JudikaturOGH

9Ob79/24v – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. April 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Mag. Böhm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. B* AG, *, 2. E* AG, *, 3. Z* AG, *, und 4. V* AG, *, alle vertreten durch Mag. Thomas Preisinger, Rechtsanwalt in Wien, sowie der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei L*, vertreten durch Dr. Bertram Grass und Mag. Christoph Dorner Rechtsanwälte in Bregenz, gegen die beklagte Partei J* GmbH, *, vertreten durch Mag. Natalie König Bechter, Rechtsanwältin in Bregenz, wegen 17.039 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 16. Mai 2024, GZ 2 R 49/24h 50, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 24. Jänner 2024, GZ 43 Cg 76/22v 42 (richtig: 43), Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit 1.692,46 EUR (darin enthalten 282,08 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerinnen sind Versicherer eines Kastenwagens Ford Transit der T* GmbH. Das Fahrzeug wurde am 7. 12. 2020 durch einen umgestürzten Baum auf einer im Eigentum der Beklagten stehenden Liegenschaft beschädigt. Der dadurch entstandene Schaden wurde von den Klägerinnen ersetzt.

[2] Der Lenker des später beschädigten Fahrzeugs hatte dieses parallel zur Grundstücksgrenze auf dem Grundstück der Beklagten unter einem Baum abgestellt, obwohl er bereits wiederholt von Mitarbeitern der Beklagten darauf hingewiesen worden war, dass er das nicht dürfe. Zu diesem Zeitpunkt war in diesem Bereich ein „Halte und Parkverbot“ Schild aufgestellt. Ob auch ein sonst wiederholt angebrachtes Absperrband vorhanden war, konnte nicht festgestellt werden. Am Unfallort dürfen grundsätzlich keine Kraftfahrzeuge abgestellt werden, weil dieser Teil eines Wasserschutzgebiets ist. Geeignete Parkplätze sind vorhanden.

[3] Der später umgestürzte Baum war erkennbar alt und hatte eine leichte Schieflage. Die Wurzeln waren komplett zersetzt. Die Bäume auf der Liegenschaft wurden vor dem Vorfall nicht durch einen Fachmann überprüft.

[4] Bei den Bergungsarbeiten durch die Feuerwehr kam es zu einer Vergrößerung des Schadens.

[5] Die Klägerinnenbegehren nach § 67 VersVG 17.039 EUR sA als Ersatz der von ihnen an die Fahrzeugeigentümerin geleisteten Zahlung. Die Haftung der Beklagten werde auf § 1319 ABGB gestützt.

[6] Die auf Seiten der Klägerinnen beigetretene Nebenintervenientin brachte vor, ein etwaiges Parkverbot befreie die Beklagte weder von der Haftung, noch begründe es ein Mitverschulden des Fahrzeuglenkers.

[7] Die Beklagtebestreitet, für sie sei nicht erkennbar gewesen, dass von dem Baum eine Gefahr ausgehen könnte. Dem Lenker sei mehrfach mündlich untersagt worden, auf der Liegenschaft zu parken. § 1319a ABGB verdränge als Spezialnorm § 1319 ABGB. Darüber hinaus sei das Grundstück nicht öffentlich zugänglich gewesen. Der Schaden sei bei der Bergung erheblich vergrößert worden.

[8] Das Erstgerichtgab der Klage statt. Es ging dabei von der Geltendmachung einer Gesamthandforderung aus. Die Beklagte habe als Eigentümerin und Halterin des Baums die zur Abwendung einer von diesem ausgehenden Gefahr erforderliche Sorgfalt nicht aufgewendet, weshalb sie für den eingetretenen Schaden nach § 1319 ABGB hafte.

[9] Das Berufungsgerichtgab der dagegen erhobenen Berufung der Beklagten Folge und änderte die angefochtene Entscheidung dahingehend ab, dass die Klage abgewiesen wurde. Für die Beklagte als Halter des Baums sei dessen mangelhafter Zustand bereits über einen längeren Zeitraum von außen erkennbar gewesen, dessen ungeachtet habe sie die Standfestigkeit des Baums nicht überprüft. Allerdings habe der Lenker das Fahrzeug bewusst entgegen der ausdrücklichen Anordnung dort geparkt. Es liege kein sachlicher Grund vor, eine Verkehrssicherungspflicht nach § 1319 ABGB auch gegenüber bewusst in einen fremden Bereich eindringenden Personen anzunehmen.

[10]Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage, ob auch bei einer Haftung nach § 1319 ABGB eine Beschränkung auf „befugte“ Benutzer gerechtfertigt sein könne, nicht bestehe.

[11] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerinnen mit dem Antrag, die Entscheidung der ersten Instanz wiederherzustellen, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[12] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[13]Die Revision ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig. Sie kann keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen.

