10Ob9/24g – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Schober, Dr. Annerl und Dr. Vollmaier und die Hofrätin Dr. Wallner Friedl als weitere Richter in der Pflegschaftssache 1. der mittlerweile volljährigen C* 2005, und der minderjährigen Kinder 2. R* 2007, und 3. F* 2009, jeweils *, alle vertreten durch Mag. Matthias Bonelli, Rechtsanwalt in Wels, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Vaters M*, vertreten durch Dr. Günter Tews, Rechtsanwalt in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 7. Juni 2023, GZ 21 R 141/23v 152, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom 29. März 2023, GZ 40 Pu 65/17i 146, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden, soweit sie die Monate Jänner, Februar, März, April und Mai 2022 betreffen, aufgehoben und das darüber geführte Verfahren für nichtig erklärt.
Dem Erstgericht wird die Entscheidung über den insoweit als Abänderungsantrag zu wertenden Antrag auf Unterhaltserhöhung aufgetragen.
Im Übrigen, somit betreffend die Monate Juni und Juli 2022, wird dem Revisionsrekurs nicht Folge gegeben.
Die Erstantragstellerin ist schuldig, dem Antragsgegner die mit 87,03 EUR (darin 13,71 EUR Barauslagen und 12,22 EUR USt) bestimmten anteiligen Kosten des Revisionsrekusrverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Mit Antrag vom 2. März 2022 begehrten die Kinder, den ihnen vom Vater zu gewährenden Unterhalt ab 1. Mai 2020 auf 650 EUR (C*) bzw je 580 EUR (R* und F*) zu erhöhen.
[2] Mit Beschluss vom 16. Mai 2022 setzte das Erstgericht – soweit hier von Interesse – den ab 1. Jänner 2021 vom Vater zu leistenden monatlichen Unterhalt für C* mit 600 EUR sowie für R* und F* mit jeweils 530 EUR fest. Das darüber hinausgehende Unterhaltsbegehren wies es ab.
[3] Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung mit Beschluss vom 6. Juli 2022 (unter anderem) dahin ab, dass es den „ab 2022“ zu leistenden Unterhalt für C* mit 470 EUR sowie für R* und F* mit je 420 EUR monatlich festsetzte. Das Mehrbegehren der Kinder wies es ab. Die Herabsetzung des Unterhalts für das hier interessierende Jahr 2022 (ab 1. Jänner 2022) begründete es vor allem damit, dass es sich bei der vom Vater im Jahr 2021 bezogenen Remuneration um eine Einmalzahlung gehandelt habe, die nicht neuerlich zu erwarten sei. Das Einkommen des Jahres 2022 sei demgemäß geringer als im Vorjahr.
[4] Mit ihrem am 14. September 2022 eingebrachten und am 10. Oktober 2022 konkretisierten Antrag begehrten die Kinder insgesamt, den Unterhalt unter anderem wegen ihnen bisher nicht bekannter weiterer Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit respektive geänderter Einkommensverhältnisse des Vaters (rückwirkend) ab 1. Jänner 2022 zu erhöhen.
[5] Mit Beschluss vom 29. März 2023 erhöhte das Erstgericht nur den für R* zu leistenden Unterhalt ab 1. Juli 2022 auf 470 EUR monatlich. Die weiteren Begehren wies es ab.
[6] Das von den Kindern angerufene Rekursgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichts (mit Teilbeschluss) dahin ab, dass es den vom Vater ab 1. Jänner 2022 zu leistenden Unterhalt für C* auf 520 EUR, für R* auf 460 EUR bzw 520 EUR ab 1. Juli 2022 und für F* auf 460 EUR erhöhte (Spruchpunkt 1.). Die Abweisung „des Mehrbegehrens“ für den Unterhalt ab 1. Jänner 2022 hob es dagegen auf und verwies die Sache insoweit ohne Rechtskraftvorbehalt zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Die um rund 11 % höheren Einkünfte des Vaters aus seiner unselbständigen Tätigkeit sei en eine wesentliche Änderung der bisherigen Verhältnisse, die schon für sich die Erhöhung des Unterhalts rechtfertigten. Wie hoch die Einkünfte des Vaters aus seiner selbständigen Tätigkeit seien, stehe dagegen noch nicht definitiv fest. Ob sich der Unterhalt noch weiter erhöhe, könne erst nach entsprechender Klärung abschließend beurteilt werden.
