JudikaturJustiz9Ob79/16g

9Ob79/16g – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Dezember 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn und Dr. Weixelbraun Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** G*****, vertreten durch Dr. Christopher Kempf, Rechtsanwalt in Spittal an der Drau, gegen die beklagte Partei K***** GmbH, *****, vertreten durch Huainigg Dellacher Partner Rechtsanwälte OG in Klagenfurt, wegen 11.929,97 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 3.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 24. August 2016, GZ 3 R 113/16a 26, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Spittal/Drau vom 23. April 2016, GZ 3 C 622/15p 22, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.096,56 EUR (darin 182,76 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin erlitt am 21. 1. 2014 bei einem Unfall eine Prellung der linken Hand. Die im Krankenhaus der Beklagten am 22. 1. 2014 und 29. 1. 2014 durchgeführten Behandlungen erfolgten lege artis. Es wurden alle notwendigen diagnostischen Maßnahmen ergriffen. Da bei der Nachuntersuchung am 29. 1. 2014 die Symptome weitgehend abgeklungen und weitere Maßnahmen nicht geboten waren, wurde die Behandlung beendet. Der Klägerin wurde von der behandelnden Ärztin der Beklagten mitgeteilt, dass bei Bedarf jederzeit eine Kontrolle möglich sei und die Schmerzen wegen der erlittenen Prellung noch anhalten würden. Zwischen den Behandlungsmaßnahmen der Beklagten und der bei der Klägerin etwa neun Monate später aufgetretenen Nervenstörung der linken Hand und der dadurch notwendigen Operation am 30. 6. 2015 besteht kein kausaler Zusammenhang. Das Auftreten eines Nervenkompressionsschadens war für die behandelnden Ärzte der Beklagten nicht vorhersehbar oder erkennbar. Dauerfolgen hinterließen die Behandlungsmaßnahmen der Beklagten nicht, Spätfolgen sind auszuschließen.

Die Vorinstanzen wiesen das auf eine fehlerhafte Behandlung der Ärzte der Beklagten gestützte Schadenersatzbegehren der Klägerin (Leistung und Feststellung) ab.

Das Berufungsgericht hat die Revision nachträglich gemäß § 508 Abs 3 ZPO aus Gründen der Rechtssicherheit zur Frage zugelassen, ob aus rechtlicher Sicht eine gegen die Vertragspflichten der Beklagten verstoßende Beendigung des Behandlungsvertrags vorliege. Dem schloss sich die Revisionswerberin zwecks Begründung der Zulässigkeit ihres Rechtsmittels nach § 502 Abs 1 ZPO an.

Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung darauf hingewiesen, dass die Revision der Klägerin mangels Darstellung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei und die Zurückweisung der Revision beantragt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO):

1. Ob ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen ist, ist eine Frage der Beweiswürdigung und daher nicht revisibel (RIS Justiz RS0043320). Ein in zweiter Instanz verneinter Mangel des Verfahrens erster Instanz kann in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden (RIS Justiz RS0042963). Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung, das Berufungsverfahren sei – weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei – mangelhaft geblieben, umgangen werden (RIS Justiz RS0042963 [T58]). Eine Ausnahme könnte nur dann vorliegen, wenn das Berufungsgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hat (RIS Justiz RS0043086; RS0043144; RS0043166). Solche Umstände zeigt die Revisionswerberin aber nicht auf.

2. Im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrags schuldet der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den Regeln der ärztlichen Kunst, wofür der aktuell anerkannte Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft maßgeblich ist (RIS Justiz RS0021335 [T2]). Ein Arzt handelt fehlerhaft, wenn er das in Kreisen gewissenhafter und aufmerksamer Ärzte oder Fachärzte vorausgesetzte Verhalten unterlässt (9 Ob 48/15x; RIS Justiz RS0026368 [T2]). Ob ein ärztlicher Kunstfehler vorliegt, ist eine – nicht revisible – Tatfrage (RIS Justiz RS0026418); ebenso die Beurteilung, welche Maßnahmen im konkreten Einzelfall erforderlich bzw zweckmäßig gewesen wären (8 Ob 129/13y).

Nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen des Erstgerichts erfolgte die gesamte Behandlung der Klägerin im Krankenhaus der Beklagten lege artis. Am 29. 1. 2014 waren keine weiteren Behandlungsmaßnahmen mehr geboten. Dies übergeht die Revisionswerberin, wenn sie behauptet, die Beklagte habe den Behandlungsvertrag nicht ordnungsgemäß erfüllt, weil sie das Abklingen sämtlicher Beschwerden und die Schmerzfreiheit der Klägerin abwarten hätte müssen. Im Hinblick auf eine allfällige notwendige – und von der Beklagten im Rahmen des Behandlungsvertrags auch geschuldete (vgl 8 Ob 103/09v) – Nachbehandlung wurde die Klägerin von der sie behandelnden Ärztin der Beklagten ohnedies auf eine bei Bedarf jederzeit mögliche Kontrolle hingewiesen. Von einem pflichtwidrigen vorzeitigen Behandlungsabbruch durch die Beklagte kann daher keine Rede sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RIS Justiz RS0035979 [T16]).

Rechtssätze
3
  • RS0123136OGH Rechtssatz

    21. November 2023·3 Entscheidungen

    a) Im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrags schuldet der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den aktuell anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst. Die pränatale Diagnostik dient nicht zuletzt der Ermittlung von Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des ungeborenen Kindes und soll damit auch der Mutter (den Eltern) im Falle, dass dabei drohende schwerwiegende Behinderungen des Kindes erkannt werden, die sachgerechte Entscheidung über einen gesetzlich zulässigen, auf § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB beruhenden Schwangerschaftsabbruch ermöglichen. Dass in einem solchen Fall die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch auch wegen der erheblichen finanziellen Aufwendungen für ein behindertes Kind erfolgen kann, ist objektiv voraussehbar, weshalb auch die finanziellen Interessen der Mutter (der Eltern) noch vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst sind. b) Wird beim Organscreening im Rahmen pränataler Diagnostik ein Hinweis auf einen beginnenden Wasserkopf als Folge einer Meningomyelozele nicht entdeckt und unterbleibt eine Wiederbestellung der Schwangeren, obwohl diagnoserelevante Strukturen nicht einsehbar waren, dann liegt ein ärztlicher Kunstfehler vor. Hätten sich die Eltern bei fachgerechter Aufklärung über die zu erwartende schwere Behinderung des Kindes und einen deshalb gesetzlich zulässigen Schwangerschaftsabbruch gemäß § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB zu Letzterem entschlossen, haftet der Arzt (der Rechtsträger) für den gesamten Unterhaltsaufwand für das behinderte Kind. In einem solchen Fall stünden sowohl die Ablehnung eines Schadenersatzanspruchs mit der Behauptung, es liege kein Schaden im Rechtssinn vor, als auch der bloße Zuspruch nur des behinderungsbedingten Unterhaltsmehraufwands mit den Grundsätzen des österreichischen Schadenersatzrechts nicht im Einklang.