JudikaturOGH

1Ob192/24b – OGH Entscheidung

Entscheidung
Zivilrecht
27. Mai 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Mag. Dr. Wurdinger als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Wessely-Kristöfel, Dr. Parzmayr, Dr. Vollmaier und Dr. Pfurtscheller als weitere Richterinnen und Richter in der Pflegschaftssache der mj D*, geboren * 2017, wohnhaft in *, Kalifornien, USA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter J*, und der Minderjährigen, beide vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in Bregenz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau als Rekursgericht vom 30. Oktober 2023, GZ 2 R 63/23m-85, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Das unterbrochene Revisionsrekursverfahren wird fortgesetzt.

II. Der Antrag, eine mündliche Revisionsrekursverhandlung anzuberaumen, wird abgewiesen.

III. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Minderjährige ist sowohl österreichische als auch amerikanische Staatsbürgerin. Sie lebte bis August 2019 gemeinsam mit ihren Eltern in Kalifornien. Im August 2019 übersiedelte die Mutter mit ihr gegen den Willen des Vaters nach Österreich. Über Antrag des Vaters trug der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 12. 5. 2021 zu 6 Ob 83/21f dem Erstgericht den Vollzug der zwangsweise angeordneten Rückführung der Minderjährigen in das Staatsgebiet der Vereinigten Staaten von Amerika auf. Aufgrund dieser Rückführungsentscheidung hält sich das Kind seit 21. 1. 2022 wieder in Kalifornien auf. Vor dem Superior Court of California, County of Santa Clara, ist ein Pflegschaftsverfahren anhängig, in welchem dem Vater mit Entscheidung vom 21. 9. 2022 endgültig die alleinige Obsorge für die Minderjährige übertragen wurde.

[2] Das Erstgericht fasste im Hinblick auf die Entscheidung des kalifornischen Gerichts den Beschluss, von der Fortsetzung des seit 9. 8. 2019 anhängigen inländischen Pflegschaftsverfahrens gemäß § 110 Abs 2 JN abzusehen.

[3] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

[4] Der dagegen von der Mutter und auch im Namen der Minderjährigen erhobene (richtig:) außerordentliche Revisionsrekurs (vgl RS0110049) zielt auf eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen ab. Hilfsweise wird beantragt, der Mutter die Obsorge für das Kind alleine zu übertragen.

[5] I. Der Oberste Gerichtshof hat das Revisionsrekursverfahren mit Beschluss vom 21. 1. 2025 bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die im Revisionsrekurs enthaltene Ablehnung zweier Richter des Rekurssenats unterbrochen. Der Ablehnungsantrag wurde mittlerweile (ebenso wie eine wiederholte Ablehnung der Erstrichterin; Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 31. 3. 2025, 2 R 114/24p) rechtskräftig zurückgewiesen (Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 24. 2. 2025, 12 R 3/25m). Das Revisionsrekursverfahren ist daher fortzusetzen.

[6] Soweit das Rechtsmittel die Befangenheit der im Rückführungsverfahren nach dem HKÜ zu 6 Ob 83/21f entscheidenden Richter rügt, ist nicht das vorliegende Pflegschaftsverfahren berührt.

[7] II. Die beantragte Durchführung einer Revisionsrekursverhandlung ist schon deshalb abzulehnen, weil der Oberste Gerichtshof auch im Außerstreitverfahren nicht als Tatsacheninstanz, sondern als Rechtsinstanz nur über Rechtsfragen zu entscheiden hat und daher Beweisaufnahmen oder -ergänzungen nicht in Betracht kommen. Die Revisionsrekurswerberinnen hatten in ihrem Rechtsmittel ausreichend Gelegenheit zur Darlegung ihres Rechtsstandpunkts (RS0043689 [T4]).

[8] III. Der außerordentliche Revisionsrekurs zeigt keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf.

