JudikaturOGH

10ObS64/25x – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. Juli 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden und den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi und den Hofrat Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Sibylle Wagner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Sylvia Zechmeister (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Graff Nestl Partner Rechtsanwälte GmbH Co KG in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1100 Wien, Wienerbergstraße 11, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 29. April 2025, GZ 8 Rs 85/24i 47, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die – von den Vorinstanzen verneinte – Qualifikation der bei der Klägerin aufgetretenen COVID 19-Erkrankung als Arbeitsunfall gemäß § 175 Abs 1 ASVG oder als Berufskrankheit gemäß § 177 Abs 1 ASVG iVm Nr 38 der Anlage 1 zum ASVG (nunmehr Lfd Nr 3.1. der Anlage 1 zum ASVG).

[2] Die Klägerin war zum Zeitpunkt ihrer Infektion mit COVID 19 als Referentin für Arbeitsrecht in einem Beratungszentrum der Kammer für Arbeiter und Angestellte Wien tätig. Es ist „nicht auszuschließen“, dass sich die Klägerin während ihrer Beratung mit COVID 19 angesteckt hat.

[3] Die Vorinstanzen wiesen die auf Feststellung des Ereignisses als Arbeitsunfall, in eventu als Berufskrankheit und auf Zahlung einer Versehrtenrente gerichteten Klagebegehren ab.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[5] 1.1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs handelt es sich bei der Infektion mit COVID 19 grundsätzlich nicht um einen Arbeitsunfall (RS0085380 [T5, T6]). Davon ausgenommen sind lediglich Fälle, in denen die Ansteckung auf ein unfallartiges Ereignis (Insektenstich, Biss, Injektion mit einer infizierten Nadel etc) zurückgeht (10 ObS 68/23g Rz 28; 10 ObS 85/23g Rz 30). Die „schlichte“ Ansteckung durch infizierte Personen – also insbesondere das Eindringen von Erregern in den Körper durch Tröpfcheninfektion – stellt kein derartiges unfallartiges Ereignis dar (10 ObS 68/23g Rz 23 und 27; 10 ObS 85/23g Rz 25 und 29).

[6] 1.2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass die in Nr 38 der Anlage 1 zum ASVG (nunmehr Lfd Nr 3.1. der Anlage 1 zum ASVG) aufgezählten Unternehmen dadurch gekennzeichnet sind, dass die dort beschäftigten Personen nach durchschnittlicher Betrachtung und im Regelfall in einem ganz besonderen Ausmaß der Gefahr von Ansteckungen ausgesetzt sind, während das bloße Risiko, mit allenfalls Infizierten kurz in Kontakt zu kommen, dem alle Erwerbstätigen ausgesetzt sind, die im intensiven, ständigen Kontakt mit Menschen stehen, nicht hinreicht, um Infektionskrankheiten als Berufskrankheit zu qualifizieren (10 ObS 114/24y Rz 13; 10 ObS 1/23d Rz 12 je mwN).

[7] 2.1. Die außerordentliche Revision zeigt ein Abweichen der Beurteilung der Vorinstanzen, die das Vorliegen eines Arbeitsunfalls und einer Berufskrankheit im vorliegenden Fall verneint haben, von der dargestellten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht auf. Ein unfallartiges Ereignis, das die Annahme eines Arbeitsunfalls nach dieser Rechtsprechung nahe legen könnte, behauptet die Klägerin nicht. Sie war in keinem der in Nr 38 der Anlage 1 zum ASVG aufgezählten Unternehmen beschäftigt und auch keinem besonderen Infektionsrisiko ausgesetzt, das jenes übersteigt, dem alle Erwerbstätigen ausgesetzt sind, die im intensiven, ständigen Kontakt mit Menschen stehen.

[8] 2.2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits darauf hingewiesen, dass es verfassungsrechtlich unbedenklich ist, dass eine Krankheit für manche Berufsgruppen eine Berufskrankheit darstellt, für andere aber nicht (RS0054077). Dabei auf die mit der Tätigkeit verbundene besondere Gefahr einer Ansteckung abzustellen, ist auch nicht unsachlich (vgl 10 ObS 1/23d). Eine die Zulässigkeit der Revision begründende Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zeigt die Klägerin somit nicht auf (RS0116943).

[9] 2.3. Das von der Klägerin angeregte Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union würde voraussetzen, dass die Entscheidung von der Auslegung des Unionsrechts abhinge. Die Anwendung der Koordinierungsverordnung 883/2004/EG, auf die die Klägerin in diesem Zusammenhang Bezug nimmt, erfordert das Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts (zuletzt 10 ObS 48/24t Rz 24 mwN; vgl auch RS0117828 [T5]), der in der Revision nicht dargestellt wird und auch nicht ersichtlich ist.

Rückverweise