10ObS41/25i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi, den Hofrat Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Anja Pokorny (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Mag Franjo Schruiff, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1020 Wien, Friedrich Hillegeist Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 25. Februar 2025, GZ 7 Rs 19/25b 64, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die 1977 geborene Klägerin absolvierte eine fünfjährige Ausbildung an einer Höheren Lehranstalt für Mode und Bekleidungstechnik, die sie 1997 mit der Reife und Diplomprüfung abschloss. Sie war in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 1. 2022) bis zum 13. 1. 2019 mit geringen Unterbrechungen bei mehreren Unternehmen der Bekleidungsbranche als Angestellte tätig. Sie übte zuletzt bis 2019 als „Sales Assistent“ (62 Monate) sowohl Tätigkeiten aus dem Kernbereich einer Schneiderin als auch einer Verkäuferin aus. Es war nicht feststellbar, dass dabei Tätigkeiten aus dem Kernbereich einer Schneiderin überwogen haben. Wegen ihres eingeschränkten Leistungskalküls ist der Klägerin weder die Tätigkeit als Schneiderin (inkl qualifizierter Verwendungsalternativen) noch die Tätigkeit als Verkäuferin weiterhin zumutbar. Hingegen ist sie in der Lage, bestimmte Angestelltentätigkeiten in den Beschäftigungsgruppen 2 bis 3 des Kollektivvertrags für Lehrlinge und Angestellte in Handelsbetrieben (Informationsdienstangestellte in Handelsbetrieben, Büroangestellte) auszuüben.
[2] Die Vorinstanzen verneinten den Anspruch der Klägerin auf eine Berufsunfähigkeitspension, in eventu auf Leistungen wegen vorübergehender Berufsunfähigkeit.
Rechtliche Beurteilung
[3] In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerinkeine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.
[4]1. Der Oberste Gerichtshof hat sich mit der auch hier strittigen Frage der Verweisbarkeit eines Facharbeiters, dessen im erlernten Beruf erworbene Kenntnisse bei seiner zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübten Angestelltentätigkeit von wesentlicher Bedeutung waren, bereits mehrfach auseinandergesetzt (vgl zB 10 ObS 71/06y; 10 ObS 93/06h; 10 ObS 110/06h; 10 ObS 111/08h). Es wurde dabei festgehalten, dass für die Frage der Verweisbarkeit nach § 273 ASVG die vom Versicherten zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübte kaufmännische Angestelltentätigkeit maßgebend ist und für die Beurteilung dieser Frage eine (einschlägige) Arbeitertätigkeit auch dann außer Betracht zu bleiben hat, wenn bei der Angestelltentätigkeit die im erlernten Beruf erworbenen Kenntnisse von wesentlicher Bedeutung waren (10 ObS 71/06y; 10 ObS 93/06h; 10 ObS 80/09a; 10 ObS 111/08h mwN; 10 ObS 65/13a; RS0084837 [T6]; RS0083742 [T6]). Das korrespondiert mit jener Rechtsprechung, wonach durch die Tätigkeit als Angestellter ein eigener und von einer anderen erlernten oder angelernten Tätigkeit unabhängiger Berufsschutz erworben wird (RS0084837 [T2]).
[5] 2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, dass die Klägerin – ungeachtet des Umstands, dass sie bei der zuletzt ausgeübten Angestelltentätigkeit auch die als Schneiderin erworbene Kenntnisse angewandt hat – auf eine andere Angestelltentätigkeit verwiesen werden kann, weicht von den aufgezeigten Grundsätzen nicht ab und bedarf daher keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung.
[6] 3. Insoweit die Klägerin den Standpunkt vertritt, dass die bisherige Judikatur nur Fälle betreffe, bei denen der Versicherte zuletzt nur eine „reine Angestelltentätigkeit“ und nicht – wie gegenständlich – eine „Mischtätigkeit“ ausgeübt hätte, kann darauf die Zulässigkeit des Rechtsmittels aus folgenden Erwägungen nicht gestützt werden:
[7]3.1 Nach gesicherter Rechtsprechung richtet sich im Sozialversicherungsrecht der Angestelltenbegriff und die Frage, ob nach den insofern relevanten Bestimmungen Berufsschutz besteht, ausschließlich nach dem Inhalt der verrichteten Tätigkeit (10 ObS 199/21v Rz 7; 10 ObS 182/21v Rz 1; RS0083723 [T1]; RS0084342 [T5, T6]). Für den Berufsschutz als Angestellter ist somit darauf abzustellen, dass Tätigkeiten iSd § 1 Abs 1 AngG verrichtet wurden (RS0084837 [T4]). Werden Tätigkeiten verrichtet, die sich sowohl als Tätigkeit als Angestellter als auch als Arbeiter beurteilen lassen (Mischtätigkeit), dann entscheidet im Allgemeinen das zeitliche Überwiegen (vgl RS0028025).
[8]3.2 Es wirft keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung auf, wenn die Vorinstanzen mangels feststellbaren Anteils der Tätigkeit als Schneiderin für die relevante Frage des Berufsschutzes (vgl RS0106498; RS0084954) in rechtlicher Hinsicht davon ausgegangen sind, dass die Klägerin zuletzt nicht bloß vorübergehend eine Tätigkeit als Angestellte ausgeübt hat. Die Voraussetzungen für die angestrebte Versicherungsleistung sind nämlich von der klagenden Versicherungsnehmerin zu beweisen (RS0112006). Im Anlassfall steht aber gerade nicht fest, dass die von ihr beim letzten Arbeitsverhältnis ausgeübte Tätigkeit aus dem Kernbereich einer Schneiderin überwogen hätte.
[9]3.3 Der im Rechtsmittel aufgeworfenen Frage, ob der Klägerin Berufsschutz als gelernte Arbeiterin (Schneiderin) zukommt, hat für die Klärung des geltend gemachten Anspruchs keine Relevanz und wirft schon deshalb keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung auf. Ein Versicherter, der mehrfach Berufsschutz als Angestellter und auch als qualifizierter Arbeiter in einem erlernten oder angelernten Beruf genießt, kann in allen Berufssparten, auf die sich sein Berufsschutz erstreckt, verwiesen werden, weil er über vielfältigere Ausbildungen, Kenntnisse und Fähigkeiten als ein nur in einem Beruf tätig gewesener Versicherter verfügt (10 ObS 80/09a; 10 ObS 65/13a ErwGr 6.2.; RS0084837 [T7]).
[10]4. Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin behaupteten Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens geprüft und verneint. Sie können in dritter Instanz daher nicht erneut geltend gemacht werden (RS0043061; RS0042963).