12Rs119/24t – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende, Dr. Dieter Weiß und Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Claudia Wolfsgruber-Ecker (Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Christian Jedinger (Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, Geschäftsführer, **, **, vertreten durch die Korn Gärtner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, **, **-Straße **, vertreten durch ihren Angestellten Mag. C*, D*, wegen Feststellung von Schwerarbeitszeiten über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 16. September 2024, Cgs*-13, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 5. Oktober 2023 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger bis 30. Juni 2023 insgesamt 539 Versicherungsmonate – davon 526 Beitragsmonate der Pflichtversicherung - Erwerbstätigkeit und 13 Ersatzmonate – erworben hat, und lehnte „die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum vom 1. August 2003 bis 30. September 2014“ ab.
Dagegen richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Klage mit dem Begehren auf Feststellung, „dass der Kläger vom 1. August 2003 bis 30. September 2014 Schwerarbeitszeiten im Sinne der Schwerarbeitsverordnung erworben hat“, weil er in diesem Zeitraum als Landmaschinenmechaniker Schwerarbeit im Sinne des § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV geleistet habe.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Erstgericht die bereits von der Beklagten ausgesprochene Feststellung der Versicherungsmonate wiederholt, das übrige Klagebegehren jedoch abgewiesen. Der Entscheidung liegt – zusammengefasst – folgender Sachverhalt zugrunde:
Im streitgegenständlichen Zeitraum hat der Kläger als Landmaschinenmechaniker und Kfz-Techniker bei einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von 38,5 Stunden regelmäßig montags bis donnerstags eine Nettoarbeitszeit von 8,5 Stunden erbracht, freitags alternierend 4,5 bzw 7,5 Stunden. Durch den Pannendienst am Samstag haben sich Überstunden ergeben.
Wöchentlich ein- bis zweimal war er für Außendienste eingeteilt, bei denen die Fahrzeit pro Außendienst ein bis zwei Stunden betragen hat.
Der Schwellenwert von 2.000 Arbeitskilokalorien wird nur bei einer Nettoarbeitszeit von 7,8 Stunden mit ausschließlich handwerklicher Tätigkeit erreicht.
Es kann nicht festgestellt werden, in welchen konkreten Monaten im relevanten Zeitraum der Kläger an jeweils 15 oder mehr Arbeitstagen zumindest 7,8 Arbeitsstunden eine rein handwerkliche Tätigkeit erbracht hat.
In rechtlicher Beurteilung des Sachverhalts ist das Erstgericht zum Ergebnis gekommen, der Kläger habe in den strittigen Monaten keine Schwerarbeit im Sinne des § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV geleistet.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers aus den Berufungsgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem auf Klagsstattgabe gerichteten Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung nicht Folge zu geben.
Die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu behandelnde Berufung ist nicht berechtigt .
Rechtliche Beurteilung
1 Als Schwerarbeit gemäß § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV gelten alle Tätigkeiten, die geleistet werden als schwere körperliche Arbeit, die dann vorliegt, wenn bei einer achtstündigen Arbeitszeit von Männern mindestens 2.000 Arbeitskilokalorien verbraucht werden. Dazu steht fest, dass ein solcher Verbrauch an Arbeitskilokalorien vom Kläger (nur) bei einer Nettoarbeitszeit von 7,8 Stunden täglich mit ausschließlich handwerklicher Tätigkeit erreicht wurde.
2 In der Rechtsrüge erachtet sich der Berufungswerber durch die Anwendung der Beweislastregeln durch das Erstgericht als beschwert.
2.1 Abgesehen von den in § 87 Abs 1 ASGG besonders geregelten Fällen – das sind die in § 65 Abs 1 Z 2 und Z 5 ASGG genannten Rechtsstreitigkeiten über Rückersatz- bzw Kostenersatzpflichten – gelten auch in Sozialrechtssachen die allgemeinen Grundsätze der Beweislastverteilung (vgl nur RIS-Justiz RS0086050 ).
