JudikaturJustiz9ObA66/20a

9ObA66/20a – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. September 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Hon. Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Klaus Oblasser (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Armin Posawetz, Rechtsanwalt in Gratwein Straßengel, wegen 6.397 EUR sA (Revisionsinteresse 4.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 18. Juni 2020, GZ 6 Ra 25/20y 27, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Klägerin war bei der Beklagten als Büroangestellte beschäftigt. In ihrer außerordentlichen Revision bekämpft die Beklagte die Beurteilung der Vorinstanzen, dass das Verhalten des für sie tätigen Ing. XX die Schadenersatz begründenden Tatbestände der sexuellen Belästigung (§ 6 Abs 2 GlBG) sowie der geschlechtsbezogenen Belästigung (§ 7 Abs 2 GlBG) erfüllt habe.

2. Diese Frage ist einzelfallbezogen und begründet in der Regel, außer bei krasser Fehlbeurteilung, die hier aber nicht vorliegt, keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO (8 ObA 73/13p).

3.1 Die Vorinstanzen gingen mit überzeugender Begründung davon aus, es liege auf der Hand, dass mit der Übersendung eines Pornovideos auf das Diensthandy der Klägerin, dessen Inhalt offenkundig auf ihr äußeres Erscheinungsbild anspielte, und dem wiederholten In Verbindung Setzen ihrer Arbeitsleistung mit sexuellen Verhaltensweisen („sie solle mehr arbeiten und weniger onanieren“) ihre Würde objektiv verletzt worden sei. Diese Verhaltensweisen waren für die Klägerin unerwünscht und schufen für sie eine einschüchternde, feindselige oder demütigende Arbeitsumwelt. Dies gelte auch für die eine geschlechtsbezogene Belästigung darstellende, nach einer Bürobesprechung getätigte Äußerung des Ing. XX, die Klägerin und ihre Kollegin seien „eh nur Hausfrauen“ und könnten „ihren Dreck, den sie machen, ... selbst wegsaugen“. Damit sei eine geschlechtsbezogene Abwertung ihrer Tätigkeit im Unternehmen vorgenommen worden, die von der Klägerin auch als unangemessen und erniedrigend empfunden worden sei). Die auf die Klägerin gemünzte Aussage, es werde „eine Sekretärin mit Eiern in den Hosen“ gebraucht, stelle ebenfalls eine Diskriminierung des weiblichen Geschlechts dar.

3.2 Anders als in der Entscheidung 9 ObA 38/17d hat sich Ing. XX (der die Zusendung des Pornovideos veranlasste und die Äußerungen tätigte) nicht nur eines lockeren, teils freizügig – scherzhaften mit einem sexuellen Unterton versehenen Umgangstons bedient, auf den die Klägerin eingestiegen wäre und den sie teils erwidert hätte. Im vorliegenden Fall steht vielmehr fest, dass die Klägerin von Beginn an irritiert war und nicht wusste, wie sie mit der Übersendung des pornographischen Videos und den Äußerungen des Ing. XX umgehen sollte, weshalb sie auch aus Sorge um ihren Arbeitsplatz beschloss, die Verhaltensweisen vorerst zu ignorieren. Dass von einem von Seite der Klägerin erwiderten „lockeren Umgangston“ nicht einmal ansatzweise die Rede sein kann, ergibt sich auch aus der weiteren Feststellung, dass die Klägerin einmal zu weinen begann, nachdem sie wegen Fehlens von Unterlagen von Ing. XX rüde beschimpft und wieder einmal aufgefordert worden war, „weniger zu onanieren und mehr zu arbeiten“.

3.3 Seit der Entscheidung 9 ObA 38/17d ist klargestellt, dass die ausdrückliche oder stillschweigende Zurückweisung oder Ablehnung eines sexuell belästigenden Verhaltens durch die betroffene Person keine Tatbestandsvoraussetzung der sexuellen Belästigung iSd § 6 Abs 2 GlBG ist (RS0131404; Kozak, Keine Voraussetzung einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Ablehnung für das Vorliegen einer sexuellen Belästigung, DRdA infas 2017/132; Hopf, Ablehnungsobliegenheit bei sexueller Belästigung?, in FS Nikolay Leitner, Auf dem Weg zur Gleichbehandlung [2018] 175 [190]). Wie feststeht, ging die Klägerin über die Verhaltensweisen des Ing. XX nur deshalb hinweg, weil sie Angst hatte, wieder arbeitslos zu werden und in ihrem Alter (von damals 48 Jahren) keine Arbeit mehr zu finden.

