JudikaturJustiz8ObS2/05k

8ObS2/05k – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. März 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende, durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuras und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Krüger und Robert Hauser als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Romana Maria H*****, vertreten durch Dr. Aldo Frischenschlager ua, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei IAF Service GmbH, ***** vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Insolvenzausfallgeld (847 EUR netto), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 21. Oktober 2004, GZ 11 Rs 9/04d 18, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits und Sozialgericht vom 7. November 2003, GZ 11 Cgs 85/03k 5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 655,76 EUR bestimmten Kosten des Berufungs und des Revisionsverfahrens (darin enthalten 109,30 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin schloss mit dem späteren Gemeinschuldner einen Lehrvertrag für die Lehrberufe Köchin und Restaurantfachfrau für eine Lehrzeit vom 9. Juli 2001 bis 8. Juli 2005. Der Lehrvertrag wurde von der Lehrlingsstelle der Wirtschaftskammer Oberösterreich eingetragen.

Der spätere Gemeinschuldner hatte am 30. März 2001 bei der zuständigen Gewerbebehörde eine Anmeldung für das Gastgewerbe in der Betriebsart Hotel für den Standort ***** eingebracht.

Mit Bescheid der Wirtschaftskammer Oberösterreich vom 1. März 2002 wurde über Antrag des späteren Gemeinschuldners gemäß §§ 2 Abs 6 und 3a BAG festgestellt, dass sein Betrieb so eingerichtet und geführt wird, dass Lehrlingen die für die praktische Erlernung der Lehrberufe Hotel und Gewerbeassistent(in), Restaurantfachmann/frau und Köch/Köchin nötigen Fähigkeiten und Kenntnisse vermittelt werden können. Die bereits zuvor mit der Klägerin und anderen Lehrlingen geschlossenen Lehrverträge wurden für aufrecht erklärt.

Mit Beschluss des Landesgerichtes Linz vom 23. Juli 2002 wurde über das Vermögen des Lehrberechtigten der Klägerin der Konkurs eröffnet.

Die Klägerin trat am 12. 8. 2002 gemäß § 25 KO aus.

Mit Bescheid vom 13. 8. 2002 wurde das Ansuchen des Gemeinschuldners um Erteilung einer Anerkennung der den Befähigungsnachweis für das Gastgewerbe ersetzenden Qualifikation mit der Begründung zurückgewiesen, dass die benötigten Unterlagen trotz mehrfacher Aufforderung nicht vorgelegt wurden.

Mit Bescheid der zuständigen Bezirkshauptmannschaft vom 13. 11. 2002 wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Ausübung des angemeldeten Gewerbes nicht vorliegen. Die Ausübung des Gewerbes wurde rückwirkend untersagt.

Mit Bescheid des zuständigen Landeshauptmanns vom 20. 1. 2004 wurde der Lehrvertrag zwischen der Klägerin und dem Gemeinschuldner bei der Lehrlingsstelle der Wirtschaftskammer Oberösterreich gelöscht. Es wurde ausgesprochen, dass die von der Klägerin absolvierte Lehrzeit vom 9. 7. 2001 bis 12. 8. 2002 auf die im betreffenden Lehrberuf festgesetzte Lehrzeit angerechnet wird. Die dagegen von der Klägerin erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit vom 7. 6. 2004 abgewiesen.

Die Beklagte erkannte der Klägerin über deren Antrag Kündigungsentschädigung für den Zeitraum 13. 8. bis 26. 8. 2002 und eine anteilige Urlaubsersatzleistung in Höhe von 581 EUR zu. Den weiteren Antrag der Klägerin auf Zahlung einer Kündigungsentschädigung für den Zeitraum 27. 8. bis 12. 11. 2002 lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, dass wegen der rückwirkenden Untersagung der Gewerbeausübung kein Lehrverhältnis, sondern ein Arbeiterdienstverhältnis vorliege. Es gebührten daher Beendigungsansprüche lediglich im gesetzlichen Ausmaß für Arbeiter auf Basis der Lehrlingsentschädigung.

Die Klägerin begehrt den Zuspruch der Kündigungsentschädigung in Höhe von 847 EUR für den Zeitraum 27. 8. bis 12. 11. 2002. Zum Zeitpunkt des Antrages auf Zahlung der Kündigungsentschädigung habe ein rechtskräftiger und rechtswirksamer Bescheid der Wirtschaftskammer Oberösterreich bestanden, der das Lehrverhältnis für aufrecht erklärt habe. Die nachträglich ausgesprochene rückwirkende Untersagung des Gewerbes könne nicht dazu führen, dass Zeiten, in denen ein rechtswirksamer Bescheid bestanden habe, nicht als Lehrzeit zu gelten hätten.