Dem entsprechend trifft auch in Sozialrechtssachen denjenigen, der einen Anspruch behauptet, die Behauptungs- und Beweislast für alle anspruchsbegründenden Tatsachen und denjenigen, der diesen bestreitet, die Behauptungs- und Beweislast für die anspruchshemmenden, hindernden, -vernichtenden Tatsachen (vgl RIS-Justiz RS0106638 , RS0109832 , insb [T7]). Das Regelbeweismaß der ZPO – und damit auch in Sozialrechtssachen (vgl § 2 Abs 1 2. HS ASGG – ist die hohe Wahrscheinlichkeit (vgl RIS-Justiz RS0110701 insb [T6]).
2.2 Wenn Voraussetzung für die Verrichtung von Schwerarbeit der Verbrauch von 2.000 Arbeitskilokalorien an einem Arbeitstag ist (§ 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV) und ein derartiger Verbrauch nur bei einer Arbeitszeit mit ausschließlich handwerklicher Tätigkeit von 7,8 Stunden erreicht wird, ist die Erreichung einer solchen Arbeitszeit die anspruchsbegründende Tatsache und damit vom Kläger zu behaupten und zu beweisen, wobei eine hohe Wahrscheinlichkeit erforderlich ist, dass dies der Fall war.
Der Arbeitsenergieumsatz kann tatsächlich – unter Bedachtnahme auf die Angaben des Versicherten – nur annäherungsweise ermittelt werden, weil im Arbeitsalltag keine exakte Aufgliederung der Tätigkeit nach arbeitsmedizinischen Standards – also in Hand-, Einarm-, Zweiarm- und Körperarbeit und dabei wiederum in unterschiedliche Schweregrade – erfolgt, wobei die Besonderheiten des einzelnen Versicherten (Konstitution, Körpergewicht, …) nicht zu berücksichtigen sind (vgl dazu nur VfGH G 20/11 ua, V 13/11 ua [Pkt 2.5.1, 2.5.2]).
Das führt jedoch nicht zur Zulässigkeit der Durchschnittsbetrachtung auch in jenen Bereichen, in denen üblicherweise einer exakte Erfassung erfolgt bzw zu erfolgen hat (vgl § 26 AZG).
Dem entsprechend hat es offenbar zur Arbeitszeit des Klägers – zumindest betreffend die Außendienste auch zum Zweck der Verrechnung an die Kunden – entsprechende Aufzeichnungen gegeben (vgl PV Kläger ON 11.2 S 3; Zeuge D*, ON 11.2 S 5).
2.3 Es mag durchaus zutreffen und vom Kläger als unbefriedigend empfunden werden, dass in Verfahren über die Feststellung von Schwerarbeitszeiten (regelmäßig) Probleme auftreten, wenn keine vollständigen Arbeitszeitaufzeichnungen (mehr) vorgelegt werden können. Unbefriedigende Gesetzesbestimmungen zu ändern, ist jedoch nicht Aufgabe der Rechtsprechung, sondern der Gesetzgebung; die Gerichte haben nur die bestehenden Gesetze anzuwenden (vgl RIS-Justiz RS0008880 ).
2.3.1 Wenn Aufzeichnungen für einen gewissen Zeitraum als Beweismittel zur Verfügung stehen, kann auf die Arbeitszeit in anderen Zeiträumen immerhin geschlossen werden, soweit nach den übrigen Beweisergebnissen keine Änderung in der Arbeitsgestaltung eingetreten ist.
2.3.2 Gemäß § 247 Abs 1 ASVG in der durch das Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz – SV-ZG, BGBl I 2017/215 novellierten Fassung kann ein Antrag auf Feststellung der Schwerarbeitszeiten zehn Jahre vor Vollendung des Anfallsalters – also des 60. Lebensjahres – gestellt werden. Der Kläger wäre nicht gehindert gewesen, den Antrag bereits unmittelbar nach dem Inkrafttreten dieser Bestimmung am 1. Juli 2017 – und nicht erst knapp sechs Jahre später am 7. Juni 2023 – zu stellen und damit seine Beweissituation wesentlich zu verbessern.
