Das Oberlandesgericht Innsbruck hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Vetter als Vorsitzende, die Richterinnen des Oberlandesgerichts Dr. Pirchmoser und Mag. Grössl sowie die fachkundigen Laienrichter:innen Mag. Stefan Wanner (aus dem Kreis der Arbeitgeber:innen) und Mag. a Dr. in Silvia Zangerle-Leberer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer:innen) als weitere Mitglieder des Senats in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A* , vertreten durch Arbeiterkammer **, **, wider die beklagte Partei E* GmbH , vertreten durch die Wirtschaftskammer **, **, wegen (ausgedehnt) EUR 16.543,10 s.A., über die Berufung der beklagten Partei (Berufungsinteresse EUR 14.543,10 s.A.) gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 22.1.2025, **-22, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
I. Der Berufung wird F o l g e gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert , dass es unter Einschluss des mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsenen abweislichen Teils lautet:
„ 1. Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen einen Betrag von brutto EUR 14.543,10 s.A. und einen Betrag von EUR 2.000,-- zu bezahlen, wird a b g e w i e s e n .
2. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen zu Handen der Beklagtenvertreterin die mit EUR 1.055,-- bestimmten Prozesskosten (Aufwandersatz) zu ersetzen .“
II. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen zu Handen der Beklagtenvertreterin die mit EUR 2.180,-- (darin enthalten EUR 1.500,-- an Barauslagen) bestimmten Prozesskosten (Aufwandsersatz) für das Berufungsverfahren zu ersetzen.
III. Die (ordentliche) Revision ist n i c h t zulässig.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin begründete am 4.6.2013 ein Dienstverhältnis zur C* GmbH. Dieses Dienstverhältnis wurde mit Nachtrag zum Angestelltenvertrag vom 4.6.2013 mit allen Rechten und Pflichten mit Wirkung 1.1.2017 auf die Beklagte übertragen.
Am 1.12.2023 erlitt die Klägerin eine Fehlgeburt.
Am 27.12.2023 sprach der Geschäftsführer der Beklagten der Klägerin gegenüber telefonisch die Kündigung des Dienstverhältnisses aus. Gleichzeitig erhielt die Beklagte ein mit 27.12.2023 datiertes Schreiben per E-Mail und als Einschreiben mit nachstehendem Inhalt:
„ Ich sehe mich veranlasst, Dich unter Einhaltung der gesetzlichen 3-monatigen Kündigungsfrist zum nächstmöglichen Termin zu kündigen.“
Ein weiterer Kündigungsausspruch durch die Beklagte nach dem 27.12.2023 erfolgte nicht.
Die Kündigung erfolgte aus wirtschaftlichen Überlegungen und nicht wegen der Fehlgeburt oder der Familienplanung der Klägerin.
Mit Schreiben vom 24.1.2024 ließ die Klägerin die Kündigung gegen sich gelten.
Dieser verkürzt wiedergegebene Sachverhalt steht im Berufungsverfahren unbekämpft fest.
Die Klägerin begehrte zuletzt eine Kündigungsentschädigung von EUR 14.543,10 s.A. und eine Entschädigung von EUR 2.000,-- für eine erlittene Beeinträchtigung aus einer Diskriminierung nach dem Gleichbehandlungsgesetz. Sie brachte dazu vor, die Kündigung der Beklagten sei während des besonderen Kündigungs- und Entlassungsschutzes erfolgt und damit unwirksam. Mit Schreiben vom 24.1.2024 habe die Klägerin die Kündigung gegen sich gelten lassen und eine Kündigungsentschädigung bis 30.6.2024 eingefordert. Damit habe sie auf ihren Kündigungsschutz verzichtet. Da keine weitere Kündigung der Klägerin bis 31.12.2023 erfolgt sei und die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung als termin- und fristwidrig zu werten sei, bestehe ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung für den Zeitraum vom 1.4.2024 bis 30.6.2024. Die Kündigung sei wegen ihrer Absicht eine Familie gründen zu wollen, erfolgt.
