JudikaturJustiz9ObA154/98g

9ObA154/98g – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. August 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Franz Zörner und Norbert Bacher als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dipl. Ing. Manfred H*****, Pensionist, ***** vertreten durch John John, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei S***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Bernhard Hainz, Rechtsanwalt in Wien, wegen S

202.662 brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Dezember 1997, GZ 9 Ra 301/97v-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 3. Juli 1997, GZ 3 Cga 23/97g-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 8.886,60 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin S 1.481,10 Umsatzsteuer) und die mit S 23.915 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.777,50 Umsatzsteuer und S 13.250 Pauschalgebühr) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 10. 6. 1941 geborene Kläger war bis zur einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses per 30.6.1995 als Führungskraft (Verwendungsgruppe VI des Verwendungsgruppenschemas des Rahmenkollektivvertrages für Angestellte der Industrie) bei der beklagten Partei beschäftigt. Seine Vordienstzeiten bei der S***** AG vom Eintritt am 1. 4. 1970 bis 1. 5. 1983 hat die Beklagte durch Übernahme des Klägers mit allen Rechten und Pflichten übernommen. Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten wurde dem Kläger über seinen Antrag vom 1. 7. 1996 mit Bescheid vom 10. 7. 1996 die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit ab 1. 7. 1996 gewährt. Schon bei der S***** AG gab es in den 70er-Jahren "Richtlinien über die Gewährung eines Pensionszuschusses an Führungskräfte". Dem Kläger wurde mit Schreiben des Dienstgebers vom 1. 4. 1979 mitgeteilt, daß ihm in Anerkennung seiner Tätigkeit und Initiative für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Unternehmen ein Pensionszuschuß in Aussicht gestellt wird. Die Bedingungen waren aus den eine Beilage des Schreibens bildenden Richtlinien zu entnehmen. Am 10. 7. 1996 begehrte der Kläger von der Beklagten einen Pensionszuschuß im Sinne dieser Richtlinien. Die beklagte Partei lehnte mangels Erfüllung der Pensionsrichtlinien den Anspruch des Klägers ab. Neben den hier unstrittigen in den Richtlinien normierten Anspruchsvoraussetzungen des § 6 bestimmt § 7 Abs 1 der Richtlinien folgendes: "Unter den Voraussetzungen des § 6 gebührt den gemäß § 1 begünstigten Personen der Pensionszuschuß unter nachstehenden Bedingungen: a) bei Berufsunfähigkeit - der Begriff der Berufsunfähigkeit ergibt sich aus den jeweiligen Bestimmungen der gesetzlichen Angestelltenversicherung, b) ohne Nachweis der Berufsunfähigkeit bei männlichen Angestellten nach Vollendung des 65. Lebensjahres, bei weiblichen Angestellten nach Vollendung des 60. Lebensjahres, c) ohne Nachweis der Berufsunfähigkeit im Sinne des § 273 ASVG bei männlichen Angestellten nach Vollendung des 60. Lebensjahres, bei weiblichen Angestellten nach Vollendung des 55. Lebensjahres, wenn ein Vertrauensarzt der S***** feststellt, daß der Begünstigte ohne wesentliche Schädigung seiner Gesundheit nicht mehr imstande ist, seinen Arbeitsplatz auszufüllen. ..." Über die Auslegung der Pensionsrichtlinien haben die Parteien keine Gespräche geführt.

