JudikaturJustiz8Ob605/89

8Ob605/89 – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Juni 1989

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch, Dr.Huber, Dr.Schwarz und Dr.Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Christian S***, geboren am 19.August 1987, 1100 Wien, Kempelengasse 10/7, vertreten durch das Bezirksjugendamt für den 10.Bezirk, 1100 Wien, Van der Nüll-Gasse 20, als besonderer Sachwalter gemäß § 198 Abs 3 ABGB, dieses vertreten durch Dr.Walter Schuppich, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Christan Z***, Polizist, Schießgrabenstraße 13, 2500 Baden, vertreten durch Dr.Erich Heliczker, Rechtsanwalt in Bad Vöslau, wegen Feststellung der unehelichen Vaterschaft, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 1.Dezember 1988, GZ 44 R 1017/88-28, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Favoriten vom 27.Juni 1988, GZ 8 Cg 43/87-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 3.706,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich S 617,70 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

In Stattgebung des Klagebegehrens stellte das Erstgericht den Beklagten als Vater des unehelich geborenen Klägers mj. Christian S***, geboren am 19.August 1987, fest, und verurteilte ihn zur Leistung eines monatlichen Unterhaltes von S 1.300,-. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Gegen die berufungsgerichtliche Entscheidung erhebt der Beklagte eine auf die Anfechtungsgründe des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO gestützte Revision mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen, in eventu, "das Urteil abzuändern".

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Der erstgerichtliche Urteilsspruch gründet auf folgenden Sachverhaltsfeststellungen:

Die Mutter des Klägers und der Beklagte haben vom Jahre 1985 an bis letztmalig am 23.Dezember 1986 miteinander geschlechtlich verkehrt. Zunächst nahm die Mutter des Klägers die Antibabypille ein, wegen einer aufgetretenen Gehirnblutung verwendete sie seit Juni 1986 dieses Empfängnisverhütungsmittel nicht mehr. Auch vom Beklagten wurde kein die Zeugung eines Kindes verhinderndes Mittel angewendet. Im November 1986 stellte die Mutter des Klägers fest, "daß sie schwanger sei". Zur letzten vorgeburtlichen Regelblutung kam es zwischen 10.November und 12.November 1986. Durch eine am 12. Dezember 1986 vorgenommene Ultraschalluntersuchung wurde die von der Mutter vermutete Schwangerschaft bestätigt. In der gesetzlichen Vermutungsfrist vom 21.Oktober 1986 bis zum 20.Februar 1987 hatte die Mutter des Klägers nur mit dem Beklagten Geschlechtsverkehr. Als sie ihm erstmals im Jänner 1987 von der Schwangerschaft berichtete, bestritt er die Vaterschaft. Die neunmonatige Schwangerschaft verlief normal. Bei der Geburt im Spital gab die Mutter den Beklagten als Vater des Klägers an. Nach dem blutserologischen Gutachten, welches auf der bei den Streitteilen und der Mutter des Klägers an 26 Merkmalsystemen einschließlich des HLA-Systems durchgeführten Blutuntersuchung beruht, ist für die Vaterschaft des Beklagten zum Kläger eine Wahrscheinlichkeit vom 99,9999 gegeben. Der Beklagte bezog in der Zeit bis einschließlich Dezember 1987 ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von S 15.620,-

einschließlich Sonderzahlungen und ab Jänner 1988 ein solches von S 15.217,-. Er ist für seine einkommenslose Ehefrau und zwei eheliche Kinder im Alter von sieben und dreizehn Jahren sorgepflichtig.

