9Bs302/24m – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Engljähringer als Vorsitzende, Mag. Hemetsberger und Mag. Kuranda in der Strafsache gegen A*wegen des Vergehens der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs 1 Z 7 StGB über die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit, des Ausspruchs über die Schuld sowie die privatrechtlichen Ansprüche gegen das Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts Linz vom 30. August 2024, GZ*, nach der in Anwesenheit des Ersten Oberstaatsanwalts Mag. Winkler LL.M, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Arthofer durchgeführten Berufungsverhandlung am 15. Jänner 2025 zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld wird Folge gegeben; das angefochtene Urteil wird zur Gänze aufgehoben und
I. im Umfang der Anklagefakten 2. bis 6. in der Sache selbst erkannt:
A* wird von dem wider ihn mit Strafantrag der Staatsanwaltschaft Linz vom 12. August 2024 erhobenen Vorwurf, er habe in der Nacht zum 11. Mai 2024 in B* gemeinsam mit einem weiteren, bislang unbekannten Täter als Beteiligten (§ 12 StGB) durch Sprühen von Graffitis fremde Sachen zerstört, beschädigt, verunstaltet oder unbrauchbar gemacht, wobei er durch die Taten einen EUR 5.000,00 übersteigenden Schaden herbeiführte, und zwar
...
2. mehrere Objekte (zwei Container, die Glaswand in einer Bushaltestelle, einen Verteilerkasten, die Fassade des Schulgebäudes und ein Verkehrszeichen) der Marktgemeinde B*, wodurch ein Schaden in Höhe von EUR 1.300,00 entstand,
3. das Garagentor der C*, wodurch ein Schaden in unbekannter Höhe entstand,
4. einen Verteilerkasten der Firma D*, wodurch ein Schaden in Höhe von EUR 1.095,36 entstand,
5. die Verteilerkästen einer Ampelanlage und einer Verkehrsüberwachungskamera des E*, wodurch ein Schaden in Höhe von EUR 600,00 entstand,
6. einen Verteilerkasten der Firma F*, wodurch ein Schaden in Höhe von EUR 573,10 entstand,
gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen;
Die Privatbeteiligten Marktgemeinde B*, D* GmbH und F* GmbH werden gemäß § 366 Abs 1 StPO mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen;
II. im Umfang des Anklagefaktums 1. die Sache dem Erstgericht zu einem Vorgehen nach den Bestimmungen des XI. Hauptstücks der Strafprozessordnung zurückverwiesen.
III. Mit seiner übrigen Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene A* des Vergehens der schweren Sachbeschädigung nach den §§ 125, 126 Abs 1 Z 7 StGB schuldig erkannt und hiefür nach dem Strafsatz des § 126 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, deren Vollzug gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung dreijähriger Probezeit bedingt nachgesehen wurde.
Im Adhäsionserkenntnis wurde der Angeklagte gemäß § 369 Abs 1 StPO verpflichtet, den Privatbeteiligten Marktgemeinde B* EUR 1.410,00, der D* GmbH EUR 1.095,36 und der F* GmbH EUR 573,10 zu bezahlen. Weitere Privatbeteiligte wurden gemäß § 366 Abs 2 StPO mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
Nach dem Schuldspruch hat A* in der Nacht zum 11. Mai 2024 in B* gemeinsam mit einem weiteren, bislang unbekannten Täter als Beteiligten (§ 12 StGB) durch Sprühen von Graffitis fremde Sachen zerstört, beschädigt, verunstaltet oder unbrauchbar gemacht, wobei er durch die Taten einen EUR 5.000,00 übersteigenden Schaden, nämlich von zumindest EUR 5.178,46 herbeiführte, und zwar
1. den Stadel der G*, wodurch ein Schaden in Höhe von zumindest EUR 1.500,00 entstand;
2. mehrere Objekte (zwei Container, die Glaswand in einer Bushaltestelle, einen Verteilerkasten, die Fassade des Schulgebäudes und ein Verkehrszeichen) der Marktgemeinde B*, wodurch ein Schaden in Höhe von EUR 1.410,00 entstand;
3. das Garagentor der C*, wodurch ein Schaden in unbekannter Höhe entstand;
4. einen Verteilerkasten der Firma D*, wodurch ein Schaden in Höhe von EUR 1.095,36 entstand;
5. die Verteilerkästen einer Ampelanlage und einer Verkehrsüberwachungskamera des E*, wodurch ein Schaden in Höhe von EUR 600,00 entstand;
6. einen Verteilerkasten der Firma F*, wodurch ein Schaden in Höhe von EUR 573,10 entstand.
