JudikaturOLG Wien

3R76/25f – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
22. Juli 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien erkennt als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Iby als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. a Müller und Mag. a Kulka in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch Gottgeisl Leinsmer Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei B* Limited , **, Malta, vertreten durch DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 32.457,94 s.A., über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 4.4.2025, **-15, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 3.400,32 (darin enthalten EUR 566,72 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte hat ihren Sitz in Malta und betreibt die Website **. Sie bietet über ihre deutschsprachige Homepage ** auch in Österreich Onlineglücksspiele an, bei denen die Entscheidung über das Spielergebnis ausschließlich oder überwiegend vom Zufall abhängt. Die Beklagte ist Inhaberin einer aufrechten maltesischen Glücksspielkonzession, verfügt jedoch über keine österreichische Glücksspiellizenz.

Die Klägerin hat ihren Wohnsitz in **, und registrierte sich auf Grundlage der AGB der Beklagten auf deren Website. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagen sehen für die von ihr angebotenen Glücksspiele die Anwendbarkeit maltesischen Rechts vor. Die Klägerin spielte von 12.4.2020 bis 5.9.2021 ausschließlich zu privaten Zwecken die von der Beklagen angebotenen Automatenspiele (Slots) auf deren Website. Dabei erlitt sie bei ihrem aus Österreich betriebenen Glücksspiel bei der Beklagten Verluste iHv EUR 32.457,95 (EUR 124.253,00 an getätigten Einzahlungen abzüglich EUR 91.795,05 an erhaltenen Auszahlungen).

Die Klägerinbegehrte die Zahlung von EUR 32.457,95 samt 4 % Zinsen seit 6.9.2021 und brachte zusammengefasst vor, sie habe zum Zweck der Teilnahme am Glücksspiel bei der Beklagten einen Online Account eingerichtet und den Klagsbetrag – ihre Einzahlungen abzüglich der Auszahlungen – bei den von der Beklagten illegal angebotenen Glücksspielen verloren. Das Glücksspielangebot der Beklagten verstoße gegen das österreichische Glücksspielgesetz sowie § 168 StGB, da die Beklagte keine österreichische Lizenz nach dem Glücksspielgesetz besitze. Das österreichische Glücksspielmonopol verstoße nach ständiger Rechtsprechung der Höchstgerichte nicht gegen das Unionsrecht und die Dienstleistungsfreiheit. Die Missachtung des Glücksspielmonopols führe zur Nichtigkeit des Glücksgeschäfts (§ 879 ABGB) sowie zur Rückforderbarkeit der erbrachten Leistungen. Die zwischen den Parteien abgeschlossenen Glücksspielverträge seien daher mangels Vorliegens einer österreichischen Konzession der Beklagten nichtig. Was auf Grundlage eines unerlaubten und damit unwirksamen Glücksspielvertrages gezahlt worden sei könne zurückgefordert werden. Zinsen würden ab dem Folgetag der letzten von der Klägerin getätigten Transaktion begehrt.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach, beantragte kostenpflichtige Klagsabweisung und brachte zusammengefasst vor, es sei maltesisches Recht anzuwenden, weshalb kein Rückforderungsanspruch bestehe. Die Parteien hätten ausdrücklich und rechtsgültig die ausschließliche Anwendbarkeit maltesischen Rechts vereinbart, außerdem bestehe überhaupt kein Anknüpfungspunkt zum österreichischen Recht. Da die Beklagte keine österreichische Website betreibe und ihr Glücksspielangebot in Österreich auch nicht bewerbe, bestehe auch keine gezielte Ausrichtung auf den österreichischen Markt. Überdies bestehe selbst nach österreichischem Recht kein Rückforderungsanspruch, weil die Regelungen des österreichischen Glücksspielgesetzes – aus umfangreich näher ausgeführten Erwägungen – aufgrund des Verstoßes gegen primär anzuwendendes Unionsrecht jedenfalls unangewendet bleiben müssten. Insoweit die Klägerin bereicherungsrechtliche Vergütungszinsen für Verluste, die sie vor mehr als 3 Jahren vor Klagseinbringung erlitten habe, geltend mache, seien diese Ansprüche jedenfalls zur Gänze verjährt.

