JudikaturOGH

2Ob63/25s – OGH Entscheidung

Entscheidung
AGB-Recht
23. Oktober 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und Mag. Jelinek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. I* und 2. A*, beide vertreten durch Mag. Robert Haupt, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B*, vertreten durch DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 8.040 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Jänner 2025, GZ 1 R 175/24t 25, womit in Folge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 22. Juli 2024, GZ 9 C 829/23m 21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Die Schriftsätze der beklagten Partei vom 22. Mai 2025 und 17. Juli 2025 sowie die Schriftsätze der klagenden Parteien vom 23. Mai 2025, 28. Mai 2025 und 3. Juli 2025 werden zurückgewiesen.

II. Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird in der Hauptsache wie folgt abgeändert:

„Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien 8.040 EUR samt 4 % Zinsen seit 18. 2. 2024 binnen 14 Tagen zu zahlen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 9.444,73 EUR (darin enthalten 3.816,30 EUR Barauslagen und 938,07 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Die Kläger nahmen im Februar 2014 als Verbraucher bei der beklagten Bank einen Kredit über 268.000 EUR auf. Die Beklagte verrechnete dabei „3 % Bearbeitungsentgelt vom Kreditbetrag bei Zuzählung“. Der Kreditvertrag lautete auszugsweise:

„Im Gesamtbetrag bzw. in den Gesamtkosten sowie im Effektiven Jahreszinssatz sind mit Ausnahme der Notargebühren folgende einmalige Gebühren, Spesen und Entgelte, die wir Ihnen im Rahmen der Krediteröffnung verrechnen, enthalten. Diesbezüglich weisen Sie uns hiermit ausdrücklich an, die im Folgenden angeführten Beträge den jeweiligen Empfängerkonten gutzuschreiben:

[2] Die Kläger begehrten die Rückzahlung des Bearbeitungsentgelts von 8.040 EUR. Das Bearbeitungsentgelt, das nicht Teil des Entgelts für die Hauptleistungspflicht der Beklagten sei, sei in einem Vertragsformblatt vereinbart worden und unterliege der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle. Mangels konkreter Zusatzleistung sei das Entgelt missbräuchlich sowie intransparent. Angesichts der umfangreichen Aufzählung von „Spesen“, wie „Entgelt für Liegenschaftsbesichtigung und bewertung“, „Entgelt für Grundbuchsüberprüfung“, „Entgelt für Abwicklung über Treuhänder“ sei dem Durchschnittsverbraucher keineswegs mehr klar, was hinter dem „Bearbeitungsentgelt“ stecke und weshalb noch ein (weiteres) gesondertes Entgelt anfalle.

[3] Die Beklagtebestritt und wandte ein, dass durch die Bearbeitungsgebühr der durch die Bearbeitung des Geschäftsfalls entstehende Aufwand der Bank abgedeckt werde. Der Bearbeitungsgebühr stünden näher dargestellte Leistungen der Bank von durchschnittlich 19 Stunden gegenüber. Die Kreditbearbeitungsgebühr sei Teil der Hauptleistung und unterliege daher nicht der Kontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB. Sie sei im Übrigen weder gröblich benachteiligend noch intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG. Eine Überschneidung der Bearbeitungsgebühr mit anderen Entgelten, die sich ausreichend klar von dieser abgrenzen ließen, weil die jeweils abgegoltene Leistung aus der jeweiligen Entgeltbezeichnung hervorgehe, liege nicht vor.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Bearbeitungsentgelt betreffe die kontrollfreie Hauptleistung. Mangels Überschneidung mit anderen Entgelten liege auch keine Intransparenz vor. Wie die Beklagte die vereinnahmten Entgelte verwende, sei nicht maßgeblich.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Begriff „Bearbeitungsentgelt“ sei allgemein verständlich. Überschneidungen gebe es nicht, weil als Entgelt neben Zinsen und dem Bearbeitungsentgelt konkrete weitere Gebühren vereinbart worden seien, die nicht in der Sphäre der Beklagten, sondern bei anderen Institutionen entstanden seien. Dem Verbraucher sei damit klar, dass das (neben den externen Gebühren) vereinbarte Bearbeitungsentgelt gerade jenen Aufwand abdecke, der für die Bank selbst im Rahmen der Eingehung des Kreditvertrags entstehe.