4.1 Auch die Beurteilung der Vorinstanzen, die Haftung der Beklagten sei nicht deshalb ausgeschlossen, weil Ing. XX bei der Beklagten keine formale Organstellung innehatte, steht im Einklang mit der Rechtsprechung:

4.2 Eine juristische Person hat nicht nur für die sexuelle Belästigung durch ihre Vertretungsorgane – etwa den Geschäftsführer einer GmbH – gemäß § 6 Abs 1 Z 1 GlBG einzustehen (9 ObA 18/08z; RS0123580). Sie haftet als Arbeitgeber für eine sexuelle Belästigung iSd § 6 Abs 1 Z 1 GlBG auch dann, wenn der Belästiger kraft seiner Befugnisse und seiner Stellung gegenüber den anderen Dienstnehmern als zur selbständigen Ausübung von Unternehmer – und insbesondere Arbeitgeberfunktionen berechtigt ist und die sexuelle oder geschlechtsbezogene Belästigung damit in einem inneren Zusammenhang steht (9 ObA 118/11k = RS0127723; Windisch Graetz in Neumayr/Reissner , ZellKomm 3 § 6 GlBG Rz 6).

4.3 Nach den Feststellungen setzte Ing. XX. die Klägerin davon in Kenntnis, dass er der „Chef“ sei und der Geschäftsführer der Beklagten, sein Stiefsohn diese Funktion nur „auf dem Papier“ ausübe. Tatsächlich führte Ing. XX sämtliche Verhandlungen und Vortätigkeiten durch, unterfertigte die Aufträge und übte für die Klägerin die Arbeitgeberrolle aus. Er unterzeichnete ihren Dienstvertrag, erteilte ihr (sowie einer weiteren Mitarbeiterin) die Arbeitsanweisungen und ordnete Mehrstunden an. Demgegenüber war der Geschäftsführer nur selten im Büro, seine Tätigkeit beschränkte sich auf bestimmte Unterschriftsleistungen. Wenn das Berufungsgericht auf Grundlage dieser Sachverhaltsfeststellungen Ing. XX als einen zur Geschäftsführung berufenen Stellvertreter qualifiziert, ist dies nach Lage des Falles jedenfalls vertretbar. Das Wissen der Klägerin darüber, dass er nicht Geschäftsführer der Beklagten war, vermag an dessen Zurechnung zur Beklagten im Rahmen des § 6 Abs 1 Z 1 bzw § 7 Abs 1 Z 1 GlBG (jeweils arg Arbeitgeber/In nichts zu ändern.

5.1 Die Höhe des durch eine sexuelle und geschlechtsbezogene Belästigung verursachten immateriellen Schadens ist im Wege einer Globalbemessung für die durch die (fortgesetzte) Belästigung geschaffene Situation in ihrer Gesamtheit nach den auch sonst im Schadenersatzrecht angewandten Grundsätzen zu bemessen. Bei der Bemessung ist insbesondere auf die Dauer der Diskriminierung und die Erheblichkeit der Beeinträchtigung Bedacht zu nehmen ( Hopf/Mayr/Eichinger , GlBG [2009] § 12 Rz 120 mwN). Letztlich hängt die Bemessung von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab und begründet daher für sich keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (8 ObA 59/08x mwN; 8 ObA 18/03k).

5.2 Die Berufung der Beklagten gegen das Ersturteil enthielt keine Ausführungen zur Höhe des zuerkannten Schadenersatzbetrags von 4.000 EUR. Das nun dazu erstattete Revisionsvorbringen beschränkt sich auf den Einwand, im Hinblick auf die Entscheidung 9 ObA 38/17d sei ein Schadenersatz von 4.000 EUR nicht gerechtfertigt.

5.3 Berücksichtigt man das Vorliegen mehrerer Übergriffe und die Erheblichkeit der Beeinträchtigung, die insbesondere darin zum Ausdruck kommt, dass sich die Klägerin veranlasst sah, das Dienstverhältnis mit der Beklagten zu lösen, kann im Zuspruch von insgesamt 4.000 EUR als Ausgleich der erlittenen persönlichen Beeinträchtigung (§ 12 Abs 11 GlBG) keine überhöhte Entschädigung erblickt werden, die der Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte.

Die außerordentliche Revision der Beklagten war daher mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.