JudikaturOLG Graz

4R116/25y – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
Schadenersatzrecht
25. Juni 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat als Berufungsgericht durch die Richterinnen Dr. in Angerer (Vorsitz), Mag. a Zeiler-Wlasich und Dr. in Jost-Draxl in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, Pensionist, **, vertreten durch Prutsch-Lang Damitner Rechtsanwälte OG in Graz, gegen die beklagte Partei Dr. B* , geboren am **, Unfallchirurg, **, vertreten durch Dr. Uwe Niernberger, Dr. in Angelika Kleewein, Rechtsanwälte in Graz, wegen EUR 58.487,97 samt Anhang und Feststellung (Interesse EUR 5.500,00), über die Berufung der klagenden Partei (Berufungsinteresse EUR 63.987,97) gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 27. November 2024, **, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 3.766,32 (darin EUR 627,72 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger leidet unter einer Adoleszentenskoliose und hat seit Jahrzehnten wiederkehrende Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule. Am 19. November 2018 führte der beklagte Arzt bei ihm im Wirbelsegment L3/L4 und L4/L5 eine Stabilisierungsoperation nach dem Verfahren XLIF [seitlicher Zugang] durch. Sowohl die Indikationsstellung als auch die Durchführung dieses Eingriffs entsprachen den Regeln der ärztlichen Kunst. Die Schmerzsymptomatik und die morphologischen Veränderungen an der Wirbelsäule waren durch konservative Therapiemaßnahmen nicht mehr zu behandeln und ein operatives Vorgehen war letztlich alternativlos. Neben der gewählten XLIF-Operationsmethode bestanden [nur den Zugang zur Wirbelsäule betreffende] Operationsalternativen zur Stabilisierung, mit denen gleiche Komplikationsrisiken ohne höhere Erfolgschancen einhergegangen wären.

Die postoperativ aufgetretene Schmerz- und Beschwerdesymptomatik beim Kläger – Schmerzen an anderer Stelle als präoperativ, Brennen an den Fußschaufeln bzw eine stärkere Polyneuropathie-Symptomatik (bzw eingeschränkte und schmerzhafte Beweglichkeit, Gefühlsstörungen im rechten Oberschenkel und der linken Hand, anfallsartige Krämpfe in beiden Unterschenkeln sowie Schmerzen seitlich des eingesetzten Implantats) – wurde durch die Operation verursacht und war ein diesem Eingriff immanentes Risiko, das auch bei einem lege artis durchgeführten Eingriff besteht. Zudem verwirklichte sich beim Kläger innerhalb relativ kurzer Zeit eine Anschlussdegeneration im Segment L5/S1, was ebenfalls ein der Operation immanentes – beim Kläger aufgrund seiner Skoliose noch erhöhtes – Risiko darstellt. Eine Polyneuropathie wird durch einen solchen operativen Eingriff nicht tangiert.

Spät- und Dauerfolgen aufgrund der Operation sind nicht mit Sicherheit auszuschließen und in Form der ausgeprägten Anschlussdegeneration im Segment L5/S1 bereits eingetreten. Eine Revisionsoperation in der Region L3/L4 und L4/L5 ist medizinisch nicht indiziert. Bei der postoperativ aufgetretenen Schmerz- und Beschwerdesymptomatik des Klägers handelt es sich um dauerhafte neuropathische Schmerzen. Insgesamt ist die Verschlechterung der Problematiken des Klägers bzw die Notwendigkeit einer intensiveren Schmerztherapie bzw das Ergebnis, dass die Operation zu keiner Verbesserung seiner Situation geführt hat, ein typisches Risiko des durchgeführten Eingriffs.