[6] Die Revision ließ das Berufungsgericht im Hinblick auf die wegen der Vielzahl anhängiger Parallelverfahren gebotene Klarstellung zu.

[7] Dagegen richtet sich die Revision der Kläger mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn vollständiger Stattgebung der Klage abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist wegen einer aufzugreifenden Fehlbeurteilung zulässig und berechtigt .

[10]1. Vorauszuschicken ist, dass das Erstgericht über das Zinsbegehren für den Zeitraum 20. 2. 2014 bis einschließlich 19. 2. 2024 nicht erkannt hat. Mangels Ergänzungsantrags nach § 423 ZPO oder entsprechender Rüge in der Berufung ist das Zinsbegehren in diesem Umfang aus dem Verfahren ausgeschieden. Es genügt nicht, dass der Antrag des aus anderen Gründen erhobenen Rechtsmittels allgemein auf vollinhaltliche Anspruchsstattgebung gerichtet ist ( RS0041490 ; RS0041503 ; RS0039606 ).

[11] 2. Nach dem als Umsetzungsbestimmung zu Art 5 Satz 1 der Klausel Richtlinie 93/13/EWG (im Folgenden: Klausel RL) anzusehenden ( Kathrein/Schodtsch in KBB 6§ 6 KSchG Rz 31) § 6 Abs 3 KSchG ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Eine geltungserhaltende Reduktion einer nach § 6 Abs 3 KSchG intransparenten Klausel ist nach ständiger Rechtsprechung auch im Individualprozess ausgeschlossen ( RS0122168 ).

[12]2.1. Der Oberste Gerichtshof hat zu 6 Ob 13/16d ausgesprochen, dass der Begriff der „Bearbeitungsgebühr“ als Ausdruck des allgemeinen Sprachgebrauchs grundsätzlich nicht intransparent ist, sondern der gesonderte Ausweis dieses Entgelts – im Vergleich zur Verrechnung höherer Zinsen – die Preistransparenz sogar erhöhe.

[13] 2.2. Nach der Rechtsprechung des EuGH hat das in Art 5 Klausel RL enthaltene Transparenzgebot dieselbe Tragweite wie die in Art 4 Abs 2 Klausel RL enthaltene Forderung nach der klaren und verständlichen Abfassung von Klauseln (C 84/19, C 222/19 und C 252/19, Profi Credit Polska , Rn 72 mwN; C 321/22, Provident Polska , Rn 56). Das Transparenzgebot muss umfassend verstanden werden, sodass die Vertragsklausel nicht nur in grammatikalischer Hinsicht für den Verbraucher nachvollziehbar sein, sondern diesen auch in die Lage versetzen muss, auf der Grundlage genauer und nachvollziehbarer Kriterien die sich für ihn daraus ergebenden wirtschaftlichen Folgen einzuschätzen (C 84/19, C 222/19 und C 252/19, Profi Credit Polska , Rn 73 mwN; C 321/22, Provident Polska , Rn 56; C 280/24, Malicník , Rn 32). Mit anderen Worten bedarf der Verbraucher ausreichender Informationen bei Vertragsabschluss, damit er Kenntnis von Inhalt und Funktionsweise der Klausel, ihrer Rolle im Darlehensvertrag und den das Entgelt rechtfertigenden Gründen erlangt (C 224/19, C 259/19, Caixabank II , Rn 70). Es ist zwar nicht erforderlich, ausführliche Angaben zur Art aller Dienstleistungen zu machen, die als Gegenleistung für die Kosten erbracht werden, die dem Verbraucher auferlegt werden. Um jedoch dem Transparenzgebot Rechnung zu tragen, ist es wichtig, dass die Art der tatsächlich erbrachten Dienstleistungen anhand des Vertrags als Ganzes angemessen verstanden oder abgeleitet werden kann. Darüber hinaus muss der Verbraucher in der Lage sein, zu überprüfen, dass sich diese verschiedenen Entgelte oder damit vergütete Dienstleistungen nicht überschneiden (C 84/19, C 222/19 und C 252/19, Profi Credit Polska , Rn 75 mwN; C 321/22, Provident Polska , Rn 57; C 699/23, Caja Rural , Rn 35; C 280/24, Malicník , Rn 33). Die Nennung eines Prozentsatzes widerspricht als solches nicht dem Transparenzgebot (C 699/23, Caja Rural , Rn 54).