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 10a StPO gestützte Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit sowie seine Berufung wegen Schuld und privatrechtlicher Ansprüche, mit der er einen Freispruch, demgemäß die Verweisung der Privatbeteiligten mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg im Umfang der Fakten 2. bis 6. des Schuldspruches sowie ein Vorgehen nach dem XI. Hauptstück der StPO im Umfang des Schuldspruchs Punkt 1. begehrt (ON 14). Die Oberstaatsanwaltschaft Linz beantragte in ihrer dazu erstatteten Stellungnahme vom 31. Dezember 2024, der Berufung des Angeklagten nicht Folge zu geben.
In seiner Schuldberufung kritisiert der Angeklagte die erstgerichtliche Beweiswürdigung, demnach aus den Beweisergebnissen zum Schuldspruchpunkt 1., wozu sich der Angeklagte geständig gezeigt habe, auf die Begehung der den Schuldspruchpunkten 2. bis 6. zugrunde liegenden Sachbeschädigungen durch A* geschlossen werden könne. Aus der Verwendung blauer Lackfarbe, dem Bezug zu den Fußballvereinen H* (kurz: H*) und I* (I*) sowie der teilweisen Ähnlichkeit der Ausführung bestimmter Buchstaben und Zeichen („K“ und ein Rufzeichen in geschwungener Wellenlinie) bei den meisten Graffitis könne eine Täterschaft des Angeklagten nicht abgeleitet werden, weil dieser bei der dem Schuldspruchpunkt 1. zugrunde liegenden Sachbeschädigung ein bereits bestehendes Graffiti lediglich übermalte, mithin keine Buchstaben oder Zeichen setzte, die auf seine Täterschaft schließen lassen.
Die Argumentation ist schlüssig, weshalb sich das Berufungsgericht veranlasst sah, das Beweisverfahren durch nochmalige Einvernahme des Angeklagten sowie Verlesung des wesentlichen Akteninhalts zu wiederholen.
Rechtliche Beurteilung
In Abänderung der erstgerichtlichen Feststellungen ist nunmehr zu konstatieren, dass nicht festgestellt werden kann, dass der Angeklagte in der Nacht zum 11. Mai 2024 in B* gemeinsam mit einem weiteren, bislang unbekannten Täter als Beteiligten durch Sprühen von Graffitis mehrere Objekte (zwei Container, die Glaswand in einer Bushaltestelle, einen Verteilerkasten, die Fassade des Schulgebäudes und ein Verkehrszeichen) der Marktgemeinde B*, das Garagentor der C*, einen Verteilerkasten der Firma D*, die Verteilerkästen einer Ampelanlage und einer Verkehrsüberwachungskamera des E* sowie einen Verteilerkasten der Firma F*, mithin fremde Sachen, zerstört, beschädigt, verunstaltet oder unbrauchbar gemacht hat, wodurch er einen EUR 5.000,00 übersteigenden Schaden herbeigeführt habe.