In diesem Arzthaftungsprozess begehrt der Kläger vom Beklagten die Zahlung von EUR 58.487,97 samt Zinsen (EUR 50.000,00 Schmerzengeld, EUR 7.132,11 Ersatz von Behandlungskosten und Barauslagen, EUR 1.355,86 Ersatz von Fahrtkosten und pauschalen Unkosten) sowie die mit EUR 5.500,00 bewertete Feststellung von dessen Haftung für sämtliche zukünftigen Schäden, welche in einem kausalen Zusammenhang mit der fehlerhaften Aufklärung betreffend die Operation vom 19. November 2018 und/oder mit der contra legem artis erfolgten Operation von jenem Tag stehen. Er wirft dem Beklagten eine falsche Indikationsstellung und intraoperative Fehler sowie – im Berufungsverfahren nur mehr relevant – Aufklärungspflichtverletzungen vor. Der Beklagte habe ihn nicht darüber informiert, dass auch ein „minimalinvasiver“ Eingriff zur Stabilisierung eines Wirbelsäulensegments gravierende Risiken und Komplikationen haben könne. Dass sich der Begriff „minimalinvasiv“ lediglich auf den operativen Zugang beziehe, sei dem Kläger nicht klar gewesen. Er habe den Vorschlag der Vornahme des „kleinsten operativen Eingriffs“ so verstanden, dass diese Operation mit keinen nennenswerten Risiken und Komplikationen einhergehe. Wäre ihm in ausreichender Deutlichkeit gesagt worden, dass gerade bei Patienten mit einer Skoliose ein nicht unwesentliches Risiko der Operation darin bestehe, dass keine merkliche Beschwerdebesserung eintrete, sogar die Gefahr einer deutlichen Verschlechterung der Schmerzsymptomatik bestehe, die möglicherweise dauerhaft bleibe, hätte er eine Risiko-Nutzen-Abwägung vornehmen können und sich dann für die Fortführung der konservativen Therapie, die zumindest zu einer aushaltbaren Linderung der Schmerzen geführt habe, und gegen die Operation entschieden. Damit wären ihm die massive Progredienz der Schmerzsymptomatik und die zahlreichen frustranen Schmerztherapien zumindest in diesem Ausmaß sowie die dauerhafte Schmerztherapie mit Opioiden bzw Morphin erspart geblieben.

Der Beklagte erwidert - bezogen auf den Vorwurf der Aufklärungspflichtverletzung -, er habe den Kläger umfassend über den Eingriff an sich sowie über Risiken, Komplikationen und Erfolgsaussichten aufgeklärt. Er habe zunächst zur weiteren Differenzierung und zum Ausreizen der konservativen Therapie am 24. September 2018 eine Ablation der Gelenksfacetten und Infiltration der Lendenwirbelsäule in den Segmenten L3 bis S1 vorgenommen und in der Bildgebung die Schmerzen auf Höhe L3 bis L5 lokalisiert. Bei der Besprechung am 2. Oktober 2018 sei der Kläger über die verschiedenen Möglichkeiten der weiteren Behandlung aufgeklärt, dabei – im Hinblick auf den vom Kläger bereits im Juli 2018 an der Universitätsklinik für Neurochirurgie ausgesprochenen Operationswunsch – die Möglichkeiten eines chirurgischen Eingriffs erörtert und der kleinste Eingriff einer Stabilisierung L3/L4 und L4/L5 mittels „XLIF“ angeboten worden. Am 18. November 2018 habe ein (weiteres) Aufklärungsgespräch stattgefunden, bei dem er dem Kläger unter Zuhilfenahme des Aufklärungsbogens, unter Anfertigung einer Skizze sowie mittels Präsentation eines Videos umfassend den Eingriff an sich erklärt und ihn über die Risiken und Erfolgsaussichten aufgeklärt habe. Er habe darauf hingewiesen, dass die Erfolgsaussichten einer solchen Operation individuell unterschiedlich seien und von vielen Faktoren abhingen, dass es keine Garantie für die Schmerzbeseitigung gebe und dass es zu massiven Komplikationen kommen könne. Bereits an der Universitätsklinik für Neurochirurgie sei der Kläger im Zusammenhang mit dem dort unterbreiteten Therapievorschlag umfassend aufgeklärt worden, unter anderem auch dahingehend, dass es zu einer Verschlechterung von Schmerzen vorübergehend oder bleibend kommen könne. Der Kläger habe aus eigenen Stücken die Operation gewollt und hätte – selbst wenn man von einem Aufklärungsfehler des Beklagten ausginge – auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in sämtliche vom Beklagten durchgeführte Eingriffe eingewilligt.