Der Kläger begehrt die Zuerkennung eines Pensionszuschusses laut der Pensionsregelung in dem der Höhe nach unstrittigen Klagebetrag.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil dem Kläger schon dem Grunde nach aufgrund der Pensionszuschußregelung kein Pensionszuschuß zustehe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es sei lediglich zu prüfen, ob dem Kläger ein Pensionszuschuß im Sinne des § 7 Abs 1 lit a der vereinbarten Richtlinien zustehe. Die Richtlinien seien in diesem Zusammenhang so zu verstehen, daß ein Pensionszuschuß nur zustehe, wenn Berufsunfähigkeit im Sinne des § 273 ASVG vorliege, sohin Berufsunfähigkeitspension nach § 271 ASVG zustehe. Dem Kläger sei aber nur eine vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit gewährt worden, die jedoch nur für den Versicherungsfall des Alters, nicht jedoch für den Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit zustehe. Es sei nicht davon auszugehen, daß die Richtlinien eine Pensionszuschußgewährung in anderen Fällen als den der Berufsunfähigkeitspension vorsehen wollten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei Folge und erkannte dem Kläger den beantragten Pensionszuschuß zu.

Rechtlich führte es aus, daß mit der 51. ASVG-Novelle die bisherigen Formen der Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension mit "altersbedingtem Berufsschutz" (= Tätigkeitsschutz) durch den neuen Versicherungsfall der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit gemäß § 253d ASVG ersetzt worden seien, ohne daß sich an den wesentlichen Anspruchsvoraussetzungen Änderungen ergeben hätten. Die Ansicht des Erstgerichtes, daß die dem Kläger gewährte Pension keine "Berufsunfähigkeitspension" im Sinne des § 7 der Pensionszuschußrichtlinien sei, führe zu dem nicht zu billigenden Ergebnis, daß der Personenkreis, der die Kriterien der ehemaligen §§ 255 Abs 4 und 273 Abs 3 ASVG erfülle, mit einem Lebensalter über 55 Jahren von Betriebszuschußleistungen ausgeschlossen wäre, obwohl derselbe Personenkreis bis zum Inkrafttreten der 51. ASVG-Novelle einen Rechtsanspruch darauf gehabt hätte. Das Abstellen der Pensionszuschußrichtlinien auf Berufsunfähigkeit nach den jeweiligen Bestimmungen der gesetzlichen Angestelltenversicherung und die Gewährung der bisherigen Berufsunfähigkeitspension nunmehr in Form einer Alterspension wegen geminderter Erwerbsfähigkeit gemäß § 253d ASVG zeige nur, daß es sich bei der Pension nach § 253d ASVG inhaltlich um nichts anderes handle als um die Berufsunfähigkeitspension mit altersbedingtem Berufsschutz vor 1993. Es sei die im § 7 Abs 1 lit a der Richtlinien angeführte Voraussetzung der Berufsunfähigkeit daher auch dann gegeben, wenn eine vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit gewährt werde.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei stellt den Antrag, der Revision der beklagten Partei keine Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die "Richtlinien über die Gewährung eines Pensionszuschusses an Führungskräfte" sind als Vertragsschablone mit dem dem Kläger zugestellten Schreiben der Beklagten vom 1 .4. 1979 Inhalt seines Einzeldienstvertrages geworden (vgl DRdA 1991, 246 = ecolex 1991, 340, 719; ecolex 1997, 280; 8 ObA 134/97g). Bei privatrechtlichen Vereinbarungen ist die in den Richtlinien enthaltene dynamische Verweisung auf die jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen über Berufsunfähigkeit in der Angestelltenversicherung zulässig (SZ 66/48; 8 ObA 164/97v). Die Pensionsrichtlinien sind demnach nach den §§ 914, 915 zweiter Halbsatz ABGB auszulegen. Dabei ist die Formulierung maßgeblich, wie sie unter Beachtung der Übung des redlichen Verkehrs zu verstehen ist. Entscheidend ist dabei nicht nur der Wortlaut, sondern wie die Erklärung inhaltlich verstanden und gehandhabt wurde (Ind 1998, 2426). Die Auslegung hat sich am Zweck einer betrieblichen Pensionsregelung zu orientieren (RdW 1997, 225, 8 ObA 11/98w). Nach dem Wortlaut der Richtlinie ist nicht entscheidend, welche Pension dem Kläger zuerkannt wurde, ob diese sohin eine Berufsunfähigkeitspension im Sinne des § 271 ASVG oder eine vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit im Sinne des § 253d ASVG ist. Letztere, durch die 51. Novelle zum ASVG (BGBl 1993/335) eingeführte neue Leistung der Pensionsversicherung aus dem Versicherungsfall des Alters, die es früher nicht gab (SSV-NF 10/127), hat weitgehend die besonderen Anspruchsvoraussetzungen der Invaliditätspension gemäß § 255 Abs 4 ASVG und der Berufsunfähigkeitspension im Sinne des § 273 Abs 3 ASVG, sohin die Regelungen über einen Tätigkeitsschutz, zu einer vorzeitigen Alterspension zusammengefaßt (Teschner/Widlar ASVG 64.ErgLfg 1298/15). Ausschlaggebend ist ausschließlich, ob nach den Richtlinien über deren Auslegung die Parteien keine Gespräche führten, Berufsunfähigkeit im Sinne des § 7 Abs 1 lit a der Richtlinie auch den durch die 39.Novelle zum ASVG (BGBl 1983/590) im Bereich der Angestelltenversicherung eingeführten begünstigten Fall der Berufsunfähigkeit aufgrund eines Tätigkeitsschutzes nach § 273 ASVG umfaßt. Diese Bestimmung war zur Zeit der Vereinbarung der Streitteile im Jahre 1979 noch nicht in der gesetzlichen Angestelltenversicherung enthalten und entsprach der durch die 35. ASVG-Novelle (BGBl 1980/585) bei ungelernten Arbeitern eingeführten Regelung des § 255 Abs 4 ASVG. Beide Bestimmungen wurden durch die 51. ASVG-Novelle ab 1.7.1993 infolge der neuen Bestimmung des schon genannten § 253d ASVG als entbehrlich aufgehoben (Teschner/Widlar aaO 56. ErgLfg 1378).

