JudikaturJustiz9ObA68/07a

9ObA68/07a – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. Februar 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Peter Schleinbach als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Hubert Z*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Friedrich Gatscha, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B*****, vertreten durch Dr. Joachim W. Leupold und Mag. Eleonore Neulinger, Rechtsanwälte in Irdning, wegen 6.927,38 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1. Februar 2007, GZ 8 Ra 110/06t-14, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. September 2006, GZ 21 Cga 104/06f-9, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger war bei der beklagten Partei als Forstangestellter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde einvernehmlich zum 31. 12. 2003 beendet.

Während des Arbeitsverhältnisses hatte der Kläger eine rund 100 m² große 4-Zimmer-Wohnung bewohnt, die ihm die Beklagte zur Erfüllung seines Anspruchs auf Naturalwohnung zur Verfügung gestellt hatte. Diese Wohnung wird von der Beklagten nach dem Auszug des Klägers (nach einer Generalsanierung) um ca 530 EUR brutto (inkl. Betriebskosten) vermietet.

Für das Jahr 1999 wies die Beklagte „im Sinne der Transparenz der Gehälter und der besseren Vergleichbarkeit mit stiftischen als auch mit anderen Arbeitnehmern" dem Kläger gegenüber den (tatsächlichen) Sachbezugswert mit 108.764 ATS jährlich (Miete 69.152 ATS; Betriebskosten 39.612 ATS) aus; unter Berücksichtigung dieser in Erfüllung des Dienst- und des Kollektivvertrags erbrachten Naturalleistungen und der gesetzlichen Lohnabgaben errechne sich der monatliche Bruttolohn mit 45.499 ATS.

Gleichartige Schreiben hatte der Kläger auch für die Jahre davor erhalten. Darin wurde der Sachbezugswert für 1994 mit 103.738,01 ATS, für 1995 mit 105.979 ATS, für 1997 mit 106.259 ATS und für 1998 mit

108.939 ATS ausgewiesen.

In den Gehaltsausweisen ihrer Mitarbeiter gab die Beklagte den Wert von Sachbezügen mit den fiskalischen Ansätzen an. In einem mit 20. 2. 2000 datierten Gehaltsausweis des Klägers war der Wert des Sachbezugs mit 1.120 ATS (81,40 EUR) beziffert.

Die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 31. 12. 2003 wurde am 25. 7. 2003 vereinbart. Die Punkte 3. und 4. dieser Vereinbarung haben folgenden Wortlaut:

„3. Abfertigung:

Mit Ablauf des Dienstverhältnisses erhält der Dienstnehmer die für eine anrechenbare Dienstzeit von 32 Jahren gebührende gesetzliche Abfertigung.

4. Dienstwohnung:

Der Dienstgeber ermöglicht es dem Dienstnehmer, bis zum 30. 6. 2004 zu den bisherigen Konditionen in der Wohnung zu verbleiben. Herr .... verzichtet, aus der Verlängerung der Räumungsfrist ein obligatorisches Benutzungsrecht (Mietrecht) abzuleiten und hat nach Ablauf der Räumungsfrist die Wahl, die Dienstwohnung geräumt zu übergeben oder zu ortsüblichen Konditionen anzumieten."

Für den Sachbezug zahlte die Beklagte dem Kläger 976,80 EUR brutto an Abfertigung. Sie errechnete diesen Betrag anhand der Verordnung über die bundeseinheitliche Bewertung bestimmter Sachbezüge ab 2002, BGBl II 416/2002, wobei sie den für Grunddeputate vorgesehenen Ansatz von 81,30 EUR auf 81,40 EUR aufrundete und mit 12 multiplizierte. Der Kläger begehrt mit seiner Klage weitere 6.927,38 EUR an Abfertigung. Die Bewertung des Sachbezugs habe nicht nach den von der Beklagten zugrunde gelegten Ansätzen - diese seien lediglich fiskalischer Natur -, sondern nach dem tatsächlichen Wert des Sachbezugs zu erfolgen. Dieser sei dem Kläger für 1999 mit 108.764 ATS bekannt gegeben worden.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die von ihr vorgenommene Bewertung entspreche dem auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Kollektivvertrag, der auf die von der Beklagten angewendete Verordnung verweise. Zudem habe der Kläger nach der Auflösung des Arbeitsverhältnisses noch sechs Monate unentgeltlich in der Dienstwohnung wohnen dürfen. Schon aus diesem Grund habe er keine weiteren Ansprüche.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest und erachtete als nicht feststellbar, dass zwischen den Parteien eine Vereinbarung oder ein (stillschweigend) übereinstimmender Parteiwille bestanden habe, dass der Sachbezug in der dem Kläger gegenüber angegebenen Höhe Gehaltsbestandteil werden solle. Es sei auch nicht feststellbar, dass ein (stillschweigend) übereinstimmender Parteiwille vorgelegen sei, dass das im Punkt 4. der Auflösungsvereinbarung vereinbarte Recht des Klägers, die Wohnung bis 30. 6. 2004 zu nutzen, auf seinen Abfertigungsanspruch angerechnet werden solle.