[14] 2.3. Ausgehend von dieser Rechtsprechung des EuGH hat der Senat zu 2 Ob 238/23y eine Vereinbarung in einem Kreditvertrag, die eine einmalige Bearbeitungsgebühr von 4 %, Erhebungsspesen von 75 EUR, Überweisungsspesen von 15 EUR und Kosten für Porto und Drucksorten von 25 EUR vorsah, als intransparent qualifiziert, weil sich für Verbraucher nicht ausreichend klar überprüfen ließ, inwieweit es hierdurch zu Überschneidungen und Doppelverrechnungen kommt. Entsprechendes gilt nach 4 Ob 181/24g für eine V ereinbarung, wonach neben einer einmaligen Bearbeitungsgebühr und einer Kontoführungsgebühr auch eine einmalige Erhebungsgebühr und eine einmalige Lohnvormerkgebühr geschuldet wird und der Kreditnehmer sich zusätzlich zur Zahlung sonstiger Kosten und Gebühren verpflichtet, die nur beispielhaft (Stundungsgebühren und Ratenplanänderungen) angeführt sind, sodass sich die Bearbeitungsgebühr nicht klar von anderen Zahlungspflichten abgrenzen lässt. Schließlich beurteilte der Oberste Gerichtshof zu 5 Ob 191 /24keine Bearbeitungsgebühr mangels Überprüfbarkeit der darin enthaltenen Leistungen als intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG, weil sich dem Klauselwerk nicht mit hinreichender Gewissheit entnehmen ließ, ob diese Bearbeitungsgebühr zusätzlich zum Währungsumrechnungsentgelt zu bezahlen war oder nicht.

[15]2.4. Auch im Anlassfall ist von Intransparenz iSd § 6 Abs 3 KSchG auszugehen. Eine Abgrenzung des mit 8.040 EUR vereinbarten Bearbeitungsentgelts zu den weiters vereinbarten Kosten – konkret zum „Entgelt für Liegenschaftsbesichtigung und -bewertung“, zum „Entgelt für Grundbuchsüberprüfung“ und zum „Entgelt für Abwicklung über Treuhänder“ – ist dem Verbraucher mit den ihm bei Vertragsabschluss zur Verfügung stehenden Informationen nicht möglich, sodass er die Art der tatsächlich erbrachten Dienstleistungen anhand des Vertrags als Ganzes nicht angemessen verstehen kann. Die Argumentation der Beklagten, wonach das Kreditbearbeitungsentgelt einerseits und die „spezifischen Einzelentgelte“ andererseits für den Verbraucher erkennbar unterschiedlichen Zwecken dienten, überzeugt nicht, weil die Beklagte in den AGB nicht offenlegt, für welche Leistungen sie das Bearbeitungsentgelt verlangt, sodass auch eine Abgrenzung zu den weiteren, im Detail beschriebenen Entgelten nicht möglich ist. Wieso die Entgelte für „Liegenschaftsbesichtigung und -bewertung“ sowie für „Grundbuchsüberprüfung“ und „Abwicklung über einen Treuhänder“ keine Tätigkeiten betreffen sollten, der bei der Bearbeitung und Bereitstellung des Kredits anfallen und damit nach allgemeinem Sprachgebrauch unter eine „Kreditbearbeitungsgebühr“ zu subsumieren sind (vgl 2 Ob 238/23y Rz 8 mwN), ist nicht ersichtlich. Zudem führt die Beklagte selbst in ihrer Auflistung des von ihr getätigten Aufwands von 19 Stunden ua die Position „Liegenschaftsbewertung“ an.

