JudikaturJustiz8ObA54/14w

8ObA54/14w – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. August 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr.

Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin und Dr. Gerda Höhrhan Weiguni als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei K***** H*****, vertreten durch Mag. Hartmut Gräf, Rechtsanwalt in Kirchdorf an der Krems, gegen die beklagten Parteien 1) S***** Bauträger GmbH, *****, 2) S***** Wohnbau Gesellschaft mbH, *****, und 3) E***** V*****, alle vertreten durch die GKP Gabl Kogler Leitner Stöglehner Bodingbauer Rechtsanwälte OG in Linz, wegen 21.722,90 EUR sA und Feststellung (Streitwert 3.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 8. Juli 2014, GZ 11 Ra 47/14g 10, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1 Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass die Schlüssigkeit von Prozessbehauptungen immer nur anhand des konkreten Klagsvorbringens im Einzelfall geprüft werden kann. Ihre Beurteilung begründet in der Regel daher keine erhebliche Rechtsfrage. Wie ein bestimmtes Vorbringen zu verstehen ist und ob das bisher erstattete Vorbringen soweit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage genügt, kann ebenfalls nur im Einzelfall beurteilt werden (vgl RIS Justiz RS0037780; 8 Ob 81/13i). Zudem liegt eine erhebliche Rechtsfrage dann nicht vor, wenn lediglich theoretische oder abstrakte Rechtsfragen gelöst werden sollen (vgl RIS Justiz RS0111271). Schließlich begründet der Umstand, dass der Oberste Gerichtshof zu einer bestimmten Frage oder Sachverhaltskonstellation noch nicht ausdrücklich Stellung genommen hat, keine erhebliche Rechtsfrage, wenn die Rechtslage eindeutig ist oder die relevanten Grundsätze in der Rechtsprechung geklärt sind (vgl RIS Justiz RS0102181).

1.2 Im Anlassfall ist unbestritten, dass der Kläger ein überlassener Arbeitnehmer ist und der Beschäftiger (hier die Zweitbeklagte) iSd § 333 ASVG als Arbeitgeber anzusehen ist (§ 7 Abs 2 AÜG), sowie dass eine vorsätzliche Pflichtverletzung (Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften) und eine vorsätzliche Herbeiführung des Schadens vom Kläger nicht behauptet wurde.

2.1 Zur Haftung der Zweitbeklagten (Beschäftigerin und Baustellenkoordinatorin) vertritt der Kläger die Ansicht, dass das Arbeitgeber-Haftungsprivileg des § 333 ASVG in Ansehung der Pflichten des Baustellenkoordinators nicht zur Anwendung gelange, wenn der Arbeitgeber zum Baustellenkoordinator bestellt werde. In einem solchen Fall sei zwischen den Pflichten des Baustellenkoordinators und den Fürsorgepflichten des Arbeitgebers zu unterscheiden.

2.2 Dazu erkennt der Kläger zunächst selbst, dass Baustellenkoordinator einerseits und Arbeitgeber andererseits in Bezug auf den Arbeitnehmerschutz weitgehend denselben Aufgabenbereich haben, weshalb eine Trennung der Pflichtenkreise auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen würde.

Maßgebend ist jedoch, dass der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 9 ObA 4/14z (EvBl 2014/78) bekräftigt hat, dass aufgrund der Sonderregel des § 333 ASVG alle anderen Haftungsgründe für die Haftung des Arbeitgebers (aus eigenem Verschulden), insbesondere jene nach dem ABGB, dem EKHG oder anderen Haftpflichtvorschriften, wie auch jede Haftung für fremdes Verschulden (vorsätzliches Verhalten von Erfüllungsgehilfen in Ansehung von delegierten Arbeitnehmerschutzvorschriften) ausgeschlossen sind.

