JudikaturOGH

8Ob77/25v – OGH Entscheidung

Entscheidung
Wirtschaftsrecht
23. Juni 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Mag. Malesich als Vorsitzende und die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Insolvenzeröffnungssache der Antragstellerin Republik Österreich (Finanzamt Österreich – Dienststelle *), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, gegen den Antragsgegner Dr. *, vertreten durch die Dr. Holzmann Rechtsanwalts GmbH in Innsbruck, über die ordentlichen Revisionsrekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 19. März 2025, GZ 1 R 35/25v 62, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 4. Februar 2025, GZ 49 Se 165/24v 53 (sodann: 51 Se 58/25z), abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Das Erstgericht wies mit Beschluss vom 22. 11. 2024 den von der Antragstellerin gegen den Antragsgegner eingebrachten Insolvenzeröffnungsantrag ab.

[2] Das Rekursgericht gab mit Beschluss vom 15. 1. 2025 dem Rekurs der Antragstellerin dahin Folge, dass es den angefochtenen Beschluss aufhob und dem Erstgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auftrug.

[3] Gegen diese Entscheidung erhob der Antragsgegner am 3. 2. 2025 einen außerordentlichen Revisionsrekurs und beantragte unter einem, dem Rechtsmittel aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

[4] Die Antragstellerin beantragte am gleichen Tag, das Insolvenzverfahren umgehend zu eröffnen und einstweilige Vorkehrungen nach § 73 IO zur Sicherung der Masse anzuordnen.

[5] Das Erstgericht erkannte den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Rekursgerichts vom 15. 1. 2025 bis zur Zustellung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aufschiebende Wirkung zu (Spruchpunkt 1) und wies den Antrag auf Anordnung einstweiliger Vorkehrungen ab (Spruchpunkt 2).

[6] Das Rekursgericht änderte über Rekurs der Antragstellerin diesen Beschluss dahin ab, dass es den Antrag des Antragsgegners auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung abwies; hinsichtlich Spruchpunkt 2 des erstgerichtlichen Beschlusses wurde der Rekurs der Antragstellerin zurückgewiesen. Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs hinsichtlich der vorgenannten Punkte seiner Entscheidung zulässig sei.

[7] Gegen diese Entscheidung richten sich der Revisionsrekurs des Antragsgegners mit dem Antrag, den erstgerichtlichen Beschluss wiederherzustellen (hinsichtlich seines Spruchpunkts 1), und der Revisionsrekurs der Antragstellerin mit den Anträgen, die Zurückweisung „ersatzlos zu beheben“ inhaltlich und dem Rekursgericht die Entscheidung über den genannten Rekurs aufzutragen, hilfsweise selbst einstweilige Vorkehrungen anzuordnen.

[8] Die Antragstellerin beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung die Zurückweisung des gegnerischen Rechtsmittels, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

[9] Der Antragsgegner erstattete keine Revisionsrekursbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

[10] Beide Revisionsrekurse sind mangels Beschwer des jeweiligen Rechtsmittelwerbers im Zeitpunkt der Fassung dieses Beschlusses zurückzuweisen :

[11] Nach ständiger Rechtsprechung setzt jedes Rechtsmittel eine Beschwer, also ein Anfechtungsinteresse, voraus, weil es nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen ist, rein theoretische Fragen zu entscheiden (RS0002495; A. Kodek in Rechberger , ZPO 5 [2019] Vor § 461 Rz 17 mwN). Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist nicht nur die formelle, sondern auch die materielle Beschwer (RS0041868 [T14]). Sie liegt vor, wenn der Rechtsmittelwerber in seinem Rechtsschutzbegehren durch die angefochtene Entscheidung beeinträchtigt wird, er also ein Bedürfnis auf Rechtsschutz gegenüber der angefochtenen Entscheidung hat (RS0041746 [T1], zB 5 Ob 132/23g [Rz 14]). Ist das nicht der Fall, ist das Rechtsmittel auch dann zurückzuweisen, wenn die Entscheidung formal vom Antrag des Rechtsmittelwerbers nachteilig abweicht (RS0041868 [T15], zB 8 Ob 52/18g), mithin der Rechtsmittelwerber formal beschwert ist (vgl RS0006641 [T21]).

[12] Die Beschwer muss zum Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels gegeben sein und zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel noch fortbestehen; andernfalls ist das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (RS0041770; iglS RS0006880 [T23]). Kann ein Rechtsmittel seinen eigentlichen Zweck, die Rechtswirkungen der bekämpften Entscheidung durch eine Abänderung oder Aufhebung zu verhindern oder zu beseitigen, nicht mehr erreichen, dann fehlt es am notwendigen Rechtsschutzinteresse (RS0002495 [T78]). Die Beschwer fehlt unter anderem auch dann, wenn das vom Rechtsmittelwerber Angestrebte zeitlich nicht mehr möglich ist (vgl RS0041770 [T36, T88, T96]; RS0043815 [T4]).

[13] All dies gilt auch im Insolvenzverfahren (vgl 8 Ob 52/18g; 8 Ob 74/18t [Pkt 2]; 8 Ob 154/22p [Rz 9] ua).

[14] Der Oberste Gerichtshof entschied mit Beschluss vom 25. 4. 2025, 8 Ob 25/25x, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Rekursgerichts vom 15. 1. 2025; der Beschluss des Obersten Gerichtshofs wurde dem Antragsteller am 27. 5. 2025 zugestellt. Durch die – hier angefochtene – Abweisung seines Antrags, seinem außerordentlichen Revisionsrekurs gegen den Beschluss vom 15. 1. 2025 b is zur Zustellung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, ist der Antragsgegner daher nicht mehr beschwert.

[15] Ebenso ist die Antragstellerin nicht mehr durch die von ihr angefochtene Zurückweisung ihres Rekurses gegen die erstgerichtliche Abweisung ihres Antrags auf vorläufige Vorkehrungen nach § 73 IO beschwert, weil zwischenzeitlich bereits mit Beschluss des Erstgerichts vom 26. 5. 2025 zu AZ * S * das Insolvenzverfahren eröffnet (und dies am selben Tag in der Insolvenzdatei bekannt gemacht) wurde. Einstweilige Vorkehrungen können nur bis zur Insolvenzeröffnung verhängt werden (e contrario § 73 Abs 1 iVm Abs 4 Satz 2 IO; Katzmayr in Konecny , Insolvenzgesetze [2011] § 73 IO Rz 2 aE; Schumacher in KLS 2 [2023] § 73 IO Rz 5; vgl auch 8 Ob 129/04k).