Mit dem angefochtenen Urteil weist das Erstgericht das Klagebegehren ab . Es trifft – über den eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt hinaus – die nachstehenden Feststellungen (die vom Kläger bekämpften [ a bis c ] werden wörtlich wiedergegeben und kursiv dargestellt):

Im Jahr 2018 nahmen die Schmerzen des Klägers im Bereich der Lendenwirbelsäule stark zu. Er unterzog sich im Juli 2018 in der Schmerzambulanz der Universitätsklinik C* konservativen Therapiemaßnahmen, die zu keiner merklichen Besserung seiner Beschwerden führten. Am 10. Juli 2018 vereinbarte er an der Universitätsklinik für Neurochirurgie C* (nach umfassender Aufklärung insbesondere auch zu den Operationsrisiken) zusätzlich zu den konservativen Therapiemaßnahmen einen Termin für eine Entlastungsoperation [chirurgischer Eingriff zur Erweiterung des Wirbelkanals, um die komprimierten Nervenwurzeln zu entlasten] im Segment L4/L5 links am 30. Oktober 2018, welchen er aber nicht wahrnahm.

Über Empfehlung eines Arztes der Schmerzambulanz der Universitätsklinik C* suchte der Kläger den Beklagten erstmals am 23. August 2018 auf. Aufgrund der vorgelegten Befunde bzw Röntgenbilder und der Beschreibung der Schmerzen besprach der Beklagte mit dem Kläger, dass zunächst die konservativen Therapien (Turnen, Trainieren, medikamentöse Schmerztherapie bzw Schmerzsonden) auszureizen seien und durch Infiltration die Diagnose zu sichern sowie die Schmerzursache zu eruieren sei.

Im Rahmen des zweiten Termins am 11. September 2018 riet der Beklagte zur Fortführung der konservativen Therapie und besprach mit dem Kläger die Behandlungsmöglichkeit der Gelenksfacettenablation [das ist eine reine Schmerztherapie, um die Weiterleitung der Schmerzsignale von den Gelenken zum Gehirn zu reduzieren], die er am 24. September 2018 auch durchführte, die jedoch letztlich keine Schmerzlinderung brachte.

Anlässlich des dritten Termins am 2. Oktober 2018 besprach der Beklagte mit dem Kläger die weiteren therapeutischen Möglichkeiten, insbesondere operative Alternativen, klärte den Kläger über die Vor- und Nachteile auf [a] und besprach mit ihm dabei die Operationsmethode der langstreckigen Stabilisierung sowie [a] die Stabilisationsoperation ausführlicher [a] , wobei speziell die operative Möglichkeit des kleinstmöglichen bzw minimal invasiven Eingriffs der Versteifung bzw Stabilisierung des Wirbelsäulenabschnitts L3/L4 und L4/L5 mittels XLIF im Vergleich zu einer langstreckigen Stabilisierung der Wirbelsäule aufgezeigt wurde [a] . Mitbesprochen wurden auch die möglichen Folgen einer Chronifizierung des Schmerzes und eine dadurch bedingte Depression bzw Somatisierungsstörung. Der Beklagte klärte den Kläger auch darüber auf, dass bei einer – wie in seinem Fall – ausgeprägten Deformation der Wirbelsäule eine gänzliche Schmerzeliminierung unwahrscheinlich sei (bzw es keine Garantie dafür gebe, dass die Schmerzen durch die Operation dann letztlich zur Gänze eliminiert werden) und möglicherweise eine weitere Stabilisierungsoperation notwendig sein könnte. Nach diesem Gespräch fasste der Kläger den Entschluss, die minimalinvasive Stabilisierungsoperation vom Beklagten durchführen zu lassen.

