JudikaturOGH

5Ob96/25s – OGH Entscheidung

Entscheidung
Zivilrecht
05. August 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Painsi, Dr. Weixelbraun Mohr, Dr. Steger und Dr. Pfurtscheller als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. H*, 2. U*, 3. M*, 4. J*, 5. M*, 6. C*, 7. D*, 8. T*, 9. I*, 10. G*, 11. P*, 12. H*, 13. D*, 14. U*, 15. I*, 16. W*, 17. D*, 18. I*, 19. E*, 21. W*, 22. S*, 23 . M*, 24. G*, 27. R*, 28. A*, 29. M*, 30. M*, 31. L*, 32. B*, 33. U*, 34. A*, 35. E*, 36. A*, 37. D*, 38. A*, 39. D*, 41. D*, 42. B*, 43. L*, 44. M*, 45. S*, 46. M*, 47. I*, 48. M*, 49. R*, 50. D*, 51. M*, 52. E*, 53. A*, 54. R*, 55. W*, 56. T*, 57. R*, 58. P*, 59. H*, 60. G*, 61. H*, 62. G*, 63. R*, 64. D*, 65. A*, 66. W*, 67. A*, 68. S*, 69. I*, 70. K*, 72. D*, 73. M*, 74. K*, 75. I*, 76. N*, 77. H*, 78. M*, 79. C*, 80. I*, 81. E*, 82. P*, 83. I*, 84. G*, 85. U*, 86. M*, 87. R*, 88. U*, 91. A*, 92. K*, 94. A*, 95. J*, 96. M*, 97. A*, 98. I*, 99. S*, 101. K*, 102. E*, 103. I*, 104. M*, alle vertreten durch Bischof Zorn Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Antragsgegner 1. G*, 3. A*, 4. S*, 8. I*, 9. M*, 10. D*, 11. W*, 12. W*, 13. R*, 14. I*, 15. D*, 16. G*, vertreten durch Mag. Stefan Holz, Rechtsanwalt in Wien, 17. K*, 18. J*, 19. C*, 20. M*, vertreten durch Mag. Wolfgang Ruckenbauer, Rechtsanwalt in Wien, 21. T*, 22. N*, 23. A*, 24. W*, 25. E*, 26. P*gesellschaftmbH *, 27. R*, 28. C*, sowie sämtlicher übriger Wohnungseigentümer oder Fruchtgenussberechtigten der Liegenschaft EZ * KG *, wegen § 52 Abs 1 Z 9 iVm § 32 Abs 5 WEG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsteller gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 5. Februar 2025, GZ 39 R 173/24s 28, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 52 Abs 2 WEG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Parteien sind Mit und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft, wobei die Wohnungseigentumsanlage aus 87 Reihenhäusern besteht, die jeweils ein Wohnungseigentumsobjekt sind .

[2] Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist der von den Antragstellern begehrte abweichende Aufteilungsschlüssel betreffend Aufwendungen für die über eine Reparatur hinausgehende Erneuerung von Fenstern, Fenster und Eingangstüren der einzelnen Wohnungseigentumsobjekte samt Fenster und Türstöcken, Verglasungen, Beschlägen und Zylinder, weiters für die Erneuerung von Glasscheiben, die durch Gewalteinwirkung von außen (einschließlich Wind und Naturereignissen) beschädigt wurden, und letzlich für die gesamte Erhaltung einschließlich der Erneuerung der vor diesen Fenstern und Türen befindlichen Abstreifgitter und Einrichtungen zur Beschattung oder zum Insektenschutz, die von den Eigentümern der jeweiligen Wohnungseigentumsobjekte getragen werden sollen.

[3] Das Erstgericht gab dem Sachantrag statt.

[4] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des 20. Antragsgegners Folge und wies ihn ab. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 10.000 EUR übersteige und ließ den Revisionsrekurs nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[5] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsteller zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[6] 1. Die Aufwendungen für die Liegenschaft einschließlich der Beiträge zur Rücklage sind von den Wohnungseigentümern grundsätzlich nach dem Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile bei Ende der Abrechnungsperiode zu tragen (§ 32 Abs 1 Satz 1 WEG). Sämtliche Wohnungseigentümer können allerdings einen von dieser Regelung abweichenden Aufteilungsschlüssel festlegen, wobei solche Vereinbarungen zur Rechtswirksamkeit der Schriftform bedürfen (§ 32 Abs 2 WEG). Bereits § 19 Abs 2 WEG 1975 verlangte als Voraussetzung für eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz betreffend die Aufteilung der Aufwendungen eine schriftliche Vereinbarung aller Wohnungseigentümer (5 Ob 132/95). Eine – allenfalls auch jahrelang gelebte – Praxis der Mitund Wohnungseigentümer, an sich entsprechend § 19 Abs 1 WEG 1975 bzw § 32 Abs 1 WEG 2002 jeweils nach dem Verhältnis der Miteigentumsanteile aufzuteilende Aufwendungen in einem abweichenden Verhältnis zu tragen, kann daher keine rechtswirksame Vereinbarung eines abweichenden Verteilungsschlüssels begründen, was die Antragsteller in ihrem Revisionsrekurs nicht mehr in Zweifel ziehen.

