JudikaturJustiz8ObS5/22a

8ObS5/22a – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Januar 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei O* H*, vertreten durch Dr. Kurt Fassl und Mag. Alexander Haase, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei IEF Service GmbH, Geschäftsstelle Graz, *, wegen Insolvenz-Entgelt (Revisionsinteresse 98.901,33 EUR sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. März 2022, GZ 7 Rs 5/22t 33.1, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Die behauptete Aktenwidrigkeit liegt nicht vor.

[2] Die Ausführungen des Berufungsgerichts, der Kläger habe in erster Instanz nichts dazu vorgebracht, dass er auf den Arbeitsplatz bei der Schuldnerin „angewiesen“ war, stehen mit dem Akteninhalt nicht in Widerspruch. Den in der Revision zitierten Schriftsatzpassagen ist nur zu entnehmen, dass der Kläger seinen Arbeitsplatz schätzte, weil er ihm „Freude, finanzielle Sicherheit und Stabilität“ bescherte, und er ihn daher nicht verlieren wollte.

[3] 2. Auch die Mängelrüge ist nicht berechtigt.

[4] Die Revision rügt das Unterbleiben der Erörterung entscheidungserheblicher Umstände, nämlich einer allfälligen persönliche n Nahebeziehung zum Dienstgeber, einer Kenntnis seiner wirtschaftlichen Lage und Überlegungen, wann der Abbau von Zeitguthaben tatsächlich erfolgen hätte sollen. Die rechtliche Relevanz dieser Ausführungen ist nicht ersichtlich, weil das Berufungsgericht seine Entscheidung nicht auf die nach Ansicht der Revision noch zu erörternden Gründe gestützt hat.

[5] Soweit mit dem geltend gemachten Verfahrensmangel eigentlich die Rüge sekundärer Feststellungsmängel beabsichtigt war, ist auf die Behandlung der Rechtsrüge zu verweisen.

[6] 3. Das Unterlassen des Austritts wird als ein gewichtiges Indiz für die Absicht des (säumigen) Arbeitnehmers angesehen, er wolle die anfallenden Entgeltansprüche auf den Insolvenzentgeltfonds überwälzen bzw nehme er solches zumindest (billigend) in Kauf (1 Ob 23/07z [Pkt 1]).

[7] Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats kann zwar regelmäßig allein aus der zeitlichen Komponente des „Stehenlassens“ von Entgeltansprüchen nicht darauf geschlossen werden, dass der Arbeitnehmer missbräuchlich das Finanzierungsrisiko auf den Insolvenzentgeltfonds überwälzen wolle. Allerdings kann im Einzelfall dann, wenn zum „Stehenlassen“ von Entgelt weitere Umstände hinzutreten, die konkret auf den Vorsatz des Arbeitnehmers schließen lassen, das Finanzierungsrisiko auf den Fonds zu überwälzen, die Geltendmachung eines Anspruchs auf Insolvenzausfallgeld missbräuchlich sein (RIS Justiz RS0119679; RS0116935; 8 ObS 4/20a).

[8] Ob aus einem „Stehenlassen“ der Entgelte in Verbindung mit den Umständen des Einzelfalls der zumindest bedingte Vorsatz der Verlagerung des Finanzierungsrisikos geschlossen werden kann, ist im Rahmen des „Fremdvergleiches“ zu beurteilen. Dieser besteht im Wesentlichen darin, dass aus typischerweise bekannten Tatsachen anhand des einem „fremden“ Arbeitnehmer (bei dem also der Interessengegensatz und das Bewusstsein des Risikos des Entgeltverlusts voll ausgeprägt ist) bei den konkreten Umständen zu unterstellenden Verhaltens auf den im Ergebnis relevanten „inneren“ – zumindest bedingten – Vorsatz geschlossen wird (8 ObS 4/20a).

[9] In jedem Fall ist bei der Beurteilung, ob ein nach dem IESG gesicherter Anspruch aus einem Arbeitsverhältnis vorliegt, nicht nur auf die Bezeichnung und Gestaltung des schriftlichen Vertrags, sondern auf die tatsächliche Handhabung des Vertragsverhältnisses abzustellen (RS0111281 [T6]).

[10] Ergibt sich aus dem Fremdvergleich der Schluss, dass zumindest der bedingte Vorsatz einer Überwälzung des Finanzierungsrisikos anzunehmen ist, so kann dieser nicht durch einen Beweis über die konkreten Absichten des Arbeitnehmers widerlegt werden (RS0114470).

[11] Der durchzuführende Fremdvergleich hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab, sodass dessen Ergebnis – vom Fall einer krassen Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen – regelmäßig die Zulässigkeit der Revision nicht rechtfertigen kann (RS0111281 [T10]: 8 ObS 4/20a).

[12] Im vorliegenden Fall hält sich die Beurteilung des Berufungsgerichts im Rahmen der dargestellten Rechtsprechung.

[13] Der Kläger wurde nach dem Sachverhalt seit Beginn seiner Tätigkeit als Casino-Floormanager mit fester Diensteinteilung ständig in Vollzeit beschäftigt, aber gegenüber dem Sozialversicherungsträger dennoch nur als Teilzeitkraft angemeldet. Mehr- und Überstunden wurden ihm über rund 13 Jahre aber nie bezahlt oder in Zeitausgleich abgegolten, wogegen der Kläger auch nicht remonstriert hat, weil er mit seinem Arbeitsplatz, ungeachtet der auf dem Papier bestehenden Diskrepanz zwischen vereinbarter und tatsächlicher Arbeitszeit, sehr zufrieden war.

[14] Der wahre wirtschaftliche Gehalt des zwischen den Streitteilen über 13 Jahre bestandenen Arbeitsvertrags stellt sich danach so dar, dass die gesamte regelmäßige Arbeitszeit mit Einverständnis des Klägers mit dem laufenden Entgelt samt Trinkgeldern abgedeckt werden sollte und Teilzeitarbeit nur zum Schein vereinbart war. Der Kläger hat sich sogar selbst darauf berufen, dass der Arbeitgeber gar nicht daran dachte, ihm Mehrarbeit zusätzlich abzugelten, sondern ein solches Ansinnen mit Kündigung beantwortet hätte.

[15] Die Rechtsansicht, dass das Verhalten des Klägers einem Fremdvergleich mit einem Arbeitnehmer, der tatsächlich ein Teilzeitdienstverhältnis eingehen wollte und dem systematisch Entgelt in erheblicher Höhe vorenthalten wird, nicht standhält und eine – nicht einmal nur bedingt vorsätzliche – rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme des Insolvenz-Entgeltsicherungsfonds indiziert, ist vor diesem Hintergrund nicht unvertretbar.

[16] Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

Rechtssätze
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