JudikaturOGH

10ObS91/25t – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. September 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hargassner als Vorsitzenden, den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi und den Hofrat Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Markus Schrottmeyer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Mag. Daniel Kirch, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Juli 2025, GZ 7 Rs 58/25p 29, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Der 1959 geborene Kläger genießt keinen Berufsschutz und kann aufgrund seines (näher festgestellten) eingeschränkten Leistungskalküls weiterhin Tätigkeiten als Tagportier oder einfache Aufsichtstätigkeiten wie im Eingangsbereich von beispielsweise Produktionsstätten ausüben. Diese (nach ihren Anforderungsprofilen näher festgestellten) Verweisungstätigkeiten sind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in ausreichender Anzahl (100 Stellen) vorhanden.

[2] Die Vorinstanzen wiesen das auf Gewährung einer Invaliditätspension ab 1. 12. 2023 im gesetzlichen Ausmaß, hilfsweise von Maßnahmen der medizinischen oder beruflichen Rehabilitation gerichtete Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht sah die in der Berufung geltend gemachte Beweisrüge als nicht gesetzmäßig ausgeführt an und begründete dies damit, dass irgendwelche Zweifel an der Beweiswürdigung des Erstgerichts und dessen darauf aufbauenden Tatsachenschlüssen dadurch nicht geweckt würden. Es folgte auch der (eine Änderung des Berufsbilds des Tagportiers behauptende) Rechtsrüge in der Berufung nicht und verneinte die (zum medizinischen Leistungskalkül und zu den Anforderungen in den Verweisungstätigkeiten) geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die außerordentliche Revisiondes Klägers ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[4] 1. Eine mangelhafte oder unzureichende Beweiswürdigung kann im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht angefochten werden. Setzt sich das Berufungsgericht mit der in der Berufung enthaltenen Beweisrüge jedoch überhaupt nicht auseinander – etwa weil es unrichtig davon ausgeht, diese sei nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RS0043371 [T19]) – liegt ein Mangel des Berufungsverfahrens vor ( RS0043371 ). Eine knapp gehaltene Begründung, die noch erkennen lässt, dass eine Prüfung stattgefunden hat, ist ausreichend ( RS0043371 [T4, T18]).

[5] 1.1. Um die Beweisrüge gesetzmäßig auszuführen, muss der Berufungswerber nach ständiger Rechtsprechung angeben, welche konkrete Feststellung bekämpft wird, infolge welcher unrichtigen Beweiswürdigung sie getroffen wurde, welche Feststellung begehrt wird und aufgrund welcher Beweisergebnisse und Erwägungen diese begehrte Feststellung zu treffen gewesen wäre ( RS0041835[insb T5]). Ob eine Beweisrüge im Einzelfall dem Gesetz gemäß ausgeführt ist, stellt regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar ( RS0041835 [T10]).

[6] 1.2. Der Kläger führte in der Berufung die bekämpften und die begehrten Feststellungen ausdrücklich an. Er setzte sich in der Berufung überdies mit der vom Erstgericht angestellten Beweiswürdigung (den Verweis auf die eingeholten Sachverständigengutachten) auseinander und führte die Beweismittel und Erwägungen an, aufgrund derer die begehrten Feststellungen zu treffen gewesen wären, indem er auf den weiteren Inhalt der Sachverständigengutachten – die darin festgehaltenen Diagnosen und seinen daraus ableitbaren körperlichen Zustand – verwies, was seiner Ansicht nach gegen die von den Sachverständigen gezogenen Schlüsse und für die begehrten Ersatzfeststellungen gesprochen habe.

[7] 1.3. Damit erfüllte die Beweisrüge des Klägers in der Berufung die vom Obersten Gerichtshof aufgestellten Kriterien und sie war somit – entgegen der gegenteiligen Behauptung des Berufungsgerichts – gesetzmäßig ausgeführt. Ob die im Rahmen der Beweisrüge angestellten Erwägungen die Beweiswürdigung des Erstgerichts zu erschüttern vermögen und für die begehrten Ersatzfeststellungen sprechen, ist demgegenüber im Rahmen der Behandlung der Beweisrüge zu prüfen. Soweit das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang darauf abstellt, ob die Ausführungen der Beweisrüge Zweifel an den getroffenen Feststellungen weckten, vermischt es daher die Anforderungen an eine gesetzmäßig ausgeführte Beweisrüge mit ihrer Begründetheit.

[8] 1.4. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt allerdings im Ergebnis nicht vor. Der dennoch erfolgten inhaltlichen Beurteilung des Berufungsgerichts ist (gerade noch) hinreichend deutlich zu entnehmen, dass eine Prüfung der Beweisrüge stattfand und das Berufungsgericht keine Bedenken gegen die getroffenen Feststellungen hegte. Der in der Revision gerügte Verfahrensmangel liegt daher nicht vor.

[9] 2. Im Rahmen der Rechtsrüge wiederholt der Kläger seinen bereits in der Berufung vertretenen Standpunkt, das Berufsbild des Tagportiers habe sich geändert, und er macht sekundäre Feststellungsmängel geltend.

[10] 2.1. Die Feststellung des medizinischen Leistungskalküls und der Anforderungen in den Verweisungsberufen gehört ausschließlich dem Tatsachenbereich an ( RS0043118) und ist daher einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, entzogen. Mit der Behauptung eines anderen (eingeschränkteren) Leistungskalküls oder abweichender Anforderungsprofile geht der Kläger vielmehr nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, sodass die außerordentliche Revision schon deswegen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zur Darstellung bringt.

[11] 2.2.Soweit sich der Kläger auf die Rechtsprechung beruft, nach der Tatsachenfeststellungen dann (ausnahmsweise) einer Überprüfung im Rahmen der Rechtsrüge nach § 503 Z 4 ZPO zugänglich sind, wenn sie auf Schlussfolgerungen beruhen, die mit den Gesetzen der Logik und der Erfahrung unvereinbar sind ( RS0043503 [T4]; RS0043521 [T2]; RS0118604 [T10]), liegt ein solcher Fall hier nicht vor. Die Annahme der Vorinstanzen, dass der Kläger den festgestellten Verweisungstätigkeiten unter den aktuellen Bedingungen des Arbeitsmarkts aufgrund des festgestellten Leistungskalküls noch nachgehen kann, widerspricht weder den Gesetzen der Logik noch den allgemein anerkannten Erfahrungssätzen. Der Umstand, dass am allgemeinen Arbeitsmarkt zahlreiche mit diesen Verweisungstätigkeiten verwandte Tätigkeiten ausgeübt werden, deren Anforderungsprofile anspruchsvoller sind und die der Kläger aufgrund seines Leistungskalküls nicht mehr ausüben kann, spricht nicht dagegen, dass am allgemeinen Arbeitsmarkt zumindest 100 Arbeitsplätze mit den festgestellten Anforderungsprofilen bestehen.

[12] 2.3. Das Erstgericht traf Feststellungen zum medizinischen Leistungskalkül des Klägers und zu den Anforderungen in den genannten Verweisungsberufen. Wenn zu einem bestimmten Thema Tatsachenfeststellungen getroffen wurden, mögen diese auch von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweichen, können diesbezüglich auch keine rechtlichen Feststellungsmängel erfolgreich geltend gemacht werden ( RS0053317 [T1]). Die in der außerordentlichen Revision behaupteten sekundären Feststellungsmängel liegen somit nicht vor.