6R85/25z – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz als Rekursgericht hat durch die Senatspräsidentin Mag. Edeltraud Kraupa als Vorsitzende sowie Dr. Karin Gusenleitner-Helm und Mag. Hermann Holzweber in der Rechtssache der klagenden Partei A* Gesellschaft m.b.H. , FN **, **, **, vertreten durch** in **, gegen die beklagte Partei B* GmbH , FN **, **straße **, **, vertreten durch die ** Rechtsanwälte GmbH in **, wegen EUR 32.845,90 sA , über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg vom 20. Mai 2025, Cg*-10, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass er zu lauten hat wie folgt:
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 2.041,44 (darin EUR 340,24 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung:
Infolge der am 25. März 2025 eingebrachten Mahnklage erließ das Erstgericht am 26. März 2025 einen bedingten Zahlungsbefehl, der von einem Arbeitnehmer der Beklagten am 31. März 2025 persönlich übernommen wurde.
Am Freitag, den 25. April 2025, übermittelte die Beklagte den Zahlungsbefehl per E-Mail an ihre Rechtsvertreterin mit dem Auftrag, dagegen Einspruch zu erheben. In weiterer Folge beauftragte der mit dieser Rechtssache betraute Rechtsanwalt am Montag, den 28. April 2025, die für die Postbetreuung zuständige Kanzleimitarbeiterin damit, den von der Beklagten bekannt gegebenen Zustellzeitpunkt (31. März 2025) zu überprüfen, die Einspruchsfrist zu berechnen und diese im Fristenbuch zu vermerken. Die Kanzleimitarbeiterin rief am selben Tag bei Gericht an und erhielt die Auskunft, dass die Zustellung am 31. März 2025 erfolgt war. Infolge eines Versehens („ Verrutschen “ in der Kalenderspalte) trug sie allerdings die Frist zur Erhebung des Einspruchs fälschlich mit 29. April 2025 statt mit 28. April 2025 im Fristenbuch ein. Diese zuverlässige Mitarbeiterin ist seit 2022 in der Kanzlei der Beklagtenvertreterin beschäftigt. Ihr obliegt unter anderem die Überprüfung, Berechnung und Eintragung der Fristen, wobei ihr dabei bis zum gegenständlichen Vorfall keine Fehler unterlaufen sind. Der zuständige Rechtsanwalt überprüfte die Einspruchsfrist nicht, weil er von der Richtigkeit der Fristberechnung durch die Angestellte ausging. Er erhob gegen den Zahlungsbefehl am 29. April 2025 einen Einspruch, den das Erstgericht am 3. Mai 2025 als verspätet zurückwies.
Die Beklagte beantragte daher am 7. Mai 2025 im Wesentlichen unter Hinweis auf den obigen Sachverhalt die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand „ hinsichtlich der Erhebung des Einspruchs gegen den bedingten Zahlungsbefehl “. Der mit der Rechtssache betraute Rechtsanwalt habe sich auf die zuverlässige Kanzleimitarbeiterin verlassen können, sodass es zu keiner „ gesonderten “ Überwachung durch den Rechtsanwalt gekommen sei. Das Versäumen der Frist sei daher auf ein Versehen der Kanzleimitarbeiterin und damit nur auf einen minderen Grad des Verschuldens zurückzuführen.
Die Klägerin sprach sich dagegen aus, insbesondere weil der Rechtsanwalt verpflichtet sei, die Erledigung von an Mitarbeiter übertragene Aufgaben zu kontrollieren, widrigenfalls ihm ein Organisationsverschulden anzulasten sei, das die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verhindere. Der Vertreter der Beklagten wäre verpflichtet gewesen, die Eintragung seiner Mitarbeiterin im Fristenbuch zu kontrollieren.