In seiner rechtlichen Beurteilung der Sache verwies das Erstgericht, auf die gesetzliche Vermutung der Vaterschaft des Beklagten zum Kläger, weil gemäß § 163 Abs 1 ABGB der Mann, welcher der Mutter innerhalb eines Zeitraumes von nicht mehr als 302 Tagen und nicht weniger als 180 Tagen vor der Geburt des Kindes beigewohnt habe, als dessen Erzeuger gelte. Diese Vermutung könne zwar nach § 163 Abs 2 ABGB durch den Beweis der Unwahrscheinlichkeit der Vaterschaft oder auch durch den Beweis widerlegt werden, daß die Vaterschaft des vom Kläger als Vater in Anspruch genommenen Beklagten unwahrscheinlicher sei als die eines anderen Mannes, für den ebenfalls die Vermutung des § 163 Abs 1 ABGB gelte. Vorliegendenfalls sie die Vaterschaft des Beklagten zum Kläger nach den Beweisergebnissen aber praktisch erwiesen, ein Gegenbeweis im Sinne des § 163 ABGB sei nicht gelungen. Der Zuspruch des Unterhaltsbetrages von monatlich S 1.300,- erscheine nach der Sachlage gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht hielt weder die Verfahrensrüge und Rüge der unrichtigen Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung noch die Rechtsrüge des Beklagten für gerechtfertigt. Zum Vorbringen des Berufungswerbers über eine bei ihm nach einem Sportunfall im Jahre 1983 eingetretene Zeugungsunfähigkeit stellte das Berufungsgericht auf Grund der im Berufungsverfahren vorgenommenen Verfahrensergänzung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens fest, daß dieser Sportunfall vom 23.Mai 1984 (Tritt gegen den linken Oberschenkel und gegen den Hodensack) beim Beklagten keine Zeugungsunfähigkeit hervorgerufen hat. In der Unterlassung der Einholung eines erbbiologisch-anthropologischen Gutachtens erblickte das Berufungsgericht keine Mangelhaftigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens, weil entgegen den auf ein Privatgutachten gestützten Ausführungen des Berufungswerbers einem erbbiologisch-anthropologischen Gutachten ein geringerer Beweiswert zukomme als einem serologischen Gutachten, das eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,99 % ergebe und solcherart nach der Rechtsprechung nicht widerlegt werden könne. Dies gelte besonders im vorliegenden Fall, da die Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Beklagten zum Kläger mit 99,9999 erwiesen sei. Nach den unbedenklichen Ausführungen des Sachverständigen Univ.Prof.Dr.H*** könne ein erbbiologisch-anthropologisches Gutachten die Vaterschaft überhaupt weder positiv beweisen noch ausschließen. Dieser Sachverständige habe erklärt, daß die Chance, einen Mann zu finden, bei dem eine ähnlich hohe Wahrscheinlichkeit für die Vaterschaft zum Kläger gegeben sei wie beim Beklagten, `ie Untersuchung einer halben bis zu einer Milliarde Menschen voraussetze. Die nach den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft gewonnenen Werte erreichten demnach eine derartige Überzeugungskraft, daß hieran ein - wegen des Alters des Kindes von noch nicht 3 Jahren sinnvollerweise auch noch gar nicht einzuholendes - erbbiologisch-anthropologisches Gutachten nichts zu ändern vermöge. Eine Untersuchung nach dem DNA- bzw. Fingerprint-System ist in Österreich wissenschaftlich nicht anerkannt. Ein humangenetisches Gutachten hätte an den Ergebnissen dieses Verfahrens, somit ebensowenig ändern können wie eine Chromosomenuntersuchung. Die Einrede des Mehrverkehrs sei vom Beklagten in erster Instanz nicht erhoben und auch die Einbeziehung weiterer Männer in die serologische Untersuchung sei nicht beantragt worden. In der Berufung werde "der Verdacht" geäußert, daß der Mutter des Klägers in der kritischen Zeit zwei weitere Männer, nämlich Erich M*** und Robert E***, beigewohnt haben und "ebenso wahrscheinlich Vater des Kindes sein können wie der Beklagte", doch liege in diesem Vorbringen einerseits keine konkrete Behauptung einer solchen Beiwohnung und andererseits würde damit die Vaterschaftsvermutung nach § 163 Abs 2 ABGB nicht widerlegt, zumal lediglich eine gleiche Wahrscheinlichkeit als möglich in Aussicht gestellt werde. Auch die erstgerichtliche Beweiswürdigung sei unbedenklich, weil die Mutter des Klägers vor dem Berufungsgericht einen glaubwürdigen Eindruck gemacht habe.