Die Beklagte bestritt und wendete zusammengefasst ein, die Klägerin sei mit Schreiben vom 27.12.2023, welches ihr auch per E-Mail übermittelt worden sei, unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten gekündigt worden. Auch wenn die Kündigung während aufrechtem Kündigungsschutz erfolgt sei, habe die Klägerin mit Schreiben vom 24.1.2024 auf ihren Kündigungsschutz verzichtet, sodass auf die potentiellen Kündigungsausspruchstermine am 30.12.2023 und 31.12.2023 abzustellen sei, welche dazu geführt hätten, dass eine Kündigungsentschädigung nur bis 31.3.2024 zustünde. Würde die Klägerin eine Kündigungsentschädigung bis 30.6.2024 erhalten, wäre sie besser gestellt, als bei einer ordnungsgemäß ausgesprochenen Kündigung. Dem Arbeitnehmer gebühre eine Kündigungsentschädigung nur für den Zeitraum, für den eine Kündigungsentschädigung bei ordnungsgemäßer Kündigung des Arbeitsverhältnisses zustünde. Die Kündigung sei aufgrund einer betrieblichen Notwendigkeit und nicht wegen der Familienplanung der Klägerin erfolgt.
Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtete das Erstgericht die Beklagte zur Zahlung der eingeklagten Kündigungsentschädigung von brutto EUR 14.543,10 samt 12,82 % Zinsen aus brutto EUR 2.976,19 ab 2.4.2024 (Spruchpunkt 1.), wies die begehrte Entschädigung nach dem Gleichbehandlungsgesetz von EUR 2.000,-- ab (Spruchpunkt 2.) und verpflichtete die Beklagte zum Kostenersatz (Spruchpunkt 3.). Dieser Entscheidung legte es den eingangs dieser Berufungsentscheidung referierten unstrittigen Sachverhalt zugrunde und traf weiters die folgende, von der Beklagten als aktenwidrig bekämpfte Feststellung:
„Die seit 2013 bei der beklagten Partei (bzw der Rechtsvorgängerin) als kaufmännische Angestellte beschäftigte Klägerin befand sich am 27.12.2023 im bis 2.1.2024 andauernden Erholungsurlaub.“
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Rechtsansicht, dass der besondere Kündigungsschutz der Klägerin mit Ablauf des [richtig] 29.12.2023 geendet habe. Eine rechtswirksame Kündigung hätte daher am 30. oder 31.12.2023 dem Machtbereich der Klägerin zugehen müssen. Es sei daher zu klären, wann die Beklagte nach der objektiven Verkehrsanschauung mit einem derartigen Zugang rechnen hätte dürfen. Da die Klägerin auf den besonderen Bestandschutz verzichtet habe, sei zunächst ausgehend vom Tag der tatsächlichen Beendigung eine fiktive Arbeitgeberkündigungsfrist und ein fiktiver Arbeitgeberkündigungstermin zu errechnen und das daraus resultierende nächstmögliche fiktive Beendigungsdatum festzustellen. Da sich die Klägerin bis einschließlich 1.1.2024 auf Urlaub befunden und es sich beim 30. und 31.12.2023 um einen Samstag bzw Sonntag gehandelt habe, hätte die Beklagte nicht mit der Kenntnisnahme einer schriftlichen Kündigung per E-Mail oder Einschreiben durch die Klägerin rechnen dürfen. Auch wenn keine Formvorschriften für die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses bestünden und die Kündigung auch per E-Mail oder Telefon möglich wäre, müsse ein Arbeitnehmer unter gewöhnlichen Umständen als passiver Erklärungsempfänger im Urlaub und am Wochenende für den Arbeitgeber weder telefonisch noch per E-Mail zur Verfügung stehen. Es sei auf die objektive Erwartungshaltung und nicht auf die tatsächlich im Urlaub per Telefon erfolgte unwirksame Kündigung abzustellen.
Ein Anspruch auf Entschädigung wegen Beendigung des Dienstverhältnisses aus diskriminierenden Gründen bestehe nicht, da die Klägerin aus anderen Gründen und nicht wegen der Annahme des Arbeitgebers, dass sie nach einer Fehlgeburt bald wieder schwanger werde, gekündigt worden sei.
Während diese Entscheidung im Umfang des abweislichen Teils von EUR 2.000,-- mangels Anfechtung in (Teil-)Rechtskraft erwuchs, richtet sich gegen den klagsstattgebenden Teil die rechtzeitige Berufung der Beklagten , die – gestützt auf die Rechtsmittelgründe der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung – die Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens beantragt.
Die Klägerin beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung der Beklagten den Erfolg zu versagen.
Die Berufung ist berechtigt .
