JudikaturOGH

3Ob75/25p – OGH Entscheidung

Entscheidung
Kindschaftsrecht
28. Mai 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Brenn als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und die Hofräte Dr. Stefula und Mag. Schober als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen N* 2019, wohnhaft bei ihrer Mutter S* H*, Russische Föderation, vertreten durch Mag. Jürgen Mayerhofer, Rechtsanwalt in Linz, Vater J*, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Kindes, gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 15. Oktober 2024, GZ 15 R 291/24f 130, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 20. Februar 2023, GZ 70 Pu 34/22h 74, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen über die Unterhaltsbeiträge im Zeitraum von 1. September 2019 bis 31. Dezember 2021 werden aufgehoben. Die Außerstreitsache wird auch insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen, sodass dies mit Rücksicht auf den Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichts für die Entscheidung des Erstgerichts über den gesamten Antrag des Kindes auf Unterhaltserhöhung gilt.

Im Übrigen, also hinsichtlich des geltend gemachten Sonderbedarfs, bleibt die angefochtene Entscheidung des Rekursgerichts aufrecht.

Text

Begründung:

[1] Mit Beschluss vom 10. Dezember 2019 setzte das Erstgericht den ab 1. September 2019 vom Vater zu leistenden monatlichen Unterhalt für N* wie von ihr begehrt mit 419 EUR fest.

[2] Mit Antrag vom 29. Juli 2022 begehrte das Kind , den Unterhalt rückwirkend für die Zeit von 1. Septembe r 2019 bis 30. Juni 2020 um 80 EUR, von 1. Juli 2020 bis 30. Juni 2021 um 120 EUR, von 1. Juli 2021 bis 31. Dezember 2021 um 132 EUR und von 1. Jänner 2022 bis 1. August 2022 um 1.312 EUR zu erhöhen. Mit weiterem Antrag vom 18. Oktober 2022 begehrte das Kind , den Vater überdies zur Zahlung eines Sonderbedarfs von 3.570 EUR für Rechtsanwaltskosten im Kontaktrechtsverfahren und von 2.582,20 EUR für medizinische Behandlungen, Medikamente und Untersuchungen zu verpflichten .

[3] Das Erstgericht wies die Anträge ab. Die für die Bemessung des Unterhalts maßgeblichen Umstände hätten sich seit seiner Festsetzung nicht geändert. Der begehrte Sonderbedarf könne jeweils aus den deutlich über dem Regelbedarf liegenden Unterhaltsleistungen gedeckt werden.

[4] D as Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts hinsichtlich der Abweisung des Erhöhungsantrags für die Zeit von 1. September 2019 bis 31. Dezember 2021 sowie der Abweisung des Antrags auf Zuspruch eines Sonderbedarfs für die Rechtsanwaltskosten ( Spruchpunkt 1.). Die Abweisung des Erhöhungsantrags für die Zeiträume ab 1. Jänner 2022 sowie die Abweisung des Antrags auf Zuspruch eines Sonderbedarfs für medizinische Behandlungen hob es dagegen auf und verwies die Sache ohne Rechtskraftvorbehalt zur neuerliche n Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück (Spruchpunkt 2.).

[5] Seine bestätigende Entscheidung begründete es damit, dass rechtskräftige Unterhaltsentscheidungen nur bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse abgeändert werden dürften. Der ins Treffen geführte Wechsel in eine andere Altersgruppe oder die Änderung der Regelbedarfssätze reichten dafür nicht aus. Eine Änderung der Umstände sei – wegen der seit der Unterhaltsfestsetzung verstrichenen Zeit – erst ab 1. Jänner 2022 anzunehmen, sodass das Erstgericht den Antrag für die Zeit bis dahin zutreffend abgewiesen habe. Der Zuspruch von Sonderbedarf für Anwaltskosten scheitere daran, dass die Mutter nicht ausreichend bescheinigt habe, nicht in der Lage zu sein, diese selbst zu tragen. Abgesehen davon sei das Kind unabhängig davon gar nicht verpflichtet, die Kosten des Anwalts der Mutter im Verfahren über das Kontaktrecht des Vaters zu tragen, weil es dort Parteistellung habe und von der Mutter vertreten werde.

[6] Den Revisionsrekurs gegen diesen Teil der Entscheidung erklärte das Rekursgericht nachträglich für zulässig, weil es bei seiner Entscheidung unter Umständendie Bestimmung des § 49 AußStrG unrichtig angewandt habe.

[7] Gegen den bestätigenden Teil der Rekursentscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Kindes mit dem Antrag, auch die Entscheidung über den Unterhaltszeitraum von 1. September 2019 bis 31. Dezember 2021 zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen sowie ihm den begehrten Sonderbedarf für die Anwaltskosten im Kontaktrechtsverfahren zuzusprechen.

[8] Der Vater erstattete keine Rechtsmittelbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

[9] Der Revisionsrekurs ist zulässig und teilweise auch berechtigt.

1. Zur Unterhaltserhöhung

[10] 1.1. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass gesetzliche Unterhaltsansprüche grundsätzlich auch für die Vergangenheit begehrt werden können ( RS0034969 ). Ebenso kann eine Unterhaltspflicht rückwirkend erhöht, eingeschrän kt oder aufgehoben werden, sofern sich der dafür maßgebliche Sachverhalt in der Verga ngenheit verwirklicht hat ( RS0053283 ; RS0034969 [T14, T15]; 8 Ob 72/24g Rz 6). Eine Neufestsetzung des Unterhalts für die Vergangenheit darf nur nicht in die materielle Rechtskraft einer bereits bestehenden U nterhaltsentscheidung eingreifen ( 9 Ob 53/18m Pkt 2.; 1 Ob 152/13d Pkt 2. ). Das ist dann nicht der Fa ll , wenn das Begehren, die Unterhaltspflicht in anderer Weise festzusetzen, auf eine wesentliche Änderung der Verhältnisse gestützt wird (stRsp: RS0007161 ; RS0053297 ; RS0047398 ; vgl auch RS0107666 ).

