10Bs191/25a – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr. Sutter (Vorsitz), Mag. Wieland und Mag a . Tröster in der Strafsache gegen A* B*wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB nach öffentlicher Verhandlung am 9. September 2025 in Anwesenheit der Oberstaatsanwältin Mag a . Dexer sowie des Angeklagten und seines Verteidigers Rechtsanwalt Mag. Janezic
I. über die Berufung der Staatsanwaltschaft Graz gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 12. Juni 2025, GZ **-42, zu Recht erkannt :
Spruch
Der Berufung wird dahin Folgegegeben, dass über A* B* in Anwendung des § 39a Abs 2 Z 4 StGB die Freiheitsstrafe von drei Jahren verhängt wird.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
II. den Beschluss gefasst :
Der Widerrufsbeschluss zum Verfahren AZ ** des Landesgerichts für Strafsachen Graz wird aufgehobenund gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO vom Widerruf der in diesem Verfahren gewährten bedingten Strafnachsicht unter Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre abgesehen.
Text
gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde - soweit hier relevant - der am ** geborene kosovarische Staatsangehörige A* B* des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB schuldig erkannt, nach § 87 Abs 1 StGB zur Freiheitsstrafe von drei Jahren, wovon gemäß § 43a Abs 4 StGB der Teil von zwei Jahren für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehen wurde, verurteilt und nach § 389 Abs 1 StPO zum Verfahrenskostenersatz verpflichtet.
Nach dem (rechtskräftigen) Schuldspruch hat er am 1. November 2024 in ** versucht, D* B* eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB) zuzufügen, indem er ihm mit einem Messer in den Schulterbereich stach (1 cm tiefe und 0,5 cm breite Stichwunde), wobei es mangels Eintritts einer schweren Verletzung beim Versuch blieb.
Gegen das Urteil richtet sich die zum Nachteil des Angeklagten ausgeführten Berufung der Staatsanwaltschaft, die die Verhängung einer höheren, jedenfalls aber gänzlich unbedingt ausgesprochenen Freiheitsstrafe anstrebt (ON 45).
Die Oberstaatsanwaltschaft trat in ihrer Stellungnahme vom 21. Juli 2025 dem Rechtsmittel bei.
Der Angeklagte beantragte in seiner Gegenausführung, der Berufung der Staatsanwaltschaft nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Zu I.:
Das Rechtsmittel hat in dem spruchgemäßen Umfang Erfolg.
§ 87 Abs 1 StGB sieht die Verhängung einer Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren vor. Bei der Strafrahmenbildung hat das Erstgericht jedoch übersehen, dass sich durch den Einsatz des Messers die Strafuntergrenze des § 87 Abs 1 StGB gemäß § 39a Abs 1 Z 4 iVm Abs 2 Z 4 StGB von einem auf zwei Jahre erhöht. Nach § 19 Abs 4 Z 1 JGG bleibt es auch für den jungen Erwachsenen bei der allgemeinen Strafdrohung, die fallbezogen von zwei bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe reicht, weil im Gegenstand eine strafbare Handlung gegen Leib und Leben vorliegt und diese mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens fünf Jahren bedroht ist (§ 19 Abs 4 Z 1 JGG). An den vom Erstgericht - zum Vorteil des Angeklagten - fehlerhaft zugrundegelegten Strafrahmen ist das Berufungsgericht nicht gebunden (vgl 15 Os 119/23y).
Ungeachtet der Anhebung der Mindeststrafdrohung wirkt beim Angeklagten der Einsatz der Waffe nach § 33 Abs 2 Z 6 StGB erschwerend, weil § 39a StGB eine den Strafsatz nicht bestimmende Strafrahmenvorschrift darstellt und sich das Doppelverwertungsverbot des § 32 Abs 2 erster Satz StGB nach jüngerer Rechtsprechung nur auf subsumtionsrelevante Umstände bezieht (RIS-Justiz RS0091527 [T 3], RS0130193). Außerdem wirken gemäß § 33 Abs 2 Z 2 StGB die erfolgte Gewaltanwendung gegen den Bruder und gemäß § 33 Abs 1 Z 2 StGB die einschlägige Vorstrafe (Verurteilung wegen Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB, wobei die verdeckten Delikte Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und [durch Gewalt ausgeübter] Widerstand gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB sind) aggravierend.