Das Erstgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag auf Basis des eingangs geschilderten Sachverhalts ab. Bei dem der Kanzleimitarbeiterin unterlaufenen Fehler handle es sich zwar nur um einen minderen Grad des Versehens. Dem zuständigen Rechtsanwalt hätte aber bei Erhalt des Zahlungsbefehls vom 26. März 2025 am 25. April 2025 bereits auffallen müssen, dass nur mehr wenige Tage zur Erhebung eines Einspruchs bestehen könnten. Dies hätte Anlass sein müssen, besonderes Augenmerk auf das von der erst seit 2022 bei der Beklagtenvertreterin angestellten Kanzleimitarbeiterin errechnete Fristende zu legen. Der bloße Eintrag im Fristenbuch ohne Nachkontrolle durch den Rechtsanwalt genüge nicht, wenn die zur Verfügung stehende Frist bis zum (vermeintlich) allerletzten Tag ausgeschöpft werden solle. Das Vorliegen eines Kontrollsystems habe die Wiedereinsetzungswerberin nicht einmal behauptet. Den Fehler hätte der Rechtsanwalt zudem bereits bei der Abfassung des Einspruchs durch eine einfache Gegenkontrolle anhand des Kalenders erkennen können.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, dem Wiedereinsetzungsantrag stattzugeben.
Die Klägerin strebt mit ihrer Rekursbeantwortung die Bestätigung des angefochtenen Beschlusses an.
Der Rekurs ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Die Rekurswerberin führt grob zusammengefasst ins Treffen, dass der Rechtsanwalt keine Veranlassung zu einer intensiven Überwachung gehabt habe, wenn einer bisher einwandfrei und zuverlässig arbeitenden Kanzleiangestellten ein Versehen passiert sei. Ein minderer Grad des Versehens liege nach der Rspr vor, wenn eine sonst zuverlässige Kanzleileiterin einen Termin unrichtig eingetragen habe. Dass keine Kontrollen stattfinden würden, sei nicht festgestellt. Im Übrigen würden nur stichprobenartige Kontrollen gefordert, aber nicht eine eigenständige Kontrolle bei jeder einzelnen Frist. Dass (wie in erster Instanz gar nicht vorgebracht worden sei) die zur Verfügung stehende Frist bis zum letzten Tag ausgeschöpft hätte werden sollen, ändere daran nichts.
2.1.Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde, und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte, so ist dieser Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt (§ 146 Abs 1 ZPO). Auf die dazu vom Erstgericht und von den Streitteilen umfangreich zitierten Entscheidungen wird zur Vermeidung unnötiger Längen hingewiesen.
An das Maß der zur Annahme eines unvorhergesehenen Ereignisses erforderlichen Aufmerksamkeit und Voraussicht ist zwar ein strenger Maßstab anzulegen, doch darf dies nicht zu einer Überspannung der an die Partei oder an deren Vertreter zu stellenden Anforderungen führen. Es ist jenes Maß zu fordern, wie es nach der Lebenserfahrung von einer vernünftigen und durchschnittlich gewissenhaften Person angesichts der Bedeutung der vorzunehmenden Handlung unter den gegebenen Umständen aufgewendet zu werden pflegt (RIS-Justiz RS0036696). Ein bloß minderer Grad des Versehens liegt daher nicht mehr vor, wenn die Partei die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihr zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt (statt vieler RIS-Justiz RS0036811). Der Wiedereinsetzungswerber hat für das Verschulden seines Rechtsvertreters einzustehen, der mit den Verhältnissen bei Gericht vertraut ist und einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterliegt. Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten des Vertreters sind diesem (und deren Verschulden ist wiederum den Parteien) zuzurechnen (OGH 9 ObA 40/11i mwH). Ein Verschulden eines Kanzleiangestellten steht der Bewilligung der Wiedereinsetzung dann nicht entgegen, wenn es sich um ein einmaliges Versehen handelt, das angesichts der bisherigen Verlässlichkeit und Bewährung der Kanzleikraft nicht zu erwarten war und dem Rechtsvertreter nicht die Verletzung der von ihm zu erwartenden Sorgfalts-, Organisations- und Kontrollpflichten vorgeworfen werden muss (RIS-Justiz RS0036813 [T5]).
Ob die Wiedereinsetzung nicht zu bewilligen ist, weil es sich nicht um einen minderen Grad des Versehens handelt, ist regelmäßig von den Umständen des Einzelfalles abhängig (RIS-Justiz RS0116535). Selbst ein juristischer Kunstfehler ist nicht zwangsläufig auf grobe Fahrlässigkeit zurückzuführen (Klauser/Kodek 18§ 146 ZPO E 90/1).
