JudikaturJustiz9Ob65/20d

9Ob65/20d – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Januar 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau, Hon. Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. ***** U*****, 2. ***** S*****, 3. T***** Stiftung *****, 4. Mag. ***** P*****, 5. ***** A*****, 6. Dr. ***** H*****, 7. ***** K*****, 8. S***** KG, *****, 9. ***** R*****, 10. ***** S*****, 11. ***** S*****, 12. ***** R*****, 13. ***** E*****, 14. ***** R*****, 15. ***** R*****, 16. ***** K*****, 17. ***** K*****, 18. ***** K*****, 19. ***** K*****, 20. ***** Y*****, 21. Mag. ***** T*****, 22. ***** E*****, 23. J***** GmbH, *****, 24. ***** E*****, 25. ***** P*****, 26. ***** P*****, 27. ***** M*****, alle vertreten durch Dr. Reinhard Bruzek, Rechtsanwalt in Elsbethen, gegen die beklagte Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch Bichler Zrzavy Rechtsanwälte in Wien, Feststellung (33.000 EUR), Löschung (33.000 EUR) und Räumung (Interesse: 1.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 18. November 2020, GZ 11 R 6/20m 17, mit dem der Berufung der beklagten Partei nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Kläger sind die Miteigentümer einer Liegenschaft, bestehend unter anderem aus dem Grundstück Nr *****/79. Die Beklagte ist Eigentümerin der Nachbarliegenschaft mit dem Grundstück Nr *****/72. Zu ihren Gunsten ist betreffend das Grundstück Nr *****/79 aufgrund eines Dienstbarkeitsvertrags vom 11. 9. 1968/3. 10. 1968 ein Fruchtgenussrecht intabuliert. Der Dienstbarkeitsvertrag lautete auszugsweise: „… Die vorgenannten Eigentümer der Liegenschaft EZ *****, räumen nun für sich und ihre Rechtsnachfolger den jeweiligen Eigentümern der Liegenschaft EZ ***** unentgeltlich das unbeschränkte und immerwährende Fruchtgenußrecht an dem … Grundstücksteil der Parzelle *****/79 Garten, im Ausmaß von 139,7 m² ein. … Nach dem Willen der Vertragsteile wird somit das persönliche Recht des Fruchtgenusses in Form einer unregelmäßigen Servitut (§ 479 ABGB) als Grunddienstbarkeit bestellt.“ Dass die damaligen Vertragsparteien etwas anderes vereinbaren wollten, konnte nicht festgestellt werden.

[2] Mit Vertrag vom 18. 9. 1975 verkaufte der Alleineigentümer des Grundstücks Nr *****/72 die Liegenschaft an die T***** AG. Unstrittig veräußerte diese die Liegenschaft im Jahr 2003 an die Beklagte (GmbH).

[3] Die Vorinstanzen stellten gemäß dem Klagebegehren gegenüber der Beklagten das Nichtbestehen des Fruchtgenussrechts fest und verpflichteten sie zur Einwilligung in dessen grundbücherliche Löschung sowie zur Räumung des Grundstücks Nr *****/79. Aus der Dienstbarkeitsvereinbarung ergebe sich klar, dass nach dem Willen der Vertragsteile das persönliche Recht des Fruchtgenusses in Form einer unregelmäßigen Servitut (§ 479 ABGB) als Grunddienstbarkeit bestellt worden sei. Die sich aus § 612 ABGB ergebende zeitliche Beschränkung eines solchen Fruchtgenussrechts sei abgelaufen.

Rechtliche Beurteilung

[4] In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[5] 1.1. Wenngleich § 479 ABGB den verbücherungsfähigen Typus der „unregelmäßigen Servitut“ nur im Zusammenhang mit Dienstbarkeiten erwähnt, die an sich Grunddienstbarkeiten sind, vereinbarungsgemäß aber „der Person allein“ zustehen sollen, unterliegt es keinem Zweifel, dass auch eine Dienstbarkeit, die gewöhnlich eine persönliche ist, als Grunddienstbarkeit bestellt werden kann (s RS0011621). Dies gilt insbesondere auch für das Fruchtgenussrecht (5 Ob 212/18i mwN).

