JudikaturJustiz9ObA47/23m

9ObA47/23m – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. September 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Karl Reiff (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Stepanowsky (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gemeinde M*, vertreten durch Dr. Felix Graf, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch Dr. Karl Heinz Plankel, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen 12.781,75 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. April 2023, GZ 15 Ra 58/22z 31, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits und Sozialgericht vom 18. Oktober 2022, GZ 62 Cga 8/22d 24, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revisionsbeantwortung der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Revision sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Die Beklagte war als Gemeindesekretärin bei der Klägerin beschäftigt. Am 14. 1. 2019 schlossen die Parteien im Verfahren zu 34 Cga 6/18y des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht, in welchem die nunmehrige Beklagte Klägerin und die nunmehrige Klägerin Beklagte waren, einen Vergleich. Dieser lautet in seinen wesentlichen Punkten wie folgt:

„1. Die beklagte Partei verpflichtet sich, der Klägerin zu Händen des Klagsvertreters 14 Bruttomonatsgehälter auf das Konto des Klagsvertreters bis zum 28. 2. 2019 zu bezahlen, wobei der Vergleichsbetrag nach Möglichkeit nach dem festen Steuersatz von 6 % (zumindest teilweise) sowie nach der Fünftel-Regelung zu veranlagen ist.

2. Das Dienstverhältnis wird einvernehmlich mit 28. 2. 2019 beendet.

3. Sowohl eine offene Urlaubsabfindung als auch allfällige Mehrstunden sind auszubezahlen.

4. Die beklagte Partei verpflichtet sich, der Klägerin ebenso bis zum 28. 2. 2019 ein wohlwollend formuliertes Dienstzeugnis auszustellen und zu übermitteln; ebenso zu Händen des Klagsvertreters.

5. Mit Ende Februar 2019 ist eine Endabrechnung des Dienstverhältnisses vorzunehmen und der Klägerin zu Händen des Klagsvertreters binnen 14 Tagen gerechnet ab dem 28. 2. 2019 zu übermitteln.

...“

[2] Am 14. 1. 2019 übermittelte der Beklagtenvertreter dem Klagevertreter ein Dokument überschrieben mit „WKO und Besteuerung von Vergleichssummen“.

[3] Am 22. 2. 2019 teilte die Klägerin dem Beklagtenvertreter schriftlich mit, dass laut Auskunft der Lohnverrechnung bei der Abrechnung erhebliche rechtliche Unklarheiten bestünden, weshalb per 28. 2. 2019 eine Akontozahlung von 20.000 EUR geleistet werde. Die steuer- und abgabenrechtliche Situation werde derzeit noch vom Finanzamt und der BVA geprüft. Sollten sich Nachzahlungen ergeben, würden diese umgehend geleistet werden.

[4] Die Klägerin überwies in der Folge diese Akontozahlung.

[5] Am 19. 3. 2019 teilte der Beklagtenvertreter dem Klagevertreter mit, dass seiner Ansicht nach der gerichtliche Vergleich nach wie vor nicht vollständig erfüllt worden sei und setzte hierfür eine Nachfrist bis zum 10. 4. 2019.

[6] Am 2. 5. 2019 überwies die Klägerin der Beklagten einen weiteren Betrag von 9.802,64 EUR.

[7] Am 10. 5. 2019 teilte der Beklagtenvertreter dem Klagevertreter mit, dass der Vergleich immer noch nicht zur Gänze erfüllt sei.

[8] Am 24. 6. 2019 beantragte die Beklagte aufgrund des Vergleichs vom 14. 1. 2019 zu 28 E 1786/19x des Bezirksgerichts Feldkirch die Bewilligung der Fahrnisexekution gegen die Klägerin. Den betriebenen Anspruch von 7.257,68 EUR schlüsselte sie in ihrem Exekutionsantrag wie folgt auf:

12 Bruttogehälter à 2.266,75 31.871,16 EUR

Sonderzahlung (mit Freibetrag) brutto 1 x + 1.297,29 EUR

Sonderzahlung (normal) 3 x 1.297,29 brutto + 3.891,87 EUR

Gesamtforderung lt Vergleich 37.060,32 EUR

abzüglich Zahlung Gemeinde M* - 20.000 EUR

und - 9.802,64 EUR

restlich offene Forderung 7.257,68 EUR

[9] Die vom Bezirksgericht Feldkirch am 26. 6. 2019 antragsgemäß erlassene Exekutionsbewilligung erwuchs unbekämpft in Rechtskraft, wobei der zu zahlende Gesamtbetrag einschließlich der Kosten des Exekutionsverfahrens 7.797,52 EUR betrug.