Am 18. November 2018 - einen Tag vor dem für den 19. November 2018 festgesetzten Operationstermin - fand ein weiteres rund 20-minütiges Aufklärungsgespräch durch den Beklagten statt. Er klärte den Kläger mit einem standardisierten Aufklärungsbogen über die gewählte Operationsmethode und über operationsrelevante sowie allgemeine Risiken und Erfolgsaussichten auf. Zum Operationsablauf zeigte er dem Kläger eine Skizze sowie ein kurzes Animationsvideo. Der Beklagte wies den Kläger dabei explizit [b] auf die relevantesten Komplikationsrisiken bzw die für die Wirbelsäulenchirurgie typischen Komplikationen, vor allem auf chronische Schmerzen, Lähmungen, sensible sowie motorische Störungen wie Missempfindungen, Taubheitsgefühl oder Harninkontinenz und neurogene Komplikationen hin, wobei beim Kläger als chronischem Schmerzpatienten die Aufklärung aufgrund einer schlechteren Prognose bzw eines höheren Komplikationspotenzials (dahingehend) [b] intensiver erfolgte.

Der Kläger unterfertigte das Aufklärungsformular, ohne es im Detail durchzulesen. Sämtliche mit der besprochenen Operation (typischerweise) verbundenen Risiken, Gefahren und Komplikationen waren im Aufklärungsbogen angeführt.

Der Kläger hätte sich insbesondere angesichts seiner langen Leidensgeschichte und der Vielzahl an erfolglosen Schmerztherapien letztlich aber jedenfalls für die durchgeführte Operation entschieden [c] . Ihm war auch bewusst, dass bei der Operation eine Stabilisierung der Wirbelsäule erfolgen wird.

In seiner rechtlichen Beurteilung verneint das Erstgericht nicht nur Behandlungsfehler, sondern auch Aufklärungsversäumnisse des Beklagten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers aus den Rechtsmittelgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Er beantragt die Abänderung des Ersturteils in Klagestattgebung; hilfsweise stellt er einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag. Der Beklagte erstattet eine Berufungsbeantwortung .

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung , über die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden konnte, ist nicht berechtig t.

I. Zu den Beweisrügen

1. An Stelle bzw unter Entfall der gerügten Passagen in den Feststellungen zu den Aufklärungsgesprächen am 2. Oktober 2018 [a] und am 18. November 2018 [b] sowie jeweils ergänzend dazu strebt der Kläger folgende Feststellungen an (die Abweichungen von den erstgerichtlichen Feststellungen sind kursiv gekennzeichnet):

Anlässlich des dritten Termins am 2. Oktober 2018 besprach der Beklagte mit dem Kläger die weiteren therapeutischen Möglichkeiten […] und besprach mit ihm dabei […] die Stabilisierungsoperation, wobei speziell die operative Möglichkeit des kleinstmöglichen bzw minimalinvasiven Eingriffs der Versteifung bzw Stabilisierung des Wirbelsäulenabschnitts L3/L4 und L4/L5 mittels XLIF […] aufgezeigt wurde. Der Beklagte klärte den Kläger dabei nicht darüber auf, was unter einem minimalinvasiven Eingriff zu verstehen ist und wie ein solcher Eingriff durchgeführt wird.

Der Beklagte wies den Kläger bei dem Aufklärungsgespräch am 18. November 2018 nur auf die relevantesten Komplikationsrisiken bzw die für die Wirbelsäulenchirurgie typischen Komplikationen, vor allem auf chronische Schmerzen, Lähmungen, sensible sowie motorische Störungen wie Missempfindungen, Taubheitsgefühl oder Harninkontinenz und neurogene Komplikationen hin. Beim Kläger als chronischem Schmerzpatienten erfolgte die Aufklärung aufgrund einer schlechteren Prognose bzw eines höheren Komplikationspotenzials dahingehend intensiver, jedoch ging der Beklagte bereits davon aus, dass der Kläger im Vorfeld bereits sehr gut vorinformiert war und er sich auch schon mit diversen Operationsmöglichkeiten selbständig beschäftigt hat. Eine Aufklärung darüber, dass es nach der Operation nicht nur zu einer Chronifizierung, sondern auch zu einer Verstärkung der Schmerzen kommen kann, fand jedoch nicht statt.