Mit dem nun angefochtenen Urteilverpflichtete das Erstgericht die Beklagte zur Zahlung von EUR 32.457,95 samt 4 % Zinsen seit 22.10.2021, wies das Zinsenmehrbegehren für den Zeitraum 6.9.2021 bis 21.10.2021 (rechtskräftig) ab und traf die eingangs der Entscheidung wiedergegebenen Feststellungen. Rechtlich kam es zum Ergebnis, die Regelungen des österreichischen GSpG seien nach gefestigter Rechtsprechung nicht bloße fiskalpolitische Regelungen, sondern Eingriffsnormen, sodass die getroffene Rechtswahl nicht relevant und österreichisches Recht anwendbar sei. Das Glücksspielmonopol verstoße nach gefestigter und einhelliger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen im Sinn der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht gegen Unionsrecht. Dies entspreche auch der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes. Auch der Verwaltungsgerichtshof sei mehrfach zu dem Ergebnis gelangt, dass bei der vom Europäischen Gerichtshof geforderten Gesamtwürdigung nicht von einer Unionsrechtswidrigkeit der Bestimmungen des GSpG auszugehen sei. Der Beklagte gelänge es nicht, Gründe darzulegen, die ein Abgehen von dieser Rechtsprechung rechtfertigen würden. Die Tätigkeit der Beklagten verstoße gegen die Regelungen des Glücksspielgesetzes, das durchgeführte Online-Glücksspiel sei damit ein verbotenes Spiel iSd § 1174 Abs 2 ABGB, das eingesetzte und verlorene Geld könne von der Klägerin daher zurückverlangt werden. Den Rückforderungsanspruch zu verweigern, widerspräche dem Zweck der Glücksspielverbote.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Klagebegehren abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

1. Zur Mängelrüge:

1.1 Die Beklagte hält das Verfahren für mangelhaft, weil das Erstgericht das beantragte Sachverständigengutachten betreffend die Werbe- und Marketingmaßnahmen des österreichischen Monopolisten nicht eingeholt hat.

1.2Ein primärer Verfahrensmangel im Sinn des § 496 Abs 1 Z 2 ZPO kann nur vorliegen, wenn das Erstgericht infolge Abstandnahme von der beantragten Beweisaufnahme andere als die vom Beweisführer behaupteten Tatsachen festgestellt hat (vgl Pimmer in Fasching/Konecny 3§ 496 ZPO Rz 57). Hat das Erstgericht aber zu den in der Verfahrensrüge aufgeworfenen Tatsachenbehauptungen, wie hier, keine Feststellungen getroffen, liegt kein primärer Verfahrensmangel vor. Wäre die beantragte Beweisaufnahme rechtlich relevant, könnte nur ein sekundärer Verfahrensmangel im Sinn des § 496 Abs 1 Z 3 vorliegen, der mit Rechtsrüge aufzugreifen ist ( Pimmer aaO Rz 55 ff). Auf die Frage, ob im Zusammenhang mit der Beurteilung der Kohärenz des österreichischen Glücksspielmonopols sekundäre Verfahrensmängel vorliegen, wird bei der Behandlung der Rechtsrüge eingegangen.

2. Zur Rechtsrüge

2.1 In ihrer Rechtsrüge behauptet die Beklagte auf die Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols und meint, dass das Kohärenzgebot nicht beachtet worden sei. Als sekundären Feststellungsmangel rügt sie, das Erstgericht habe zu den Auswirkungen des österreichischen Glücksspielmonopols sowie zur Einhaltung der vom EuGH entwickelten Kohärenzkriterien durch den österreichischen Monopolisten keine Feststellungen getroffen, obwohl die Beklagte diesbezüglich umfangreiches Vorbringen erstattet und Beweise vorgelegt habe. Das Erstgericht habe insbesondere keine Feststellungen zum Markt- und Werbeverhalten des österreichischen Monopolisten getroffen.