Es trifft zwar zu, wie vom Erstgericht in der Beweiswürdigung festgehalten, dass alle Graffitis, die den Schuldspruchfakten 2. bis 6. zugrunde liegen, mit blauer Sprühfarbe angefertigt wurden und – mit Ausnahme der Schriftzüge an der Mauer des Schulgebäudes und an einem Verkehrszeichen (Lichtbilder 18, 19 und 20 in ON 2.8) – einen Bezug zu den Fußballvereinen H* und I* aufweisen, sich die Schriftart beim Buchstaben „K“ im Schriftzug H* bei einigen Graffitis (dargestellt in den Lichtbildern 9 und 11 bis 18 in der Lichtbildbeilage ON 2.8) auffallend ähnelt und dem Buchstaben „K“ bei dem in weißer Schrift angebrachten Graffiti auf dem Stadel der G* (Bild 3 in ON 2.8) entspricht. Bei vier Graffitis (dargestellt in den Lichtbildern 13 bis 16 in ON 2.8) fällt auf, dass ein Rufzeichen in wellenförmiger Linie angebracht wurde. Aus diesen Ähnlichkeiten könnte geschlossen werden, dass die inkriminierten Graffitis von ein und demselben Täter ausgeführt wurden. Auf die Täterschaft des A* kann aber mit der für das Strafverfahren notwendigen Sicherheit daraus nicht geschlossen werden. Wie die Berufung zutreffend aufzeigt, ergibt sich nämlich aus dem Geständnis des Angeklagten, das mit den Bildern aus der Überwachungskamera der G* in Einklang steht, dass dieser Angeklagte ein bereits bestehendes, mit schwarzer Farbe angebrachtes Graffiti („J*“) mit blauer Lackfarbe durch ein Kreuz lediglich übermalte, ohne aber selbst einen Schriftzug angebracht zu haben. Vielmehr war es ein weiterer, bislang unbekannter Täter, der mit weißer Sprühfarbe den Schriftzug „J*“, „H*!“ und „J* FOTZE“ am Stadel der G* anbrachte (Lichtbilder 1 bis 3 in ON 2.8). Dementsprechend kann aus dem in diesem Schriftzug auffällig wirkenden „K“, das beinahe einem „H“ entspricht und insofern den überwiegenden weiteren (blauen) Schriftzügen auf den inkriminierten Graffitis ähnelt, zwar auf den unbekannten Täter, nicht aber auf den Angeklagten geschlossen werden. Eine Verurteilung des A* würde voraussetzen, dass dieser bei sämtlichen Graffitis, die aufgrund des auffallenden Schriftzuges dem unbekannten Täter zugeordnet werden könnten, in dessen Begleitung und daher unmittelbarer Mittäter oder zumindest dessen (psychischer) Beitragstäter war. Dafür hat aber das Beweisverfahren keine ausreichend tragfähigen Anhaltspunkte ergeben. Soweit das Erstgericht in seiner Beweiswürdigung ausführt, dass sich die (gemeinschaftlich verübten) Taten auch in zeitlicher Hinsicht in einen Zusammenhang bringen lassen, kann hier nicht mit der für einen Schuldspruch notwendigen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass sämtliche Graffitis in der Nacht zum 11. Mai 2024 angebracht wurden, weil diese nach dem Amtsvermerk der PI B* am 12. Mai 2024 (ON 2.9) im Zuge eines Streifendienstes an elf verschiedenen Tatorten bzw Objekten zum Nachteil von sieben verschiedenen Geschädigten festgestellt worden seien. Allein diese Sichtung am 12. Mai 2024 lässt nämlich, zumal an einigen Objekten bereits bestehende Graffitis übermalt worden seien (Lichtbilder 10, 12, 15 bis 17 in ON 2.8), den Schluss noch nicht zwingend zu. Auch der Umstand, dass sich die Tatorte in der Nähe der Wohnadresse des Angeklagten befinden, führt nicht zur tragfähigen Annahme seiner Täterschaft, handelt es sich doch bei den Tatorten – wie vom Erstgericht selbst ausgeführt (US 8) – überwiegend um belebte Orte (Verkehrszeichen an einer Straße mit starkem Verkehrsaufkommen, Bushaltestellen, Verteilerkästen an belebten Kreuzungen und Schulgebäude), sodass ein ausschließliches Gelegenheitsverhältnis des Angeklagten nicht angenommen werden kann. Die Tatorte würden auch auf der Fahrtroute vieler anderer Bewohner der Marktgemeinde B* liegen, die durch die B** geteilt wird und daher, wie auch die B **, von vielen dieser Bewohner benutzt werden muss.
