JudikaturJustiz7Ob86/04d

7Ob86/04d – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Mai 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Bernhard Anton und Martina Barbara R*****, über den Revisionsrekurs des Magistrats der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie Rechtsfürsorge Bezirk 10, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Korneuburg als Rekursgericht vom 12. Februar 2004, GZ 20 R 138/03i 121, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Klosterneuburg vom 15. September 2003, GZ 1 P 114/03z 117, infolge Rekurses des Magistrats der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie Rechtsfürsorge Bezirk 10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die am 10. 9. 1992 geborenen mj Zwillinge Bernhard Anton (im Folgenden nur mehr Bernhard genannt) und Martina Barbara (im Folgenden nur mehr Martina), deren Vater unbekannt ist, befinden sich seit 21. 10. 1992 im Rahmen der vollen Erziehung in ***** G***** bei Pflegeeltern, deren Familiennamen sie nun tragen. Nach dem Tod ihrer Mutter am 10. 7. 1995 erbten die beiden Minderjährigen - ebenso wie ihre Halbschwester Anna D***** - jeweils einen Bargeldbetrag von EUR 36.229,20 und Pretiosen im Wert von EUR 899,69; insgesamt beträgt ihr Erbe also jeweils EUR 37.128, . Darüber hinaus verfügen sie über keinerlei Vermögen und haben auch in Zukunft keinerlei Unterhaltszahlungen oder sonstige Vermögenszuwendungen zu erwarten.

Mit Beschluss des Jugendgerichtshofes Wien vom 9. 4. 1999 wurde die Obsorge im Bereich der gesetzlichen Vertretung und Vermögensverwaltung für Bernhard dem Rechtsanwalt Dr. Johann A***** und für Martina dem Rechtsanwalt Dr. Wolfgang B***** übertragen (ON 36 und 37).

Im Hinblick auf die ihnen zugekommene Erbschaft wurden die (gemäß § 33 JWG und § 39 WrJWG) grundsätzlich zur Tragung der Kosten der vollen Erziehung verpflichteten Zwillinge über Antrag des Magistrates der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie - Rechtsfürsorge Bezirk 10 (im Folgenden Jugendwohlfahrtsträger = JWT genannt) mit Beschluss des Jugendgerichtshofes Wien vom 30. 6. 2000 als Rekursgericht zu einer (die bis 18. 6. 1999 aufgelaufenen Kosten der vollen Erziehung betreffenden) Kostenersatzleistung von je S 15.278, - an den JWT verpflichtet. Das auf Zuspruch künftig (nach dem 18. 6. 1999) fällig werdender Leistungen gerichtete Kostenersatzbegehren wurde abgewiesen. Einen dagegen vom JWT erhobenen Revisionsrekurs hat der Oberste Gerichtshof zu 7 Ob 223/00w zurückgewiesen.

In der Folge stellte der JWT am 1. 2. 2001 hinsichtlich der beiden Minderjährigen neuerlich Kostenersatzbegehren: Die Kosten der vollen Erziehung hätten sich im Jahr 1999 jeweils auf monatlich S 5.875, - (EUR 426,95), im Jahr 2000 auf monatlich S 5.937, - (EUR 431,46) und ab 1. 1. 2001 auf monatlich S 6.125, - (EUR 445,12) belaufen. Die Minderjährigen mögen im Hinblick auf ihr ererbtes Vermögen ab 19. 6. 1999 zu entsprechenden Kostenersatzleistungen verhalten werden.

Das Erstgericht (seit Ende August 2003 wird das Pflegschaftsverfahren hinsichtlich Bernhard und Martina statt beim Jugendgerichtshof Wien beim Bezirksgericht Klosterneuburg geführt) wies die Anträge ab. Die beiden Minderjährigen seien als sozial benachteiligt anzusehen. Ihre Belastung mit Kosten der vollen Erziehung würde iSd § 39 Abs 1 WrJWG eine unzumutbare Härte darstellen. Das ererbte Vermögen stelle die einzige Möglichkeit für die beiden Kinder dar, Ersparnisse zum Aufbau einer eigenen Existenz für die Zeit nach der Entlassung aus der vollen Erziehung zu bilden, weshalb ihnen das ererbte Vermögen zur Gänze verbleiben sollte.

Das vom JWT angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, wobei es aussprach, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Auch ohne nähere Nachforschungen und Feststellungen sei auf Grund des Alters der beiden Minderjährigen davon auszugehen, dass ihr weiterer Ausbildungsweg noch nicht absehbar sei. Zu Gunsten der beiden Minderjährigen könne daher zunächst nicht ausgeschlossen werden, dass sie nicht nur eine Matura, sondern auch ein Hochschulstudium anstreben könnten, wobei ein derartiger Ausbildungsweg letztlich mit erheblichen Kosten verbunden wäre. Berücksichtige man, dass ihr Vater unbekannt sei und sie daher mit keinerlei Unterhaltszahlungen rechnen könnten, so stellte die Belastung des ererbten Vermögens der beiden Minderjährigen mit Kostenersatzleistungen an den JWT eine Härte iSd § 39 WrJWG dar. Das von den beiden Minderjährigen ererbte Vermögen von EUR 37.128,89 sei ihnen daher billigerweise derzeit zur Gänze zu belassen. Auf die Möglichkeit der Erzielung von Erträgen aus dem Vermögen verweise der JWT erstmals in seinem Rekurs, sodass einer Behandlung dieses Vorbringens das Neuerungsverbot im Rahmen des § 10 AußStrG entgegenstehe.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei für zulässig zu erklären gewesen, da die Frage, ob bzw in welchem Ausmaß das von einem 12 Jahre alten Minderjährigen ererbte Vermögen von rund EUR 37.000, - zum Ersatz für Kosten der vollen Erziehung unter Beachtung der Härteklausel des § 39 WrJWG herangezogen werden könne, oder ob es dem Minderjährigen vorerst zur Gänze zur "Zukunftssicherung" zu belassen sei, die Qualifikation des § 14 Abs 1 AußStrG erfülle.

Gegen die Entscheidung der zweiten Instanz richtet sich der Revisionsrekurs des JWT, der unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, ihm die begehrten Kostenersatzbeträge zuzuerkennen.

Der Vertreter der mj. Martina stellt in der ihm freigestellten Äußerung den Antrag, den Revisionsrekurs zurückzuweisen oder ihm nicht Folge zu geben. Der Vertreter des mj. Bernhardhat von der ihm eingeräumten Möglichkeit, zum Rechtsmittel des JWT Stellung zu nehmen, keinen Gebrauch gemacht.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne des im Abänderungsantrag des Revisionsrekurswerbers enthaltenen Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Vorauszuschicken ist, dass ungeachtet des gewöhnlichen Aufenthaltes der beiden Minderjährigen in G***** (Niederösterreich) nach dem ersten Einschreiten des Magistrates der Stadt Wien die Agenden an keinem anderen Jugendwohlfahrtsträger übertragen wurden (§ 215a ABGB), weshalb auch nach wie vor die Bestimmungen des Wiener Jugendwohlfahrtsgesetzes WrJWG 1990 maßgeblich sind. Im Übrigen entspricht § 48 NöJWG 1991 inhaltlich dem § 39 WrJWG ohnehin voll und ganz, sodass ein Wechsel des JWT die Rechtslage nicht verändern könnte.

Der erkennende Senat hat in der schon erwähnten, in der vorliegenden Pflegschaftssache ergangenen Vorentscheidung 7 Ob 223/00w bereits darauf hingewiesen, dass bei einer nach § 40 JWG nF zu treffenden Entscheidung über das im Gegensatz zum im Verhältnis zum Erbe relativ geringfügigen Rückstand wesentlich höhere künftige Kostenersatzbegehren des JWT die "Härteklausel" des § 39 Abs 1 letzter Satz WrJWG zu beachten sei. In diesem Zusammenhang wurde auf die Ausführungen von Streinesberger/Hacker in Lehner, Kinder und Jugendrecht2, 166 verwiesen, wonach die Ersatzpflicht im Hinblick auf diese Härteklausel nicht zu streng bemessen werden solle. Insbesondere sollte es den unter einer Erziehungsmaßnahme stehenden Minderjährigen, die ohnehin schon von vornherein sozial benachteiligt seien, tunlichst ermöglicht werden, zumindest geringfügige Ersparnisse zu bilden (pädagogischer Effekt), um nach der Entlassung aus der vollen Erziehung eine Starthilfe zu haben (zB für Wohnungseinrichtung). Der Härteklausel komme vor allem dann Bedeutung zu, wenn dem Minderjährigen ein Vermögen zufalle (Erbschaft, Schenkung) und dann zu klären sei, wie viel er sich davon behalten dürfe, um sich nach der Entlassung aus der vollen Erziehung eine Existenz aufbauen zu können. Der erkennende Senat betonte, diese Ausführungen für zutreffend zu erachten und hält an dieser Auffassung fest.

Unter Berücksichtigung dieser Aspekte sind die gegenständlichen Entscheidungen der Vorinstanzen auch aus den vom Rekursgericht angestellten Erwägungen, auf die verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO), grundsätzlich zu billigen. Derzeit lässt sich im Hinblick auf das Alter der Kinder von 12 Jahren noch nicht verlässlich sagen, in welcher Höhe die Überlassung von "Starthilfe" angezeigt erscheint. Wird sich dies zu einem späteren Zeitpunkt (etwa nach Klärung der Ausbildungswünsche bzw -möglichkeiten) abschätzen lassen, besteht immer noch die Möglichkeit, allenfalls auch für drei Jahre rückwirkend, Ersatzleistungen aus dem ererbten Vermögen der beiden Minderjährigen zu verlangen.

Nicht beigepflichtet werden kann allerdings der Ansicht des Rekursgerichtes, die Erzielung von Erträgen aus dem gegenständlichen Vermögen habe zufolge des im außerstreitigen Verfahren im Rahmen des § 10 AußStrG geltenden Neuerungsverbotes außer Betracht zu bleiben. Der JWT, der die Kosten der vollen Erziehung zu tragen hat und damit eine eigene, ihm durch Gesetz auferlegte Verpflichtung erfüllt und keine Unterhaltsleistung für den Unterhaltspflichtigen erbringt (SZ 60/191; 2 Ob 65/00y), hat sich in seinen gegenständlichen Anträgen auf Kostenersatz je vom 1. 2. 2001 (ON 72 und 73) keineswegs auf Zahlungen aus dem Vermögen der beiden Minderjährigen beschränkt, sondern hat zur Begründung seines Rückzahlungsbegehrens nur ganz allgemein - und Zinseinkünfte daraus keineswegs ausschließend - auf die gegenständliche Erbschaft hingewiesen.

Die maßgebliche Regel für die Tragung der Kosten der vollen Erziehung findet sich in § 33 JWG bzw § 39 WrJWG. Die Kostentragung erfolgt demzufolge nach bürgerlichem Recht, dh nach familienrechtlichem Unterhaltsrecht (MGA Jugendwohlfahrtsrecht § 33 JWG Anm 1; vgl RIS Justiz RS0078933; 2 Ob 65/00y). Die Kosten sind somit in erster Linie aus eigenen Einkünften des Kindes zu decken (§ 140 Abs 3 ABGB).

Da Geld nach den Vorschriften über die Anlegung von Mündelgeld sicher und möglichst fruchtbringend anzulegen ist, wobei auch nach der Neufassung des § 149 ABGB durch das KindRÄG 2001 die Vermögensmehrung Zweck der Verwaltung ist, sofern das Wohl des Kindes nicht anderes erfordert (Fucik, Die Vermögensverwaltung nach dem KindRÄG 2001, Vom Obervormund zur Missbrauchskontrolle, in Ferrari/Hopf (Hrsg), Die Reform des Kindschaftsrechtes 36) kann und muss auch im vorliegenden Fall von einer gewinnbringenden Anlegung des Erbes und damit von jährlichen Einkünften der beiden Minderjährigen ausgegangen werden. Wie hoch diese Einkünfte, aus denen die Kosten der vollen Erziehung der beiden Minderjährigen vor allem gedeckt werden müssen, sind, wurde vom Erstgericht, das diesen Umstand nicht beachtet hat, aber nicht festgestellt. Das Erstgericht wird daher dies nachzuholen und sodann eine neue Entscheidung unter Berücksichtigung dieses Aspektes zu treffen haben.

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

Rechtssätze
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