[7]2. § 32 Abs 5 WEG 2002 sieht vor, dass das Gericht bei einer wesentlichen Änderung der Nutzungsmöglichkeit seit einer Vereinbarung nach § 32 Abs 2 WEG oder bei erheblich unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten den Aufteilungsschlüssel auf Antrag eines Wohnungseigentümers nach billigem Ermessen neu festsetzen kann. Eine solche Festsetzung ist ab der der Antragstellung nachfolgenden Abrechnungsperiode wirksam.

[8]3. Nach der Rechtsprechung des Fachsenats (5 Ob 127/24s; 5 Ob 128/21s; RS0109170 [T11]), ist bei Bestehen einer Vereinbarung nach § 32 Abs 2 WEG über einen von § 32 Abs 1 WEG abweichenden Aufteilungsschlüssel zwingende gesetzliche Voraussetzung für eine gerichtliche Änderung dieses Aufteilungsschlüssels, dass sich seit einer solchen Vereinbarung eine wesentliche Veränderung der Nutzungsmöglichkeiten ergeben hat. Dass hier weder eine abweichende Vereinbarung noch eine seit dem erfolgte wesentliche Änderung der Nutzungsmöglichkeiten vorliegt, ist im Revisionsrekursverfahren nicht mehr strittig.

[9] 4. E in (erfolgreicher) Antrag auf Neufestsetzung des Verteilungsschlüssels würde somit nach der unmissverständlichen Bestimmung des § 32 Abs 5 WEG zwingend voraussetzen, dass erheblich unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten der Mitund Wohnungseigentümer bestehen. Maßgeblich hiefür ist nach der ständigen Rechtsprechung des Fachsenats die objektive Nutzungsmöglichkeit (RS0083193; RS0083101 [T4]; vgl auch RS0083087). Dass es an der Voraussetzung der erheblich unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeit hier mangelt, gestehen die Antragsteller im Revisionsrekurs ausdrücklich zu; unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten „im herkömmlichen Sinn“ hätten sie nicht behauptet und seien nicht festgestellt, weil es sie im gegenständlichen Fall nicht gebe. Sie meinen aber, aus dem Umstand, dass es sich bei der Wohnungseigentumsanlage um Reihenhäuser hand elt , Argumente für eine teleologische Reduktion des § 32 Abs 5 WEG ableiten zu können. Dem ist nicht zu folgen.

[10] 5. Bereits zu § 19 Abs 1 WEG 1975 judizierteder Fachsenat (RS0103217), dass die Aufteilungsregel des § 19 WEG 1975 auch dann gilt, wenn es sich bei Wohnungseigentumsobjekten um Reihenhäuser handelt. In der Entscheidung 5 Ob 132/95 hielt er ausdrücklich fest , dass im Fall der – zulässigen – Begründung von Wohnungseigentum an Reihenhäusern die für Wohnungseigentumsobjekte geltenden Regeln anzuwenden sind. Das gilt auch für das WEG 2002 .

[11] 6. Dass der Gesetzgeber mit der WEG Novelle 2022 spezielle Vorschriften zum Änderungsrecht des § 16 Abs 5 WEG im Fall der Anbringung einer Solaranlage an einem als Reihenhaus oder Einzelgebäude errichteten Wohnungseigentumsobjekt einführte und in § 31 Abs 1 WEG Sonderregelungen für den Mindestrücklagebetrag im Fall einer Reihen oder Einzelhausanlage, bei der die Wohnungseigentümer die Erhaltungspflicht nach § 28 Abs 1 Z 1 WEG vertraglich übernommen haben, vor sieht , verdeutlicht die Anwendbarkeit sämtlicher übriger Bestimmungen des WEG auf Reihenhäuser; andernfalls wären solche Sonderbestimmungen gar nicht erforderlich gewesen.

[12] 7 . D ie im Revisionsrekurs angesprochene teleologische Reduktion (hier: des § 32 Abs 5 WEG) dient dazu, dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht gegen einen zu engen, sondern gegen einen überschießend weiten Gesetzeswortlaut zur Durchsetzung zu verhelfen. D ie (verdeckte) Lücke besteht im Fehlen einer nach der ratio des Gesetzes notwendigen Ausnahme, wasden Nachweis voraussetzt, dass eine umschreibbare Fallgruppe von der Grundwertung des Gesetzes entgegen seinem Wortlaut nicht getroffen wird und sich von den „eigentlich gemeinten“ Fallgruppen soweit unterscheidet, dass die Gleichbehandlung sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre (RS0008979 [T3]). Davon ist hier schon deshalb nicht auszugehen, weil der Gesetzgeber der WEG Novelle 2022 – ungeachtet der Regelungen für Reihen und Einzelhäuser (§ 16 Abs 5 und § 31 Abs 1 WEG) – erkennbar keinen Änderungsbedarf bei § 32 Abs 5 WEG sah . Eine „verdeckte Lücke“ als Voraussetzung für eine teleologische Reduktion fehlt hier somit . Der im Revisionsrekurs erwähnte „Friedenswahrungszweck“ einer sachgerechten Aufteilung der Aufwendungen allein kann die in § 32 Abs 5 WEG unmissverständlich geforderten Voraussetzungen für eine Antragstellung auf Festlegung eines von § 32 Abs 1 WEG abweichenden Verteilungsschlüssel nicht ersetzen; hier für Reihenhausanlagen andere Voraussetzungen zu schaffen, wäre Sache des Gesetzgebers.

[13] 8. Damit war der Revisionsrekurs zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 71 Abs 3 AußStrG).