2.2. Zum Verschulden der Rechtsanwaltssekretärin ist mit dem Erstgericht festzuhalten, dass das erstmalige falsche Eintragen einer Rechtsmittelfrist im Fristenbuch durch „ Verrutschen “ in der Kalenderspalte nur einen minderen Grad des Versehens darstellt. Gegenteiliges wird – mit Recht – auch von der Klägerin nicht behauptet. Es stellt sich daher nur die Frage nach einem Verschulden des Rechtsanwaltes.
2.3. Die Klägerin will der Rechtsvertretung der Beklagten einen Fehler in der Kanzleistruktur angelastet wissen, weil der Anwalt nicht selbst mit dem Gericht gesprochen habe, obwohl die Sekretärin erst ca 2,5 Jahre als Rechtsanwaltssekretärin tätig gewesen sei. Außerdem hätte er bei der Eintragung der Frist anwesend sein und die Sekretärin bei der Berechnung der Frist unterstützen oder zumindest im Anschluss daran eine sorgfältige Überprüfung der Eintragung der Frist vornehmen müssen.
Dazu ist vorab festzuhalten, dass nicht feststeht, dass die Rechtsanwaltssekretärin ihren Beruf erst seit 2,5 Jahren ausübt, sondern bloß, dass sie erst seit 2022 bei der Beklagtenvertreterin beschäftigt ist. Dieses Argument der Rekursbeantwortung weicht daher von den Feststellungen des Erstgerichts ab.
2.3.1. In Rechtsanwaltskanzleien herrscht oftmals eine stark arbeitsteilige Praxis der Leistungserbringung (vgl nur Melzer in ZPO-ON § 146 Rz 28). Vor diesem Hintergrund ist es sozialadäquat und damit nicht rechtswidrig, es nach einer – wie hier – einfachen und klaren Anweisung des Rechtsanwalts einer zuverlässigen Kanzleikraft (die seit 2022 in der Kanzlei der Beklagtenvertreterin beschäftigt ist) zu überlassen, bei Gericht einen Zustellzeitpunkt zu erheben, die Einspruchsfrist zu errechnen und sie ins Fristenbuch einzutragen. Das Erstgericht durfte dem Anwalt der Beklagten daher nicht anlasten, nicht selbst telefoniert, die Fristberechnung nicht selbst durchgeführt und die Frist nicht selbst eingetragen zu haben.
2.3.2. Sowohl das Erstgericht als auch die Klägerin sehen beim Rechtsanwalt der Beklagten ein über den Grad minderen Versehens hinausgehendes Organisations- und Überwachungsverschulden. Der Wiedereinsetzungswerber hat nämlich in erster Instanz keine Behauptungen zur Kanzleiorganisation oder zur Kontrolle seiner Sekretärin aufgestellt.
2.3.2.1.Grobes Verschulden eines Parteienvertreters bei der Versäumung einer befristeten Prozesshandlung ist regelmäßig darin zu erblicken, wenn der unterlaufene Fehler auf einer mangelhaften Organisation beruht; wenn ein Rechtsanwalt die Einrichtung eines Kontrollsystems zur Überwachung von Fristen unterlässt, liegt ein Versehen minderen Grades nicht mehr vor (RIS-Justiz RS0127149 insb [T4]).
Ein Fehler in der Kanzleiorganisation kann hier als Ursache der Säumnis nicht erkannt werden, handelt es sich bei einem vom erfahrenen Sekretariat geführten Fristenbuch doch um das übliche Mittel der Fristenevidenz.
