21Ds2/25v – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 9. September 2025 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger als Vorsitzende, durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Wurzer als weiteren Richter sowie durch die Rechtsanwältin Dr. Hausmann und den Rechtsanwalt Univ. Prof. Dr. Harrer als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, über die Beschwerde des Kammeranwalt Stellvertreters gegen den Beschluss der * Rechtsanwaltskammer vom 3. Dezember 2024, GZ D 30/22 51, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019) den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
[1]Mit dem angefochtenen Beschluss hat der Disziplinarrat (als erweiterter Senat; § 15 Abs 3 Z 1 DSt) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 19 Abs 2 DSt)
1./ den Antrag des Kammeranwalt-Stellvertreters, dem Disziplinarbeschuldigten gemäß § 19 Abs 1 Z 1 iVm Abs 3 Z 1 lit d DSt für die Dauer von sechs Monaten die Ausübung der Rechtsanwaltschaft vorläufig zu untersagen, abgewiesen,
2./ dem Disziplinarbeschuldigten gemäß § 19 Abs 1 Z 1 iVm Abs 3 Z 1 lit b DSt das Vertretungsrecht in Strafsachen vor den im Sprengel des Landesgerichts * gelegenen Bezirksgerichten, dem Landesgericht *, dem Oberlandesgericht * und dem Obersten Gerichtshof sowie vor den „Bezirksanwaltschaften im Sprengel des Landesgerichts *“, der Staatsanwaltschaft *, der Oberstaatsanwaltschaft * und der Generalprokuratur entzogen,
3./ die Selbstverpflichtungserklärung des Disziplinarbeschuldigten, Beilage ./B zur Äußerung vom 24. Oktober 2024, TZ 42 (bis zur rechtskräftigen Beendigung des Strafverfahrens AZ * des Landesgerichts * und des gegenständlichen Disziplinarverfahrens keine Treuhandschaften im Zusammenhang mit Kaufverträgen und sonstigen Vermögenstransaktionen zu übernehmen und durchzuführen; BS 4) zur Kenntnis genommen.
[2]Dagegen richtet sich die Beschwerde des Kammeranwalt-Stellvertreters, mit der die Verhängung der einstweiligen Maßnahme der vorläufigen Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft gemäß § 19 Abs 1 Z 1 iVm Abs 3 Z 1 lit d DSt angestrebt wird.
[3] Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.
Zusammengefasst ist von folgendem – für das Beschwerdeverfahren relevantem – Sachverhalt auszugehen (vgl BS 1 ff):
[4] * ist seit Oktober 2016 in die Liste der Rechtsanwälte der * Rechtsanwaltskammer eingetragen. Die Ausübung der Rechtsanwaltschaft ist seine einzige Erwerbsquelle; er ist für seine Frau und zwei minderjährige Kinder sorgepflichtig (vgl TZ 42 S 4 f, TZ 55 S 7 ff).
[5] Am 14. Oktober 2019 wurden zwischen der am 23. Mai 1936 geborenen G* als Verkäuferin und der M* GmbH als Käuferin drei Kaufverträge betreffend die Liegenschaft EZ *, Bezirksgericht *, über mehrere Grundstücke bzw Grundstücksanteile samt einer (Zusatz-)Vereinbarung betreffend ua eine Pachtfläche der Ö* mit einem Gesamtkaufpreis in der Höhe von 750.000 Euro geschlossen und in der Folge verbüchert (vgl ON 165.3 und ON 9.3 in AZ * Landesgericht *).
[6] Der Disziplinarbeschuldigte war verantwortlicher Vertragserrichter.
[7] Mit Beschluss des Bezirksgerichts * vom 15. Juni 2020, AZ *, wurde für G* ein Erwachsenenvertreter bestellt. Dieser brachte zu AZ * des Landesgerichts * eine Klage auf Rückabwicklung der angeführten Verträge ua wegen mangelnder Geschäftsfähigkeit der G* und laesio enormis ein. Mit in diesem Verfahren ergangene m Urteil des Landesgerichts * vom 23. März 2023 wurden ua die in Rede stehenden Kaufverträge und der den Pachtvertrag mit den Ö* betreffende Teil der Zusatzvereinbarung wegen Geschäftsunfähigkeit der mittlerweile (am 2. Juni 2022 verstorbenen) G* aufgehoben; dieses Urteil wurde mit Urteil des Oberlandesgericht * als Berufungsgericht vom 7. September 2023, AZ *, bestätigt (vgl ON 9.3 und ON 63 in AZ * Landesgericht *). In der Folge wurde die Rückabwicklung durchgeführt.
[8]Mit – infolge Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung – nicht rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts * als Schöffengericht vom 8. Oktober 2024, GZ *, wurde der Disziplinarbeschuldigte des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB und des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, wovon gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Teil von 12 Monaten unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde.
[9] Über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Disziplinarbeschuldigten und weiterer Beteiligter hat der Oberste Gerichtshof noch nicht entschieden.
