JudikaturOGH

2Ob71/25t – OGH Entscheidung

Entscheidung
Erbrecht
26. Juni 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richterin und weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2022 verstorbenen J*, zuletzt *, wegen Feststellung der Erbhofeigenschaft, über den Revisionsrekurs der Pflichtteilsberechtigten S*, vertreten durch Mag. Peter Freiberger, Rechtsanwalt in Mürzzuschlag, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 15. Jänner 2025, GZ 23 R 417/24g 45, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Lilienfeld vom 30. September 2024, GZ 1 A 317/22m 39, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben .

Der angefochtene Beschluss wird dahingehend abgeändert, dass der Ausspruch des Erstgerichts über die Bestimmung der Anerben ersatzlos behoben wird. Im Übrigen wird er bestätigt.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Text

Begründung:

[1] Der 2022 verstorbene Erblasser setzte mit einem wenige Wochen vor seinem Tod errichteten Testament eine seiner Töchter und ihren in der Verfügung (schon) als Ehegatten bezeichneten Lebensgefährten zu gleichen Teilen zu Erben ein. Die Eheschließung der letztwillig Bedachten erfolgte wenige Monate nach dem Ableben des Erblassers.

[2] Teil des Nachlasses ist ein landwirtschaftlicher Betrieb.

[3] Die Tochter und ihr Ehemann gaben gestützt auf das Testament bedingte Erbantrittserklärungen je zur Hälfte des Nachlasses ab und beantragten, die Erbhofeigenschaft des Betriebs festzustellen, sie zu Anerben zu bestimmen und den Übernahmspreis festzusetzen.

[4] Die zweite Tochter des Erblassers ( Pflichtteilsberechtigte ) beantragte, festzustellen, dass kein Erbhof vorliege und das AnerbenG nicht zur Anwendung komme. Sie brachte – soweit noch Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens – vor, nach § 8 Abs 1 Z 1 AnerbenG sei der Anwendungsbereich des Gesetzes nur bei der Einsetzung von Ehegatten eröffnet. Die Ehe hätte daher spätestens zum Zeitpunkt des Erbanfalls bestehen müssen.

[5] D as Erstgericht stellte die Erbhofeigenschaft des Betriebs fest, bestimmte die Testamentserben zu Anerben, setzte den Übernahmspreis fest und wies den Antrag der Pflichtteilsberechtigten, die fehlende Erbhofeigenschaft und die Nichtanwendbarkeit des AnerbenG festzustellen, ab.

[6] Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung und ließ den Revisionsrekurs zu. Es reiche, dass die Ehe zum Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz geschlossen gewesen sei. Bei der Bestimmung des Anerben komme es generell nicht auf den Todeszeitpunkt, sondern auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung durch das Gericht an. Überdies habe der Erblasser den Lebensgefährten seiner Tochter schon im Testament als Ehegatten bezeichnet und dadurch seinen Willen, diesen bei der Erbteilung als solchen zu berücksichtigen, zum Ausdruck gebracht. Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zur Frage zu, zu welchem Zeitpunkt die Ehegatteneigenschaft der letztwillig Bedachten bestehen müsse, um das AnerbenG anwenden zu können.

[7] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Pflichtteilsberechtigten mit dem Abänderungsantrag, festzustellen, dass das AnerbenG nicht zur Anwendung komme. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Die Testamentserben beantragen in ihrer Revisionsrekursbeantwortung , dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

[9] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und teilweise berechtigt .

Rechtliche Beurteilung

[10]Der Revisionsrekurs argumentiert, nach § 536 ABGB komme es auf die Existenz des Berufenen beim Erbanfall an. Dies gelte auch im Rahmen des § 8 Abs 1 Z 1 AnerbenG, der darauf abstelle, dass der Erblasser Ehegatten zu Erben einsetze. Die letztwillig Bedachten seien aber zum Erbanfallszeitpunkt (noch) nicht verheiratet gewesen.

[11] 1. Der Anwendungsbereich des Anerben G, das im Kern auf eine besondere Form der Erbteilung (III. Abschnitt) bei Vorhandensein eines Erbhofs (I. Abschnitt) abzielt, ist nach dessen II. Abschnitt grundsätzlich in drei Fällen eröffnet: erstens bei gesetzlicher Erbfolge (§ 3 AnerbenG), zweitens bei gewillkürter Erbfolge (§ 8 AnerbenG) und drittens im Fall einer Verfügung über den Erbhof durch Vermächtnis (§ 9 AnerbenG; vgl 2 Ob 107/23h Rz 17).