Auf der Grundlage der erstgerichtlichen und der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen erscheine die Rechtsrüge des Beklagten aus den im einzelnen angeführten Gründen ebenfalls nicht stichhältig.

In seiner gegen die berufungsgerichtliche Entscheidung gerichteten Mängelrüge bringt der Revisionswerber vor, durch die Abweisung seiner Anträge auf Einholung eines erbbiologisch-anthropologischen Gutachtens samt Gutachten über Chromosomenuntersuchung und DNA-Fingerprinting sowie durch die Unterlassung der Aufnahme weiterer beantragter Beweise für seine Zeugungsunfähigkeit sei er gehindert worden, seine mangelnde Vaterschaft darzutun. Das Erstgericht sei verpflichtet gewesen, alle für die Entscheidung wichtigen Tatumstände vollständig aufzuklären. Hiezu habe es auch gehört, Beweise aufzunehmen, "die nach den Denkgesetzen nicht geradezu als denkunmöglich angesehen werden müssen". Vorliegendenfalls sei nach den bisherigen Verfahrensergebnissen "die Vaterschaftswahrscheinlichkeit des Beklagten zwar sehr hoch, der Ausschluß der Vaterschaft aber dennoch nicht als denkunmöglich auszuschließen". Selbst die vom Sachverständigen Univ.Prof.Dr.H*** genannte Notwendigkeit der Untersuchung einer halben Milliarde Männer lasse die Möglichkeit des Ausschlußes der Vaterschaft des Beklagten offen. Die Ablehnung der vom Beklagten angebotenen Beweise verstoße daher gegen den Grundsatz der vollständigen Aufklärung der Tatumstände und bewirke somit eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Die Unterlassung der Aufnahme von Beweisen, die denkmöglicherweise geeignet seien, einen bestimmten Beweis zu erbringen, verstoße, überdies als unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung gegen die Bestimmung des § 272 ZPO. Gehe man richtigerweise davon aus, daß ein Ausschluß des Beklagten als Vater des Klägers trotz der vorliegenden Beweisergebnisse jedenfalls nicht denkunmöglich sei, dann müßten alle angebotenen und neuerlich im einzelnen angeführten Beweise aufgenommen werden. Insbesondere habe der Beklagte ein Privatgutachten vorgelegt, nach welchem ein serologisches Gutachten durch ein erbbiologisch-anthropologisches Gutachten widerlegt werden könne. Wenn Zweifel an der Richtigkeit eines Gutachtens vorlägen, habe das Gericht die Verpflichtung, ein weiteres Gutachten einzuholen. Nach wissenschaftlichen Lehrmeinungen solle bei Nichtausschluß eines Mannes durch eine Blutuntersuchung unabhängig von der Vaterschaftswahrscheinlichkeitsberechnung ein anthropologisch-erbbiologisches Gutachten eingeholt werden. Dieses könne selbst eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,9 % widerlegen und sei einzig und allein für die positive Vaterschaftsfeststellung geeignet. Da die Richtigkeit einer serologischen Untersuchung und Begutachtung stets unter der "auflösenden" Bedingung der Auffindung und Einführung weiterer Blutfaktoren stehe, sei die Einholung eines erbbiologisch-anthropologischen Gutachtens zur Absicherung oder Widerlegung des vorangegangenen serologischen Gutachtens jedenfalls erforderlich. Da die Erbmerkmale bei einem Kind schon im 1. Lebensjahr ausgeprägt erschienen, sei eine derartige Untersuchung des Klägers bereits möglich. Schließlich sie auch allein der Inhalt der Krankengeschichte über die Behandlung des Beklagten nach seinem Sportunfall zur Beurteilung der behaupteten Zeugungsunfähigkeit des Beklagten nicht hinreichend, denn es sei nicht sicher, ob die Krankengeschichte insoweit vollständig sei, so daß der behandelnde Arzt einzuvernehmen und eine Untersuchung des Beklagten durchzuführen gewesen wäre.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Nach ständiger Rechtsprechung (EFSlg 26.736, 34.524 u.v.a., zuletzt etwa 4 Ob 515/84, 7 Ob 624/86, 8 Ob 645/88) geht der im Abstammungsverfahren gemäß Art. V Z 5 UeKindG geltende Untersuchungsgrundsatz nicht so weit, daß jeder erdenkliche Beweis aufgenommen werden müßte. Seine Anwendung liegt vielmehr im pflichtgemäßen richterlichen Ermessen. Nur wenn die Grenzen dieses pflichtgemäßen Ermessens verkannt werden, stellt die Unterlassung weiterer Beweisaufnahmen einen im Abstammungsverfahren auch vom Revisionsgericht wahrzunehmenden Verfahrensmangel dar (EFSlg 41.779, 46.703; 7 Ob 624/86, 8 Ob 645/88).