[7] Den Revisionsrekurs gegen den meritorischen Teilbeschluss ließ das Rekursgericht nachträglich zu, weil es mit seiner Entscheidung unter Umständen in die Rechtskraft der Vorentscheidung eingegriffen habe.
[8] Gegen die den Unterhaltszeitraum 1. Jänner 2022 bis 31. Juli 2022 betreffende Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Begehren, den Antrag auf Unterhaltserhöhung insoweit zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
[9] Der Revisionsrekurs ist zulässig und teilweise auch berechtigt.
[10] 1. Auch im außerstreitigen Verfahren ergangene Beschlüsse sind der materiellen Rechtskraft zugänglich und können nur bei geänderten Verhältnissen abgeändert werden (RS0107666; RS0053297; RS0007171). Solche liegen vor, wenn neue Tatsachen eingetreten sind oder wenn schon zur Zeit der früheren Entscheidung eingetretene Tatsachen dem Gericht erst später bekannt werden (RS0019012; RS0007145 [insb T1]; RS0047398 [T4] ua). Geänderten tatsächlichen Verhältnissen ist daher auch ein Sachverhalt gleichzuhalten, bei dem die wahren Einkommensverhältnisse anlässlich der Unterhaltsfestsetzung unbekannt waren (RS0107667 [T2]; 3 Ob 41/23k Rz 15 ua).
[11] 2. Ein Antrag, den Unterhalt trotz unverändert gebliebener Verhältnisse neu zu bemessen, ist zwar wegen Rechtskraft zurückzuweisen (vgl RS0007161). Ein Anspruch, den der Berechtigte gar nicht geltend gemacht hat, kann aber nicht in Rechtskraft erwachsen, zumal Voraussetzung der materiellen Rechtskraftwirkung die Identität der Ansprüche ist (RS0006259). Bei Geltendmachung eines Anspruchsteils erfasst die Rechtskraft den Anspruch nur soweit, als über ihn entschieden wurde. Dabei macht es keinen Unterschied, ob offengelegt wurde, dass nur ein Anspruchsteil geltend gemacht werde, der Antrag als Teilantrag bezeichnet oder die Geltendmachung des Anspruchsrests ausdrücklich vorbehalten wurde. In dieser Situation kommt es auch nicht darauf an, ob sich seit der Vorentscheidung die für die Unterhaltsbemessung maßgebenden tatsächlichen Verhältnisse geändert haben (RS0007143; RS0007161 [T3]; 6 Ob 243/09t ErwGr 2. ua).
[12] 2.1. Anderes gilt jedoch für die hier vorliegende Konstellation, bei der im Vorverfahren durch eine (teilweise) Abweisung eines überhöhten Unterhaltsbegehrens über den Unterhaltsanspruch abschließend (aufgrund der festgestellten Verhältnisse) rechtskräftig erkannt wurde. In diesem Fall steht dem höheren Unterhaltsbegehren die Rechtskraft der Vorentscheidung entgegen (RS0006259 [T1]; 1 Ob 152/13d ErwGr 2.; 2 Ob 90/09p ErwGr 2. ua).
[13] 2.2. Die materielle Rechtskraft erfasst dabei aber nur die vor der Beschlussfassung liegenden Zeiträume, wobei Stichtag der Bindungswirkung der Tag der erstinstanzlichen Beschlussfassung im Verfahren über den Vortitel (hier: 16. Mai 2022) ist. Da es auf die der Beurteilung unterzogene Sachlage ankommt, ist der Tag der Rekursentscheidung nur dann maßgeblich, wenn in dieser zulässige Neuerungen beachtet wurden (2 Ob 93/22y Rz 23 mwN ua).