Der Beklagte habe gar nicht behauptet, dass er den Kläger über die Möglichkeit der Verstärkung der Schmerzen aufgeklärt und ihm die Bedeutung des Begriffs „minimalinvasiv“ erklärt hätte. Vielmehr habe er vorgebracht, dass er dem Kläger den Eingriff als den „kleinstmöglichen“ dargestellt habe. Daher sei es viel eher wahrscheinlich, dass der Kläger davon habe ausgehen dürfen, dass tatsächlich nur ein kleiner (im Sinne von kurz, gefahrenlos, schonend etc) Eingriff stattfinden werde, bei dem auch das Risiko entsprechend klein sei. Der Beklagte sei offenbar davon ausgegangen, dass sich der Kläger im Vorfeld bereits sehr gut informiert und mit diversen Operationsmöglichkeiten beschäftigt habe. Auch deshalb entspreche es viel eher der allgemeinen Lebenserfahrung, dass er ihn nicht vollständig über den Umfang eines „minimalinvasiven“ Eingriffs aufgeklärt habe.

1.2. Soweit der Berufungswerber den bloßen Entfall von Feststellungsteilen beim Gespräch der Streitteile am 2. Oktober 2018 im Zusammenhang mit Vor- und Nachteilen operativer Alternativen und in Bezug auf die „langstreckige Stabilisierung“ [a] begehrt, führt er die Beweisrüge nicht gesetzmäßig aus. Er legt nämlich weder dar, worin insoweit die unrichtige Beweiswürdigung des Erstgerichts gelegen sein soll, noch bringt er zum Ausdruck, aufgrund welcher Beweisergebnisse und Erwägungen die begehrte Ersatzfeststellung zu treffen gewesen wäre (vgl RIS-Justiz RS0041825 insbesondere [T3, T4, T5)].

Im Übrigen fußt die Klageabweisung ohnedies nicht auf den insoweit gerügten Feststellungen. Es steht nämlich zum einen unbekämpft fest, dass die Indikationsstellung für den gewählten Eingriff den Regeln der ärztlichen Kunst entsprach. Der dem Verfahren beigezogene medizinische Sachverständige machte deutlich, dass eine extrem aufwändige und extrem risikoreiche Korrektur der beim Kläger massivst eingesteiften Skoliose über die gesamte Strecke nicht indiziert, sondern vielmehr eine kurzstreckige Versorgung [also eine Versteifung nur im Bereich L3/L4 und L4/L5] anzustreben war (SV ON 23, 13). Zum anderen steht unbekämpft fest, dass die zum tatsächlich gewählten (XLIF seitlichen) Zugang alternativen Zugänge zum Operationsgebiet (TLIF oder PLIF vom Rücken her oder ALIF vom Bauchraum aus) mit den gleichen Komplikationsraten, jedoch ohne höhere Erfolgschancen einhergegangen wären (US 5). Der medizinische Sachverständige erklärte dazu anschaulich, dass es sich bei den verschiedenen Methoden bloß um unterschiedliche Zugangsvarianten („vom Bauch, von der Seite“) handle, hingegen „das, was an der Wirbelsäule passiert, immer dasselbe ist. Auf das Risiko bezogen auf die Wirbelsäule selbst, hat es [gemeint: der Zugang] keine Auswirkungen.“ (ON 34.4, 4).

1.3. Unrichtig ist, dass der Beklagte den Kläger nicht - wie dieser (ergänzend) festgestellt haben möchte - darüber aufgeklärt habe, wie ein minimalinvasiver Eingriff durchgeführt werde. Zwar nicht am 2. Oktober 2028, jedoch am 18. November 2028 zeigte der Beklagte dem Kläger nach den insoweit ungerügten Feststellungen (US 4) nämlich zum Operationsablauf eine Skizze sowie ein kurzes Animationsvideo.

1.4. Dass der Kläger sich unter dem Begriff „minimalinvasiv“ etwas anderes vorgestellt haben mag als (bloß) eine chirurgische Technik mit kleinen Schnitten [zur Minimierung von Gewebeschäden und Schmerzen], gestand ihm schon das Erstgericht in seiner Beweiswürdigung (US 7) zu. Das ändert aber nichts daran, dass ihm festgestelltermaßen bekannt war, dass es sich um eine operative Stabilisierung der Wirbelsäule (US 4) und dabei um den „kleinstmöglichen“ Eingriff der Versteifung, nämlich im Wirbelsäulenabschnitt L3/L4 und L4/L5, handelte (US 3f). Dass es sich aber um einen „kleinen“ im Sinne von „gefahrenlosen“ Eingriff handeln würde, konnte der Kläger schon angesichts der unstrittig aufgeklärten Risiken - wie chronische Schmerzen, Lähmungen, sensible und motorische Störungen, Harninkontinenz, neurogene Komplikationen - nicht ernsthaft annehmen. Weder aus der Dauer der Operation noch aus der gewählten minimalinvasiven Methode verwirklichten sich Risiken beim Kläger.

