JudikaturOGH

3Ob6/23p – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. März 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Insolvenzsache der Schuldnerin J* P*, vertreten durch Englmair Rechtsanwalts GmbH in Linz, hier wegen einer Vollzugsbeschwerde der Absonderungsgläubigerin H* Privatstiftung, *, vertreten durch Dr. Herbert Heigl und Mag. Willibald Berger, Rechtsanwälte in Marchtrenk, über den Revisionsrekurs des Erstehers E* L*, vertreten durch Höhne, In der Maur Partner Rechtsanwälte GmbH Co KG in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 5. Oktober 2022, GZ 4 R 194/21k 67, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Graz Ost vom 5. Oktober 2021, GZ 240 Hc 6/19h 55, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Ersteher ist schuldig, der Absonderungsgläubigerin die mit 2.249,16 EUR (darin enthalten 374,86 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Das Insolvenzgericht bewilligte über Antrag des Insolvenzverwalters gemäß § 119 Abs 1 IO die gerichtliche Veräußerung des in die Insolvenzmasse fallenden 36,333 %igen (Miteigentums-)Anteils der Schuldnerin am Bild „Felsgrottenmadonna“ angeblich von Leonardo da Vinci. Der Insolvenzverwalter schloss seinem Antrag ein Schätzgutachten an und verzichtete auf eine neuerliche Schätzung.

[2] Daraufhin setzte das Erstgericht (Exekutionsgericht) den Schätzwert hinsichtlich des Miteigentumsanteils mit 43.599,60 EUR fest und teilte den Akt dem Gerichtsvollzieher zur Verwertung zu, der sich für die Durchführung einer Internetversteigerung entschied. Die Möglichkeit eines Sofortkaufs wurde dabei nicht ausgeschlossen. Der Versteigerungsbeginn wurde mit 20. 5. 2021, 8:00 Uhr, und das Angebotsende mit 17. 6. 2021, 20:00 Uhr, festgesetzt. In der Folge erteilte der Gerichtsvollzieher am 20. 5. 2021 dem Ersteher den Zuschlag durch Sofortkauf um das Meistbot von 54.499,50 EUR. Die Versteigerung war damit am 20. 5. 2021 um 8:45 Uhr beendet.

[3] D ie Absonderungsgläubigerin erhob eine Vollzugsbeschwerde nach § 68 EO, die sich gegen den erteilten Zuschlag durch Sofortkauf richtete.

[4] Das Erstgericht wies die Vollzugsbeschwerde ab.

[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Absonderungsgläubigerin im zweiten Rechtsgang (im Anschluss an den Aufhebungsbeschluss des Obersten Gerichtshofs vom 20. 7. 2022, 3 Ob 128/22b) Folge und änderte den angefochtenen Beschluss des Erstgerichts dahin ab, dass der Vollzugsbeschwerde stattgegeben und der am 20. 5. 2021 dem Ersteher erteilte Zuschlag durch Sofortkauf aufgehoben wurde. Zudem trug das Rekursgericht dem Erstgericht die gesetzmäßige Fortsetzung des Exekutionsverfahrens auf. Wegen des besonders wertvollen Gemäldes hätte die Möglichkeit des Sofortkaufs vom Gerichtsvollzieher ausgeschlossen werden müssen. Da er dies nicht getan habe, liege ein krasser Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften vor, der geeignet gewesen sei, das Verfahrensergebnis (das erzielbare Meistbot) zu verfälschen. Dieser Verstoß müsse zur Aufhebung des erteilten Zuschlags führen. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof mit einer Internetversteigerung im Rahmen der Fahrnisverwertung und insbesondere mit dem Ausschluss eines Sofortkaufs noch nicht befasst habe.

[6] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Erstehers, der auf die Wiederherstellung der abweisenden Entscheidung des Erstgerichts abzielt.

[7] Mit ihrer Revisionsrekursbeantwortung beantragt die Absonderungsgläubigerin, das Rechtsmittel des Erstehers zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zu einem Sofortkauf anlässlich einer Internetversteigerung einer Pfandsache, dies auch im Lichte der Änderung der Rechtslage durch die GREx, BGBl I 2021/86, zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.

[9] 1.1 Gegenstand des Verfahrens ist die Vollzugsbeschwerde der Absonderungsgläubigerin nach § 68 EO, mit der diese die Erteilung des Zuschlags durch Sofortkauf an den Ersteher bekämpft. Bei dieser Beschwerde handelt es sich um einen Rechtsbehelf gegen eine mangelhafte Vorgangsweise oder Maßnahme im Rahmen des Exekutionsvollzugs durch ein Gerichtsorgan, insbesondere den Gerichtsvollzieher, mit dem der durch das bekämpfte Verhalten geschaffene objektiv rechtswidrige Zustand beseitigt werden soll. Als solcher kommt auch ein im Rahmen der Fahrnisversteigerung erteilter Zuschlag in Betracht. Die Beschwerde ist nur berechtigt, wenn ein krasser Verstoß gegen einschlägige Verfahrensvorschriften vorliegt und der Mangel einer ordnungsgemäßen Versteigerung auch für den Ersteher erkennbar war (RS0002125; Mohr in Angst/Oberhammer , EO 3 § 278 Rz 14). Gerichtliche Entscheidungen können hingegen nicht Gegenstand einer Vollzugsbeschwerde sein. Dementsprechend können auch in Beschlussform angeordnete Vollzugshandlungen nicht mit dieser Beschwerde bekämpft werden (3 Ob 30/00h; siehe dazu auch Jakusch in Angst/Oberhammer , EO 3 § 68 EO Rz 2 und 6).