2.2Richtig ist, dass die Vereinbarkeit von nationalem Recht mit Unionsrecht als Rechtsfrage grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen ist. Könnten aber bei Regelungen, bei denen sowohl der Wortlaut als auch die erklärte Zielsetzung des Gesetzgebers gegen die Annahme eines Unionsrechtsverstoßes sprechen, ausnahmsweise tatsächliche Umstände zu einem anderen Ergebnis führen, so trifft die Partei, die eine Unionsrechtswidrigkeit behauptet, auch eine entsprechende Behauptungslast (vgl RS0129945).

2.3Seit dem Jahr 2016 geht der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das im GSpG normierte Monopol- bzw Konzessionssystem bei gesamthafter Würdigung sämtlicher damit verbundener Auswirkungen (insbesondere der Werbemaßnahmen der Konzessionäre) auf dem Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts entspricht (vgl RS0130636, insbesondere [T7]). Der Oberste Gerichtshof hat auch in seinen jüngeren Entscheidungen (ua 7 Ob 198/23b, Zeitraum Mai 2020 bis September 2022; 5 Ob 13/24h, Zeitraum Mai 2019 bis März 2022; 5 Ob 20/24p, Zeitraum Mai bis August 2022; 1 Ob 46/24g, Zeitraum Februar 2020 bis August 2023; 7 Ob 135/24i, Zeitraum November 2021 bis Juli 2023; 2 Ob 194/24d, Zeitraum Juli bis Dezember 2023; 7 Ob 16/25s, Zeitraum August 2022 bis April 2023; 6 Ob 19/25z, Zeitraum Juni 2020 bis Jänner 2022; 1 Ob 60/25t, Zeitraum Oktober 2020 bis Mai 2024; je mwN) an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten.

In den zitierten Entscheidungen wird zu den von der Beklagten vorgebrachten Argumenten, ob die Beschränkungen des Angebots von Glücksspielen durch das Glücksspielgesetz die damit angestrebten Ziele des Spielerschutzes und der Kriminalitätsbekämpfung in kohärenter und systematischer Weise verfolgen, ebenso Stellung genommen, wie zu jenen zur unterschiedlichen Behandlung von Online-Sportwetten und Online-Glücksspielen, zur restriktiveren Behandlung von Online-Glücksspielen im Vergleich zu Offine-Glücksspielen und zum Spielerschutz bei Ausspielungen von Video-Lotterie-Terminals (VLT). Auch die Werbepraxis der Konzessionsinhaber wurde vom Obersten Gerichtshof in mehreren Entscheidungen beurteilt (vgl 7 Ob 163/21b; 1 Ob 174/21a; 8 Ob 129/23p mwN).

2.4Die Aufhebung von Teilen des § 25 Abs 3 GSpG durch den Verfassungsgerichtshof (G 259/2022) ändert an diesen Grundsätzen nichts. Dass der Gesetzgeber durch das (primäre) Abstellen (nur) auf die Einholung einer Bonitätsauskunft den unionsrechtlich gebotenen Spielerschutz von Spielbankbesuchern auch nicht in einer dem Sachlichkeitsgebot entsprechenden Weise verwirklicht hat, bedeutet nicht, dass dieses Anliegen im Bereich des Online-Glücksspiels und dem System der Konzessionen nicht in kohärenter Weise verfolgt würde. Aus der teilweisen Verfassungswidrigkeit einer Einzelregelung zum Spielerschutz im Bereich der Spielbanken ist nicht abzuleiten, dass das österreichische System der Glücksspielkonzessionen – entgegen der bisher ständigen Rechtsprechung – unionsrechtswidrig wäre (RS0130636 [T9] = 2 Ob 23/23f [Rz 8]; 1 Ob 25/23t [Rz 8]; 7 Ob 44/23f [Rz 7]; 3 Ob 69/23b [Rz 8]; 6 Ob 216/23t [Rz 8]; 5 Ob 33/23y [Rz 58]; 5 Ob 35/24v [Rz 7]).

