JudikaturJustizBsw18160/91

Bsw18160/91 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
26. September 1995

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer, Beschwerdesache Diennet gegen Frankreich, Urteil vom 26.9.1995, Bsw. 18160/91.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK - Verhängung eines Berufsverbots über einen Arzt nach nichtöffentlichem Disziplinarverfahren.

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK hinsichtlich des Ausschlusses der Öffentlichkeit (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK hinsichtlich der behaupteten Parteilichkeit der Mitglieder der Abteilung für Disziplinarangelegenheiten (8:1 Stimmen).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Der Bf. wurde von der lokalen Ärztekammer in nichtöffentlicher Sitzung von der Liste der zugelassenen Ärzte gestrichen, weil er einigen Patienten auf schriftlichem Wege Abmagerungskuren verschrieben hatte, ohne sie jemals persönlich untersucht zu haben. Nachdem die Strafe von der Abteilung für Disziplinarangelegenheiten der frz. Ärztekammer auf ein dreijähriges Berufsverbot reduziert worden war, wandte sich der Bf. an den Conseil d´Etat, der die Sache wegen Verfahrensmängeln an die Abteilung für Disziplinarangelegenheiten zurückverwies. Diese verhängte, erneut in nichtöffentlicher Sitzung, in einer im wesentlichen gleichlautenden Entscheidung wieder ein dreijähriges Berufsverbot. Ein weiteres Rechtsmittel an den Conseil d´Etat (Staatsrat) blieb erfolglos.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. rügt eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (Recht auf ein öffentliches Verfahren, Recht auf Entscheidung durch ein unparteiisches Gericht)

Disziplinarverfahren, die das Recht auf Berufsausübung als freiberuflicher Arzt zum Gegenstand haben, stellen nach der ständigen Rspr. des GH eindeutig Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche iSd. Art. 6 (1) EMRK dar. Es braucht daher nicht weiter darauf eingegangen zu werden, ob auch eine strafrechtliche Anklage vorliegt, weil die hier anzuwendenden Regeln des Art. 6 (1) EMRK in beiden Fällen dieselben sind.

Durch das Erfordernis der Öffentlichkeit des Verfahrens, welches ein wesentliches Prinzip des Art. 6 (1) EMRK darstellt, wird die Rechtspflege der Überwachung durch die Allgemeinheit unterzogen und das Vertrauen in die Gerichte gehoben. Durch eine transparente Rechtspflege wird außerdem die Fairness des Verfahrens gefördert. Dieses Prinzip ist aber nicht absolut, weil Art. 6 (1) EMRK den Ausschluss der Öffentlichkeit unter bestimmten Voraussetzungen zulässt.

Unbestritten ist, dass die Verhandlungen vor den Disziplinarorganen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden haben. Dieser Mangel konnte auch durch die öffentliche Verhandlung vor dem Conseil d´Etat nicht behoben werden, weil dieser hier nicht als gerichtliches Organ mit voller Jurisdiktionsgewalt tätig wurde. Der Conseil d´Etat konnte insb. nicht überprüfen, ob die Strafe im Lichte der begangenen Verfehlung angemessen war. Da auch keine von Art. 6 (1) EMRK anerkannten Gründe erkennbar sind, die den Ausschluss der Öffentlichkeit gerechtfertigt hätten (wie zB. Gefährdung der Privatsphäre der betroffenen Patienten), wurde Art. 6 (1) EMRK in dieser Hinsicht verletzt (einstimmig).

Die Tatsache, dass drei der sieben Mitglieder der Abteilung für Disziplinarangelegenheiten sowohl an der Berufungsentscheidung als auch an der Entscheidung nach der Zurückverweisung mitgewirkt haben, vermag dagegen keinen legitimen Verdacht auf die Unparteilichkeit dieses Organs zu begründen. Auch wenn die zweite Entscheidung einen von der ersten abweichenden Wortlaut gehabt hätte, hätte sie sich notgedrungen - mangels neuer Aspekte - auf dieselben Entscheidungsgrundlagen stützen müssen. Die diesbezüglichen Befürchtungen des Bf. finden somit keine objektive Rechtfertigung. Art. 6 (1) EMRK wurde daher in dieser Hinsicht nicht verletzt (8:1 Stimmen).

Anm: Die Kms. stellte in ihrem Bericht vom 5.4.1994 eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK fest, soweit es das Recht auf ein öffentliches Verfahren betraf (einstimmig), hingegen keine Verletzung des Rechts auf Entscheidung durch ein unparteiisches Gericht (14:9 Stimmen).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 26.9.1995, Bsw. 18160/91, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1995,190) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/95_5/Diennet v F.pdf

Das Original der Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rechtssätze
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