[10] Am 16. 7. 2019 überwies die Klägerin der Beklagten diesen Betrag und am 18. 7. 2019 einen weiteren Betrag von 409,06 EUR.

[11] Mit Beschluss des Bezirksgerichts Feldkirch vom 3. 3 . 2020 zu 28 E 3164/19v wurde der Beklagten aufgrund des Vergleichs vom 14. 1. 2019 die mit ihrem weiteren Exekutionsantrag vom 18. 11. 2019 beantragte Exekution zur Erwirkung der unvertretbaren Handlung, ein wohlwollend formuliertes Dienstzeugnis auszustellen und zu Handen des Klagevertreters zu übermitteln sowie weiters die Endabrechnung des Dienstverhältnisses vorzunehmen und ihrem Vertreter zu übermitteln, bewilligt. Ihr darüber hinausgehendes Begehren, aufgrund des Vergleichs vom 14. 1. 2019 die Fahrnisexekution zur Hereinbringung einer (weiteren) Kapitalforderung von 9.987,76 EUR zu bewilligen, wurde mit der Begründung abgewiesen, dass der Exekutionstitel (Vergleich vom 14. 1. 2019) nicht dem Bestimmtheitsgebot des § 7 EO entspreche.

[12] Am 24. 3. 2020 brachte die Klägerin zu 34 Cga 16/20x des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht eine Oppositionsklage verbunden mit einem Antrag auf Aufschiebung der Exekution ein, mit der sie begehrte, den Anspruch der Beklagten gemäß den Punkten 4. und 5. des Vergleichs, zu deren Erfüllung der Beklagten vom Bezirksgericht Feldkirch mit Beschluss vom 3. 3. 2020 zu 28 E 3164/19v die Exekution bewilligt wurde, für erloschen zu erklären und die von der Beklagten zu 28 E 3164/19v geführte Exekution für unzulässig zu erklären. Diesem Begehren gab das Landesgericht Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht mit (rechtskräftigem) Urteil vom 8. 9. 2020 zur Gänze statt.

[13] Am 19. 7. 2021 erließ das Finanzamt Österreich gegen die Klägerin Haftungsbescheide über die zu entrichtende Lohnsteuer und die Festsetzung des Dienstgeberbeitrags, jeweils für die Jahre 2019 und 2020 betreffend die Beklagte.

[14] Darüber hinaus traf das Erstgericht zwei Negativfeststellungen: Nicht festgestellt werden kann, welcher Nettobetrag sich aus dem von den Parteien im Vergleich vom 14. 1. 2019 vereinbarten 14 Bruttomonatsgehälter errechnet und in welcher Höhe Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge in diesen Bruttomonatsgehältern enthalten sind. Es kann auch nicht festgestellt werden, wann die Klägerin Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge aus dieser Bruttovergleichssumme abgeführt hat, jedenfalls geschah dies aber nicht vor Zustellung des Haftungsbescheids des Finanzamts vom 19. 7. 2021.