[10] 1.2 Das vorliegende Revisionsrekursverfahren betrifft nur mehr die Beurteilung des Rekursgerichts, wonach im Anlassfall die Möglichkeit des Sofortkaufs vom Gerichtsvollzieher hätte ausgeschlossen werden müssen.

[11] Wie das Rekursgericht zutreffend beurteilt hat, ist auf dieses Verfahren gemäß § 502 Abs 1 EO idF der GREx, BGBl I 2021/86, noch die frühere Rechtslage vor der GREx anzuwenden.

[12] 2. Die Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

[13] 2.1 Mit der EO Novelle 2008, BGBl I 2008/37, wurden Sonderbestimmungen für die Versteigerung von Pfandsachen im Internet eingeführt.

[14] § 277b EO bestimmte dazu, dass, solange kein Gebot abgegeben wurde, bei einer Versteigerung im Internet der Gegenstand unter Entfall der Versteigerung zu einem Preis erworben werden kann, der den Schätzwert um ein Viertel übersteigt. Dementsprechend war nach § 277a Abs 3 Z 8 EO (siehe nunmehr § 277 Abs 3 Z 8 EO idF der GREx) der Betrag, der den Schätzwert um ein Viertel übersteigt, in der Bekanntmachung zur Internetversteigerung anzugeben und auf die Möglichkeit des Sofortkaufs hinzuweisen (vgl Mohr in Angst/Oberhammer , EO 3 § 277a EO).

[15] 2.2 Durch die EO Novelle 2016, BGBl I 2016/100, wurde in § 277b EO eine Regelung über die Möglichkeit des Ausschlusses des Sofortkaufs eingefügt. Darin wurde bestimmt, dass der Sofortkauf bei Sachen mit Liebhaberwert ausgeschlossen werden kann. Dieser Neuregelung lag die Überlegung zugrunde, dass bei Sachen mit Liebhaberwert deutlich höhere Erlöse (als ein Viertel über dem Schätzwert) erzielt werden können. Auf diese Weise sollte verhindert werden, dass Gegenstände, deren Schätzwert wesentlich niedriger als der von Liebhabern gezahlte Preis ist, unter dem erzielbaren Preis veräußert werden müssen. Damit sollte die Internetversteigerung genutzt werden, um bei Gegenständen mit Liebhaberwert den höchsten am Markt erreichbaren Preis zu erzielen (ErläutRV 1294 BlgNR 25. GP 6).

[16] 2.3 Durch die GREx, BGBl I 2021/86, erhielten die bisherigen Bestimmungen der §§ 277a und 277b EO neue Bezeichnungen; § 277a EO alt ist nunmehr § 277 EO und § 277b EO alt ist nunmehr § 277a EO.

[17] In § 277a EO wurde die Regelung über den Ausschluss des Sofortkaufs geändert und die Einschränkung auf den Liebhaberwert gestrichen. Der Gerichtsvollzieher soll damit nunmehr die Möglichkeit haben, den Sofortkauf bei jedem Pfandobjekt auszuschließen und nicht nur bei Sachen mit Liebhaberwert. Dies wurde damit begründet, dass die Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt hätten, dass Pfandobjekte im Weg der Internetversteigerung um einen den Schätzwert um ein Vielfaches übersteigenden Betrag zugeschlagen werden, weshalb sich die bisherige Regelung, den Sofortkauf nur bei Sachen mit Liebhaberwert ausschließen zu können, als zu wenig flexibel erwiesen habe (ErläutRV 770 BlgNR 27. GP 37).

[18] 3.1 Nach der hier noch anzuwendenden Bestimmung des § 277b EO idF der EO Novelle 2016 konnte der Sofortkauf somit nur bei Sachen mit Liebhaberwert ausgeschlossen werden.

[19] Die Ansicht des Erstehers, dass ein solcher Liebhaberwert im Schätzgutachten angeführt sein müsse, ist nicht zu teilen. Auch wenn in den Erläuterungen zur EO Novelle 2016 (ErläutRV 1294 BlgNR 25. GP 6) ausgeführt wird, dass sich ein solcher Liebhaberwert in der Regel durch einen Hinweis im Sachverständigengutachten ergeben werde, kann sich dieser Umstand auch aus allgemein bekannten Gepflogenheiten bestimmter Publikumskreise, hier etwa von Kunstsammlern oder Kunstliebhabern, ergeben.