[12] 2. Das Vorhandensein eines Erbhofs ist im Revisionsrekursverfahren nicht (mehr) strittig.

[13] 3. Nach § 8 Abs 1 Z 1 AnerbenG ist dieses bei – hier vorliegender – gewillkürter Erbfolge unter anderem dann anzuwenden, wenn der Erblasser „Ehegatten“ als Erben einsetzt und über den Erbhof oder dessen wesentliche Teile nicht durch Vermächtnis zugunsten einer anderen Person verfügt.

[14] 3.1. Für den vorliegenden Fall ist entscheidend, zu welchem Zeitpunkt die Ehegatteneigenschaft vorliegen muss. In Betracht kommen die letztwillige Verfügung, der Tod und der Beschluss über die Bestimmung des Übernahmspreises und (gegebenenfalls) des Anerben. Rechtsprechung und Literatur liegt zu dieser Frage nicht vor. Auch die Gesetzesmaterialien geben insoweit keinen Hinweis. Der Wortlaut stellt auf das „Einsetzen“ von Ehegatten ab, was wegen der Verwendung des Präsens eher für den Zeitpunkt der letztwilligen Verfügung spricht. Ein Verständnis, wonach es genügt, dass Personen eingesetzt werden, die diese Voraussetzung in einem späteren Zeitpunkt erfüllen, ist dadurch aber nicht ausgeschlossen.

[15] 3.2. Entscheidend ist daher der Zweck der Regelung. Grundlegendes Ziel des Höferechts ist die Erhaltung einer krisenfesten landwirtschaftlichen Struktur. Die Zersplitterung bäuerlicher Betriebe soll möglichst vermieden werden, um die für eine sinnvolle Bewirtschaftung erforderlichen Betriebsgrößen zu erhalten. Dieses Ziel wird – neben der Zuweisung an den Anerben im Zuge des Verlassenschaftsverfahrens – insbesondere durch die Bemessung des Übernahmspreises nach dem Grundsatz des Wohlbestehens erreicht, weil der Übernehmer sonst in vielen Fällen gezwungen wäre, zur Entrichtung des Übernahmspreises Betriebsteile zu verkaufen ( 2 Ob 9/24y Rz 32 mwN).

[16] 3.3. Dieser Regelungszweck wird auch durch die Vorschriften über die Anwendung des AnerbenG bei gewillkürter Erbfolge gewahrt.

[17] Das AnerbenG ist zwar nicht zwingendes Recht, sodass die Testierfreiheit Vorrang vor dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung leistungsfähiger Höfe hat ( Schramm in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 8 AnerbenG Rz 1; Eccher in Schwimann/Kodek 5 § 8 AnerbenG Rz 1). Daher ist das Gesetz nach § 8 Abs 6 und § 9 Abs 1 letzter HS AnerbenG jedenfalls dann nicht anwendbar, wenn der Erblasser in der letztwilligen Verfügung ausdrücklich oder stillschweigend erklärt hat, dass das AnerbenG nicht angewendet werden soll (6 Ob 22 4 /09y [Pkt 2.]; RS0125519 [T1]).

[18]Liegt aber kein solcher Ausschluss vor, sind das AnerbenG und daher auch die damit verbundenen Begünstigungen für den oder die Hofübernehmer immer dann anwendbar, wenn der Erblasser eine Verfügung iSd § 8 Abs 1 Z 1 bis 3 AnerbenG oder § 9 AnerbenG getroffen hat. Diesen Verfügungen ist gemeinsam, dass einerseits die Einheit des Hofs gewahrt bleibt und andererseits entweder eine einzige natürliche Person, ein Elternteil und ein Kind oder Ehegatten insofern die Rechtsnachfolge antreten. Diese Beschränkung auf bestimmte Miteigentumsverhältnisse stimmt mit der Definition des Erbhofs in § 1 Abs 1 AnerbenG überein. Denn auch diese Definition knüpft nicht nur an der Ertragskraft des Hofs an, sondern darüber hinaus daran, dass der Hof entweder in einer Hand liegt oder aber von zwei Personen geführt wird, deren enge familiäre Beziehung zumindest typischerweise eine einheitliche Bewirtschaftung und das Unterbleiben einer Teilung gewährleistet (vgl 6 Ob 154/06z [Pkt 4.2.]).