[6] 1.2. Es wurde bereits mehrfach klargestellt, dass der als Grunddienstbarkeit bestellte Fruchtgenuss – um die dauernde Schaffung geteilten Eigentums zu verhindern – aber nur mit einer zeitlichen Begrenzung begründet und verbüchert werden kann (5 Ob 212/18m mwN). Die zeitliche Beschränkung ist an den Wertungen des § 612 ABGB zu messen (RS0011621 [T1]; RS0115508; 6 Ob 139/09y mwN der zustimmenden Literatur). Ist aber § 612 ABGB auf die als Grunddienstbarkeiten bestellten Fruchtgenussrechte analog anzuwenden, so kann das – ohne zeitliche Begrenzung begründete – Nutzungsrecht zwar auf Zeitgenossen, die bei Vertragserrichtung bereits geboren sind, als spätere Eigentümer des herrschenden Gutes in unbegrenzter Zahl, bei solchen Rechtsnachfolgern hingegen, die bei Bestellung der Dienstbarkeit noch nicht geboren sind, nur auf den ersten von ihnen erstreckt werden (1 Ob 125/01s).

[7] 1.3. Davon geht grundsätzlich auch die Beklagte aus. Nach ihrer Ansicht wäre aber nach dem Vertragszweck und dem Parteiwillen im Sinn des Grundsatzes des favor contractus die Servitut auf den zulässigen Vertragsinhalt eines unbefristeten Wege- und Abstellrechts als Minus zu beschränken gewesen. Erst die spätere Änderung der Judikaturlinie zu § 612 ABGB habe zur Vertragsunwirksamkeit geführt. Dies stehe im Widerspruch zum Grundsatz der Rechtssicherheit.

[8] 1.4. Die einzelfallbezogene Beurteilung rechtsgeschäftlicher Erklärungen rechtfertigt nur dann eine Anrufung des Obersten Gerichtshofs, wenn aus Gründen der Rechtssicherheit die Korrektur einer unhaltbaren, durch die Missachtung fundamentaler Auslegungsregeln zustande gekommene Entscheidung geboten ist (RS0042776 [T22], vgl auch RS0042936; 6 Ob 139/09y). Das ist hier noch nicht der Fall.

[9] Nach dem klaren Wortlaut des schriftlich verfassten Dienstbarkeitsvertrags wurde den jeweiligen Eigentümern der Liegenschaft EZ ***** am verfahrensgegenständlichen Teil des Grundstücks *****/79 die unregelmäßige Dienstbarkeit der Fruchtnießung als Grunddienstbarkeit eingeräumt. Von den Vorinstanzen wurde bereits darauf hingewiesen, dass allein dieser Wortlaut maßgeblich ist, solange keine der Vertragsparteien behauptet und im Bestreitungsfall beweist, aufgrund außerhalb der Urkunde liegender Umstände ergebe sich ein übereinstimmender Wille der Parteien oder ein vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichender objektiver Sinn der Erklärung (RS0043422 [T6, T13]). Dass die ursprünglichen Vertragsparteien einen anderen als den dokumentierten Parteiwillen zur Einräumung eines unbeschränkten Fruchtgenussrechts hatten, steht nicht fest.

[10] 1.5. Auch die Argumentation einer geltungserhaltenden Reduktion ist nicht zielführend, weil diese darauf abzielt, aus einer unzulässigen Vertragsbestimmung nach Maßgabe des Verbotszwecks der verletzten Norm oder des Parteiwillens nach der Natur und dem Zweck des Vertrags nur eine Teilnichtigkeit abzuleiten (vgl RS0016431 [T13]; RS0016420 [T4] ua). Hier wurde in an sich zulässiger Weise ein Fruchtgenussrecht in Form einer unregelmäßigen Dienstbarkeit eingeräumt. Dass dies nach der nachfolgenden Judikatur nicht unbeschränkt möglich ist, führt nicht dazu, dass der Vertrag nichtig ist, sondern lediglich dazu, dass die verbücherte Grunddienstbarkeit im Hinblick auf ihre zeitliche Unbegrenztheit („immerwährend“) auf das zeitlich zulässige Ausmaß zu beschränken ist (vgl RS0115508). Einer geltungserhaltenden Reduktion des Fruchtgenussrechts auf ein Geh-, Fahr- und/oder Abstellrecht steht daher für die zulässige Dauer des Fruchtgenussrechts die getroffene Vereinbarung entgegen.