I. Die Berufungswerberin bekämpft aus dem Berufungsgrund der Aktenwidrigkeit die oben zitierte Feststellung und strebt stattdessen nachstehende Feststellung an:
„Die seit 2013 bei der beklagten Partei (bzw der Rechtsvorgängerin) als kaufmännische Angestellte beschäftigte Klägerin befand sich am 27.12.2023 im bis 29.12.2023 andauernden Erholungsurlaub.“
Das Erstgericht habe die Feststellung ausschließlich aufgrund der Parteieneinvernahme der Klägerin und des Geschäftsführers getroffen. Die Klägerin habe angegeben, dass sie dem Geschäftsführer der Beklagten mitgeteilt habe, dass sie wie vereinbart erst am 2.1.2023 arbeiten kommen könne. Da der 30.12.2023 ein Samstag, der 31.12.2023 ein Sonntag und der 1.1.2024 ein gesetzlicher Feiertag gewesen sei, habe es sich dabei um ohnehin arbeitsfreie Tage gehandelt, sodass die Klägerin lediglich bis 29.12.2023 Erholungsurlaub konsumiert habe. Die Aktenwidrigkeit sei wesentlich, da das Erstgericht aufgrund des Erholungsurlaubs davon ausgegangen sei, dass der Arbeitgeber objektiv nicht mit einem Zugang der Kündigung an einem Samstag oder Sonntag beim Arbeitnehmer rechnen hätte können.
II. Dazu hat der Senat erwogen:
1.1. Eine Aktenwidrigkeit liegt vor, wenn die Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen werden, also auf einem bei der Darstellung der Beweisergebnisse unterlaufenen Irrtum oder einem Formverstoß beruhen, der aus den Prozessakten selbst erkennbar und behebbar ist, etwa wenn der Inhalt einer Urkunde, eines Protokolls oder eines sonstigen Aktenstückes unrichtig wiedergegeben wurde (RS0043347 [T2]). Dieser Berufungsgrund ist auch verwirklicht, wenn für eine Tatsachenfeststellung überhaupt keine beweismäßige Grundlage besteht (RS0043203; 6 Ob 230/11h; Pochmarski/Tanczos/Kober , Berufung in der ZPO 4 S 179). Erwägungen der Tatsacheninstanzen, weshalb ein Sachverhalt als erwiesen angenommen oder bestimmte Feststellungen nicht getroffen werden können, fallen in das Gebiet der Beweiswürdigung, können daher keine Aktenwidrigkeit bilden (RS0043347 [T2]). Die Aktenwidrigkeit muss darüber hinaus für das Urteil von wesentlicher Bedeutung, also geeignet sein, die Entscheidungsgrundlage zu verändern (RS0043347 [T9]).
1.2. Im vorliegenden Fall liegt für die bekämpfte Feststellung eine Beweisgrundlage vor, da – wie die Berufungswerberin selbst anführt – die Klägerin selbst eine entsprechende Aussage getätigt hat, auf die sich das Erstgericht auch beweiswürdigend bezog (siehe US 6 zweiter Absatz). Eine Aktenwidrigkeit liegt daher nicht vor.
2.1. Allerdings hat das Erstgericht mit dieser Feststellung – soweit es sich auf die Konsumation von Erholungsurlaub durch die Klägerin von 27.12.2023 bis 2.1.2024 bezieht – eine sogenannte „überschießende Feststellung“ getroffen, da das Gericht Beweisergebnisse verwertet hat, die über die Prozessbehauptungen hinausgehen. Eine Behauptung, dass die Klägerin sich von 27.12.2023 bis 2.1.2024 auf Urlaub befunden habe, findet sich weder im Vorbringen der Klägerin noch in jenem der Beklagten. Die Behandlung überschießender Feststellungen ist ein Akt der rechtlichen Beurteilung und hat das Berufungsgericht bei gesetzmäßig ausgeführter Rechtsrüge überschießende Feststellungen auch von Amts wegen entfallen zu lassen ( Pochmarski/Tanczos/Kober aaO S 189).
2.2. Die von der Beklagten unrichtig als aktenwidrig gerügte Feststellung hat daher als „überschießende“ Feststellung ohnehin unberücksichtigt zu bleiben. Wie sich aus der nachfolgenden Behandlung der Rechtsrüge zudem ergibt, mangelt es der bekämpften Feststellung an rechtlicher Relevanz.