1.5. Dass der Beklagte ihn aufgrund seiner schlechteren Prognose und seines höheren Komplikationspotenzials intensiver über typische Komplikationen aufklärte, gesteht der Kläger selbst zu. Warum die (ergänzend angestrebte) Feststellung, der Beklagte sei davon ausgegangen, dass der Kläger im Vorfeld bereits sehr gut vorinformiert gewesen sei und sich auch schon mit diversen Operationsmöglichkeiten selbständig beschäftigt ha be, zu einem rechtlich für ihn günstigeren Ergebnis führen würde, ist dem Berufungsgericht nicht recht nachvollziehbar. Denn dazu müsste ja (auch) feststehen, dass diese Annahme des Beklagten falsch war, wofür der Berufungswerber aber nichts ins Treffen führt.

1.6. Richtig zeigt der Berufungswerber allerdings auf, dass der Beklagte seinem Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren, wonach dieser ihn präoperativ nicht über die Gefahr der - nun eingetretenen - deutlichen und dauerhaften Verschlechterung seiner Beschwerdesymptomatik aufgeklärt habe (Kläger ON 1, 17; ON 6, 3), gar nicht entgegengetreten war. Tatsächlich bezog sich der Beklagte nur auf den Aufklärungsbogen, aus dem sich nach seinem Dafürhalten ergäbe, dass der Kläger auch über die Komplikationen und Erfolgsaussichten aufgeklärt worden wäre (ON 7, 5). Im Aufklärungsbogen werden jedoch Komplikationen und Erfolgsaussichten getrennt behandelt und zu letzteren ausgeführt (Beilage X, 4: Fettdruck auch dort):

„Die Erfolgsaussichten sind individuell sehr unterschiedlich und von vielen Faktoren wie z.B. dem Verschleißgrad abhängig. Eine völlige Beschwerdefreiheit nach der Operation kann nicht garantiert werden. Ihr Arzt wird darüber gesondert mit Ihnen sprechen.“

Es wäre dem Beklagten ein Leichtes gewesen, auf den Vortrag des Klägers zu erwidern, dass er ihm im Gespräch vom 2. Oktober 2018 und/oder vom 18. November 2018 eine durch die geplante Operation mögliche dauerhafte Verschlechterung der Beschwerdesymptomatik vor Augen geführt habe. Eine solche Entgegnung brachte er aber nicht vor, vielmehr bezog er sich (neben dem schriftlichen Aufklärungsbogen) nur auf die umfassende Aufklärung der Universitätsklinik für Neurochirurgie C* auch zur „vorübergehenden oder bleibenden Verschlechterung von Schmerzen“ (ON 7, 5; Beilage P, 3), die allerdings eine ganz andere, für den 30. Oktober 2018 geplante [Entlastungs-]Operation im Bereich L4/L5 betraf (Beilage P, 3; vgl Feststellung US 3).

Der Umstand, dass der Beklagte den Kläger nicht in einem Gespräch darüber aufklärte, dass die dauerhafte Verschlechterung der Beschwerdesymptomatik ein der - selbst lege artis durchgeführten - Stabilisierungsoperation in den Abschnitten L3/L4 und L4/L5 immanentes Risiko ist , kann daher gemäß § 267 ZPO als unstrittig dem Verfahren zugrunde gelegt werden.

2. An Stelle der bekämpften Feststellung [c] zur Frage des rechtmäßigen Alternativverhaltens strebt der Berufungswerber nachstehende Ersatzfeststellung an:

Bei vollständiger Aufklärung, insbesondere über die Komplikationsfolgen und die nunmehr beim Kläger vorliegenden Beschwerden, hätte sich der Kläger keinesfalls für die durchgeführte Operation entschieden.