[11] 2. Die außerordentliche Revision richtet sich auch gegen die Ausführung des Berufungsgerichts, dass ein außerbücherlicher Übergang des Dienstbarkeitsvertrags (ua deshalb) nicht zu prüfen sei, weil dieser einer – nicht vorgebrachten – vertraglichen Übernahme durch die belasteten Liegenschaftseigentümer bedürfe. Die außerordentliche Revision verweist dazu auf die Rechtsprechung , dass offenkundige Servituten unabhängig von einer vertraglichen Überbindung auf Rechtsnachfolger übergehen. Ein Fall einer nicht verbücherten, jedoch offenkundigen und auf einem gültigen Titel beruhenden Dienstbarkeit, bei der ausnahmsweise der Eintragungsgrundsatz durchbrochen wird (s RS0011633 [T7]), liegt jedoch nicht vor. Das Fruchtgenussrecht war vielmehr im vollen Umfang verbüchert.

[12] 3. In der außerordentlichen Revision wird schließlich geltend gemacht, dass die analoge Anwendung des § 612 ABGB zur Zulässigkeit von zwei Übertragungsakten führe. Persönliche wie auch unregelmäßige Dienstbarkeiten seien als bewegliche Rechte anzusehen.

[13] 3.1. § 612 ABGB beschränkt für den Fall, dass die Nacherben im Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung keine Zeitgenossen des Verfügenden sind, die Nacherbschaft bei Geld und anderen beweglichen Sachen auf zwei Nacherbfälle, bei unbeweglichen Sachen auf einen Nacherbfall.

[14] 3.2. Unstrittig gelten juristische Personen nach der Definition des § 611 ABGB nicht als „Zeitgenossen“ (s nur Apathy/Neumayr in KBB, ABGB 6 §§ 611–612 Rz 3; Kletečka/Holzinger in Kletečka/Schauer , ABGB-ON1 .04 [ 2018] § 612 Rz 6/1; s auch schon 1 Ob 849/33 [Stiftung nicht als Zeitgenossin des Erblassers im Sinne des § 612 ABGB]; RS0012546 zur Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015).

[15] 3.3. Es trifft zwar zu, dass persönliche dingliche Rechte, unregelmäßige Dienstbarkeiten und überhaupt alle Forderungsrechte, mögen sie sich auch auf Liegenschaften beziehen (zB landwirtschaftliches Pachtverhältnis) und sogar verbüchert sein (zB Bestandrecht § 1090, Wiederverkaufsrecht § 1070, Vorkaufsrecht § 1073 oder Belastungs- und Veräußerungsverbot § 364c), nicht unbeweglich, sondern beweglich sind ( Eccher/Riss in KBB 6 § 298 Rz 1; Helmich in ABGB-ON 1.04 § 298 Rz 2). Rechte sind aber dann ausnahmsweise unbeweglich, wenn sie dem Eigentümer oder dem dinglich Berechtigten an einer Liegenschaft in dieser Eigenschaft zustehen, wie Grunddienstbarkeiten, Reallasten, Wohnungseigentum (§ 2 Abs 1 WEG) oder das Jagdrecht ( Eccher/Riss aaO Rz 1 und Helmich aaO Rz 3). Da hier (s oben Pkt 1.) ein als Grunddienstbarkeit bestelltes Fruchtgenussrecht vorliegt, sind die Vorinstanzen zutreffend von einer analogen Anwendung des § 612 ABGB für unbewegliche Sachen, sohin von einer Rechtsnachfolgebeschränkung auf einen „Nacherbfall“ ausgegangen.

[16] 4. Weitere Rechtsfragen wirft die außerordentliche Revision der Beklagten in diesem Zusammenhang nicht auf. Sie ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.