Mildernd ist die Tatbegehung nach dem 18. Lebensjahr und vor Vollendung des 21. Lebensjahrs (§ 34 Abs 1 Z 1 StGB). Dass das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung beim Versuch geblieben ist (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB), wird durch die tatsächlich beim Opfer eingetretene (wenn auch geringfügige) Verletzung relativiert. Die vom Erstgericht als mildernd herangezogene, nach den Ausführungen der Sachverständigen nur als geringgradig anzunehmende (ON 41, S 16) Herabsetzung der Dispositionsfähigkeit und Enthemmung wird durch den Vorwurf des gesetzlich verbotenen Suchtmittelkonsums – der Angeklagte wurde positiv auf Kokain und Marihuana getestet (ON 4.16) – aufgewogen.
Ferner bringt die Tatbegehung während der Probezeit unter dem Schuldaspekt eine gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Täters zum Ausdruck (§ 32 Abs 2 StGB).
Ausgehend von diesen Strafzumessungsgründen (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) ist aufgrund der Schuld des Angeklagten (§ 32 Abs 1 StGB) die Verhängung der – bereits vom Erstgericht ausgemessenen – Freiheitsstrafe von drei Jahren tat- und schuldangemessen. Diese Strafe entspricht sowohl spezial- als auch generalpräventiven Erfordernissen.
Die Voraussetzungen für eine (nur ausnahmsweise vorgesehene) teilweise bedingte Nachsicht der Strafe gemäß § 43a Abs 4 StGB liegen – wie im Rechtsmittel aufgezeigt – mit Blick auf die einschlägige Verurteilung zu AZ ** des Landesgerichts für Strafsachen Graz und die Tatbegehung in der Probezeit trotz der anlässlich der Vor-Verurteilung erteilten Weisungen, sich psychiatrischen Kontrolluntersuchungen sowie einer ambulanten Drogentherapie zu unterziehen, welche Umstände gegen die erforderliche qualifizierte Wohlverhaltensprognose sprechen, hingegen nicht vor.
Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet auf § 390a Abs 1 StPO.
Zu II.:
Aus Anlass der Verurteilung widerrief das Erstgericht mit gleichzeitig gefasstem Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO die dem Angeklagten im Verfahren des Landesgerichts für Strafsachen Graz zum AZ ** gewährte bedingte Strafnachsicht im Ausmaß von vier Monaten und ordnete mit gesondert ausgefertigtem Beschluss (ON 43) für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe an und erteilte dem Angeklagten (ohne seine Zustimmung; siehe aber § 51 Abs 3 StGB) die Weisung , sich einer Suchttherapie und einer Psychotherapie zu unterziehen.
Der vom Erstgericht gemäß § 494a StPO gefasste, zufolge Neubemessung der Strafe hinfällig gewordene Beschluss erfordert nach dem Konzept der Gesamtregelung der Straffrage eine Prüfung und Neubewertung durch das Rechtsmittelgericht ( Jerabek/Ropper in WK StPO § 498 Rz 8; Kirchbacher, StPO 15 § 494a Rz 5/1).
In Ansehung der aktuell verhängten Freiheitsstrafe erachtet das Berufungsgericht den Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu AZ ** des Landesgerichts für Strafsachen Graz im Ausmaß von vier Monaten nicht als zusätzlich erforderlich, um den Angeklagten von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Es kann daher mit der Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre das Auslangen gefunden werden.
Infolge Ausschaltung der teilbedingten Strafnachsicht sind die angeordnete Bewährungshilfe und die erteilte Weisung gegenstandslos.