JudikaturJustiz9Ob45/14d

9Ob45/14d – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Juli 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** F*****, vertreten durch Blum, Hagen Partner Rechtsanwälte GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Dr. H***** T*****, vertreten durch Sutterlüty, Klagian, Brändle, Lercher, Giesinger Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wegen 28.500 EUR sA und Feststellung (Feststellungsinteresse: 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 8. Mai 2014, GZ 2 R 56/14y 53, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Der damals 15 jährigen Klägerin wurde von der beklagten Frauenärztin am 10. 5. 2007 eine Antibabypille verschrieben. Bei einem Kontrolltermin am 18. 7. 2007 wurden keine Schwellungen an den Beinen, keine Krampfadern und keine sonstigen Nebenwirkungen festgestellt. Nach einem weiteren Termin am 26. 5. 2008 ließ sich die Klägerin die Pille von ihrer Hausärztin verschreiben. Im Herbst 2009 erlitt sie eine Becken Beinvenenthrombose. Ursächlich dafür war ein im Verschreibungszeitpunkt nicht bekanntes Faktor V Leiden der Klägerin, das das Thromboserisiko in Kombination mit der Pilleneinnahme erhöht hatte.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, dass der Beklagten keine Verletzung ihrer ärztlichen Aufklärungspflicht vorzuwerfen sei, zeigt die Klägerin in ihrer außerordentlichen Revision keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

1. Im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrags schuldet der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den aktuell anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst (RIS Justiz RS0123136 [T1]). Grundsätzlich muss der Arzt nicht auf alle nur denkbaren Folgen einer Behandlung hinweisen (RIS Justiz RS0026529). Die ärztliche Aufklärungspflicht ist aber bei Vorliegen einer typischen Gefahr verschärft. Die Typizität ergibt sich nicht aus der Komplikationshäufigkeit, sondern daraus, dass das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden ist (RIS Justiz RS0026340).

Der konkrete Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht ist eine Frage des Einzelfalls. Diese hängt von den jeweiligen Umständen ab und ist daher grundsätzlich nicht revisibel (RIS Justiz RS0026529 [T20, T21, T30] ua), sofern keine grobe Fehlbeurteilung vorliegt.

2. Die Klägerin wirft der Beklagten konkret eine Verletzung ihrer Aufklärungspflichten einerseits über die Diagnose und Prophylaxemöglichkeit eines APC Resistenztests zwecks Ausschlusses des Risikos des Faktor V Leidens und andererseits über die Möglichkeit eines 33 fach erhöhten Thromboserisikos für den Fall des Vorliegens dieses Leidens vor.

Zur Aufklärung der Klägerin durch die Beklagte stellte das Erstgericht fest, dass die Beklagte die Klägerin auf das allgemeine Thromboserisiko durch die Einnahme der Antibabypille hinwies und unter anderem darüber befragte, ob ihr in der Familie bis zur Großmutter Erkrankungen und eine Thrombose bekannt seien. Die Klägerin teilte mit, dass man ihre Mutter dazu befragen könne. Die Mutter der Klägerin, die beim Gespräch selbst nur teilweise und bei der Untersuchung nicht anwesend war, gab gegenüber der Beklagten an, dass die Großmutter ein Mammakarzinom hatte und im Alter von 69 Jahren verstorben war. Dass sie auch eine Operation oder Lungenembolie der Großmutter erwähnte, konnte nicht festgestellt werden. Die Beklagte untersuchte die Klägerin auf Krampfadern und maß ihren Blutdruck, der niedrig war. Sie kam im Rahmen ihres Gesprächs samt Untersuchung zum Ergebnis, dass die Klägerin jung, sportlich, schlank, Nichtraucherin mit niedrigem Blutdruck und ohne bekanntes Thromboserisiko in der Familie war, wodurch für sie die fünf Hauptfaktoren für ein erhöhtes Thromboserisiko ausgeschlossen waren und ein APC Resistenztest zur weiteren Abklärung nicht erforderlich war. Sie wies die Klägerin nicht darauf hin, dass ein solcher Test zur Abklärung eines allenfalls vorhandenen Faktor V Leidens gegen Bezahlung durchgeführt werden kann. Hätte sie die Klägerin darauf hingewiesen, hätte diese von der Vornahme eines solchen Tests abgesehen. Das Erstgericht stellte weiter fest, dass der Beklagten eine Vorbelastung der Klägerin aufgrund der fachgerechten Anamnese bei den Untersuchungen im Jahr 2007/08 nicht erkennbar war und von keinem erhöhten Thromboserisiko auszugehen war. Wenn kein erhöhtes Thromboserisiko besteht, ist eine Blutuntersuchung durch einen APC Test und der Hinweis auf die Möglichkeit seiner Durchführung aus medizinischer Sicht nicht erforderlich. Dass Antibabypillen der neuen Generation wie die der Klägerin verschriebene Pille Substanzen enthalten, die allenfalls ein leicht erhöhtes Thromboserisiko haben können, war 2007/08 noch nicht bekannt und wird erst seit 2011 diskutiert.