Die Beklagte wendet ein, es seien von Anfang an die Voraussetzungen der Genehmigung des Lehrvertrages durch die Lehrlingsstelle der Wirtschaftskammer Oberösterreich nicht gegeben gewesen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Ausgehend vom Schluss der Verhandlung erster Instanz (7. 11. 2003) erachtete das Erstgericht rechtlich, dass erst mit Rechtskraft der Verfügung der Löschung der Eintragung des Lehrvertrages durch den Landeshauptmann eine „ipso iure" Endigung des Lehrverhältnisses gemäß § 14 Abs 2 lit c BAG eintrete. Eine Löschung der Eintragung des Lehrvertrages sei noch nicht verfügt worden. Da somit eine Beendigung des Lehrverhältnisses nach § 14 Abs 2 BAG (noch) nicht eingetreten sei, könne offen bleiben, ob durch die Verfügung der Löschung der Eintragung des Lehrvertrages das Lehrverhältnis ex nunc aufgelöst oder ex tunc zum Erlöschen gebracht werde.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung Folge, nachdem es zunächst das Berufungsverfahren bis zur rechtskräftigen Beendigung des bereits anhängigen Verfahrens nach § 20 Abs 4 BAG über die Löschung der Eintragung des zwischen der Klägerin und dem Gemeinschuldner geschlossenen Lehrvertrages bei der Lehrlingsstelle der Wirtschaftskammer Oberösterreich unterbrochen hatte. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage, ob das Lehrverhältnis infolge Löschung der Eintragung des Lehrvertrages durch den Landeshauptmann gemäß § 20 Abs 4 BAG rückwirkend beendet werde, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Rechtlich ging das Berufungsgericht davon aus, dass das Erstgericht, obwohl keine der Parteien ein entsprechendes Vorbringen dazu erstattet habe, von Amts wegen verpflichtet gewesen sei, Erhebungen zu dem anhängigen Verwaltungsverfahren (Löschungsverfahren) durchzuführen. Die dem erstinstanzlichen Verfahren anhaftende Mangelhaftigkeit sei durch die Verfahrensunterbrechung saniert worden.

Der Oberste Gerichtshof vertrete in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass die rechtskräftig ausgesprochene Verweigerung der Eintragung des Lehrvertrages gemäß § 879 Abs 1 ABGB dessen Nichtigkeit bewirke. Das Lehrverhältnis werde gemäß § 14 Abs 2 lit c BAG rückwirkend beendet. Das habe auch für den Fall der Löschung der Eintragung durch den Landeshauptmann zu gelten: Andernfalls wäre ein Lehrling, der einen Lehrvertrag mit einem Unternehmer schließe, der von Anfang über keine Gewerbeberechtigung verfüge, bei seinem Anspruch auf Kündigungsentschädigung besser gestellt als ein Lehrling, bei dem das Lehrverhältnis aufgrund des nachträglichen Wegfalls der Gewerbeberechtigung gemäß § 14 Abs 2 lit d BAG ex tunc ende. Die Gleichbehandlung derartiger Fälle verdiene den Vorzug vor der Rechtssicherheit.

Habe die rechtskräftige Löschung der Eintragung des Lehrvertrages das Lehrverhältnis rückwirkend beendet, stünde der Klägerin keine weitere Kündigungsentschädigung zu, weil § 1162b ABGB insoweit bei einer Auflösung des Lehrverhältnisses kraft Gesetzes auch nicht analog anzuwenden sei. Die Rechtsprechung, wonach bereits entstandene Ansprüche durch nachträglich entstandene Umstände nicht mehr wegfallen oder verringert werden könnten, sei auf gesetzliche Endigungsgründe nicht anzuwenden. Aufgrund der rückwirkenden Untersagung der Gewerbeausübung liege kein Lehrverhältnis, sondern ein Arbeiterdienstverhältnis vor. Es gebührten der Klägerin daher die Beendigungsansprüche lediglich im bereits zuerkannten Ausmaß für Arbeiter nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag für das Hotel und Gastgewerbe.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Klägerin erhobene Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; die Revision ist auch berechtigt.

Die Eröffnung des Konkurses beendet das Lehrverhältnis nicht ex lege (WBl 1993, 155; 9 ObA 2113/96t; Berger/Fida/Gruber BAG Loseblattsammlung § 14 Erl 34). Bis zu einer anderen rechtlichen Beendigung des Lehrverhältnisses (etwa durch Entzug der Gewerbeberechtigung vgl § 14 Abs 2 lit d BAG) kann der Lehrling bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 25 Abs 1 KO seinen vorzeitigen Austritt erklären (WBl 1993, 155; Berger/Fida/Gruber aaO § 14 Erl 34). Dass die Voraussetzungen des § 25 Abs 1 KO zum Austrittszeitpunkt (12. August 2002) vorlagen, ist nicht strittig. Der Klägerin gebührt daher grundsätzlich eine Kündigungsentschädigung gemäß § 1162b ABGB (WBl 1993, 155; RIS Justiz RS0028628).

§ 1162b ABGB geht von dem allgemeinen Grundsatz aus, dass ein Arbeitnehmer, der ungerechtfertigt entlassen worden ist, oder aus einem vom Arbeitgeber verschuldeten Grund vorzeitig ausgetreten ist, finanziell so zu stellen ist, als wäre sein Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß aufgelöst worden (RdW 1988, 137; RIS Justiz RS0028397).