Der Begriff der Berufsunfähigkeit ist ausschließlich im § 273 ASVG definiert. In diesem Sinne ist auch der Berufsunfähigkeitsbegriff der Richtlinie zu verstehen, wobei, was bei dem zur Zeit der Parteienvereinbarung geltenden Inhalt des § 273 ASVG nicht verwundert, ein Hinweis in den Richtlinien darauf, daß damit nur Berufsunfähigkeit im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG gemeint war, unterblieb (9 ObA 24/93). Abgesehen davon, daß zur Zeit des begehrten Pensionsanfalls nach § 13 der Richtlinien, sohin dem Zeitpunkt der Auflösung des Dienstverhältnisses des Klägers die Bestimmung, die den begünstigten Fall der Berufsunfähigkeit im Sinne des § 273 Abs 3 ASVG regelte, keine Geltung mehr hatte, läßt sich auch im Auslegungswege die gewünschte Interpretation, daß bei Überschreiten des 55. Lebensjahres und gegebenem Tätigkeitsschutz, wenn die Voraussetzungen eines Pensionsanspruches nach § 253 d ASVG begründet sind, ein Pensionsanspruch auch nach den Richtlinien bestehe, nicht erzielen.

Dieser begünstigte Fall, der durch die 39. ASVG-Novelle im Rahmen des § 273 ASVG eingeführten Berufsunfähigkeit im Sinne dessen Abs 3 ist nämlich in den Grundzügen und dem Ergebnis nach bereits im § 7 Abs 1 lit c der Richtlinie eine besondere Anspruchsvoraussetzung für den Pensionszuschuß, wenn er auch den Tätigkeitsschutz erst nach Vollendung des 60. Lebensjahres (von männlichen Angestellten) als Pensionsanspruch eintreten läßt. Daher haben die Parteien in den als vereinbart zu geltenden Richtlinien den späteren gesetzlichen Tätigkeitsschutz nach § 253d ASVG und der Berufsunfähigkeit nach § 273 Abs 3 ASVG mit den entsprechenden Abänderungen hinsichtlich des Anspruchsalters bereits einer eigenen vertraglichen Regelung unterzogen. Der Zweck der Regelung, nicht nur Berufsunfähigkeit im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG als besonderen Anspruchsgrund für einen Pensionszuschuß nach § 7 Abs 1 lit a der Richtlinie zu schaffen, sondern auch, ohne daß die Voraussetzungen des § 273 Abs 1 ASVG gegeben sind, einen Pensionsanspruch nach § 7 Abs 1 lit c der Richtlinie zu schaffen, wenn Unmöglichkeit besteht, die zuletzt ausgeübte konkrete Tätigkeit am Arbeitsplatz zu verrichten, ist klar erkennbar.