[9] 1. Vorauszuschicken ist, dass im (am 20. 11. 2023 beim Erstgericht eingebrachten) Revisionsrekurs sowohl die Mutter als auch das Kind als Rechtsmittelwerber aufscheinen. Die Frage, ob die einschreitende Rechtsanwalts Gesellschaft per 30. 1. 2023 ( Vollmachtsbekanntgabe vom 31. 1. 2023) rechtswirksam namens des unmündigen Kindes bevollmächtigt wurde (§ 37 Abs 1 ZPO iVm § 6 Abs 4 AußStrG), obwohl die alleinige Obsorge seit der Entscheidung des Superior Court of California, County of Santa Clara, vom 21. 9. 2022 dem Vater zukommt, kann auf sich beruhen. Von der Durchführung eines Verbesserungsverfahrens gemäß § 10 Abs 4 AußStrG kann Abstand genommen werden, wenn ein jedenfalls unzulässiges Rechtsmittel vorliegt ( vgl 6 Ob 168/24k [Rz 6] mwN ) oder dem Rechtsmittel auch nach Verbesserung von vornherein eindeutig kein Erfolg beschieden sein kann (vgl RS0005946 [T18]). Letzteres ist hier der Fall.

[10] 2. Die Entscheidung, ob von der Fortsetzung eines inländischen Verfahrens abgesehen wird oder nicht, liegt im Ermessen des Gerichts, das sich am Wohl des Kindes, nämlich der ausreichenden Wahrung der Interessen durch die Behörden des ausländischen Staats, orientieren muss (RS0099363 [T1]). Ob die Voraussetzungen des § 110 Abs 2 JN vorliegen, kann daher nur anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls beurteilt werden, sodass der Entscheidung – abgesehen von korrekturbedürftiger Fehlbeurteilung – keine darüber hinausgehende Bedeutung zukommt (2 Ob 199/23p [Rz 4] mwN = RS0099363 [T11]).

[11] 3. D ie Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass sowohl das Kindeswohl als auch die Grundwerte der österreichischen Rechtsordnung – insbesondere das Gehör der Mutter – im amerikanischen Verfahren gewahrt wurden, zumal sich im kalifornischen Kindschaftsrecht deutliche Parallelen zur österreichischen R echtslage finden . Vor allem stelle § 3040 des (kalifornischen) Family Code explizit auf das Kindeswohl als zentrales Entscheidungskriterium ab.

[12] Nicht zuletzt im Hinblick auf die Vielzahl der vom kalifornischen Gericht den Eltern im Interesse des Kindes erteilten Aufträge ist die Beurteilung der Vorinstanzen zum Wohl der Minderjährigen nicht korrekturbedürftig.

[13] 4 . Daran wecken auch die Rechtsmittelausführungen keine Zweifel:

[14] Überwiegend beschäftigen sie sich mit dem rechtskräftig abgeschlossenen Rückführungsverfahren nach dem HKÜ und beziehen sich daher nicht auf die hier angefochtenen Entscheidungen. Die Ansicht der Mutter, es liege eine Verletzung der Geschäftsverteilung vor, weil in erster Instanz nicht die mit Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 24. 11. 2021, 2 R 125/21a, in diesem Verfahren rechtskräftig für befangen erklärte Richterin entschieden habe, übersieht, dass die erfolgreiche Ablehnung zu einer Änderung der Richterin für die zu entscheidende Rechtssache führte. Soweit eine vermeintliche Aktenwidrigkeit und angebliche Feststellungsmängel zum Gang des Obsorgeverfahrens die Befangenheit der Erstrichterin und der anderen abgelehnten Richter offenbaren sollen, ist auf die rechtskräftigen Ablehnungsentscheidungen zu verweisen. Der VfGH hat mit seinem – im Rechtsmittel zitierten – Beschluss vom 12. 6. 2023, G 203/2023, eine Behandlung des Gesetzesprüfungsantrags des Kindes und der Mutter abgelehnt, weil er nicht erkennen konnte, dass § 110 Abs 2 JN gegen Art 6 EMRK und Art 47 GRC verstößt. Die Revisionsrekurswerberinnen führen nicht näher aus, was sie daraus ableiten möchten, dass vor der Rückführung sehr wohl ein gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes in Österreich begründet worden wäre. Weder die internationale Zuständigkeit der inländischen Gerichte noch die Anwendbarkeit des § 110 Abs 2 JN wird im Revisionsrekurs in Frage gestellt. Für die Behauptung, die amerikanische Rechtsordnung behandle ausländische Eltern nicht gleichberechtigt wie amerikanische, nennt das Rechtsmittel, das der Judikatur in den Vereinigten Staaten bloß „unsäglichen Chauvinismus“ unterstellt, keine konkreten Anhaltspunkte. Entgegen der Meinung im Revisionsrekurs hat das Erstgericht die Stellungnahme des Kinder- und Jugendhilfeträgers sehr wohl bei seiner Entscheidung berücksichtigt.