[15] Die Klägerin begehrt von der Beklagten den Rückersatz von 12.781,75 EUR sA, gestützt auf Schadenersatz, ungerechtfertigte Bereicherung, § 1358 ABGB und alle sonstigen erdenklichen Rechtsgründe. Sie habe insgesamt 38.009,22 EUR an die Beklagte gezahlt. Nicht zuletzt durch die Exekutionsführung sei es daher irrtümlicherweise zu einer ungerechtfertigten Vermögensverschiebung zu Gunsten der Beklagten im Umfang des Klagsbetrags (im Wesentlichen Lohnsteuer) gekommen (Klage). Im weiteren Verfahren brachte die Klägerin vor, ausgehend vom monatlichen Bruttoeinkommen der Klägerin von 3.124,07 EUR und einem daraus resultierenden Bruttovergleichsbetrag von insgesamt 43.614,32 EUR ergebe sich nach Abzug des Sozialversicherungsbeitrags von 7.570,75 EUR eine Bemessungsgrundlage für die Lohnsteuer von 36.043,56 EUR. Davon seien 7.500 EUR mit 6 % zu versteuern. Für den Rest gelange die Fünftelregelung zur Anwendung, sodass sich ein der Beklagten zustehender Nettobetrag von 25.227,47 EUR errechne. Die Klägerin habe daher eine Überzahlung von 12.781,75 EUR geleistet. Die Exekutionsführungen der Beklagten seien schikanös und zum Schaden der Klägerin erfolgt, weil die Beklagte gewusst habe, dass ihr aus dem Vergleichsbetrag nur der Nettobetrag zustehe.

[16] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass das Rückforderungsbegehren der Klägerin nicht zu Recht bestehe, weil diese nur das gezahlt habe, was der Beklagten aus dem Vergleich zustehe. Abgesehen davon habe die Beklagte die überwiesenen Beträge gutgläubig verbraucht.

[17] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[18] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Eine (teilweise) Rückforderung der Zahlungen vom 2. 5. 2019, 16. 7. 2019 und 18. 7. 2019 nach § 1431 ABGB scheitere schon daran, dass die Klägerin einen Irrtum über das Bestehen oder den Umfang ihrer Verpflichtung aus dem Vergleich nicht behauptet habe. Die am 16. 7. 2019 geleistete Zahlung, hinsichtlich derer die Exekution bewilligt wurde, könne im Hinblick auf die Negativfeststellungen nicht zurückgefordert werden. Auf andere Anspruchsgrundlagen könne die Klägerin ihren Klagsanspruch nicht erfolgreich stützen.

[19] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zugelassen.

[20] In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[21] Die Revision der Klägerin ist zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[22] I. Die Beklagte erhielt die Mitteilung, dass ihr die Revisionsbeantwortung nach § 508a Abs 2 ZPO freigestellt werde, am 1. 8. 2023. Nach § 39 Abs 4 ASGG sind die Vorschriften über die Hemmung von Rechtsmittelfristen während der verhandlungsfreien Zeit nach § 222 ZPO in diesem Verfahren nicht anzuwenden, wodurch die Frist für die Einbringung der Revisionsbeantwortung nach § 507a Abs 1 ZPO am 29. 8. 2023 endete. Die im ERV erst am 8. 9. 2023 und damit nach Fristablauf eingebrachte Revisionsbeantwortung war daher als verspätet zurückzuweisen.

[23] II. 1. Der gerichtliche Vergleich ist nach einhelliger Ansicht eine doppelfunktionelle Prozesshandlung (RS0032587 [T12]; vgl Gitschthaler in Rechberger/Klicka , ZPO 5 [2019] §§ 204–206 ZPO Rz 4 mwN). Er hat zugleich den Charakter eines zivilrechtlichen Vertrags und einer Prozesshandlung (RS0032587). Nach der, nunmehr auch in der Rechtsprechung herrschenden, Lehre vom Doppeltatbestand ist zwischen seiner prozessualen und seiner materiell rechtlichen Wirksamkeit zu unterscheiden. Ein Prozessvergleich kann demnach prozessual unwirksam, als materielles Rechtsgeschäft aber wirksam sein, und umgekehrt (RS0032546 [T1]; RS0032464 [T2, T3]; Gitschthaler in Rechberger/Klicka , ZPO 5 §§ 204–206 ZPO Rz 7). Ob ein Vergleich einen Prozess beendet, ist dabei ausschließlich nach Prozessrecht zu beurteilen; ob ein verpflichtender Vertrag zustande gekommen ist, ausschließlich nach materiellem Recht (RS0032464).