[10] Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat * (zusammengefasst)
1./ zwischen September 2019 und April 2020 – im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einer Immobilienmaklerin, den beiden Geschäftsführern der M* GmbH sowie einer Rechtsanwältin – mit auf unrechtmäßige Bereicherung (insbesondere der M* GmbH) gerichtetem Vorsatz G* durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen verleitet, die die Genannte in einem 300.000 Euro übersteigenden Betrag (in Höhe von zumindest 500.000 Euro) am Vermögen schädigten, indem er als Rechtsanwalt und Errichter der drei Kaufverträge zwischen G* als Verkäuferin und der M* GmbH als Käuferin betreffend die vorgenannte Liegenschaft samt einer (Zusatz-)Vereinbarung betreffend ua eine Pachtfläche der Ö* G* über den wahren Wert der Liegenschaft und Pachtrechte täuschte und vorgab, der Gesamtkaufpreis von 750.000 Euro wäre angemessen, und diese so am 14. Oktober 2019 zur Unterfertigung der in Rede stehenden Verträge sowie in der Folge zur Übertragung bzw Überlassung der Liegenschaft und Rechte an die M* GmbH veranlasste,
2./ am 15. Juni 2021 vor dem Landesgericht * im Verfahren als Zeuge bei seiner förmlichen Vernehmung betreffend die Vereinbarung über die Pachtfläche zur Sache falsch ausgesagt (vgl ON 4.20.2 in AZ * Land esgericht *).
[11] Mit Eingabe vom 16. Oktober 2024 (TZ 40) regte der Kammeranwalt-Stellvertreter an (vgl hiezu Lehner in Engelhart et al, RAO 11§ 19 DSt Rz 27), über den Disziplinarbeschuldigten gemäß § 19 Abs 1 Z 1 iVm Abs 3 Z 1 lit d DSt die einstweilige Maßnahme der vorläufigen Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von sechs Monaten zu verhängen.
[12] Im angefochtenen Beschluss hält der Disziplinarrat fest (BS 5 ff), dass die – nicht rechtskräftige – Verurteilung des Disziplinarbeschuldigten die Annahme einer „konkreten und nachvollziehbaren Verdachtslage“ bedinge und eine Abwägung der Besorgnis schwerer Nachteile für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung oder für das Ansehen des Standes mit „den Rechtsgütern der Freiheit der Berufsausübung und dem Recht der Erzielung von Einkünften“ vorzunehmen sei. Die vom Kammeranwalt Stellvertreter angeregte Maßnahme bedeute ein vorläufiges Berufsverbot, das die Existenz des Disziplinarbeschuldigten und seiner Familie bedrohe. Zu bedenken sei ferner, dass die Maßnahme nach sechs Monaten außer Kraft trete und nur verlängert werden könne, wenn dies zur Vermeidung von schweren Nachteilen für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung unbedingt notwendig sei. Es sei nicht damit zu rechnen, dass das Strafverfahren vor Ablauf von sechs Monaten, allenfalls vor Ablauf eines Jahres rechtskräftig beendet sei. Im Fall eines Freispruchs wäre die Maßnahme unberechtigt gewesen, im Fall eines Änderungsbedarfs bei rechtskräftiger Verurteilung wäre neu zu entscheiden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung gelte zudem die Unschuldsvermutung. Der Disziplinarbeschuldigte sei unbescholten und es seien seit der vorgeworfenen Tat bereits fünf Jahre verstrichen. Die mediale Stimmungslage dürfe keinen Einfluss auf die Entscheidung haben. Bei Abwägung all dieser Umstände erschienen die beschlossenen Maßnahmen ausreichend.
[13] Der Kammeranwalt-Stellvertreter weist in seiner Beschwerde zusammengefasst darauf hin, dass der Disziplinarbeschuldigte nach der – im Hinblick auf das Vorliegen eines nicht rechtskräftigen Schuldspruchs – verdichteten Verdachtslage nicht nur eine Straftat gegen fremdes Vermögen in Ausübung seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt begangen, sondern auch versucht habe, die Aufklärung des Sachverhalts durch die Gerichte zu vereiteln, indem er in jenem Zivilprozess, der ua seine Verantwortlichkeit beleuchten sollte, vorsätzlich falsch ausgesagt habe. Gerade dieses, der Verschleierung dienende Verhalten verdeutliche, dass tatsächliche und in Betracht kommende Klienten des Disziplinarbeschuldigten vor potentieller Schädigung geschützt werden müssen. Da der Schwerpunkt der Tätigkeit des Disziplinarbeschuldigten im Bereich von Liegenschaftstransaktionen liege und er in diesem Bereich strafbares, eine Klientin schädigendes Verhalten gesetzt habe, sei ein vorläufiges Vertretungsverbot in Strafsachen nicht geeignet, Klienten vor gleichartigen Schädigungen zu bewahren. Zudem sei über das Strafverfahren österreichweit medial berichtet worden und habe das Verhalten des Disziplinarbeschuldigten das Ansehen des Standes massiv beeinträchtigt. Der Disziplinarbeschuldigte werde durch die begehrte Maßnahme auch nicht unverhältnismäßig in seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigt.