[14] 3. Darauf aufbauend wurde im Anlassfall mit der Vorentscheidung (dem Beschluss vom 16. Mai 2022) durch die Teilabweisungen der überhöhten Unterhaltsbegehren über die Unterhaltsansprüche in den davor liegenden Zeiträumen abschließend rechtskräftig erkannt. Der Tag der Entscheidung des Rekursgerichts (6. Juli 2022) ist hingegen nicht relevant, weil im Rekursverfahren keine Neuerungen Berücksichtigung fanden. Aufgrund der Rechtskraft der Entscheidung kann die von den Kindern begehrte Neubemessung des Unterhalts daher erst ab dem (der erstinstanzlichen Entscheidung) folgenden Monatsersten (also ab 1. Juni 2022) erfolgen. Eine Unterhaltserhöhung für die davor liegenden Zeiträume ist dagegen nur im Weg eines Abänderungsantrags nach den §§ 72 ff AußStrG möglich (7 Ob 16/14z ErwGr 1.5.; 6 Ob 127/12p ErwGr 2.1.; 2 Ob 90/09p ErwGr I.5. ua).
[15] 4. Zusammenfassend haben die Vorinstanzen daher teilweise gegen die Rechtskraft der Vorentscheidung verstoßen, was insoweit zur teilweisen Aufhebung der Entscheidung(en) und zur Nichtigerklärung des darüber geführten Verfahrens führt.
[16] Diese betrifft auch das von der Aufhebung durch das Rekursgericht umfasste (Mehr )Begehren. Da aufgrund der Entscheidung über den Revisionsrekurs insofern keine weitere Behandlung mehr stattzufinden hat, kann der Oberste Gerichtshof auch über den vom Aufhebungsbeschluss betroffenen Teil entscheiden ( Rassi in Schneider/Verweijen , AußStrG § 64 FN 33; vgl RS0040804 [T4]).
[17] 4.1. Einer Teilzurückweisung des Antrags auf Unterhaltserhöhung bedarf es dagegen nicht. Betrachtet man die den Erhöhungsanträgen zugrundeliegenden Behauptungen, folgt daraus, dass sich die Antragsteller auf zwischenzeitig bekannt gewordene Konzerte des Vaters (erkennbar) auch im Zeitraum von 1. Jänner 2022 bis 31. Mai 2022 stützten, was zwanglos dem Abänderungsgrund des § 73 Abs 1 Z 6 AußStrG unterstellt werden kann. Da eine bloße Fehlbezeichnung nicht schadet, ist der Erhöhungsantag der Kinder insofern daher in einen Abänderungsantrag iSd § 73 AußStrG umzudeuten (vgl 6 Ob 16/14t ErwGr 9.4.). Ob dabei noch eine Ergänzung des Vorbringens erforderlich ist, bleibt der Beurteilung durch das Erstgericht vorbehalten.
[18] 4.2. Da die Nichtigkeit nicht auch die Monate Juni und Juli 2022 erfasst und der Revisionsrekurs für diesen Zeitraum auch sonst keine Unrichtigkeit der Entscheidung des Rekursgerichts aufzeigt, war ihm insoweit nicht Folge zu geben.
[19] 5. Die Kostenentscheidung (hinsichtlich C*) beruht auf § 78 AußStrG. Da sie im Revisionsrekursverfahren bereits volljährig war, kommt § 101 Abs 2 AußStrG nicht mehr zur Anwendung (vgl RS0123811). Der Vater ist mit fünf von sieben Monaten durchgedrungen, was einem Erfolg von (gerundet) 72 % entspricht. Er hat demgemäß Anspruch auf Ersatz von 44 % des auf C* entfallenden Anteils (von rund 36 %) seiner Kosten und 72 % der anteiligen Barauslagen. Der Ansatz beträgt aber nur 208,20 EUR (die Erhöhung nach der Zuschlags-Verordnung zum RATG [BGBl II 2023/131] ist darin bereits berücksichtigt).
[20] Hinsichtlich R* und F* wurden Kosten nicht begehrt (vgl § 101 Abs 2 AußStrG).