Das Erstgericht verwies auf § 18 Abs 1 lit a des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Kollektivvertrags für land- und forstwirtschaftliche Angestellte (Gutsangestellte), nach dem Naturalbezüge unabhängig vom Familienstand mit dem vollen Wert laut Sachbezugsbewertung in Anschlag zu bringen seien. Damit beziehe sich der Kollektivvertrag auf die von der Beklagten ihrer Berechnung zugrunde gelegte Verordnung, die sie auch richtig angewendet habe. Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Arbeitsrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Das Berufungsgericht billigte die Ausführungen des Erstgerichts über die Auslegung des anzuwendenden Kollektivvertrags. Dieser könne jedoch zwingende gesetzliche Ansprüche nicht schmälern. Zur Beurteilung des in § 22 Abs 1 Gutsangestelltengesetz (GAngG) geregelten Abfertigungsanspruchs könne angesichts der Vergleichbarkeit der maßgebenden Bestimmungen auf die zu § 23 Abs 1 AngG vorhandene Lehre und Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Demnach seien die amtlichen Sachbezugswerte nur Richtlinien, von denen - sofern sie erheblich niedriger als der tatsächliche Wert der Naturalleistung seien - abgewichen werden müsse. In solchen Fällen sei darauf abzustellen, was sich der Arbeitnehmer durch den Sachbezug erspart habe. Daher ergebe sich aus § 22 Abs 1 GAngG ein Anspruch auf Berücksichtigung der Sachbezüge in einer dem tatsächlichen Wert für den Arbeitnehmer entsprechenden Höhe. Kollektivvertragliche Bestimmungen könnten diesen gesetzlichen Anspruch nicht schmälern. Das angefochtene Urteil sei daher zur Klärung der Frage, was der Kläger für eine vergleichbare Wohnung (vor der Generalsanierung) im letzten Monat vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätte zahlen müssen, aufzuheben. Ein sich daraus ergebender Differenzbetrag sei dem Kläger zuzusprechen.

Die in der Auflösungsvereinbarung vereinbarte Möglichkeit der Weiterbenützung der Wohnung bis 30. 6. 2004 müsse sich der Kläger auf einen allfälligen Anspruch nicht anrechnen lassen. Der klare Wortlaut der Vereinbarung zeige, dass die Beklagte dem Kläger die Möglichkeit der Weiterbenützung der Wohnung zusätzlich zum Abfertigungsanspruch eingeräumt habe.

Gegen diesen Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten, mit dem primär die Wiederherstellung des Ersturteils, hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird.

Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

§ 22 GAngG regelt den Abfertigungsanspruch des Gutsangestellten. Nach dieser Bestimmung, die weitestgehend dem § 23 AngG entspricht, hat der Kläger einen Anspruch auf eine Abfertigung in der Höhe des Zwölffachen des monatlichen Entgelts.

Unter „Entgelt" sind nach § 5 Abs 2 GAngG sowohl die Geldbezüge als auch die Naturalbezüge einschließlich der Naturalwohnung und der Landnutzung zu verstehen.

§ 18 des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Kollektivvertrags hält in seinem Abs 1 zunächst fest, dass den Dienstnehmern eine Abfertigung nach den Bestimmungen des § 22 GAngG gebührt. § 18 Abs 1 Satz 2 des Kollektivvertrags normiert, dass „Naturalbezüge (§ 5 Abs 2 GAngG) ... jedoch, unabhängig vom Familienstand, mit dem vollen Wert laut Sachbezugsbewertung in Anschlag zu bringen" sind. Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass der in § 18 Abs 1 des Kollektivvertrags enthaltene Hinweis auf den „vollen Wert laut Sachbezugsbewertung" auf die von der Beklagten der Berechnung der Abfertigung zugrunde gelegte Verordnung über die bundeseinheitliche Bewertung bestimmter Sachbezüge ab 2002, BGBl II 2001/416, verweist.

Sowohl nach § 22 GAngG als auch nach § 23 AngG ist die Abfertigung auf der Basis des zuletzt (tatsächlich) bezogenen Entgelts zu berechnen. Naturalbezüge sind daher mit ihrem tatsächlichen Wert zu berücksichtigen. Dass der Oberste Gerichtshof bei der Ermittlung des Werts eines Naturalbezugs wiederholt die nach der eben zitierten Verordnung vorzunehmende fiskalische Bewertung als brauchbare Orientierungshilfe akzeptiert hat, steht damit nicht in Widerspruch. Bei einem erheblichen Auseinanderklaffen der fiskalischen Bewertung vom tatsächlichen Wert kommt dies aber nicht in Betracht, weil in einem solchen Fall die fiskalischen Werte keine brauchbare Orientierungshilfe darstellen. In einem solchen Fall kann nur auf den tatsächlichen Wert des Naturalbezugs abgestellt werden, weil es sonst zu einer ungebührlichen Schmälerung der gesetzlichen Ansprüche des Arbeitnehmers kommt. In derartigen Fällen hat der Oberste Gerichtshof - wie schon das Berufungsgericht ausgeführt hat - wiederholt darauf abgestellt, was sich der Arbeitnehmer durch den Naturalbezug erspart hat (9 ObA 2019/96v; 9 ObA 220/93; 9 ObA 247/94; vgl auch 8 ObA 87/05k). Dies entspricht auch der nahezu einhelligen Lehre (für alle:

Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht10 283; Holzer, AngG-Kommentar, § 23 Rz 38; Mazal/Risak, Arbeitsrecht XX 63; Martinek/M. Schwarz/W. Schwarz, AngG7 455 f). Davon abzugehen, besteht keine Veranlassung. Richtig ist, dass der hier anzuwendende Kollektivvertrag für die Bewertung der Naturalleistung auf die fiskalische Bewertung abstellt. Für Fälle, in denen die fiskalische Bewertung erheblich zum Nachteil des Arbeitnehmers vom wahren Wert der Naturalleistung abweicht, verstößt daher der Kollektivvertrag, der als nachrangige Rechtsquelle die Rechtsstellung des Arbeitnehmers nicht verschlechtern, sondern nur verbessern kann (8 ObA 50/05v mwN), gegen das Gesetz. Das Berufungsgericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass sich der Arbeitnehmer dann, wenn die fiskalische Bewertung den wahren Wert der Naturalleistung nicht annähernd wiedergibt, die hier von der Beklagten ins Treffen geführte kollektivvertragliche Bestimmung nicht entgegenhalten lassen muss.

Die dagegen von der Beklagten vorgebrachten Argumente überzeugen nicht:

Dass die Kollektivvertragsparteien mit der in Rede stehenden kollektivvertraglichen Bestimmung eine einfach zu handhabende, pauschalierende Regelung treffen wollten, mag zutreffen. Dies gibt ihnen aber nicht die Möglichkeit, aus diesem Motiv eine Regelung zu schaffen, die die gesetzlichen Ansprüche eines jedenfalls nicht unerheblichen Teils der Arbeitnehmer schmälert.

Ob tatsächlich die Gewährung von Naturalwohnungen an Gutsangestellte aus den im Rekurs angeführten Gründen auch im Interesse des Arbeitgebers liegt, braucht nicht erörtert zu werden. Auch wenn man dies bejahen wollte, könnte man daraus nicht die Berechtigung der Kollektivvertragsparteien ableiten, den gesetzlichen Anspruch des Arbeitnehmers auf Berücksichtigung des wahren Werts seiner Naturalleistung zu schmälern.

Richtig ist, dass der Kollektivvertrag für Fälle, in denen der Anspruch auf Beistellung einer Naturalleistung einvernehmlich abbedungen wird, eine Abgeltung des Anspruchs in Geld vorsieht, und zwar in einer Höhe, die sich an den fiskalischen Ansätzen orientiert. Dass in einem solchen Fall bei der Abfertigung nur der tatsächlich gewährte Geldbezug zu berücksichtigen ist, trifft zu. Dies steht aber nicht im Widerspruch zum Gesetz, weil in diesem Fall der Arbeitnehmer keinen Naturalbezug erhalten hat. Hat er ihn aber erhalten, so ist er bei der Berechnung der Abfertigung nach seinem tatsächlichen Wert zu berücksichtigen.

Dass einzelne gesetzliche Bestimmungen für die Bewertung von Sachbezügen ausdrücklich auf die fiskalische Bewertung bzw auf die Bewertung für Zwecke der Sozialversicherung verweisen, trifft zu. So stellt etwa § 31 Abs 2 LArbG für die Abfertigung auf die Bewertungssätze für die Zwecke der Sozialversicherung ab. Daraus einen allgemein geltenden Grundsatz abzuleiten und diesen Grundsatz analog auch im Bereich des GAngG anzuwenden, besteht weder Veranlassung noch Möglichkeit. Das GAngG enthält keinerlei Ansätze für vergleichbare Regelungen. Vielmehr ordnen seine §§ 29 Abs 1 und 31 Abs 1 - wenn auch in anderem Zusammenhang - an, dass Naturalbezüge nach „deren Wert in Geld" zu vergüten sind.

Schließlich verweist die Rekurswerberin auch in dritter Instanz auf die von ihr in der Vereinbarung über die einvernehmliche Auflösung dem Kläger eingeräumte Möglichkeit, über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus ein halbes Jahr in der Wohnung zu verbleiben. Diesem Einwand ist schon das Berufungsgericht unter Hinweis auf den klaren Wortlaut dieser Vereinbarung nicht gefolgt, aus der keinerlei Zusammenhang zwischen der Vereinbarung der Gewährung der gesetzlichen Abfertigung und der Vereinbarung über die Weiterbenützung der Wohnung abzuleiten ist. Da ein vom Wortlaut abweichender Parteiwille den Feststellungen nicht zu entnehmen ist, ist das Berufungsgericht daher zu Recht davon ausgegangen, dass die Weiterbenützung der Wohnung durch den Kläger seinen Anspruch auf die gesetzliche Abfertigung nicht schmälern kann.

Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.