[19] 3.4. Aus diesem Regelungszweck folgt, dass es für das Vorliegen der Ehegatteneigenschaft und damit die Anwendbarkeit des AnerbenG auf den Zeitpunkt der Entscheidung über das Vorliegen eines Erbhofs und die Bestimmung des Übernahmspreises ankommt:

[20] 3.4.1. Liegt, wie hier, eine Verfügung vor, wonach der Hof als Einheit erhalten bleiben soll, ist der Wille des Erblassers offenkundig auf die Anwendung des Höferechts gerichtet, dessen Inhalt in seinen Grundzügen im bäuerlichen Bereich durchaus bekannt ist. Der mit dessen Anwendung verbundene Eingriff in den Pflichtteil weichender Erben wird vom Gesetz zwar nur dann gebilligt, wenn die Voraussetzungen der § 8 Abs 1 Z 1 bis 3 AnerbenG oder § 9 AnerbenG erfüllt sind. Diese Voraussetzungen sollen der Gefahr der Zersplitterung des Hofs entgegenwirken, wobei sich diese Gefahr tatsächlich erst mit Feststellung der Erbhofeigenschaft und Bestimmung des Übernahmspreises verwirklichen könnte. Das spricht dafür, dass auch diese Voraussetzungen (erst, aber doch) in diesem Zeitpunkt vorliegen müssen. Dass darüber hinaus auch der Wille des Erblassers auf ihr Vorliegen gerichtet sein müsste, was allenfalls für die Maßgeblichkeit (auch) des Zeitpunkts der Verfügung sprechen könnte, lässt sich demgegenüber aus dem Zweck des Höferechts nicht ableiten. Insofern genügt, dass der Erblasser das Aufrechtbleiben der Einheit des Hofs und damit (jedenfalls im Zweifel) auch die Anwendbarkeit des diesem Zweck dienenden Höferechts wollte.

[21] 3.4.2. Für dieses Ergebnis spricht auch der Vergleich mit der Rechtsprechung zu strukturell vergleichbaren Fragen bei der gesetzlichen Erbfolge.

[22] Danach ist bei der Prüfung der Frage, welcher von mehreren Übernahmswerbern als Anerbe zu bestimmen ist, auf den Zeitpunkt der Bestimmung des Anerben und auf die zu diesem Zeitpunkt tatsächlich auftretenden Bewerber abzustellen, weil nur zu diesem Zeitpunkt feststeht, ob Ausschließungsgründe vorliegen und die nach dem Gesetz Berufenen überhaupt als Hofübernehmer auftreten ( 6 Ob 16/76 = RS0099270; vgl auch 6 Ob 30/14a; Eccher in Schwimann/Kodek 5§ 10 AnerbenG Rz 7). Ein genereller Grundsatz, dass bei § 3 AnerbenG ausschließlich auf die Umstände zum Zeitpunkt des Erbfalls abzustellen wäre, besteht nicht (6 Ob 82/12w = RS0120373[T6]). Vielmehr wird sogar vertreten, dass bei Verlust der Anerbenstellung während des Verfahrens – etwa nach § 5 AnerbenG – auch bereits nach den §§ 10 bis 17 AnerbenG gefasste Beschlüsse hinfällig werden (6 Ob 82/12w [Pkt 2.2. mwN]).

[23] Zwar betrifft diese Rechtsprechung die Auswahl des Anerben bei gesetzlicher Erbfolge, während im vorliegenden Fall keine „Zuweisung“ zu erfolgen hat (dazu unten Pkt 5.). Auch eine Ausschließung nach § 5 AnerbenG kommt im Anwendungsbereich des § 8 AnerbenG nicht in Betracht ( 6 Ob 224/09y [Pkt 4.3.]; Schramm in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 8 AnerbenG Rz 2).