[14]1. Voranzustellen ist, dass der mit BGBl I Nr 2024/33 eingeführte § 1319b ABGB nur auf Schadensereignisse anzuwenden ist, die nach dem 30. 4. 2024 eintreten (§ 1503 Abs 25 ABGB). Im vorliegenden Fall ist daher die frühere Rechtslage anzuwenden.

[15]2. Der Besitzer eines Werks haftet gemäß   1319 ABGB, wenn das Schadensereignis die Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Werks ist und er nicht beweist, dass er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt aufgewendet hat.

[16]Erforderlich sind jene Schutzvorkehrungen und Kontrollmaßnahmen, die vernünftigerweise nach der Verkehrsauffassung erwartet werden können (RS0030049). Dabei ist ein objektiver Maßstab anzuwenden (RS0023525 [T6]). Es ist zu prüfen, welche Schutzvorkehrungen und Kontrollen ein sorgfältiger Eigentümer getroffen hätte (RS0030049 [T9]). Die Haftung setzt jedenfalls die Erkennbarkeit oder doch die Vorhersehbarkeit der Gefahr voraus (vgl RS0023525). Der für Schäden durch Ablösung von Bäumen analog den Bestimmungen des § 1319 ABGB Haftende muss keine über seine Diligenzpflicht nach § 1297 ABGB hinausgehenden besonderen Vorsichtsmaßnahmen treffen (RS0026229).

[17]Das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen den Schadenseintritt richtet sich dabei immer nach den Umständen des Einzelfalls und begründet – von einer krassen Fehlbeurteilung abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0029874, RS0029991).

[18]3. Nach ständiger Rechtsprechung wird die Haftungsregelung des § 1319 ABGB analog auch auf Schäden angewendet, die durch umstürzende Bäume oder herabfallende Äste verursacht wurden (vgl RS0026229). Bei Bäumen liegt der Grund für die verschärfte Haftung nicht darin, dass Bäume an sich als gefährlich angesehen werden, sondern dass die erhöhte Gefährlichkeit auf einem Mangel beruht. Mangelhafte Beschaffenheit liegt daher nur dann vor, wenn durch den Zustand eines Baums von diesem eine besondere Gefahr ausgeht. Sie kann infolge mechanischer Verletzungen des Baums oder einer Krankheit, unter Umständen aber auch bei einem abnormen Wuchs bestehen (RS0026229 [T8]).Dabei hat der Geschädigte im Rahmen einer Haftung nach § 1319 ABGB zu behaupten und zu beweisen, dass der Einsturz oder die Ablösung auf die mangelhafte Beschaffenheit des Baums zurückzuführen ist. Der Eigentümer hat sodann zu beweisen, dass er alle Vorkehrungen zur Verhinderung des Schadens getroffen hat (vgl 2 Ob 203/11h mwN).

[19] 4 .Die allgemeine Verkehrssicherungspflicht verlangt Sicherungsmaßnahmen zum Schutz aller Personen, deren Rechtsgüter durch die Schaffung einer Gefahrenlage verletzt werden können. Das bezieht sich auch auf Gefahren, die erst durch den unerlaubten und vorsätzlichen Eingriff eines Dritten entstehen. Voraussetzung ist allerdings immer, dass die Möglichkeit der Verletzung von Rechtsgütern Dritter bei objektiver sachkundiger Betrachtung zu erkennen ist (RS0023801).

[20]Nach der Rechtsprechung entfällt bei Schaffung oder Duldung einer besonderen Gefahrenquelle die Verkehrssicherungspflicht nicht schon dann, wenn jemand unbefugt in einen fremden Bereich eingedrungen ist. Grundsätzlich wird zwar jemand nicht für schutzwürdig erachtet werden können, der sich unbefugt in den Gefahrenbereich begeben hat, weil er nicht damit rechnen kann, dass Schutzmaßnahmen zugunsten unbefugt Eindringender getroffen werden. Besteht jedoch die Möglichkeit, dass Personen versehentlich in den Gefahrenbereich gelangen (etwa weil nicht leicht erkennbar ist, dass ein Privatgrundstück betreten wird), oder dass Kinder oder andere Personen, die nicht die nötige Einsichtsfähigkeit haben, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, gefährdet werden, oder besteht eine ganz unerwartete oder große Gefährdung, so kann eine Interessenabwägung ergeben, dass der Inhaber der Gefahrenquelle auch zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung von Gefahren zu ergreifen hat (2 Ob 223/15f; 7 Ob 171/11i; 4 Ob 280/00f mwN).