Damit war der Berufung wegen Schuld Folge zu geben und der Angeklagte nach Beweiswiederholung von der unter den Anklagepunkten 2. bis 6. angeführten Sachbeschädigung gemäß § 259 Z 3 StPO freizusprechen.
Sohin verbleibt bei A* der Vorwurf eines Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, weil er in der Nacht zum 11. Mai 2024 in B* gemeinsam mit einem bislang unbekannten Täter Graffitis auf den Stadel der G* sprühte und damit eine fremde Sache verunstaltete, wodurch ein Schaden in Höhe von EUR 1.500,00 entstand, den der Angeklagte bereits an die Geschädigte G* bezahlt hat (ON 12, 2).
Mit Blick darauf, dass sich der Angeklagte zu dieser Sachbeschädigung schuldig bekannte, er bisher einen ordentlichen Lebenswandel geführt hat und zum Tatzeitpunkt unter 21 Jahre alt war, demgegenüber keine Erschwerungsgründe zu erkennen sind, ist auch die auf § 281 Abs 1 Z 10a StPO gestützte Diversionsrüge berechtigt.
Ein Vorgehen nach dem XI. Hauptstück der Strafprozessordnung setzt gemäß § 198 StPO (ua) voraus, dass der Sachverhalt hinreichend geklärt ist, dem Beschuldigten keine schwere Schuld zur Last fällt und eine Bestrafung weder aus spezial- noch generalpräventiven Gründen geboten erscheint sowie eine Schuldeinsicht, demnach die Bereitschaft des Beschuldigten, Verantwortung für das ihm zur Last gelegte Tatgeschehen zu übernehmen (RIS-Justiz RS0116299).
Bei der Bewertung des Grades der Schuld als „schwer“ ist von jenem Schuldbegriff auszugehen, der nach §§ 32ff StGB die Grundlage für die Strafbemessung bildet, wobei stets nach Lage des konkreten Falls eine ganzheitliche Abwägung aller unrechts- und schuldrelevanten Tatumstände vorzunehmen ist (RIS-Justiz RS0116021 [T17]). Die Schuldabwägung orientiert sich primär an der gesetzlichen Strafdrohung, in welcher der Gesetzgeber eine generelle Vorbewertung des Unrechts- und Schuldgehalts des betreffenden Deliktstypus zum Ausdruck bringt. Es ist deshalb nicht der typische Schuldgehalt der der Anzeige zugrunde liegenden Straftat bzw des im Verhältnis dazu bestehenden Grunddelikts als Vergleichsbasis zu einem noch nicht schweren Verschulden heranzuziehen, sondern eine Relation zu den aufgrund ihrer Strafdrohungen insgesamt im Einzugsbereich der Diversion liegenden Straftaten herzustellen. Der abstrakte und durch die Strafdrohung gesetzlich definierte Einzugsbereich der Diversion reicht vom Bagatelldelikt bis hin zum Verbrechen. Bei einem Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe ist in der Regel von einem im Vergleich zum Einzugsbereich diversionsfähiger Straftaten bloß durchschnittlichen Unrechtsgehalt derartiger Taten auszugehen (zu alldem Schroll in Fuchs/RatzWK StPO § 198 Rz 28f).
Schon die Strafdrohung des § 125 StGB einer Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten oder einer Geldstrafe von bis zu 360 Tagessätzen bringt zum Ausdruck, dass fallkonkret von einer schweren Schuld nicht ausgegangen werden kann. Das Vorliegen mehrerer Milderungs- und keiner Erschwerungsgründe und insbesondere der bisher ordentliche Lebenswandel des Angeklagten, der auch Verantwortung übernommen und den Schaden gutgemacht hat, erfordern weder spezial- noch generalpräventiv eine Bestrafung des Angeklagten.
Das angefochtene Urteil war daher in diesem Umfang aufzuheben und die Sache an das Erstgericht mit dem Auftrag zu verweisen, nach dem XI. Hauptstück der Strafprozessordnung vorzugehen.