3 In der Tatsachenrüge bekämpft der Berufungswerber die kursiv wiedergegebene Feststellung und begehrt neben zusätzlichen Feststellungen zu den Außendiensten die Feststellung, an zumindest 15 Arbeitstagen pro Monat zumindest 7,8 Arbeitsstunden eine rein handwerkliche Tätigkeit erbracht zu haben.
3.1.1 Aufgrund des Gebots eines in sich widerspruchsfreien Sachverhalts ist zunächst von den unbekämpft gebliebenen Feststellungen auszugehen, (a) dass die Nettoarbeitszeit des Klägers (nur) an vier Tagen pro Woche mehr als 7,8 Stunden betragen hat, nämlich 8,5 Stunden, (b) er wöchentlich ein- bis zweimal Außendienst verrichtet hat und dabei (c) die Fahrzeit pro Außendienst ein bis zwei Stunden betragen hat, sodass nach den Beweislastregeln von zwei Außendiensten pro Woche – also jedenfalls einer an einem „langen“ Arbeitstag – mit einer Fahrzeit von jeweils zwei Stunden auszugehen ist.
3.1.2 Nähere Feststellungen zur zeitlichen Lagerung der Fahrzeit wurden nicht getroffen.
Sowohl der Kläger als auch seine Arbeitgeberin haben in den Fragebögen angegeben, dass die Fahrzeiten innerhalb der Arbeitszeit gelegen sind (vgl Fragebogen des Klägers mit einer an sich unmissverständlichen Fragestellung, bei der sich der Kläger „verlesen“ haben will [PV ON 11.2 S 3]: Blg ./4 S 7 [zwei Stunden]; Fragebogen der Arbeitgeberin, Blg ./5 S 6 [eine Stunde]; selbst in dem nach Erstattung des Gutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen „evaluierten“ bzw „aktualisierten“ Fragebogen vom 14. November 2023, Blg ./8 S 7 wurden von der Arbeitgeberin abermals Fahrzeiten in der Arbeitszeit angegeben, und zwar nunmehr ein bis zwei Stunden, wobei die Frage nach der durchschnittlich tatsächlich geleisteten Arbeitszeit mit „Mo-Do 7.30-12.00, 13.00-17.00, Fr 7.30-12.00; Freitag Nachmittag und Samstag: regelmäßig Mehrarbeit bzw Rufbereitschaft“ beantwortet wurde).
In der Einvernahme hat der Kläger zunächst im diametralen Gegensatz dazu behauptet, dass die Fahrzeiten „stets außerhalb der Arbeitszeit“ gewesen seien (PV ON 11.2 S 3 1. Absatz).
Seine weiteren Angaben sowie die Aussagen des Zeugen D* dazu waren – aufgrund der seither verstrichenen Zeitspanne naheliegenderweise – nicht besonders präzise: Im Kern ergibt sich daraus allerdings, dass „im Großen und Ganzen […] danach getrachtet wurde, dass die Fahrzeit außerhalb der regulären Arbeitszeit liegt“, es aber auch Tage gegeben hat, wo der Außendienst wegen der Dringlichkeit der Reparatur sofort angetreten werden musste oder wo die Rückfahrt während der Arbeitszeit erfolgt ist oder die Arbeit vor Ablauf der regulären Arbeitszeit beendet wurde, weil die Reparatur früher beendet war (vgl PV Kläger, ON 11.2 S 3; Zeuge D*, ON 11.2 S 4, 5).
Zumal nicht anzunehmen ist, dass alle Reparaturen immer exakt die gesamte Arbeitszeit eines Vormittags (4,5 Stunden) bzw Nachmittags (4 Stunden) erfordert haben, liegt nahe, dass regelmäßig zumindest eine Fahrstrecke teilweise während der Arbeitszeit absolviert wurde.
3.1.3 Anzumerken bleibt, dass die auf den Angaben des Klägers basierenden Feststellungen zur Arbeitszeit nicht ganz konsistent sind, zumal bei einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von 38,5 Stunden eine Arbeitszeitverteilung behauptet wurde, die nur in Wochen mit „kurzem Freitag“ eine Arbeitszeit von 38,5 Stunden und in den anderen aber eine solche von 41,5 Stunden vorsieht. Zumal „Überstunden“ nach den Feststellungen (nur) für den Pannendienst am Samstag angefallen sind, liegt nahe, dass die in „langen“ Wochen geleisteten Mehrstunden anderweitig ausgeglichen wurden.