Er argumentiert, er habe entgegen der Ansicht des Erstgerichts die Operation an der Universitätsklinik für Neurochirurgie am 30. Oktober 2018 abgelehnt, weil ihm das Operationsrisiko zu groß gewesen sei, und nicht, weil er eine „bessere“ Option gefunden habe. Er habe schmerzfrei werden wollen. Aus der Zeitnähe der beiden Operationen sei nachvollziehbar, dass er schlichtweg seine Meinung geändert und eine andere Option gewählt habe. Dass er sich einmalig für die Option, die ihm - mangels vollständiger Aufklärung - als risikoärmer dargelegt worden sei, entschieden habe, lasse noch nicht den Rückschluss des Erstgerichts zu, dass er sich unabhängig von den damit verbundenen Risiken allein aufgrund der verwendeten Operationsmethode jedenfalls für den minimalinvasiven Eingriff entschieden hätte. Rechtlich folge aus der gewünschten Ersatzfeststellung - fehlende Einwilligung im Falle vollständiger Aufklärung - die Abweisung des Klagebegehrens.

2.1. Den beklagten Arzt trifft die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zur Operation erteilt hätte (RS0038485; RS0111528 [T1, T7, T8]). Bei dieser Frage handelt es sich um eine Tatfrage (RS9938485 [T16]; 6 Ob 75/23g), die das Innenleben eines Menschen betrifft. Sein Wille und seine Absichten können - insbesondere vom hier beweispflichtigen Prozessgegner - in aller Regel nicht unmittelbar (direkt) bewiesen werden, sondern es muss von erweislichen Tatsachen, die nicht unmittelbar den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen entsprechen, mit Hilfe von Erfahrungssätzen darauf geschlossen werden (mittelbarer oder indirekter Beweis) ( Rechberger in Fasching/Konecny 3 III/1 Vor § 266 ZPO Rz 44, 54 [Stand 1.8.2017, rdb.at]).

2.2. Dass der (sinngemäßen) Aussage des Klägers (ON 18.2, 6 und 11), er hätte sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die Komplikationsfolgen und die nun vorliegenden Beschwerden nicht operieren lassen, kein anderes unmittelbares Beweisergebnis entgegen steht, ist in Arzthaftungscausen kein Einzelfall: Diese Aussage mag keineswegs nur dem Prozessstandpunkt des Klägers zur Widerlegung des Einwands des rechtmäßigen Alternativverhaltens des Beklagten geschuldet sein, sondern resultiert vor allem aus einer - auch dem Berufungsgericht völlig verständlichen - ex post -Betrachtung. Wüsste der Patient vor einer Operation gesichert um die spätere tatsächliche Verwirklichung eines relevanten Risikos mit Dauerfolgen, würde er natürlich nicht sein Einverständnis zum Eingriff erteilen. Entscheidend ist aber die Würdigung der persönlichen Entscheidungssituation, in der sich der Kläger vor dem Eingriff befand und aus der heraus eine Zustimmung zur oder eine Ablehnung der Operation ex ante betrachtet verständlich wird. Maßgeblich ist also, ob eine vollständige Aufklärung den Kläger ernsthaft vor die Frage gestellt hätte, ob er seine Einwilligung erteilen soll oder nicht.

2.3. Der damals 66-jährige Kläger stand vor der Operation vom 19. November 2018 vor einer Situation, in der er seit Jahrzehnten wiederkehrende Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule hatte und konservative Therapiemaßnahmen ausgereizt waren (vgl auch SV ON 34.4, 3: Kortisoninfiltrationen brachten immer nur temporäre Schmerzlinderung, nicht aber eine dauerhafte Lösung des strukturellen Problems der Wirbelsäule und bargen darüber hinaus - bei Wiederholung immer mehr - die Gefahr von Infektionen und Kortisonnebenwirkungen). Seinem höchst verständlichen Wunsch nach dauerhafter Schmerzbefreiung entsprach als einzige Chance die indizierte, letztlich alternativlose XLIF-Stabilisierungs-Operation im Wirbelsäulensegment L3/L4 und L4/L5. Der Beklagte klärte ihn darüber auf, dass eine gänzliche Schmerzeliminierung angesichts seiner ausgeprägten Deformation der Wirbelsäule unwahrscheinlich sei. Diese schlechtere Prognose und das höhere Komplikationspotenzial nahm der Kläger bei seiner Entscheidung für die Operation bereits in Kauf. Die Schlussfolgerung, er hätte sich damals angesichts seiner bis dahin bereits langen Leidensgeschichte und der Vielzahl an erfolglosen Schmerztherapien auch in Kenntnis einer möglichen dauerhaften Verschlechterung seiner Schmerzzustände für die Operation vom 19. November 2018 entschieden, ist mit Blick auf die dadurch einzig gegebene Chance auf dauerhafte Beschwerdefreiheit, zumindest aber -besserung, deren Eintreten der Patient in seinem Fall ja primär erhofft, nicht zu beanstanden.

