreis liegt, so hat das vertriebsberechtigte Unternehmen ab dem Zeitpunkt der Umsatzschwellenüberschreitung nach Z 1 den Differenzbetrag innerhalb von sechs Monaten ab begründeter Aufforderung an die Sozialversicherungsträger zurückzuzahlen.“
Die klagende Partei trägt weiters vor, dass die beklagte Partei zum Vertrieb der klagsgegenständlichen Arzneispezialitäten B* ** sowie C* ** in Österreich berechtigt sei. Unter tabellarischer Aufstellung stellt sie in der Klage dar, in welcher Packungsmenge und mit welchem Erstattungspreis die Arzneispezialitäten B* und C* im Jahr 2022 von der beklagten Partei in Österreich vertrieben und auf Rechnung der klagenden Partei abgegeben worden seien. Diese Arzneispezialitäten hätten sich 2022 in der „no box“ befunden, seien also nicht im Erstattungskodex gelistet gewesen. In den zwölf Monaten vor Bezug der klagsgegenständlichen Packungen hätten die auf Rechnung der Sozialversicherungsträger erzielten Umsätze dieser Arzneispezialitäten jeweils die Umsatzgrenze von EUR 750.000,00 überschritten. Auf Grundlage der Meldungen der für die Arzneispezialitäten vertriebsberechtigten Unternehmen habe daher die Preiskommission Durchschnittspreise festgestellt und bekannt gegeben. Ausgehend davon habe sich für das Jahr 2022 insgesamt ein Rückforderungsbetrag (Differenz zwischen dem ursprünglich gemeldeten Preis und dem EU-Durchschnittspreis sowie dem seit 1.4.2022 anzuwendenden, zusätzlichen Abschlag von 6,5 % zum EU-Durchschnittspreis) von brutto EUR 37.420,00 errechnet. Die klagende Partei habe die beklagte Partei mit Schreiben vom 19.5.2023 und 22.3.2024 zur Zahlung aufgefordert. Die beklagte Partei habe in Reaktion auf die Vorschreibungen der klagenden Partei (sowie die Vorschreibungen der BVAEB und der ÖGK als weitere Sozialversicherungsträger) für 2022 an den Dachverband der Sozialversicherungsträger einen Betrag von EUR 52.618,19 mit dem Hinweis überwiesen, dass nach ihren Unterlagen in diesem Zeitraum weniger Packungen der Arzneispezialität B* abgerechnet worden wären. Mangels Kenntnis der Zuordnung der nach Ansicht der beklagten Partei abgerechneten Packungen an diese drei Sozialversicherungsträger sei diese Überweisung der beklagten Partei an den Dachverband zur Aufteilung innerhalb der Sozialversicherungsträger erfolgt. Die Zahlung der beklagten Partei von EUR 52.618,19 sei vom Dachverband anhand der Verordnungszahlen der BVAEB, der ÖGK und der klagenden Partei für B* aufgeteilt worden, sodass der klagenden Partei am 13.8.2024 EUR 5.036,81 weitergeleitet worden seien. Zudem habe die beklagte Partei die Rückforderungsansprüche für die Arzneispezialität C* von EUR 1.920,38 (1. HJ 2022) und EUR 5.102,72 (2. HJ 2022), zusammen EUR 7.023,10, am 12.7.2024 ebenfalls bezahlt . Der Rückforderungsanspruch der klagenden Partei für 2022 habe sich daher auf EUR 25.360,09 reduziert, die klagsweise geltend gemacht würden. Die beklagte Partei habe trotz Aufforderung keine (weiteren) Zahlungen mehr für das Jahr 2022 geleistet.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht die Klage a limine(offenbar bloß irrtümlich mit „ZKW 01“, zweifelsfrei erkennbar aber mangels eines EUR 15.000,-- übersteigenden Streitwerts) wegen sachlicher Unzuständigkeit mit der Begründung zurück, dass die Ansprüche hinsichtlich der beiden Medikamente (gemeint offensichtlich: B* und C*) jeweils unter EUR 15.000,-- lägen. Gestützt auf die Entscheidung 2 Ob 120/19i folgerte das Erstgericht rechtlich, dass eine Zusammenrechnung nicht stattfinde, weil ein solcher Zusammenhang zwischen Ersatzansprüchen verschiedener Medikamente, die ein ganz verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben könnten, nicht erkennbar sei.
Dagegen richtet sich der Rekurs der klagenden Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluss ersatzlos zu beheben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahren unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen; in eventu stellt sie einen Antrag auf Überweisung der Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Bezirksgericht Favoriten.