[21]5. Bei § 1319 ABGB handelt es sich um einen speziell geregelten Tatbestand der allgemein anerkannten Verkehrssicherungspflichten (2 Ob 24/23b; 2 Ob 60/11d ua). Da sich der Umfang der vom Besitzer des Werks zu setzenden Schutzvorkehrungen – wie zuvor ausgeführt – abhängig von den Umständen des Einzelfalls objektiv nach der Erkennbarkeit oder Vorhersehbarkeit der Gefahr richtet, sind diese Kriterien auch für die Prüfung der Haftung gegenüber unbefugt in den Gefahrenbereich eindringende Personen maßgeblich. Insoweit besteht kein von der Rechtsprechung zu den allgemeinen Verkehrssicherungspflichten abweichender Prüfungsmaßstab.

[22] 6. Die Revision argumentiert in diesem Zusammenhang, dass zwischen Fällen der Eröffnung eines Verkehrs und der Schaffung oder Duldung einer Gefahrenquelle zu differenzieren sei. Sie verweist dazu jedoch lediglich auf die Rechtsprechung, nach der Verkehrssicherungspflichten nicht dadurch ausgeschlossen sind, dass der Geschädigte in ein fremdes Rechtsgut eingedrungen ist. Das entspricht aber ohnehin der zuvor dargestellten Judikatur. Dass eine Haftung nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, enthält aber keine Aussage darüber in welchen Fällen eine Haftung aufgrund welcher Unterlassungen von Schutzmaßnahmen tatsächlich besteht.

[23] Auch die in der Revision enthaltene Aussage, dass gerade Gefahrenquellen eine besondere Anziehungskraft für Unbefugte ausübten, ist unabhängig von ihrer Richtigkeit für den vorliegenden Fall irrelevant. Die vom konkreten Baum ausgehende Gefahr wurde von niemandem erkannt. Es handelt sich schlicht um einen Fall unbefugten Parkens.

[24] 7. Aus den Feststellungen ergibt sich, dass das Fahrzeug unbefugt auf der privaten Liegenschaft der Beklagten auf einem Grasstreifen abgestellt wurde, auf dem ein Schild aufgestellt war, nach dem das Halten und Parken verboten war, diese Stelle auch wiederholt mit Absperrbändern gekennzeichnet war und der Lenker zuvor mehrfach darauf hingewiesen worden war, dass er hier nicht parken dürfe. Davon ausgehend hält sich die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte nicht für Schäden haftet, die im Zuge des neuerlichen unbefugten Abstellens dieses Fahrzeugs auf ihrer privaten Liegenschaft entstanden sind, im Rahmen des eingeräumten Ermessensspielraums.

[25] 8. Zwar ist es richtig, wovon die Vorinstanzen auch ausgegangen sind, dass die Beklagte es verabsäumt hat, indizierte Kontrollen des Zustands des Baums vorzunehmen. Dieser Baum befand sich aber auf dem Privatgrund der Beklagten und hatte sie im zuvor aufgezeigten Sinn dafür Sorge getragen, dass dieser nicht von Unbefugten betreten wird. Auch wenn diese Verbote nicht deshalb aufgestellt wurden, um eine vom konkreten Baum ausgehende Gefahr zu verhindern, ist die Beurteilung, dass für sie keine Veranlassung bestand, weitergehende Sicherungsmaßnahmen zu treffen, um jedwede Gefahr die Unbefugten auf ihrer Liegenschaft drohe, auszuschließen, nicht korrekturbedürftig. Die Frage des Verbotszwecks stellt sich in diesem Zusammenhang nicht.

[26] 9. Der Lenker des Fahrzeugs begab sich auch nicht versehentlich in den Gefahrenbereich, sondern missachtete bewusst das ihm gegenüber mehrfach wiederholte Parkverbot. Aus der Tatsache, dass er dies bereits wiederholt getan hatte, lässt sich nicht ableiten, dass die Beklagte ihm gegenüber eine erhöhte Sorgfaltspflicht trifft.

[27] 10. Inwieweit von einer „großen“ Gefahr zu sprechen ist, ist letztlich eine Frage des Einzelfalls. Dazu hat das Berufungsgericht darauf verwiesen, dass diese im konkreten Fall gegenüber den in der Judikatur bereits beurteilten Fällen von ungesicherten Baugruben, Rennstrecken und Werkshallen ausgehenden Gefahren als geringer eingestuft werden kann. Damit wird nicht auf den möglicherweise entstehenden Schadensumfang, sondern auf die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts abgestellt. Warum diese Rechtsauffassung unrichtig sein soll, wird in der Revision nicht aufgezeigt.

[28]11. Insgesamt gelingt es den Klägerinnen nicht, das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die Revision der Klägerinnen ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[29]12. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revisionen hingewiesen. Die Nebenintervenientin beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren, daher steht nur ein Streitgenossenzuschlag von 20 % zu.