III. In ihrer Rechtsrüge moniert die Berufungswerberin, dass der besondere Kündigungsschutz mit Ablauf des 29.12.2023 geendet habe. Demnach hätte unter Anwendung der Kündigungsfrist von drei Monaten zum Quartalsende das Arbeitsverhältnis frühestmöglich am 31.3.2024 enden können. Für die Bemessung der Dauer der Kündigungsentschädigung sei kein fiktiv zu prüfender Zugang der Kündigungserklärung samt potentiellen Zugangshindernissen zu fingieren. Es bedürfe nämlich weder eines weiteren Ausspruchs noch eines neuerlichen Zugangs der Kündigungserklärung. Vielmehr sei zu beurteilen, wann nach Ende des besonderen Kündigungsschutzes die anzuwendende Kündigungsfrist zum nächstmöglichen Kündigungstermin ende. Da ein Kündigungsausspruch auch am 30.12.2023 oder 31.12.2023 hätte erfolgen können und der nächstmögliche Kündigungstermin der 31.3.2024 gewesen sei, habe die Klägerin Anspruch auf Kündigungsentschädigung lediglich bis zu diesem Zeitpunkt. Abgesehen davon könne ein Kündigungsausspruch auch mündlich erfolgen. Käme man zur Auffassung, dass es einer weiteren Kündigung bedürfe, könnte auch eine persönliche Übergabe des Kündigungsschreibens oder ein mündlicher Kündigungsausspruch nicht kategorisch ausgeschlossen werden.
IV. Dazu hat der Senat erwogen:
1. Wie bereits unter Pkt. II.2. ausgeführt, handelt es sich um eine unbeachtliche überschießende Feststellung, dass die Klägerin von 27.12.2023 bis 2.1.2024 Erholungsurlaub konsumiert hat. Zu erwähnen ist weiters, dass sich die Klägerin in ihrem Vorbringen vor dem Erstgericht auch nicht darauf bezieht, dass es sich beim 30.12.2023 und beim 31.12.2023 um einen Samstag bzw. Sonntag gehandelt hat und ein ordnungsgemäßer Kündigungsausspruch an diesen Tagen nicht hätte erfolgen können. In ihrem Vorbringen argumentiert sie vielmehr ausschließlich damit, dass sie die Kündigung erst am 24.1.2024 gegen sich gelten hat lassen und ihr deshalb eine Kündigungsentschädigung von 1.4.2024 bis 30.6.2024 zustehe.
2.1. Gemäß § 20 Abs 2 AngG kann der Dienstgeber das Dienstverhältnis mit Ablauf eines jeden Kalendervierteljahres durch vorgängige Kündigung lösen. Die Kündigungsfrist beträgt – soweit hier relevant – nach dem vollendeten fünften Dienstjahr drei Monate.
2.2. Ein auf unbestimmte Frist eingegangenes Dienstverhältnis kann vom Arbeitgeber oder Arbeitnehmer durch Kündigungserklärung aufgekündigt werden. Die Kündigung ist eine einseitige Willenserklärung, die der Zustimmung des anderen nicht bedarf ( Löschnigg , Arbeitsrecht 14 Rz 8/009). Sie ist an keine bestimmte Form gebunden und kann schriftlich oder auch mündlich, ja sogar konkludent erklärt werden ( Löschnigg aaO Rz 8/011).
2.3. Im Kündigungsausspruch müssen weder Kündigungsfrist noch Beendigungstag zwingend enthalten sein. Die Kündigung wirkt dann zum nächst zulässigen Zeitpunkt, der sich aus dem Gesetz oder der Vereinbarung ergibt ( Auer-Mayer/Pfeil in Schwimann/Kodek , ABGB Praxiskommentar Band 7 5 § 1159 ABGB, Rz 9; Reissner/Heinz-Ofner in Reissner Ang 4 § 20 Rz 28).
2.4. Gemäß § 10 Abs 1a MSchG ist eine Kündigung einer Arbeitnehmerin bis zum Ablauf von vier Wochen nach einer erfolgten Fehlgeburt rechtsunwirksam. Der mit dieser Bestimmung gewährte besondere Bestandschutz zielt auf den Schutz der Person der Dienstnehmerin ab, die in ihrer besonderen psychischen und physischen Situation auf den Bestand des Dienstverhältnisses vertrauen können soll.