II. Zur Rechtsrüge

1. Der Berufungswerber argumentiert, dass der Beklagte ihn nach den Feststellungen nur über die „relevantesten“ Komplikationen, nicht aber über das bei ihm eingetretene Risiko der verstärkten Schmerzen sowie über das Ausmaß des Eingriffs aufgeklärt habe. Der Beklagte habe daher einen haftungsrelevanten Aufklärungsfehler zu verantworten. Der Berufungswerber vermisst in diesem Zusammenhang (näher bezeichnete) Feststellungen zu den Aufklärungsgesprächen am 2. Oktober 2018 und am 19. November 2018.

2. Grundlage für die Haftung eines Arztes wegen Verletzung der Aufklärungspflicht ist das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, in dessen körperliche Integrität durch die Behandlung eingegriffen wird. Der Patient muss daher in die konkrete Behandlungsmaßnahme einwilligen; Voraussetzung für seine sachgerechte Entscheidung ist eine entsprechende Aufklärung durch den Arzt (RS0118355). Der Patient kann nur dann wirksam einwilligen, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde (RS0026499). Für die nachteiligen Folgen einer ohne Einwilligung oder ausreichende Aufklärung vorgenommenen Behandlung des Patienten haftet der Arzt selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung kein Kunstfehler unterlaufen ist (RS0026783). Die Haftung des Arztes beschränkt sich bei Annahme einer Aufklärungspflichtverletzung auf die Verwirklichung des Risikos, auf das er hätte hinweisen müssen. Das pflichtwidrige Verhalten – der ohne ausreichende Aufklärung erfolgte und daher rechtswidrige Eingriff – muss den geltend gemachten Schaden verursacht haben (RS0026783 [T6, T9, T11]). Der Arzt ist von seiner Haftung wegen einer Aufklärungspflichtverletzung nur dann befreit, wenn er behauptet und beweist, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte (RS0038485).

3. Die Ausführungen des Berufungswerbers in der Rechtsrüge beziehen sich ausschließlich auf eine Aufklärungspflichtverletzung des Beklagten. Auch das Berufungsgericht sieht im fehlenden Hinweis auf das mit dem Eingriff typischerweise verbundene Risiko einer dauerhaften Verschlechterung der Beschwerdesymptomatik beim Kläger ein Aufklärungsversäumnis des Beklagten. Der Berufungswerber übersieht allerdings, dass er nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen dem Eingriff auch bei vollständiger Aufklärung zugestimmt hätte. Dem Beklagten ist damit der Beweis des rechtmäßigen Alternativverhaltens gelungen und er haftet für den beim Kläger eingetretenen Schaden nicht.

III. Zusammenfassung, Kosten, Zulassungsausspruch

1. Die Berufung des Klägers muss aus den angeführten Gründen scheitern. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat dem Beklagten die richtig verzeichneten Kosten der Berufungsbeantwortung zu ersetzen.

2. Der Ausspruch über die Nichtzulassung der ordentlichen Revision gründet auf § 500 Abs 2 Z 3 iVm § 502 Abs 1 ZPO. Der Umfang der Aufklärungspflicht hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und stellt keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung dar (RS0026763 [T5]). Die Frage, ob der Kläger auch bei vollständiger Aufklärung in die Operation eingewilligt hätte, ist eine nicht revisible Tatfrage (vgl RS9938485 [T16]; 6 Ob 75/23g).