Richtig ist nun, dass sich nach der Rechtsprechung (WBl 1993, 155 mwN) die nachträgliche ex lege Beendigung des Lehrverhältnisses auf die Höhe der Ansprüche des vorher wirksam nach § 25 Abs 1 KO ausgetretenen Lehrlings auswirkt. Das wird damit begründet, dass der Arbeitnehmer das bekommen soll, was ihm ohne ungerechtfertigte Auflösungserklärung des Arbeitgebers oder seine eigene, durch Umstände auf Seiten des Arbeitgebers veranlasste berechtigte Austrittserklärung zugekommen wäre. Daher ist bei der Begrenzung der Ansprüche auf den (fiktiven) Ablauf der Vertragszeit nicht nur auf den Zeitablauf iS des § 1158 Abs 1 ABGB (bzw § 19 Abs 1 AngG), sondern auch auf vorher tatsächlich eingetretene gesetzliche Kündigungsgründe, mit denen ein Verlust aller künftigen Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis verbunden ist, Bedacht zu nehmen. Diese Bedachtnahme auf die nachträgliche, fiktive rechtliche Beendigung des Lehrverhältnisses führt daher bei der Bemessung der Kündigungsentschädigung zu dem sachgerechten Ergebnis, dass Lehrlinge unabhängig davon, ob sie das Lehrverhältnis bis zur ex lege Beendigung fortsetzen und daher Ansprüche nach § 1155 ABGB geltend machen können oder vorher nach § 25 Abs 1 KO ausgetreten sind, für denselben Zeitraum forderungsberechtigt sind.

Gerade eine Anwendung dieser Grundsätze auf den hier zu beurteilenden Fall führt aber zum Ergebnis, dass der Klägerin die Kündigungsentschädigung für den geltend gemachten Zeitraum bis 12. 11. 2002 gebührt: Eine Betrachtung nach dem „fiktiven" Verlauf ergibt nämlich, dass der Klägerin deren Arbeitsbereitschaft ohne Dazwischentreten des Konkurses zu unterstellen ist jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt (rückwirkende Untersagung der Gewerbeausübung) Lehrlingsentschädigung bezahlt worden wäre. Die erst 2004 erfolgte rechtskräftige Löschung des Lehrvertrages hätte - unabhängig davon, welche Wirkung dieser Löschung zukommt auf den tatsächlichen Verdienst der Klägerin bis 12. 11. 2002 zunächst keinen Einfluss gehabt. Selbst wenn man der von der Rechtsprechung allerdings nur für den Fall der rechtskräftigen Verweigerung der Eintragung eines Lehrvertrages explizit ausgesprochenen Auffassung folgt, dass sowohl die rechtskräftige Verweigerung der Eintragung eines Lehrvertrages als auch die Löschung der Eintragung des Lehrvertrages zu einer ex tunc Beendigung des Lehrverhältnisses führt (ZAS 1985/18 [abl P. Bydlinski] = DRdA 1987/5 [abl Spielbüchler ]; SZ 59/99 = Arb 10.534; Arb 10.378; Arb 10.224; Berger/Fida/Gruber aaO § 14 Erl 26; Berger , Probleme aus dem Berufsausbildungsgesetz, ZAS 1977, 267 [269 f ];Kinscher ,BAG², Nachtrag 1988,78 ), kommt man zum Ergebnis, dass der Klägerin die Kündigungsentschädigung bis 12. 11. 2002 gebührt: Eine Betrachtung nach dem „fiktiven" Verlauf ergibt nämlich, dass die Klägerin, wäre sie nicht nach § 25 Abs 1 KO ausgetreten, bis 12. 11. 2002 (Untersagung der Gewerbeausübung) Arbeitsleistungen erbracht hätte, die entlohnt worden wären. Eine Rückzahlungspflicht der Klägerin hätte infolge der gebotenen bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung (vgl dazu ZAS 1985/18 = DRdA 1987/5[ insoweit zustimmend Spielbüchler ]) nicht bestanden.

Da somit der Klägerin die geltend gemachte Kündigungsentschädigung unabhängig davon gebührt, welche Wirkung die erst 2004 erfolgte rechtskräftige Löschung des Lehrvertrages auf das Dienstverhältnis hatte, bedarf es keiner Auseinandersetzung mit den durchaus beachtlichen Argumenten eines Teils der Lehre, die sich gegen die zitierte Auffassung von der „ex tunc Beendigung" des Lehrverhältnisses bei rechtskräftiger Verweigerung oder Löschung der Eintragung des Lehrvertrages wendet (vgl P. Bydlinski in ZAS 1985/15; Winkler , Die arbeitsrechtlichen Neuerungen der Berufsausbildungsgesetz Novelle 1978, ZAS 1978, 169 [177 f]; und insbesondere Spielbüchler in DRdA 1987/5 und in Berufsausbildung und Arbeitsrecht in FS Schnorr 1988, 299 [310 ff]).

Da die Höhe des Klagebegehrens bereits im Berufungsverfahren von der Beklagten nicht mehr bestritten wurde, war in Stattgebung der berechtigten Revision das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs und des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Ansatz der Berufungsbeantwortung war zu korrigieren.

Rechtssätze
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