2.5 Aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs C-920/19, Fluctus, ergibt sich kein Verbot für ein nationales Gericht, sich auf Vorentscheidungen „höherer“ (nationaler) Gerichte (hier auf in zahlreichen Parallelverfahren ergangene Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs) zu berufen. Vielmehr sprach der Europäische Gerichtshof darin bloß aus, dass eine gegen Art 56 AEUV verstoßende Bestimmung des nationalen Rechts auch dann nicht angewendet werden dürfe, wenn ein „höheres“ nationales Gericht diese als mit dem Unionsrecht vereinbar ansah, dessen Erwägungen aber offensichtlich nicht dem Unionsrecht entsprachen (vgl insbesondere Rn 58 der genannten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs). Dass und bei welcher nationalen Norm dies hier der Fall gewesen wäre, vermag die Berufungswerberin nicht aufzuzeigen (vgl ua 1 Ob 60/25t [Rz 12] mwN).

2.6 Die Klägerin erlitt die geltend gemachten Spielverluste vom 2.4.2020 bis zum 5.9.2021. Der Oberste Gerichtshof hat in zahlreichen Entscheidungen (auch) zum hier gegenständlichen Zeitraum (siehe Punkt 2.3.) dargelegt, dass das österreichische System der Glücksspielkonzessionen einschließlich der Werbemaßnahmen der Konzessionäre im relevanten Zeitraum nicht gegen Unionsrecht verstößt. Neue, in den zitierten Entscheidungen nicht bereits behandelte Aspekte oder relevante Änderungen des Sachverhalts hat die Beklagte nicht aufgezeigt, weshalb weder die (auch in der Mängelrüge relevierten) sekundären Feststellungsmängel noch eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorliegen und auf die zitierten Entscheidungen verwiesen werden kann.

2.7Die im Berufungsverfahren wiederholte Anregung auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens war nicht aufzugreifen, weil zu den Voraussetzungen der unionsrechtlichen Zulässigkeit eines Glücksspielmonopols sowie der dadurch bewirkten Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit bereits umfangreiche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vorliegt (vgl etwa die Hinweise in 5 Ob 30/21d).

2.8 Zuletzt wendet sich die Berufungswerberin gegen den Zinsenzuspruch des Erstgerichts. Die vom Erstgericht zugesprochenen bereicherungsrechtlichen Vergütungszinsen seien - da diese länger als 3 Jahre vor Klagseinbringung zurücklägen - zur Gänze verjährt und nicht zuzusprechen.

Dazu ist festzuhalten, dass das Erstgericht der Klägerin ohnedies lediglich Zinsen seit 22.10.2021 zusprach, somit für den Zeitraum von drei Jahren vor der Klagseinbringung am 22.10.2024, und das darüber hinausgehende Zinsenbegehren (rechtskräftig) wegen Ablauf der Verjährungsfrist von drei Jahren abwies.

Da das Erstgericht keine Zinsen für die Zeit zusprach, die länger als drei Jahre zurückliegt, und die Beklagte nicht begründet, warum der Klägerin generell keine Zinsen für den vom Zuspruch des Erstgerichts umfassten Zeitraum zustehen sollen, erübrigen sich weitere Ausführungen.

Die in der Berufung für ihren Rechtsstandpunkt zitierte Entscheidung 70 R 22/23d des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz - im Revisionsverfahren 5 Ob 115/23g - ist jedenfalls nicht einschlägig, weil der Kläger dort das Zinsenbegehren über Einwand der Beklagten einschränkte, sich dem Einwand der Beklagten, die Vergütungszinsen seien verjährt (sichtlich) unterworfen und sein Zinsenbegehren (nur mehr) auf einen Zahlungsverzug der Beklagten gestützt hatte. Ob dem dortigen Kläger auch Zinsen für den Zeitraum vor Klagsbehändigung zustehen, musste der Oberste Gerichtshof daher gar nicht prüfen (vgl 5 Ob 115/23g [Rz 13, 15]).

Der unberechtigten Berufung muss damit ein Erfolg versagt bleiben.

3.Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

4.Da eine gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu sämtlichen behandelten Aspekten besteht, von der das Berufungsgericht nicht abweicht, ist die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen.