JudikaturJustiz8Ob60/21p

8Ob60/21p – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. November 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch Lughofer, Moser Partner Rechtsanwälte GesbR in Linz, gegen die beklagte Partei B* GmbH, *, vertreten durch Worthing-Smith RechtsanwaltsgmbH in Wels, wegen 38.052,91 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 15. Februar 2021, GZ 4 R 186/20f 33, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 19. Oktober 2020, GZ 5 Cg 38/19s 29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.804,50 EUR (darin 300,75 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die klagende Baugesellschaft führte vom 2. 5. bis 12. 7. 2017 im Auftrag der beklagten Baugesellschaft mit der sie bereits in einer längeren Geschäftsbeziehung stand, Arbeiten an einem Dachgeschoßausbau durch. Gegenstand des Klagebegehrens ist restlicher Werklohn aus der von der Klägerin gelegten Schlussrechnung.

[2] Zwischen den Streitteilen war in einem schriftlichen Standardvertrag vereinbart, dass die vereinbarte Auftragssumme „als nicht überschreitbare Höchstgrenze“ gelte und darüber hinausgehende Leistungen vor Durchführung als Zusatzauftrag schriftlich erteilt werden müssten, ebenso müssten Regiearbeiten ausdrücklich angeordnet und im Vorhinein schriftlich genehmigt werden. Im Vertrag findet sich weiters die Klausel, dass in den vereinbarten Preisen „alle Arbeiten und Lieferungen enthalten“ seien, „die zur vollständigen Herstellung der beauftragten Leistungen gehören, auch wenn diese in den Leistungsbeschreibungen nicht besonders angeführt oder näher beschrieben werden“. Im Rechtsmittelverfahren ist unstrittig, dass die Streitteile auch die Anwendung der ÖNORM B 2110 vereinbart haben.

[3] Bei diesem Bauvorhaben war für die Klägerin der Bauleiter der Beklagten die einzige Ansprechperson. Der Geschäftsführer der Beklagten hat an keiner Besprechung teilgenommen. Im Zuge der Ausführung des Bauvorhabens kam es wiederholt zu Planänderungen und Zusatzaufträgen an die Klägerin, die meistens vor Ort zwischen den Bauleitern der Streitteile und der Bauherrin, mündlich vereinbart wurden. Am 1. 6., 14. 6. und 5. 7. 2017, wurden die besprochenen Leistungsänderungen von der Klägerin per E Mail an die Beklagte schriftlich dokumentiert.

[4] Aufgrund der beauftragten Änderungen und Zusatzleistungen wurde die ursprüngliche Auftragssumme von 83.040,70 EUR netto überschritten, die am 4. 4. 2018 gelegte Schlussrechnung belief sich auf 141.726,04 EUR. Die Beklagte tätigte davon die klagsgegenständlichen Abstriche und bezahlte nur die Differenz, wogegen die Klägerin schriftlich protestierte. Nach Übersendung des Korrekturblatts der Beklagten am 3. 7. 2018 fand am 12. 7. 2018 eine Besprechung statt, in der die Kürzungen besprochen wurden und eine Liste der offenen Positionen angefertigt wurde. Zu einer Einigung kam es dabei nicht. Die Klägerin bekräftigte mit E-Mail vom 16. 7. 2018, die Abstriche nicht zu akzeptieren.

[5] In ihrer Klage begehrt sie die Zahlung des offenen Schlussrechnungsbetrags abzüglich erhaltener Teilzahlungen, anerkannter Gegenforderungen und Haftrücklass.

[6] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren unter Verweis auf die Fixpreisvereinbarung. Ihr Bauleiter sei nicht bevollmächtigt gewesen, gesondert verrechenbare Zusatzaufträge, insbesondere in so erheblichem Ausmaß, zu erteilen. Die vereinbarte Schriftform sei nicht eingehalten worden und die Klägerin habe keine begründeten Einwendungen iSd ÖNORM B 2110 gegen die Schlusszahlung erhoben, sodass eine Nachforderung ausgeschlossen sei.

[7] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise statt und sprach der Klägerin unter Abweisung des Mehrbegehrens (aufgrund einer berechtigten Gegenforderung) restliche 28.814,31 EUR sA zu. Der Bauleiter der Beklagten habe angesichts der festgestellten Umstände als Handlungsbevollmächtigter iSd § 54 UGB die Zusatzaufträge wirksam erteilt. Vom vereinbarten Schriftformgebot sei dabei schlüssig einvernehmlich abgegangen worden.

[8] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Über Antrag der Beklagten erklärte es die ordentliche Revision nachträglich für zulässig, weil zur Frage des Umfangs der konkreten Handlungsvollmacht und der Empfangsbedürftigkeit eines begründeten Vorbehalts gegen die Schlusszahlung gemäß Punkt 8.4.2. der ÖNORM B 2110 keine eindeutige höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

[9] Die Revision der Beklagten strebt die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung an. Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist, mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Begründung der Zurückweisung der ordentlichen Revision mangels erheblicher Rechtsfragen kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

1. Handlungsvollmacht

[11] Bei einem als (technischer) Bauleiter bezeichneten Angestellten eines Bauunternehmens, der weder dessen organschaftlicher Vertreter noch Prokurist ist, ist davon auszugehen, dass er gemäß § 54 UGB zu allen Geschäften und Rechtshandlungen bevollmächtigt ist, die die Vornahme der Geschäfte eines solchen Bauleiters gewöhnlich mit sich bringen (vgl RIS Justiz RS0019707).

[12] Für das Kriterium der „Gewöhnlichkeit“ sind nicht die konkreten Verhältnisse im betreffenden Unternehmen maßgeblich, vielmehr kommt es darauf an, ob derartige Geschäfte in einem Unternehmen, wie es der Unternehmer betreibt, gewöhnlich vorkommen, wobei das „gewöhnlich“ nicht zu eng aufgefasst werden darf (RS0019707 [T14]). Es muss sich nicht um alltäglich vorkommende Geschäfte handeln (RS0019707 [T16, T19, T24]). Branchenüblichkeit genügt, wobei die Beurteilung nach den örtlichen, zeitlichen und branchenmäßigen Anschauungen zu erfolgen hat (RS0019636; RS0061457 [T1]). Ein ungewöhnliches Geschäft liegt etwa dann vor, wenn mit Rücksicht auf die Verhältnisse des Unternehmens ungewöhnlich große Verpflichtungen eingegangen oder besondere Bedingungen gewährt werden, die nicht branchenüblich sind, der Abschluss des Geschäfts also auch bei Auslegung eines nicht allzu strengen Maßstabs vom betriebswirtschaftlichen Standpunkt her nicht vertretbar ist (RS0019707 [T10, T11]). Die Handlungsvollmacht umfasst es daher grundsätzlich nicht, einen von befugten Vertretern seines Unternehmens geschlossenen Vertrag in wirtschaftlich bedeutenden Punkten zu ergänzen oder abzuändern (vgl 3 Ob 520/88 [Pönalevereinbarung]; 2 Ob 43/10b). Liegen aber besondere Umstände vor, aus denen der Vertragspartner auf eine derart erweiterte Vollmacht schließen werden muss, und wurde der entsprechende äußere Tatbestand vom Vertretenen, also den befugten Organen der Beklagten, geschaffen, sind in diesem Rahmen auch ungewöhnliche Geschäfte von der Handlungsvollmacht umfasst (vgl RS0020145; RS0020331).

[13] Die Beurteilung von Bestand und Reichweite einer Handlungsvollmacht iSd § 54 UGB stellt dabei typischerweise eine Einzelfallbeurteilung dar (RS0019707 [T26]; 8 Ob 86/20k). Das Gleiche gilt für die Anscheins- oder Duldungsvollmacht (RS0020145 [T15 und T17]; RS0053038; RS0019533).