Der Rekurs ist berechtigt .
1. Gemäß § 41 Abs 1 JN hat das Gericht, sobald eine Rechtssache der streitigen Gerichtsbarkeit anhängig wird, seine Zuständigkeit von Amts wegen zu prüfen. In Streitsachen erfolgt die Zuständigkeitsprüfung grundsätzlich (nur) auf Grund der Angaben in der Klage (§ 41 Abs 2 JN; RS0046236; Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO 5§ 41 JN Rz 2 mwN). Bei der Prüfung der Frage, ob die geltend gemachten Ansprüche in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen, ist ebenfalls von den Klageangaben auszugehen (RS0106759 [T3]; RS0042741 [T7]).
2. Eine Zusammenrechnung kommt nach § 55 Abs 1 Z 1 JN nur in Frage, wenn die einzelnen Ansprüche in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen. Mehrere Ansprüche stehen im tatsächlichen Zusammenhang, wenn sie allesamt aus demselben Klagesachverhalt abgeleitet werden können, wenn also das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen ausreicht, um auch über die anderen geltend gemachten Ansprüche entscheiden zu können, ohne dass noch ein ergänzendes Sachvorbringen erforderlich wäre (RS0042766). Ein rechtlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die Ansprüche aus einer Gesetzesvorschrift oder aus einem einheitlichen Rechtsgeschäft abgeleitet werden. Dabei gilt das Kriterium, dass die Ansprüche miteinander im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (RS0037905; RS0037648).
3. Nun hat zwar der Oberste Gerichtshof im Fall eines vom Träger der Krankenversicherung gegen ein vertriebsberechtigtes Unternehmen geltend gemachten Rückforderungsanspruchs (dort gestützt auf § 351c Abs 7 Z 2 ASVG) in Höhe des Differenzbetrags zwischen den vom Krankenversicherungsträger in einem bestimmten Zeitraum für zwei verschiedene Arzneimittel erstatteten Beträgen und den EU-Durchschnittspreisen ausgesprochen, dass ein solcher Zusammenhang zwischen Rückforderungsansprüchen für verschiedene Medikamente, die ein ganz verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben können, nicht bestehe (2 Ob 120/19i).
Im vorliegenden Fall rügt die Rekurswerberin aber zu Recht, dass der Klagsanspruch (EUR 11.339,04 und EUR 14.021,05) entgegen der Annahme des Erstgerichts nicht zwei verschiedene Medikamente (B* und C*) betrifft. Tatsächlich macht die klagende Partei im Punktum ausdrücklich den Rückforderungsanspruch nach § 351c Abs 9a Z 2 ASVG für das Jahr 2022 nur für eine Arzneispezialität, nämlich B*, geltend. In der Klagserzählung ist klargestellt, dass die in der Mahnklage und der darin enthaltenen Tabelle erwähnte Arzneispezialität C* insoweit nicht klagsgegenständlich ist, als der darauf bezogene Rückforderungsanspruch bereits bezahlt wurde. Auch rechnerisch lässt sich aus der in der Klage abgebildeten Tabelle erschließen, dass die beiden in der Klage genannten, sich auf zwei Rechnungen beziehenden Forderungen von EUR 11.339,04 (erstes Halbjahr 2022: EUR 16.375,85 brutto abzüglich EUR 5.036,81) sowie EUR 14.021,05 (zweites Halbjahr 2022) nur das Medikament B* betreffen. Richtig weist die Rekurswerberin außerdem darauf hin, dass selbst bei einer getrennten Betrachtung der beiden Packungsgrößen des Medikaments B* die Rückforderung allein für die Packungsgröße 240 mg (auch unter Anrechnung der Zahlung von EUR 5.036,81 nur auf diese Packungsgröße) für das Jahr 2022 EUR 15.000,-- übersteigt.
Der vom Erstgericht herangezogene Zurückweisungsgrund trifft daher nicht zu, weshalb der angefochtene Beschluss in Stattgebung des Rekurses ersatzlos zu beheben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage aufzutragen war.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
Ein Rechtsmittel gegen den Beschluss, mit dem das Rekursgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über eine vom Erstgericht vor Streitanhängigkeit zurückgewiesene Klage aufträgt, steht dem Beklagten nach ständiger Rechtsprechung nicht zu (RS0039200 [T1]). Da die klagende Partei durch die Aufhebung der Zurückweisung nicht beschwert ist, ist der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig ( Kodek in Rechberger/Klicka 5§ 527 ZPO Rz 3).
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