JudikaturOGH

7Ob161/25i – OGH Entscheidung

Entscheidung
Versicherungsrecht
22. Oktober 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätin sowie die Hofräte Dr. Weber, Mag. Fitz, Mag. Jelinek und MMag. Dr. Dobler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* E*, vertreten durch Dr. Christian Ortner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei H* Versicherungs Aktiengesellschaft, *, vertreten durch die BLS Rechtsanwälte GmbH in Wien, und deren Nebenintervenientin S* GmbH, *, vertreten durch die Heid und Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 35.000 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 8. August 2025, GZ 4 R 62/25m 85, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger beantragte am 13. 4. 2022 bei der Beklagten den Abschluss einer Kasko und Haftpflichtversicherung für Wasserfahrzeuge.

[2] In der Nacht vom 16. auf den 17. 4. 2022 kam es auf der Motoryacht des Klägers zu einem Brandereignis, bei dem diese zu einem beträchtlichen Teil abbrannte.

[3] Am 21. 4. 2022 meldete der Kläger den Schadensfall der Beklagten. Am 19. 5. 2022 erklärte die Beklagte den Rücktritt vom Vertrag und lehnte die Erbringung einer Versicherungsleistung ab.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Rechtliche Beurteilung

[5] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers.

[6]1. Die behaupteten Mangelhaftigkeiten des Berufungsverfahrens wurden geprüft, liegen jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[7]2.1. Die vorvertragliche Anzeigeobliegenheit des Versicherungsnehmers erstreckt sich gemäß § 16 Abs 1 Satz 1 VersVG nur auf für die Übernahme der Gefahr erhebliche Umstände. Nach der Rechtsprechung ist zur Bejahung der Gefahrenerheblichkeit von Umständen nicht erforderlich, dass der Versicherer bei Kenntnis des wahren Sachverhalts den Vertrag tatsächlich abgelehnt oder nicht zu den bestimmten Bedingungen geschlossen hätte. Es reicht vielmehr aus, dass der vom Versicherer nachgewiesene Umstand bei objektiver Betrachtung geeignet ist, einen solchen Entschluss des Versicherers zu motivieren (vgl RS0080637 ).

[8]Die Erfüllung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit erschöpft sich nicht in der Beantwortung vom Versicherer gestellter Fragen, weil der Versicherungsnehmer nach § 16 Abs 1 Satz 1 VersVG beim Vertragsabschluss alle ihm bekannten gefahrerheblichen Umstände dem Versicherer anzuzeigen hat. Fälle, in denen der Versicherer dem Versicherungsnehmer gar keine Fragen oder keine Fragen stellte, die den gesetzlichen Anforderungen entsprechen, können daher die sogenannte „spontane Anzeigepflicht“ auslösen. Nicht ausdrücklich nachgefragte Umstände sind allerdings nicht schon wegen ihrer objektiven Gefahrenerheblichkeit mitzuteilen, sondern nur dann, wenn sich eine Frage konkludent auch auf sie bezieht, oder wenn ihre Mitteilung als selbstverständlich erscheint (vgl RS0119955 [insb auch T3]; RS0080641 [T5, T7]; kritisch etwa Horvath in Schauer, VersVG § 16 Rz 58 ff).

[9]Hat der Versicherungsnehmer einen (erheblichen) Umstand nicht angezeigt, nach dem der Versicherer nicht ausdrücklich und genau umschrieben gefragt hat, so kann dieser nach § 16 Abs 3 Satz 2 zweiter Halbsatz VersVG vom Vertrag nur dann zurücktreten, wenn die Anzeige vorsätzlich oder grob fahrlässig unterblieben ist. § 18 VersVG ist hier schon mangels Verwendung eines schriftlichen Fragenkatalogs durch den Versicherer nicht einschlägig (vgl Horvath in Schauer, VersVG § 16 Rz 106 ; Fischer in Fenyves/Perner/Riedler[2021] §§ 16–17 VersVG Rz 57 ff).

[10]Der genaue Umfang der Anzeigepflicht im Sinn des § 16 VersVG hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab (7 Ob 54/19w).

[11]2.2. An die vom Versicherten bzw Versicherungsnehmer bei Erfüllung seiner vorvertraglichen Anzeigepflicht anzuwendende Sorgfalt sind ganz erhebliche Anforderungen zu stellen (vgl RS0080641). Beim Grad der Fahrlässigkeit ist auf den Einzelfall abzustellen: Als brauchbare Anhaltspunkte, von denen die Beurteilung im Einzelnen abhängen kann, kommen die Gefährlichkeit der Situation, die zu einer Sorgfaltsanspannung führen sollte, der Wert der gefährdeten Interessen, das Interesse des Handelnden an seiner Vorgangsweise und schließlich die persönlichen Fähigkeiten des Handelnden in Betracht (RS0030331). Grobe Fahrlässigkeit erfordert, dass ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falls auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (RS0030272).

[12] 2.3. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Mitteilung von dem Kläger bekannten gravierenden technischen Problemen und von der umfassenden Reparaturnotwendigkeit der Yacht geradezu selbstverständlich erscheine und dass deren Unterlassung eine grob fahrlässige Verletzung der Anzeigeobliegenheit begründe, bedarf keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof, weil diese Informationen – für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer klar erkennbar – für die Risikoübernahme des Versicherers relevant sind und angesichts der Gefährlichkeit und der leicht erkennbaren Relevanz der anzuzeigenden Umstände sowie der mehrfachen Unterlassungen des Klägers eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht vorliegt. Ob die Nebenintervenientin Maklerin oder Agentin ist, hat im vorliegenden Fall keine Relevanz, weil der Kläger auch dieser die ihm bekannten Informationen über den mangelhaften technischen Zustand der Yacht nicht mitgeteilt hat.

[13]3. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).