Entgegen dem immer wieder hervorgehobenen Standpunkt des Revisionswerbers kann keine Rede davon sein, daß sämtliche Beweise, die überhaupt als "denkmöglich" in Frage kommen, aufgenommen werden müßten. Der Revisionswerber übersieht auch, daß die Frage, ob noch Kontrollbeweise erforderlich seien, auch im Vaterschaftsverfahren grundsätzlich in den Bereich der unanfechtbaren Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen fällt (1 Ob 520/81 u.v.a.); es darf nur das pflichtgemäße richterliche Ermessen nicht verkannt werden. Der Oberste Gerichtshof hat demgemäß in zahlreichen Entscheidungen (EFSlg 34.525; 6 Ob 718/83, 5 Ob 506/84) und zuletzt etwa in 4 Ob 515/84 und 3 Ob540/85 = ÖAmtsV 1987, 113, ausgesprochen, bei einer nach dem serologischen Gutachten gegebenen Vaterschaftswahrscheinlichkeit des Beklagten von 99,6 % sei die Ablehnung weiterer Beweisanbote ohne Verletzung des das Verfahren beherrschenden Untersuchungsgrundsatzes zu billigen. Nach der vom Berufungsgericht übernommenen, für die dritte Instanz bindenden Feststellung des Erstgerichtes ist der Beklagte der einzige Mann, welcher der Mutter des Klägers in der kritischen Zeit geschlechtlich beigewohnt hat. Diese Feststellung und die nach dem serologischen Gutachten gegebene Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,9999 % lassen im Sinne der Ansicht der Vorinstanzen jede weitere Beweisaufnahme entbehrlich erscheinen (vgl. EFSlg 17.409/9; 8 Ob 645/88).

Es erübrigt sich daher, im einzelnen auf die vom Revisionswerber behaupteten Mängel der vorinstanzlichen Verfahren einzugehen. Lediglich zur beantragten, erweiterten Beweisaufnahme über die Zeugungsunfähgigkeit des Beklagten sei vermerkt, daß dieser nach dem Inhalt seiner Parteienaussage (ON 23 AS 139) während der durch längere Zeit zur Mutter des Klägers unterhaltenen geschlechtlichen Beziehungen seine angebliche Zeugungsunfähigkeit selbst vergessen haben will. Von einer Verletzung des Gebotes des pflichtgemäßen Ermessens bei Abweisung dieses Beweisantrages kann unter diesen Umständen keine Rede sein.

Die Rechtsrüge des Beklagten beschränkt sich auf die Bekämpfung der Höhe des zugesprochenen Unterhaltsbetrages. Die Unterhaltsbemessung ist aber nach der ausdrücklichen Anordnung des § 502 Abs 2 Z 1 ZPO in dritter Instanz nicht anfechtbar. Das Rechtsmittel ist insoweit nicht gesetzmäßig ausgeführt und daher unbeachtlich.

Der insgesamt nicht gerechtfertigten Revision war demnach ein Erfolg zu versagen.