JudikaturJustiz9Ob130/03p

9Ob130/03p – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. November 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Edwin S*****, Dienstnehmer, ***** vertreten durch Dr. Engelbert Reis, Rechtsanwalt in Horn, gegen die beklagte Partei T***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Werner Walch, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 10.000 sA und Feststellung (Streitwert EUR 2.000; Gesamtstreitwert und Revisionsrekursinteresse EUR 12.000), infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 31. Juli 2003, GZ 11 R 69/03b-12, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Landesgerichts Krems/Donau vom 30. Jänner 2003, GZ 6 Cg 206/02g-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 749,70 (darin EUR 124,95 USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger machte in seiner Klage geltend, er sei am 16. 1. 2002 nach einem Unfall, bei dem er einen offenen Bruch des rechten Waden- und Schienbeines erlitten habe, in einem französischen Krankenhaus operiert worden. Im Anschluss daran sei er am 19. 1. 2002 nach Österreich ins W***** Klinikum H***** überstellt worden. Da ein massives Ödem vorhanden gewesen sei, sei die Operationswunde in Frankreich offen gelassen worden. Der Rücktransport über eine Strecke von rund 1.700 km sei von der zur Beförderung vertraglich verpflichteten Beklagten nicht wie erwartet mit einem Ambulanzjet, sondern mit einem Krankenwagen erfolgt. Der gesamte Transport sei nicht fachgerecht erfolgt und habe eine unzumutbare Qual für den Kläger bedeutet. Zufolge eines während der Fahrt aufgetretenen Fahrzeugdefektes und Treibstoffmangels habe der Krankenwagen überdies zweimal abgeschleppt werden müssen. Der Rücktransport habe deshalb 22 Stunden gedauert und sei für den Kläger mit unzumutbaren Schmerzen verbunden gewesen. Überdies sei es zu einer Infektion der Wunde gekommen. Die Schmerzen und der verzögerte Heilungsverlauf rechtfertigten ein Schmerzengeld von EUR 10.000. Dauer- bzw Spätfolgen sowie ein Verdienstentgang könnten nicht ausgeschlossen werden, weshalb auch die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden begehrt werde. Die Zuständigkeit des angerufenen Erstgerichtes werde auf § 92a JN gestützt. Die Beklagte habe während des gesamten Transportes schuldhaft nicht sach- und fachgerecht gehandelt. Das schädigende Verhalten sei erst mit der Beendigung des Transportes in H***** abgeschlossen gewesen. Die Beklagte erhob die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit und bestritt ihre Passivlegitimation mangels Vorliegens eines Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien. Der Transport sei fachgerecht durchgeführt worden; es sei zu keiner Infektion während des Transportes gekommen.

Das Erstgericht wies die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück. Der Wahlgerichtsstand nach § 92a JN sei hier nicht begründet, weil gerade nicht auf den Erfolgsort abzustellen sei. Das Rekursgericht änderte über Rekurs des Klägers den Zurückweisungsbeschluss dahin ab, dass es die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit der Beklagten zurückwies und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auftrug. Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteige EUR 4.000, nicht jedoch EUR 20.000; der Revisionsrekurs sei zufolge Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nach § 528 Abs 1 ZPO zulässig.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den erstgerichtlichen Beschluss wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben. Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Das Rekursgericht bejahte zu Recht die örtliche Zuständigkeit des Erstgerichtes. Klarstellend und zusammenfassend ist Folgendes festzuhalten:

Nach dem hier anzuwendenden § 92a JN ("Gerichtsstand der Schadenszufügung") ist davon auszugehen, dass Streitigkeiten über den Ersatz des Schadens, der aus der Verletzung einer Person entstanden ist, auch bei dem Gericht angebracht werden können, in dessen Sprengel das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt worden ist. Nach den Gesetzesmaterialien zu dieser durch die ZVN 1983 eingeführten Bestimmung (669 BlgNR XV. GP 39) hat sich der Gesetzgeber von den verschiedenen Möglichkeiten der näheren Umschreibung des Schadensortes – entweder des Ortes, an dem das schädigende Verhalten gesetzt worden ist, an dem es seine schadensauslösende Wirkung zeigte oder an dem der Schaden eingetreten ist – für die erste Möglichkeit entschieden (Mayr in Rechberger, ZPO² § 92a JN Rz 2; Lorenz, IPRax 1993, 193 ua).