In der jüngeren Rechtsprechung ist anerkannt, dass den Bauherrn, der (wirksam) einen Baustellenkoordinator bestellt hat, keine Gehilfenhaftung trifft, weil der Baukoordinator nach zulässiger Übertragung der schutzgesetzlichen Pflichten eigenverantwortlich eigene gesetzliche Pflichten erfüllt (RIS Justiz RS0015253; 8 ObA 6/08b). Daraus ergibt sich, dass eine allfällige (schadenskausale) Verletzung von Koordinationspflichten durch den Arbeitgeber als Baustellenkoordinator eine Verletzung eigener Pflichten des Arbeitgebers darstellen würde. Auch eine Haftungsgrundlage nach dem Bauarbeitenkoordinierungsgesetz (BauKG) iVm § 1311 ABGB würde somit als gesonderte Haftungsvorschrift durch die Regel des § 333 ASVG verdrängt.

3.1 Zur Haftung der Erstbeklagten (Bauherrin) steht der Kläger auf dem Standpunkt, dass die Pflichten nach dem BauKG nicht auf den bestellten Baustellenkoordinator übergingen, wenn dieser und der Bauherr dieselbe Gesellschafterstruktur aufwiesen. Die Pflicht zur Einhaltung der Koordinationspflichten verbliebe daher beim Bauherrn.

3.2 Dazu hat das Erstgericht festgehalten, dass das BauKG den sich aus dem (gleichzeitigen oder aufeinanderfolgenden) Einsatz mehrerer Werkunternehmer als Arbeitgeber auf einer Baustelle spezifisch ergebenden Gefahren (im Fall fehlender Koordinierung von Schutzmaßnahmen) begegnen wolle. Der Kläger habe (trotz Erörterung) nicht behauptet, dass der Arbeitsunfall gerade die Folge fehlender oder mangelhafter Koordinierung gewesen sei, sowie dass gleichzeitig oder aufeinanderfolgend verschiedene Arbeitgeber auf der Baustelle tätig geworden seien. Das Berufungsgericht ergänzte, dass der Kläger auch nicht die Verletzung einer konkreten Pflicht durch die Erstbeklagte, etwa dass sie den Arbeitgeber auf das Fehlen der erforderlichen Sicherheitsausrüstung hätte hinweisen müssen, behauptet habe.

In der außerordentlichen Revision führt der Kläger dazu lediglich aus, dass im Hinblick darauf, dass zum Zeitpunkt des Unfalls die erforderliche Sicherheitsausrüstung auf der Baustelle nicht vorhanden gewesen sei, ein objektiver Verstoß gegen die Bestimmungen des BauKG vorliege. Mit diesen Überlegungen tritt der Kläger der Beurteilung der Vorinstanzen zur Unschlüssigkeit seines Begehrens nicht in geeigneter Weise entgegen.

Gemäß § 3 Abs 1 BauKG trifft den Bauherrn (unter anderem) die Verpflichtung, für die Ausführungsphase einen Baustellenkoordinator zu bestellen, wenn auf einer Baustelle gleichzeitig oder aufeinanderfolgend Arbeitnehmer mehrerer Arbeitgeber tätig werden. Ziel des BauKG ist es, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer auf der Baustelle durch die Koordinierung bei der Vorbereitung und Durchführung von Bauarbeiten zu gewährleisten. Den Baustellenkoordinator treffen im Interesse des Arbeitnehmerschutzes gemäß § 5 BauKG umfangreiche Koordinations-, Organisations-, Überwachungs- und Informationspflichten (8 ObA 6/08b mwN). Den Vorinstanzen ist darin beizupflichten, dass nach diesen Grundsätzen ein Koordinierungsfehler bei der Ausführung von Bauarbeiten durch mehrere Arbeitgeber vorliegen und der Schaden darauf zurückzuführen sein muss. Derartiges lässt sich aus dem Vorbringen des Klägers und auch aus den getroffenen Feststellungen nicht ableiten.

Auf die Frage, ob die Pflichten nach dem BauKG dann nicht wirksam auf den Baustellenkoordinator übergehen, wenn der Bauherr und der von diesem bestellte Baustellenkoordinator dieselbe Gesellschafterstruktur aufweisen, kommt es somit gar nicht an. Dazu ist allerdings auf § 9 Abs 3 BauKG zu verweisen, wonach die Übertragung der Koordinatorenpflichten vom Bauherrn an den Baustellenkoordinator dann unterbleibt, wenn der Koordinator ein (weisungsgebundener) Betriebsangehöriger des Bauherrn ist. Der Überlegung des Klägers, dass eine Pflichtenüberbindung (mangels Weisungsfreiheit des Koordinators) auch dann nicht stattfinden könne, wenn aufgrund einer Doppelfunktion oder einer Interessenkollision der Verdacht bestehe, dass der Koordinator seinen Pflichten nicht ordentlich nachkomme, liegt weder ein Vorbringen noch ein geeignetes Tatsachensubstrat zugrunde.