2.5. Eine rechtsunwirksame Beendigungserklärung ist nichtig und löst das Vertragsverhältnis grundsätzlich nicht auf. Nach der Rechtsprechung hat der besonders bestandgeschützte Arbeitnehmer aber auch in einem solchen Fall ein Wahlrecht und kann die unrechtmäßige und damit unwirksame Auflösung gegen sich geltend lassen ( Pfeil in Neumayr/Reissner , ZellKomm 3 § 29 AngG Rz 15, 26).
2.6. Macht der Dienstnehmer von diesem Wahlrecht Gebrauch und anerkennt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wird die relative Nichtigkeit der Kündigung saniert. Es kommt in der Folge zu einer rechtswirksamen Beendigung des Dienstverhältnisses mit Lösungswirkung zu dem sich aus der Beendigungserklärung ergebenden Zeitpunkt und ist der Arbeitnehmer auf Ersatzansprüche gemäß § 29 AngG verwiesen (9 ObA 97/05p, 9 ObA 135/18w). Der Dienstnehmer ist also so zu stellen, als ob das Dienstverhältnis ordnungsgemäß durch Dienstgeberkündigung beendet worden wäre. Es bedarf in diesen Fällen daher einer Bestimmung der fiktiven Kündigungsfrist bzw der restlichen Vertragszeit ( Haider in Reissner AngG § 29 Rz 63).
2.7. In Bezug auf den Beginn der fiktiven Kündigungsfrist und damit den Beginn des Anspruchs auf Kündigungsentschädigung können bei besonders bestandgeschützten Arbeitnehmern die Regelungen für frei auflösbare Arbeitsverhältnisse herangezogen werden ( Haider aaO Rz 64).
2.7.1. Danach ist der Beginn der fiktiven Kündigungsfrist und damit der Beginn des Anspruchs auf Kündigungsentschädigung mit dem Ausspruch der rechtswidrigen Kündigung anzusetzen. Genauer gesagt ist auf den Zugang der (zunächst rechtsunwirksamen) Auflösungserklärung beim Erklärungsempfänger abstellen ( Haider aaO Rz 60; Löschnigg , AR 14 Rz 8/033).
2.7.2. Lediglich im Hinblick auf das Ende der fiktiven Kündigungsfrist ist zu unterscheiden, ob das geschützte Rechtsgut trotz der Lösung des Arbeitsverhältnisses weiterbesteht ( Pfeil in Neumayr/Reissner , ZellKomm 3 § 29 AngG Rz 26 ff).
2.7.3. Besteht das geschützte Rechtsgut trotz Lösung weiter, kommt einer Dienstnehmerin die sogenannte „lange“ Kündigungsentschädigung zu. Diese bemisst sich unter Berücksichtigung des gesamten bestandgeschützten Zeitraums samt dem Zeitraum, der sich durch die erst nach Ablauf des bestandgeschützten Zeitraums erfolgende, ordnungsgemäße Dienstgeberkündigung ergibt ( Haider aaO Rz 66; 8 ObS 4/12i mwN).
2.7.4. Besteht das geschützte Rechtsgut jedoch nicht weiter, ist die fiktive Kündigungsfrist unter Außerachtlassung des besonderen Bestandschutzes zu berechnen.
3. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin am 1.12.2023 eine Fehlgeburt erlitten. Wie das Erstgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, war daher die am 27.12.2023 ausgesprochene Kündigung unwirksam und hätte eine ordnungsgemäße Kündigung von der Beklagten erst nach Ablauf des bestandgeschützten Zeitraums und damit nach dem 29.12.2023, sohin erstmalig mit 30.12.2023 vorgenommen werden können (8 ObS 15/07z).
3.1. Die Klägerin hat von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht und die Kündigung mit Schreiben vom 24.1.2024 gegen sich geltend lassen. Damit wurde die Rechtsunwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung nachträglich saniert.
3.2. Für die Bemessung des Ersatzanspruchs bedarf es daher lediglich der Bestimmung der fiktiven Kündigungsfrist bzw der restlichen Vertragszeit, wobei im Hinblick auf das Ende der fiktiven Kündigungsfrist davon auszugehen ist, dass das Dienstverhältnis ordnungsgemäß erst am 30.12.2023 gekündigt werden hätte können.