Von "Distanzhandlungen" spricht man gemeinhin dann, wenn Handlungs- und Erfolgsort auseinanderfallen; als Beispiel wird hier stets der "Schuss über die Grenze eines Gerichtssprengels" genannt (Fasching, ZPR² Rz 308; Simotta in Fasching² § 92a JN Rz 8; 7 Ob 541/92 ua). Wenn auch der Kläger selbst den Ausdruck (fälschlich) gebrauchte, liegt aber seiner Klage gerade keine "Distanzhandlung" der Beklagten zugrunde, bei der Handlungs- und Erfolgsort auseinanderfallen, sondern vielmehr ein andauerndes schädigendes Verhalten während seines Krankentransportes.

Wird die Unzuständigkeitseinrede erhoben, ist in der Regel nicht mehr nur von den zuständigkeitsbegründenden Tatsachenbehauptungen des Klägers auszugehen (§ 41 Abs 2 JN); es sind auch die vom Beklagten in der Einrede vorgebrachten Umstände zu prüfen. Eine solche Prüfung hat allerdings dann zu unterbleiben, wenn – wie hier – die die Zuständigkeit begründenden Tatsachen zugleich auch Anspruchsvoraussetzung sind ("doppelrelevante Tatsachen"). In einem derartigen Fall hat die Entscheidung über die Zuständigkeit nur auf Grund der Angaben des Klägers zu erfolgen. Wenn sich diese als unrichtig erweisen, wird die Klage nicht zurück-, sondern abzuweisen sein (Mayr aaO § 41 JN Rz 4 mwN; 4 Ob 344/75 = SZ 48/136; 5 Ob 274/02h; 7 Ob 310/02t; RIS-Justiz RS0046201, RS0056159 ua). Der vorliegenden Klage liegen in erster Linie Schmerzen zugrunde, die der Kläger während eines mangelhaften, 22 Stunden dauernden Transportes der Beklagten erdulden musste. Handlungs- und Erfolgsort fielen insoweit zusammen. Dauert das schädigende Verhalten in Gestalt eines mangelhaften Transportes wie im vorliegenden Fall über mehrere Gerichtssprengel an, dann ist jedenfalls (auch) das Erstgericht, in dessen Sprengel nach dem zugrundezulegenden Klagevorbringen die letzte Etappe des "Leidenstransportes" des Klägers stattfand und schließlich zu Ende ging, nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut des § 92a JN ein Gericht, in dessen Sprengel ein den Schaden verursachende Verhalten gesetzt worden ist, und damit als Wahlgerichtsstand zuständig (Fasching aaO Rz 308; Simotta aaO § 92a JN Rz 6 mwN).

Der Gerichtsstand der Schadenszufügung nach § 92a JN kommt entgegen der Annahme der Revisionsrekurswerberin – von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen – unabhängig davon zur Anwendung, ob es sich um eine Schadenszufügung aus Delikt oder Vertragsverletzung handelt (Simotta aaO § 92a JN Rz 1 mwN; 6 Ob 638/94 ua).

Der vorliegende Fall unterliegt nicht dem Zuständigkeitsregime des Art 5 Nr 3 EuGVVO, weil vom Kläger keine "Person [...] verklagt" wird, die in einem anderen Sprengel als dem Gerichtsstaat ihren Wohnsitz hat (vgl Burgstaller/Neumayr, IZVR/II Art 1 EuGVVO Rz 26 und Art 5 EuGVVO Rz 2 ua). Einer "analogen" Anwendung dieser Bestimmung bedarf es entgegen der Ansicht des Revisionsrekursgegners nicht, weil keine Regelungslücke vorliegt, die zu schließen wäre. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
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