2.3.2.2.Ein Rechtsanwalt muss – wie bereits dargelegt – der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht zumindest durch regelmäßig stichprobenartige Kontrollen seiner Angestellten nachkommen, wobei sich das Ausmaß der Überwachung an der Ausbildung, Einschulung und Verlässlichkeit der Mitarbeiter orientiert (RIS-Justiz RS0036813 [T3]). Selbst das Unterlassen einer Kontrolle kann aber im Einzelfall noch bloß leicht fahrlässig sein ( Melzerin ZPO-ON § 146 Rz 28). Dies wurde angenommen, als eine gut ausgebildete, zuverlässige Kanzleikraft eines Parteienvertreters, der ein derartiger Fehler noch nie unterlief, bei der Eintragung der Berufungsfrist in den Fristenkalender übersah, dass bei Sozialrechtssachen die Bestimmungen über die Gerichtsferien nicht gelten (RIS-Justiz RW0000109; ähnlich OGH 10 ObS 117/02g). Der VfGH bewilligte eine Wiedereinsetzung auf Basis eines Sachverhalts, demzufolge die überaus verlässliche und korrekt arbeitende Kanzleileiterin das Ende der Rechtsmittelfrist versehentlich eine Woche zu spät eingetragen hat, wobei es zur unrichtigen Fristeintragung infolge eines manipulativen Versehens beim Umblättern oder Zählen der Kalenderseiten gekommen ist; es könne kein leichte Fahrlässigkeit übersteigendes Verschulden angenommen werden (VfGH B 1590/94).
Auch hier ist der Fehler im Sekretariat bei einem rein manipulativen Vorgang unterlaufen, nicht etwa wegen der Annahme einer falschen Frist, sodass auch nur die Frage danach zu stellen ist, ob einem „ Verrutschen “ in der Kalenderspalte durch hinreichende Kontrolle ausreichend vorgebeugt wurde. Die – zulasten des darlegungspflichtigen Wiedereinsetzungswerbers anzunehmende – gänzlich unterbliebene Kontrolle der erfahrenen Sekretärin dahin, ob nicht mitunter richtig ermittelte Fristen aufgrund eines Versehens, wie es auch einer gewissenhaften Rechtsanwaltsassistentin unterlaufen kann, falsch erfasst werden, stellt keine über einen minderen Grad des Versehens hinausreichende Fahrlässigkeit dar.
2.4. Dem Erstgericht ist darin beizupflichten, dass es in Zusammenhang mit dem Beginn der Wiedereinsetzungsfrist als auffallende Sorglosigkeit gewertet wird, wenn ein Rechtsanwalt bei Verfassung eines Rechtsmittels die Prüfung der Rechtzeitigkeit unterließ (Klauser/Kodek 18§ 148 ZPO E 12 f). Dafür, dass der Einspruch noch vor Ablauf der Einspruchsfrist verfasst und die (offenbar) unterbliebene Rechtzeitigkeitsprüfung bei der Verfassung des Schriftsatzes mitursächlich für die verspätete Einbringung war, fehlt es aber an jeglichem Anhaltspunkt im Sachverhalt (der Einspruch ist mit 29. April 2025 datiert).
3.1.Zusammenfassend ist es im Interesse vernünftiger Rechtsschutzwahrung nicht angezeigt, jedes in der Kanzlei eines Rechtsanwalts unterlaufene Missgeschick dem Parteienvertreter mit Wirkung für die Partei als ein den Grad minderen Versehens übersteigendes Verschulden zuzurechnen, weil sich gerade aus der Vorschrift des zweiten Satzes des § 146 Abs 1 ZPO deutlich das gesetzgeberische Anliegen entnehmen lässt, den Rechtsschutz nicht aus formellen Gründen an Ereignissen scheitern zu lassen, die im Drange der Geschäfte auch eines ordnungsgemäßen Kanzleibetriebes eines berufsmäßigen Parteienvertreters fallweise vorkommen können und verstehbar sind (VwGH 2010/08/0149 zum gleichlautenden § 46 Abs 1 S 2 VwGG). In diesem Sinne war die Entscheidung antragsstattgebend abzuändern.
Gemäß § 154 ZPO trägt der Wiedereinsetzungswerber ohne Rücksicht auf den Erfolg seines Antrags die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens, weshalb der Rekurswerberin die – allerdings nur nach TP 2 RAT anzusetzenden ( Obermaier in Kostenhandbuch 4 Rz 1.306) – Kosten der Äußerung der Rekursgegnerin aufzuerlegen sind.
3.2.Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet ebenfalls auf § 154 ZPO ( Obermaier in Kostenhandbuch 4 Rz 1.303).
3.3.Der Revisionsrekurs ist gemäß § 153 ZPO infolge Bewilligung der Wiedereinsetzung jedenfalls unzulässig.