[24] 2. Ein gerichtlicher Vergleich kann außerdem auch ein Exekutionstitel sein (RS0032587 [T2]). Nach § 1 Abs 1 Z 5 EO bildet ein gerichtlicher Vergleich für die in ihm vereinbarten Leistungen grundsätzlich einen Exekutionstitel. Bildet ein gerichtlicher Vergleich wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 7 EO keinen Exekutionstitel, so bleibt dennoch die ihm zugrundeliegende Willenseinigung der Parteien über die vereinbarte Leistung, also der in ihm enthaltene privatrechtliche Vertrag, bestehen (RS0024549) und er ist als Prozessvergleich wirksam ( Klicka in Fasching/Konecny 3 II/3 § 206 ZPO Rz 22; vgl auch 3 Ob 50/83).

[25] 3. Die Entscheidung 8 ObA 18/15b besagt nichts Gegenteiliges. Darin wurde lediglich ein – mangels näherer Konkretisierung des Begriffs „Bruttomonatsgehalts“ – unbestimmter Vergleich als nicht wirksamer Exekutionstitel beurteilt. Daraus folgt aber nicht, dass der Vergleich auch materiell-rechtlich unwirksam wäre.

[26] 4.1. Auf die materiell rechtliche Unwirksamkeit des Vergleichs – welche ausschließlich nach materiellem Recht zu beurteilen wäre (vgl RS0032464) – hat die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren ihren Rückforderungsanspruch gegen die Beklagte auch nicht gestützt. Vielmehr ging auch sie von einem wirksamen Vergleich aus, aus dem der Beklagten ein Nettobetrag von 25.227,47 EUR zustehe; (bloß) die „Überzahlung“ von 12.781,15 EUR sei eine ungerechtfertigte Vermögensverschiebung, weil diese der Beklagten aus dem Vergleich nicht zustehe.

[27] 4.2. Wenn die Klägerin in ihrer außerordentlichen Revision (erstmals) damit argumentiert, dass nicht bestimmte bzw bestimmbare Leistungsvereinbarungen den Vertrag gar nicht erst entstehen ließen, so ist auf die vom Berufungsgericht nach den §§ 914 ff ABGB vorgenommene Vergleichsauslegung zu verweisen. Dessen Rechtsauffassung, dass die Formulierung im Vergleich, wonach sich die Klägerin verpflichtete, der Beklagten 14 Bruttomonatsgehälter zu zahlen, (entgegen dem Standpunkt der Beklagten) von einem objektiven Erklärungsempfänger nur dahin verstanden werden könne, dass die Klägerin die mit dieser Zahlung verbundenen Gebühren und Abgaben trage, sie daher berechtigt sei, diese vom Vergleichsbetrag abzuziehen und der Beklagten nur der sich daraus ergebende Nettobetrag zukommen solle, ist zutreffend.

[28] 5. Nach der Rechtsprechung gewährt die Zahlung einer Nichtschuld unter dem Druck einer Vollstreckung ohne Rücksicht auf einen Irrtum des Leistenden den Kondiktionsanspruch (RS0033569). Zudem hat sich die Klägerin bereits in der Klage auf eine „irrtümlicherweise“ erfolgte ungerechtfertigte Vermögensverschiebung berufen und damit sehr wohl einen Irrtum über ihre Leistungspflicht im Sinne des § 1431 ABGB behauptet.

[29] 6. Die vom Erstgericht getroffenen negativen Feststellungen begründen die Abweisung des Klagebegehrens (jedenfalls derzeit) nicht. Zwischen den Parteien ist nämlich vorerst strittig, welches „Bruttomonatsgehalt“ dem Vergleich zugrunde liegt. Erst wenn dieses (durch Auslegung des Vergleichs nach § 914 ABGB) festgestellt wurde und der sich daraus zu errechnende Bruttovergleichsbetrag feststeht, kann der entsprechende Nettobetrag (allenfalls mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens) errechnet werden.

[30] In dieser Hinsicht liegen sekundäre Feststellungsmängel vor, weshalb sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig erweist. Auf die Mängelrüge der Revisionswerberin musste daher nicht mehr eingegangen werden.

[31] In Stattgebung der Revision der Klägerin waren die Entscheidungen der Vorinstanzen daher aufzuheben.

[32] Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.