[16] Laimer(Kreditnebenkosten nach 2 Ob 238/23y, ÖJZ 2025/5, 16) geht davon aus, dass bei funktionell eindeutig unterscheidbaren und keine Dienstleistungen der Bank betreffenden Einzelentgelten vernünftiger Weise keine Überschneidung mit einem Kreditbearbeitungsentgelt anzunehmen sein wird und nennt als Beispiele die gesetzlich vorgesehene Gebühr für Grundbuchseintragungen, Kosten für Abfragen aus öffentlichen Büchern und Datenbanken, Kosten für die Liegenschaftsbewertung und Notariatsgebühren.

[17] Es bedarf im Anlassfall aber keiner näheren Auseinandersetzung mit dieser Rechtsansicht, weil die von der Beklagten in den AGB gewählten Formulierungen dem Verbraucher nicht hinreichend deutlich vor Augen führen, dass die Entgelte für Liegenschafts besichtigung und -bewertung sowie für Grundbuchs überprüfung und Abwicklung über einen Treuhänder keine mit dem Bearbeitungsentgelt abgegoltenen Dienstleistungen der Bank betreffen.

[18] 3. Näherer Ausführungen zur im Fall der Bejahung von Intransparenz nach europarechtlichen Vorgaben unabhängig vom Vorliegen einer Hauptleistung oder einer Frage der Preisangemessenheit iSd Art 4 Abs 2 Klausel RL gebotenen Prüfung von Missbräuchlichkeit (C 321/22, Provident Polska, Rn 58 mwN) bedarf es im Anlassfall aufgrund der sich nach österreichischem Recht an den Verstoß gegen § 6 Abs 3 KSchG knüpfenden Rechtsfolgen (siehe oben Punkt 2.) nicht.

[19] 4. Die Beklagte meint, dass sie sich auf die eine Zulässigkeit von Bearbeitungsentgelten bejahende Rechtsprechung (insbesondere die Entscheidung 6 Ob 13/16d) verlassen habe und eine nunmehr vorgenommene Missbräuchlichkeitsprüfung solcher Entgelte nach § 879 Abs 3 ABGB zu enormen Rückzahlungsverpflichtungen führen würde. Es sei damit eine Beschränkung der zeitlichen Urteilswirkungen geboten.

[20]Dem ist allgemein entgegenzuhalten, dass für zivilgerichtliche Erkenntnisse kein Rückwirkungsverbot gilt, sodass eine geänderte Rechtsprechung auch Sachverhalte erfassen kann, die sich davor verwirklicht haben (RS0109026). Da das Postulat einer „richtigen“ Entscheidung dem Schutz des Vertrauens des Rechtsanwenders vorgeht, muss stets mit einer Judikaturänderung gerechnet werden (10 Ob 65/17g; F. Bydlinski , Gegen die „Zeitzündertheorien“ bei der Rechtsprechungsänderung nach staatlichem und europäischem Recht, JBl 2001, 1 [17]; idS auch Kerschner/Kehrer in Klang 3§ 12 ABGB Rz 31 mwN).

[21]Außerdem beziehen sich die Ausführungen der Beklagten auf eine im Anlassfall gar nicht erfolgte Missbräuchlichkeitsprüfung des Bearbeitungsentgelts nach § 879 Abs 3 ABGB. Inwiefern und aus welchen konkreten Entscheidungen abgeleitet sie schützenswert auf die vom Obersten Gerichtshof im Anlassfall allein geprüfte Transparenz der konkret verrechneten Entgelte vertraut haben will, legt die Beklagte im Revisionsverfahren nicht dar.

[22] 5. Insgesamt war der Revision der Kläger damit Folge zu geben.

[23]6. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf § 41 (teils iVm § 50) ZPO. Der von den Klägern ausschließlich in ihrer Berufung begehrte Zuschlag von 50 % steht nicht zu. Worin der besondere Umfang im vorliegenden Fall gelegen sein sollte, ist nicht dargelegt.