3.2.1 Im Übrigen hat nicht jedes der 134 Monate im strittigen Zeitraum 17,33 (potentiell) „lange“ Arbeitstage – also Tage von Montag bis Donnerstag – umfasst. In 31 davon sind etwa nur 16 und in einer Vielzahl vom Monaten Feiertage auf solche Tage gefallen, bei denen kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass der Kläger (fiktiv) Schwerarbeit geleistet hätte (vgl etwa OGH 10 ObS 50/24m ). Diese Monate können schon dann nicht als Schwerarbeitsmonate qualifiziert werden, wenn der Kläger auch nur an zwei langen Tagen weniger als 7,8 Stunden ausschließlich handwerkliche Tätigkeit erbracht hat, was in Anbetracht von zwei Außendiensten pro Woche aufgrund der Fahrzeit in der Arbeitszeit bzw einer (sinnvollerweise) vorzeitig beendeten Arbeitszeit mit durchaus hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist.
Selbst wenn bei einer Durchschnittsbetrachtung über alle Monate mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen wäre, dass eine solche Verkürzung der handwerklichen Tätigkeit durchschnittlich an höchstens zwei „langen Arbeitstagen“ pro Monat erfolgt ist – was freilich nicht zutrifft –, könnte schon aus Gründen der Billigkeit nicht der gesamte Zeitraum als Schwerarbeitsmonate festgestellt werden, würde damit doch ein Versicherter, der seine Arbeitszeiten für jeden Monat exakt nachweist, schlechter gestellt als der Kläger, der diesen Nachweis für keinen einzigen Monat erbracht hat.
Die vom Berufungswerber begehrte Ersatzfeststellung scheidet daher aus.
3.2.2 Es mag durchaus zutreffen, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass dies in einzelnen Monaten der Fall war, wobei aber jedenfalls nicht mit der nötigen Wahrscheinlichkeit feststeht, welche dies waren.
Weil die Feststellung von Schwerarbeitszeiten nach § 247 Abs 2 ASVG nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung aber nur auf konkrete Monate bzw Zeiträume bezogen erfolgen kann (vgl OGH 10 ObS 154/19y [Pkt 2.8], 10 ObS 58/20g [Pkt 2.8]), scheidet auch die Feststellung einzelner Monate aus.
3.2.3 Hinzu kommt, dass in den nur 16 potentielle Arbeitstage umfassenden 31 Monaten jedenfalls keine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Kläger an 15 davon Schwerarbeit geleistet hat. An der Feststellung der übrigen 103 Monate als Schwerarbeit fehlt dem Kläger das erforderliche Feststellungsinteresse (vgl eingehend OGH 10 ObS 113/22y [Rz 30]; vgl auch RIS-Justiz RS0084976 [T6]).
3.3 Indem der Berufungswerber ergänzende Feststellungen begehrt, macht er inhaltlich sekundäre Feststellungsmängel geltend. Die Ausführungen sind daher inhaltlich der Rechtsrüge zuzuordnen (vgl nur RIS-Justiz RS0043304 ).
Inhaltlich ist dazu anzumerken, dass der erste Teil der ersten begehrten Feststellung bereits getroffen wurde und die letzte Feststellung (erfolglos) in der Tatsachenrüge begehrt wurde. Die übrigen Feststellungen sind teilweise inhaltlich unrichtig und teilweise rechtlich irrelevant; sie bilden bloße Argumente für die Beweiswürdigung zur bekämpften Feststellung.
4 Der Berufung musste daher der Erfolg insgesamt versagt bleiben.
5 Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Umstände, die einen Kostenzuspruch im Berufungsverfahren nach Billigkeit trotz Unterliegens rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.
6 Die ordentliche Revision ist im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig, weil die Frage der Beweislast in sozialgerichtlichen Verfahren hinlänglich geklärt ist.