Es ist daher nach den genannten Auslegungskriterien § 7 der Richtlinie dahin zu verstehen, daß die unter Abs 1 lit a genannte Berufsunfähigkeit nur eine damals wie jetzt in § 273 Abs 1 ASVG definierte Berufsunfähigkeit ist. Der Kläger hat nur die Anspruchsvoraussetzungen, daß er ohne wesentliche Schädigung seiner Gesundheit nicht mehr imstande ist, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit an seinem Arbeitsplatz auszufüllen, durch die Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nachgewiesen. Mangels Erreichung der in § 7 Abs 1 lit c der Richtlinie geforderten Vollendung des 60. Lebensjahres besteht daher beim Kläger kein Anspruch nach § 7 Abs 1 lit c der Richtlinie noch mangels Nachweises der Berufsunfähigkeit im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG ein solcher nach § 7 Abs 1 lit a der Richtlinie. Nach Zweck und Inhalt des § 7 der Richtlinie kann redlichen Vertragsparteien im Hinblick auf den ohnehin in lit c geregelten Fall der Berufsunfähigkeit aufgrund eines Tätigkeitsschutzes nicht unterstellt werden, daß sie in § 7 Abs 1 lit a der Richtlinie Berufsunfähigkeit anders als im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG, dessen Wortlaut sich nicht geändert hat, verstanden haben. Es schadet daher nicht, daß nach Abschluß der Pensionszuschußvereinbarung § 273 Abs 3 ASVG einen begünstigten Fall der Berufsunfähigkeit schuf. Nach dem Inhalt der Richtlinien konnten die Personen, die Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitspension aufgrund von Berufsunfähigkeit nach § 273 Abs 3 ASVG hatten, nur dann in den Genuß eines Pensionszuschusses gelangen, wenn sie als Männer das 60. und als Frauen das 55. Lebensjahr vollendet haben. Männliche Arbeitnehmer zwischen dem 55. und 60. Lebensjahr hatten ungeachtet ihres Anspruches früher auf Berufsunfähigkeitspension unter Zugrundelegung des § 273 Abs 3 ASVG oder jetzt auf eine vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach § 253d ASVG aufgrund ihres Tätigkeitsschutzes nach den Pensionsrichtlinien nie einen Anspruch auf Pensionszuschuß nach § 7 Abs 1 lit a oder c der Richtlinien. Nur im Falle der strengeren Berufsunfähigkeit nach § 273 Abs 1 ASVG stand und steht ungeachtet des Lebensalters bei Erfüllung der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen der Pensionszuschuß zu.

Da die Richtlinien den Anspruch auf Pensionszuschuß nicht auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Inanspruchnahme einer Pension, sondern auf den Begriff und das Vorliegen der Berufsunfähigkeit gründen, ist es ohne Bedeutung, welche Pension dem Kläger zuerkannt wurde. Es ist daher keine Auslegungshilfe, daß der Gesetzgeber im Betriebspensionsgesetz die Parallelität der Regelungsinhalte der §§ 255 Abs 4, 273 Abs 3 und jetzt 253d ASVG erkannte, wenn die Parteien des Pensionsvertrages das Vorliegen der Berufsunfähigkeit nur in der Bedeutung des § 273 Abs 1 ASVG als Anspruchsvoraussetzung vereinbarten.

Der Revision war daher im Sinne des Revisionsantrages Folge zu geben und das Ersturteil wieder herzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
4