[11] 1.2. Ein Anspruch, der gar nicht geltend gemacht wurde, kann nicht in Rechtskraft erwachsen (RS0006259; 7 Ob 16/14z Pkt 1.2.). Be i Geltendmachung eines Anspruchsteils erfasst die Rechtskraft den Anspruch daher nur insoweit, als über ihn entschieden wurde. Ob dabei offengelegt wurde, dass nur ein Anspr uchsteil geltend gemacht werde, der Antrag als Teilantrag bezeichnet oder die Geltendmachung des Anspruchsrests ausdrücklich vorbehalten wurde, ist nicht von Bedeutung. Es kommt auch nicht darauf an, ob sich seit der Vorentscheidung die für die Unterhaltsbemessun g maßgebenden Verhältnisse geändert haben und welche Zeit seither verstrichen ist ( RS0007143 [insb T3]; 10 Ob 9/24g Rz 11). Wird ein Anspruch geltend gemacht, der noch nicht Gegenstand der vorangegangenen Entscheidung war, so kann der Unterhaltsberechtigte somit auch bei im Wesentlichen gleichgebliebenen Verhältnissen verlangen, dass der Unterhalt auf den ihm zustehenden Betrag rückwirkend erhöht wird; einzige materielle Grenze bildet in diesem Fall die Verjährun g ( RS0007161 [T3, T11]; 6 Ob 243/09t Pkt 2.). Anderes gilt nur, wenn in der Vorentscheidung durch (Teil-)Abweisung eines überhöhten Begehrens über den Unterhaltsanspruch abschließend (aufgrund der festgestellten Verhältnisse) rechtskräftig erkannt wurde (vgl RS0006259 [T1]; 10 Ob 9/24g Rz 12, 13).

[12] 1.3. Gegenstand der mit (dem früheren) Beschluss vom 10. Dezember 2019 erfolgten Unterhaltsfestsetzung war der Antrag von N*, ihren Vater zur Leistung eines Unterhaltsbeitrags in Höhe von 416 EUR monatlich zu verpflichten. Aufgrund des auch im Unterhaltsverfahren geltenden Antragsprinzips und Dispositionsgrundsatzes (vgl 5 Ob 128/19p Pkt 4.; 8 Ob 32/17i Pkt 2.3) war das Erstgericht daran gebunden. M it sein em dem Antrag zur Gänze stattgebenden Beschluss hat es auch nur darüber erkannt, wohingegen e in etwaiger höherer Unterhaltsanspruch nicht Entscheidungsgegenstand der Vorentscheidung war. Rechtskräftig entschieden wurde daher nur über den Unterhalt in der konkret begehrten Höhe.

[13] Davon ausgehend kommt es hier nicht darauf an, ob sich die zur damaligen Unterhaltsfestsetzung führenden Umstände wesentlich geändert haben. Da dem Unterhaltsfestsetzungsbegehren zur Gänze stattgegeben wurde, kann das Kind somit einen höheren Unterhaltsbeitrag fordern, ohne dass es dazu einer Änderung der Verhältnisse bedarf. Aus diesem Grund hängt die Berechtigung des Erhöhungsantrags auch nicht davon ab, ob das im Rekurs erstattete Vorbringen zur Änderung der Umstände vom Rekursgericht zu Rechtals unzulässige Neuerung iSd § 49 AußStrG qual ifiziert wurde.

[14] 1.4. Zusammenfassend kann die Abweisung des Erhöhungsantrags somit nicht darauf gestützt werden, dass im hier zu beurteilenden Zeitraum von 1. September 2019 bis 31. Dezember 2021 keine Umstandsänderung eingetreten sei. Der Revisionsrekurs erweist sich insofern daher (im Sinn einer Aufhebung der hier angefochtenen Entscheidung) als berechtigt.

[15] Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht auch für die Unterhaltsperioden von 1. September 2019 bis 31. Dezember 2021 zu prüfen haben, ob die Einkommensverhältnisse des Vaters die begehrte Unterhaltserhöhung rechtfertigen.

2. Zum Sonderbedarf

[16] 2.1. Dazu spricht das Kind im Revisionsrekurs zwar den von den Vorinstanzen verneinten Deckungsmangel an (vgl RS0047516 ; RS0109908 [T11]; RS0047564 [T4, T5]). Es wird auch der Ansicht des Rekursgerichts entgegengetreten, es lägen keine besonderen Umstände vor, die für einen ausnahmsweisen Anspruch auf Ersatz der Anwaltskosten als Sonderbedarf sprächen (vgl RS0047539 [insb T6]).

[17] 2.2. Darauf kommt es hier aber nicht an. Wenn das Rekursgericht ausführt, das Kind sei gar nicht zum Ersatz der Kosten des Rechtsanwalts der Mutter verpflichtet, weshalb bei ihm auch kein Sonderbedarf entstanden sei, hat es dessen Aktivlegitimation für den Anspruch verneint. Auf diese selbständig zu beurteilende Rechtsfrage (vgl RS0043338 [T12]) geht der Revisionsrekurs nicht ein, sodass diese aus der Überprüfungsbefugnis des Obersten Gerichtshofs ausgeschieden ist (vgl RS0043352 [T30, T35, T39]; RS0043338 [T17, T20]). Insoweit bleibt es bei der Entscheidung des Rekursgerichts.