[24] Dennoch ist daraus der allgemeine, den Zielsetzungen des Anerbenrechts immanente Gedanke abzuleiten, dass für die Frage, welche Person als Hofübernehmer geeignet ist und als solche vom günstigen Übernahmspreis profitieren soll, nicht schon der Zeitpunkt des Erbanfalls maßgeblich ist, sondern auch Änderungen der Verhältnisse im Zuge des Nachlassverfahrens Berücksichtigung finden müssen. Das muss ebenso gelten, wenn es um die vorgelagerte Frage geht, ob das AnerbenG überhaupt anwendbar ist. Besteht im Zeitpunkt der Entscheidung über die Erbhofeigenschaft und den Übernahmspreis die Gefahr der Zersplitterung nach der in den §§ 8 und 9 AnerbenG ausgedrückten Wertung des Gesetzes wegen Bestehens der Ehe nicht (mehr), widerspräche die Nichtanwendung des Gesetzes dessen grundlegender Zielsetzung, (auch) durch Bestimmung eines das Überleben des Hofs ermöglichenden Übernahmspreises eine krisenfeste landwirtschaftliche Struktur zu erhalten.

[25]3.4.3. Auch aus § 536 ABGB ist – entgegen dem Revisionsrekurs – nichts Gegenteiliges abzuleiten. Das AnerbenG schafft keinen neuen Erbrechtstitel, sondern baut auf der Erbenstellung nach allgemeinem Erbrecht auf ( Eccher in Schwimann/Kodek 5§ 1 AnerbenG Rz 2). Zwar entsteht das subjektive Erbrecht (Erbanfall) – abgesehen von einer Erbeinsetzung unter aufschiebender Bedingung – mit dem Zeitpunkt des Erbfalls, also mit dem Tod des Erblassers (RS0041415). Aus dem für den Erbanfall maßgeblichen Zeitpunkt kann aber nicht ohne Weiteres ein Rückschluss auf die Anwendbarkeit des AnerbenG gezogen werden, weil dieses im Wesentlichen nur Erbteilungsvorschriften enthält (RS0050281) und nur insoweit an den – hier unstrittig – erfolgten Anfall des Erbrechts bei den letztwillig Bedachten anknüpft.

3.5. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten:

[26] Eine die (teilweise) Anwendung des AnerbenG eröffnende Einsetzung von Ehegatten iSd § 8 Abs 1 Z 1 AnerbenG liegt vor, wenn die letztwillig Bedachten im Zeitpunkt der Entscheidung über die Erbhofeigenschaft und den Übernahmspreis miteinander verheiratet sind.

[27] 4. Im vorliegenden Fall kommt daher das AnerbenG mit Ausnahme der Bestimmungen über die gesetzliche Erbfolge zur Anwendung. Gegen die Höhe des von den Vorinstanzen bestimmten Übernahmspreises wendet sich der Revisionsrekurs nicht. Insofern hat der Revisionsrekurs daher keinen Erfolg.

[28] 5. Die von den Vorinstanzen vorgenommene Zuweisung des Erbhofs an die Testamentserben hat aber nicht stattzufinden.

[29]5.1. Die anerbenrechtliche Zuweisung des Erbhofs als Teil der Erbteilung (§ 10 AnerbenG) schafft einen besonderen Rechtstitel für den Eigentumserwerb durch den Anerben, der dafür mit dem Übernahmspreis zum Schuldner der Verlassenschaft wird. Der Eigentumserwerb wird erst durch die Einantwortung bewirkt. Die Zuweisung verändert für alle Verfahrensbeteiligten bindend den Aktivstand der Verlassenschaft (2 Ob 11/22i Rz 17 mwN).

[30] 5.2. Ist der Anerbe der einzige Erbe, bedarf es des Rechtsinstituts der „Zuweisung“ zur Auseinandersetzung mit anderen Erben nicht ( RS0050351). Eine ohne Notwendigkeit erfolgte „Zuweisung“ ist mangels Vorliegens der dafür vom Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen ersatzlos aufzuheben (6 Ob 289/07d [Pkt 2.2.2.]). Dies gilt auch im vorliegenden Fall, in dem Ehegatten allein zu Erben eingesetzt wurden. Auch hier bedarf es keiner Auseinandersetzung mit anderen Erben (vgl Zemen , Zum Vermächtnis des Erbhofs, NZ 2006/45).

[31] 6. Im Ergebnis ist der angefochtene Beschluss daher nur dahin abzuändern, dass der Ausspruch über die „Zuweisung“ des Erbhofs ersatzlos behoben wird. Im Übrigen hat der Revisionsrekurs keinen Erfolg.

[32]7. Ein Kostenersatz findet gemäß § 185 AußStrG nicht statt.