3.3 Das weitere Argument des Klägers, den Bauherrn würden aus dem Werkvertrag (aufgrund von Schutzwirkungen zugunsten Dritter) die Fürsorgepflicht nach § 1169 ABGB treffen, ist ebenfalls nicht stichhaltig. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass das BauKG als lex specialis die Bestimmung des § 1169 ABGB verdrängt. Bestellt der Bauherr keinen Baustellenkoordinator, so trägt er selbst die Verantwortung für die nach dem BauKG dem Koordinator zugewiesenen Aufgaben. Im Regelungsbereich des BauKG bestehen allerdings keine darüber hinausgehenden Pflichten (8 ObA 6/08b).

Davon abgesehen bestreitet der Kläger nicht ernstlich, dass die Fürsorgepflicht des Bestellers (aus einer Schutzwirkung des Werkvertrags gegenüber dem Arbeitnehmer des Werkunternehmers) jedenfalls dort ihre Grenze findet, wo sich der fachkundige Unternehmer und seine Erfüllungsgehilfen in eine offensichtliche oder nach ihren Fachkenntnissen erkennbare Gefahr begeben, statt deren Beseitigung zu veranlassen oder ihr sonst aus dem Weg zu gehen (8 Ob 40/10f; vgl auch RIS Justiz RS0013961). Entgegen der Ansicht des Klägers bedarf es jedenfalls bei einer (wie hier) offenkundigen oder deutlich erkennbaren Gefahr keiner Warnung durch den Bauherrn.

4.1 Zur Haftung des Drittbeklagten (Sicherheitsvertrauensperson) steht der Kläger schließlich auf dem Standpunkt, dass die Sicherheitsvertrauensperson nicht Aufseher im Betrieb iSd § 333 ASVG sei, weil dieser dem Arbeitnehmer keine Weisungen erteilten könne. Ihm kämen nur Anhörungs , Vorschlags und Beteiligungsrechte zu.

4.2 Beide Vorinstanzen haben ausgeführt, dass auch dieses Klagebegehren unschlüssig geblieben sei, weil jedes Sachvorbringen zur Frage fehle, welche konkreten Pflichten der Drittbeklagte verletzt haben soll. Dazu wiederholt der Kläger in der außerordentlichen Revision, dass die Sicherheitsvertrauensperson auf das Vorhandensein von Arbeitnehmerschutzeinrichtungen und entsprechenden Vorkehrungen zu achten und den Arbeitgeber über Mängel zu informieren habe. Auf der Baustelle seien keine Sicherheitsausrüstung und keine geeigneten Befestigungsmöglichkeiten vorhanden gewesen, der Kläger sei auch nicht in den sicherheitsrelevanten Vorschriften und die Verwendung eines Sicherheitsgurts unterwiesen worden. Er habe bereits zwei bis drei Wochen ungesichert auf der Baustelle gearbeitet.

Auf Basis dieser vom Kläger wiedergegebenen Feststellungen ergibt sich weiterhin keine konkrete Pflichtverletzung des Drittbeklagten, die für den Unfall des Klägers kausal gewesen sein könnte (vgl 9 ObA 141/08p). Davon abgesehen steht der Kläger auf dem Standpunkt, die Sicherheitsvertrauensperson habe nur Anhörungs-, Vorschlags und Beteiligungsrechte, er unterlässt aber weiterhin eine Auseinandersetzung mit der Reichweite des Schutzzwecks dieser bloßen Mitwirkungsrechte.

Der Frage, ob die Sicherheitsvertrauensperson auch Aufseher im Betrieb sein kann, kommt somit nur theoretische Bedeutung zu (vgl im Übrigen 2 Ob 174/11v).

5. Insgesamt gelingt es dem Kläger nicht, mit seinen Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.