[20] 3.2 Der Begriff „Sachen mit Liebhaberwert“ wird in der EO nicht näher beschrieben. Aus den schon dargelegten Gesetzesmaterialien ergibt sich dazu, dass (auch) durch eine Internetversteigerung jeweils der höchste am Markt erreichbare Preis erzielt werden soll und dies bei den in Rede stehenden Sachen nicht der Schätzwert, sondern der von Liebhabern gezahlte Preis ist. Nach den klar erkennbaren Vorstellungen des Gesetzgebers sollte daher, soweit dies nach der Art und der Beschaffenheit der Sache möglich ist, nicht nur auf den objektiven Schätzwert abgestellt, sondern auch die subjektive Wertvorstellung des Publikums und damit das Affektionsinteresse berücksichtigt werden. Dem Begriff „Sache mit Liebhaberwert“ kommt damit eine zumindest ähnliche Bedeutung wie dem „Wert der besonderen Vorliebe“ nach § 1331 ABGB zu. Dabei handelt es sich somit um jenen Wert, der sich unter Bedachtnahme auf die Gefühlsverbundenheit einer Person oder eines Personenkreises mit der Sache ergibt, was etwa bei einem Kunstwerk, einem Familienerbstück oder einer Sache mit besonderem Erinnerungswert der Fall ist (vgl 1 Ob 148/06f; Hinteregger in Kletečka/Schauer , ABGB ON 1.06 § 1331 Rz 4).

[21] 3.3 Es ist nun evident, dass es sich bei einem Gemälde, von dem anzunehmen ist, dass es aus der Werkstätte eines berühmten historischen Malers stammt, um eine Sache handelt, zu der bestimmte Personenkreise, wie etwa Kunstsammler oder Kunstliebhaber, eine besondere subjektive Gefühlsbeziehung haben, aufgrund derer sie die Sache besonders hoch bewerten. Mit dem Besitz eines Kunstwerks fühlt sich der Sammler in der Regel auch mit dem Schöpfer in einer besonderen Verbindung.

[22] 3.4 Bei dem hier fraglichen Gemälde handelt es sich somit zweifellos um eine Pfandsache mit Liebhaberwert, weshalb der Sofortkauf nach § 277b EO idF der EO Novelle 2016 zur Erzielung eines möglichst hohen Preises jedenfalls ausgeschlossen werden durfte.

[23] 4.1 Schließlich ist – entgegen der Ansicht des Erstehers – auch die Beurteilung des Rekursgerichts, dass der Gerichtsvollzieher aufgrund der besonderen Gegebenheiten in Ansehung der Pfandsache den Sofortkauf hätte ausschließen müssen und das Unterlassen dieser Maßnahme einen krassen Verfahrensverstoß bilde, nicht zu beanstanden. Wie bereits ausgeführt wurde, soll nach den Zielsetzungen des Gesetzgebers auch bei einer Internetversteigerung die konkrete Vorgangsweise so gewählt werden, dass ein möglichst hoher Preis erzielt wird. Bei einem Kunstwerk wie dem hier fraglichen ist davon auszugehen, dass dieses einen besonderen Adressatenkreis von Kunstsammlern oder Kunstliebhabern anspricht, die bereit sind, einen den Schätzwert deutlich übersteigenden Preis zu zahlen. Zudem ist anzunehmen, dass sich ein potentieller Sofortkäufer auch an der weiterlaufenden Internetversteigerung beteiligt und zudem viele weitere Interessenten vorhanden sind, die die Höhe der abgegebenen Gebote zunächst einmal beobachten wollen und erst im Laufe der Versteigerung mit dem Bieten beginnen.

[24] 4.2 Diese Aspekte sprechen klar gegen einen Sofortkauf, was auch jedem potentiellen Bieter klar sein muss. Es ist daher auch für jeden Interessenten ohne weiteres erkennbar, dass bei einem vermutlich wertvollen Gemälde die vom Gesetzgeber mit einer Internetversteigerung verfolgte Zielsetzung, im Rahmen der Verwertung der Pfandsache einen möglichst hohen Preis zu erzielen, mit der Möglichkeit eines Sofortkaufs unterlaufen wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem in Betracht kommenden Interessentenkreis in erster Linie um Kunstsammler und Kunstliebhaber handelt und das fragliche Publikum daher ein Fachpublikum mit besonderen Kenntnissen ist, das die Wertverhältnisse gut einschätzen kann und mit dem Ablauf von Auktionen bestens vertraut ist.

[25] 5. Da das Rekursgericht den Zuschlag an den Ersteher in Stattgebung der Vollzugsbeschwerde der Absonderungsgläubigerin somit zu Recht aufgehoben hat, war dem Revisionsrekurs des Erstehers der Erfolg zu versagen.

[26] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 EO iVm §§ 41, 50 ZPO. Die Revisionsrekursgegnerin (Absonderungsgläubigerin) hat als Beteiligte dann Anspruch auf Kostenersatz, wenn sie in einem Zwischenstreit obsiegt (vgl 3 Ob 48/11x). In Ansehung des vorliegenden Revisionsrekurses des Erstehers ist zwischen diesem und der Absonderungsgläubigerin, die die Vollzugsbeschwerde nach § 68 EO erhoben hat, ein solcher Zwischenstreit anzunehmen.