[14] Der Disziplinarbeschuldigte beantragt, der Beschwerde keine Folge zu geben, in eventu zusätzlich die einstweilige Maßnahme der Kontrolle der Kanzleiführung durch den Ausschuss zu verhängen (OZ 55 S 54).
[15] Zusammengefasst bestreitet der Disziplinarbeschuldigte in seiner Äußerung (OZ 55) eine vorsätzliche Täuschung über den Wert der Liegenschaft und eine damit im Zusammenhang stehende Falschaussage, verweist darauf, dass die begehrte Maßnahme seine Existenz gefährden würde, und meint, seine Selbstverpflichtungserklärung wäre ausreichend bzw würde auch eine Kontrolle der Kanzleiführung genügen.
Der erkennende Senat hat erwogen:
[16]Die Rolle des Obersten Gerichtshofs im Beschwerdeverfahren nach dem DSt (§§ 46, 56) ist nicht auf eine Rechtskontrolle des angefochtenen Beschlusses beschränkt, vielmehr stellt seine Entscheidung – sofern er die Beschwerde nicht als unzulässig zurückweist oder kassatorisch vorgeht – ein iudicium novum dar, das ohne Bindung an ein Neuerungsverbot oder das Beschwerdevorbringen ergeht (§ 89 Abs 2b StPO iVm § 77 Abs 3 DSt; vgl Ratz, WK-StPO Vor §§ 280–296a Rz 6/1; vgl 30 Ds 3/19y). Dem Höchstgericht kommt daher – ebenso wie zuvor dem Disziplinarrat – das in § 19 DSt normierte Auswahlermessen zu.
[17]Gemäß § 19 Abs 1 Z 1 DSt kann der Disziplinarrat gegen einen Rechtsanwalt einstweilige Maßnahmen beschließen, wenn – wie hier – gegen den Rechtsanwalt als Angeklagten (§ 48 Abs 1 Z 3 StPO) ein Strafverfahren nach der StPO geführt wird und die einstweilige Maßnahme mit Rücksicht auf die Art und das Gewicht des dem Rechtsanwalt zur Last gelegten Disziplinarvergehens wegen zu besorgender schwerer Nachteile, besonders für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung oder das Ansehen des Standes erforderlich ist.
[18]Als einstweilige Maßnahmen kommen gemäß § 19 Abs 3 Z 1 DSt unter anderem die Kontrolle der Kanzleiführung durch den Ausschuss (lit a), die Entziehung des Vertretungsrechts vor bestimmten oder allen Gerichten, Staatsanwaltschaften oder Verwaltungsbehörden (lit b) sowie die vorläufige Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft (lit d) in Betracht.
[19]Bei der (Ermessens-)Entscheidung über die Verhängung einer einstweiligen Maßnahme und die Auswahl der konkreten Maßnahme ist dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 5 Abs 1 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) Rechnung zu tragen, wobei die gelindeste zum Ziel führende Maßnahme (§ 5 Abs 2 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) zu verhängen (vgl Lehner in Engelhart et al, RAO 11§ 19 DSt Rz 2 f) und auch eine Selbstverpflichtungserklärung des Disziplinarbeschuldigten zu berücksichtigen ist (vgl RISJustiz RS0125185; Lehner in Engelhart et al, RAO 11§ 19 DSt Rz 4).
[20] Demnach waren der Inhalt des gegen den Beschuldigten geführten Strafverfahrens und die Umstände, dass die dort zu beurteilenden Sachverhalte aus den Jahren 2019/2020 bzw 2021 stammen und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der – straf- wie disziplinarrechtlich unbescholtene – Beschuldigte vor diesem Zeitpunkt oder auch danach durch die Art der Ausübung seiner anwaltlichen Tätigkeit der rechtsuchenden Bevölkerung Nachteile zugefügt hätte, ebenso in den Blick zu nehmen wie – soweit das Ansehen des Standes berührend – die vom Geschehen hervorgerufene mediale Berichterstattung.
[21] A us welchem Grund die weitere Berufsausübung zu einer erheblichen Beeinträchtigung anvertrauten fremden Vermögens, insbesondere im Zusammenhang mit der Fremdgeldgebarung des Beschuldigten, führen könnte, vermag die Beschwerde nicht aufzuzeigen.
[22] Vorliegend bietet der Entzug des Vertretungsrechts in Strafsachen im Zusammenhang mit der Selbstverpflichtungserklärung des Disziplinarbeschuldigten (auch ohne Kontrolle der Kanzleiführung durch den Ausschuss) aus Sicht des Obersten Gerichtshofs eine hinreichende Grundlage für die Annahme, dass die vom Kammeranwalt-Stellvertreter angestrebte Maßnahme – mit Blick auf das Ansehen des Standes, aber auch auf die erhebliche Betroffenheit des Beschuldigten von einem möglichen Verbot der Berufsausübung – nicht erforderlich ist, um ein den Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung abträgliches Verhalten des Beschuldigten hintanzuhalten.
[23] Der Beschwerde war daher ein Erfolg zu versagen.