[14] Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält sich hier im Rahmen des den Gerichten bei dieser Einzelfallentscheidung offenstehenden Ermessensspielraums. Es ist vor allem darauf zu verweisen, dass die Planänderungen und Zusatzaufträge nicht nur zwischen den Bauleitern der Streitteile, sondern gemeinsam mit der Bauherrin selbst vereinbart wurden. Der Bauleiter hat daher im Ergebnis Zusatzaufträge der Bauherrin an die tatsächlich ausführende Klägerin weitergegeben. Die Beklagte hat ihm sämtliche Besprechungen und Verhandlungen allein überlassen und seinen Entscheidungen nach dem Sachverhalt nie widersprochen, sondern die zusätzlichen Aufträge und Leistungen entgegengenommen.

2. Vorbehalt bei der Schlusszahlung

[15] Die Revision macht geltend, die Beklagte habe nach Erhalt der verminderten Schlusszahlung keinen im Sinn des Punktes 8.4.2. der vereinbarten ÖNORM B 2110 begründeten schriftlichen Vorbehalt erhoben, weshalb sie keine weiteren Forderungen geltend machen könne. Die schriftliche Auflistung der strittigen Rechnungsposten in einer Besprechung zwischen den Bauleitern der Streitteile sowie ein E-Mail mit der Nachforderungsankündigung seien nicht ausreichend, um dem Zugangserfordernis von Vorbehalt und Begründung Rechnung zu tragen.

[16] Die zitierte Bestimmung der ÖNORM B 2110 hat folgenden Wortlaut: „Die Annahme der Schlusszahlung aufgrund einer Schluss- oder Teilschlussrechnung schließt nachträgliche Forderungen für die vertragsgemäß erbrachten Leistungen aus, wenn nicht ein Vorbehalt in der Rechnung enthalten ist oder binnen drei Monaten nach Erhalt der Rechnung schriftlich erhoben wird. Der Vorbehalt ist schriftlich zu begründen. Weicht die Schlusszahlung vom Rechnungsbetrag ab, beginnt die Frist von drei Monaten frühestens mit schriftlicher Bekanntgabe der nachvollziehbaren Herleitung des Differenzbetrages."

[17] Der Oberste Gerichtshof hat schon wiederholt, auch für eine völlig vergleichbare Konstellation (schriftliche Einmahnung eines offenen Betrags aus der gelegten Schlussrechnung ohne detaillierte Auflistung der Gründe, anschließende Besprechung, in der die strittigen Positionen erörtert wurden), ausgesprochen, dass eine fehlende schriftliche Begründung des Vorbehalts nicht in jedem Fall zur „Ö-Norm-Verfristung“ des Werklohns führt (RS0124589; 3 Ob 157/13d; 8 Ob 164/08p mwN = SZ 2009/53; vgl P. Bydlinski , Die Auslegung und Anwendung von Ö Normen, insbesondere in Bezug auf Schlussrechnung und Schlusszahlung, wbl 2008, 215 ff). Bei der Verpflichtung, den Vorbehalt schriftlich zu begründen, dürfen keine unnötigen, vom Normzweck nicht verlangten Hürden aufgebaut und die Anforderungen an den Werkunternehmer nicht überspannt werden, zumal der Grund seiner Forderung schon aus der gelegten Rechnung hervorgeht. Es reicht, wenn der Vorbehalt die vorbehaltenen Ansprüche in erkennbarer Weise individualisiert und – zumindest durch schlagwortartigen Hinweis – den Standpunkt des Werkunternehmers erkennen lässt. Eine Formulierung dieses Standpunkts gleichsam wie in einer Klage ist nicht erforderlich. Daher kann auch im schriftlichen Vorbehalt auf frühere, dem Erklärungsempfänger bekannte schriftliche Unterlagen Bezug genommen werden (9 Ob 111/06y).

[18] Die Beurteilung des Berufungsgerichts steht daher mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung im Einklang. Es bestehen auch keine Bedenken gegen die Rechtsansicht, dass der handlungsbevollmächtigte Bauleiter der Beklagten, der von ihr zur Besprechung der offenen Posten der Schlussrechnung entsandt wurde, dort für die Beklagte zur Empfangnahme von Erklärungen und Protokollen legitimiert war.

[19] Insgesamt wirft die Revision damit keine Rechtsfragen i Sd § 502 Abs 1 ZPO auf.

[20] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]).