Angesichts der Feststellung, dass die Klägerin auch bei entsprechender Aufklärung die Durchführung eines APC Tests abgelehnt hätte, war die Unterlassung dieser Aufklärung für das Verkennen des erhöhten Thromboserisikos der Klägerin nicht kausal. Denn selbst unter Hinweis auf die Möglichkeit des APC Tests hätte die Beklagte danach keine Anhaltspunkte für das Faktor V Leiden und ein erhöhtes Thromboserisiko der Klägerin erlangen können. Insofern ist auch der Hinweis der Klägerin auf die Entscheidung 7 Ob 21/07z nicht zielführend, weil im hier vorliegenden Fall eine Aufklärung über die Möglichkeit des Tests zu keinem anderen Geschehensverlauf geführt hätte.

Der festgestellte Sachverhalt bietet aber auch keinen Grund zur Annahme, dass die Beklagte die Klägerin auf andere Weise nicht ausreichend untersucht oder über die Risiken der Pilleneinnahme informiert hätte. Wenn die Vorinstanzen zum Ergebnis kamen, dass die Beklagte keine Aufklärungspflichten verletzt habe, so ist dies nach den konkreten Umständen des Falls vertretbar.

3. Das Vorbringen, dass der Klägerin die Tragweite ihrer Zustimmung nicht erkennbar gewesen sei, hat keine Grundlage im festgestellten Sachverhalt. Die Klägerin hat im erstinstanzlichen Verfahren auch nicht behauptet, den Inhalt des Aufklärungsgesprächs nicht verstanden zu haben.

4. Der Umstand, dass die Beklagte der Klägerin mitteilte, kein erhöhtes Thromboserisiko zu haben, kann das fehlende Verschulden eines Arztes nicht ersetzen.

5. Mit dem erstmals in der Revision angesprochenen Vorbringen, ihre Einwilligung zur Pillenverschreibung hätte gemäß § 146c Abs 2 ABGB (aF) der Zustimmung einer erziehungsberechtigten Person bedurft, verstößt die Klägerin gegen das Neuerungsverbot (§ 504 Abs 2 ZPO; s RIS Justiz RS0042025).

6. Da die Revision damit insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufweist, ist sie zurückzuweisen.

Rechtssätze
3
  • RS0123136OGH Rechtssatz

    21. November 2023·3 Entscheidungen

    a) Im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrags schuldet der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den aktuell anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst. Die pränatale Diagnostik dient nicht zuletzt der Ermittlung von Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des ungeborenen Kindes und soll damit auch der Mutter (den Eltern) im Falle, dass dabei drohende schwerwiegende Behinderungen des Kindes erkannt werden, die sachgerechte Entscheidung über einen gesetzlich zulässigen, auf § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB beruhenden Schwangerschaftsabbruch ermöglichen. Dass in einem solchen Fall die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch auch wegen der erheblichen finanziellen Aufwendungen für ein behindertes Kind erfolgen kann, ist objektiv voraussehbar, weshalb auch die finanziellen Interessen der Mutter (der Eltern) noch vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst sind. b) Wird beim Organscreening im Rahmen pränataler Diagnostik ein Hinweis auf einen beginnenden Wasserkopf als Folge einer Meningomyelozele nicht entdeckt und unterbleibt eine Wiederbestellung der Schwangeren, obwohl diagnoserelevante Strukturen nicht einsehbar waren, dann liegt ein ärztlicher Kunstfehler vor. Hätten sich die Eltern bei fachgerechter Aufklärung über die zu erwartende schwere Behinderung des Kindes und einen deshalb gesetzlich zulässigen Schwangerschaftsabbruch gemäß § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB zu Letzterem entschlossen, haftet der Arzt (der Rechtsträger) für den gesamten Unterhaltsaufwand für das behinderte Kind. In einem solchen Fall stünden sowohl die Ablehnung eines Schadenersatzanspruchs mit der Behauptung, es liege kein Schaden im Rechtssinn vor, als auch der bloße Zuspruch nur des behinderungsbedingten Unterhaltsmehraufwands mit den Grundsätzen des österreichischen Schadenersatzrechts nicht im Einklang.