3.3. Der besondere Bestandschutz wirkt sich – wie bereits oben ausgeführt – nicht auf den Beginn der Kündigungsfrist, sondern lediglich auf dessen Ende aus. Der Beginn ist im vorliegenden Fall aufgrund der nachträglichen Sanierung durch die telefonisch am 27.12.2023 ausgesprochene und der Klägerin zugegangene Kündigungserklärung determiniert.
3.4. Es ist daher in diesem Zusammenhang weder auf den Zeitpunkt abzustellen, an dem die Klägerin die Kündigung gegen sich gelten ließ (das wäre im vorliegenden Fall der 24.1.2024), noch ist ein weiterer Kündigungsausspruch samt allfälligen damit einhergehenden Zugangshindernissen zu fingieren. Es ist lediglich darauf abzustellen, zu welchem Zeitpunkt – unter Wegfall des besonderen Bestandschutzes – eine Kündigung ordnungsgemäß und damit wirksam vorgenommen werden hätte können.
3.5. Da keine „weitere“ bzw. keine „neue“ Kündigung zu fingieren ist, muss auch die Frage nicht geklärt werden, wann der Dienstgeber objektiv mit einer Kenntnisnahme der „neuen“ Kündigung durch den Empfänger rechnen hätte können. Es ist daher auch irrelevant, auf welchen Wochentag der 30.12.2023 fiel, ob die Klägerin zu diesem Zeitpunkt Urlaub konsumierte bzw. ob sie verpflichtet gewesen wäre, ihre E Mails an einem Wochenende oder im Urlaub abzurufen.
3.6. Vielmehr fällt der (für die Berechnung des Endes relevante) Beginn des fiktiven Fristenlaufs für die Kündigungsentschädigung unter Heranziehung der §§ 902 f ABGB, ausgehend vom 30.12.2023 als fristenauslösendes Ereignis, auf den auf das fristenauslösende Ereignis nachfolgenden Tag (8 ObS 15/07z; Reissner/Heinz-Ofner in Reissner AngG 4 § 20 Rz 29). Da die Kündigungsfrist am 31.12.2023 begann, steht der Klägerin – selbst unter der Annahme, dass die telefonische Kündigungserklärung weder Kündigungsfrist noch -termin enthielt – unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum Quartalsende, eine Kündigungsentschädigung zum nächstzulässigen Kündigungstermin und damit bis zum 31.3.2024 zu.
3.7. Eine darüber hinausgehende Kündigungsentschädigung vom 1.4.2024 bis 30.6.2024 steht der Klägerin hingegen nicht zu.
4. Der Berufung war daher Folge zu geben und die angefochtene Entscheidung insofern abzuändern, als das Klagebegehren unter Einschluss des bereits in Rechtskraft erwachsenen abweislichen Teils zur Gänze abzuweisen war.
V. Verfahrensrechtliches:
1. Die Abänderung der angefochtenen Entscheidung bedingt eine neue Kostenentscheidung für das Verfahren erster Instanz ( Obermaier , Kostenhandbuch 4 Rz 1.449; RS0035900). Die Beklagte obsiegt im erstinstanzlichen Verfahren in der ersten und der zweiten Phase zu 100 %. Sie hat daher Anspruch auf Ersatz der gesamten geltend gemachten Kosten laut Aufwandsersatzverordnung. Gegen die verzeichneten Kosten erhob die Klägerin keine Einwendungen gemäß § 54 Abs 1a ZPO. Offenbare, von Amts wegen wahrzunehmende Unrichtigkeiten liegen nicht vor. Insgesamt war die Klägerin daher zu einem Aufwandsersatz an die Beklagte in Höhe von EUR 1.055,-- zu verpflichten.
2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet auf §§ 2 ASGG, 50 Abs 1, 40, 41 Abs 1 ZPO. Aufgrund ihres vollen Berufungserfolgs hat die Klägerin der Beklagten die laut Aufwandsersatzverordnung richtig verzeichneten Kosten der Berufung in Höhe von insgesamt EUR 2.180,-- (darin enthalten EUR 1.500,-- an Pauschalgebühr) zu ersetzen.
3. Wie die Zitate belegen, konnte sich das Berufungsgericht hinsichtlich aller zu klärenden Rechtsfragen auf die gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs stützen. Eine Rechtsfrage im Sinn der §§ 2 Abs 1 ASGG, 502 Abs 1 ZPO war nicht zu lösen, weshalb die ordentliche Revision nicht zulässig ist.
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