JudikaturJustiz7Ob567/79

7Ob567/79 – OGH Entscheidung

Entscheidung
01. März 1979

Kopf

SZ 52/29

Spruch

Die Auflösung der häuslichen Gemeinschaft ist auch bei Verbleiben beider Ehegatten in derselben Wohnung anzunehmen, wenn die persönlichen Beziehungen zueinander weitgehend ausgeschaltet sind. Der Widerspruch nach § 55 Abs. 2 EheG nF kann nicht mit dem Verschulden des klagenden Ehegatten begrundet werden. Gegenüber der früheren Rechtslage ist eine Erleichterung der Scheidung unheilbar zerrütteter Ehen eingetreten, weil nun auch die Interessen des klagenden Ehegatten zu berücksichtigen sind. Die Härteklausel ist nur dann anzuwenden, wenn im Einzelfall konkrete Umstände eine besondere Härte für den widersprechenden Ehegatten ergeben. Im Falle gleicher Härte ist die Ehe zu scheiden

OGH 1. März 1979, 7 Ob 567/79 (OLG Wien 16 R 2024/78; KG Korneuburg 4 Cg 200/78)

Text

Der am 11. Mai 1927 geborene Kläger und die am 13. Feber 1928 geborene Beklagte haben am 4. September 1949 miteinander die Ehe geschlossen. Es handelt sich beiderseits um die erste Ehe. Dieser Ehe entstammen keine Kinder, nachdem die Ehe vorerst gut verlaufen war, begann sich ab 1956 das gegenseitige Einverständnis zu trüben. Im Mai 1973 teilte der Kläger der Beklagten mit, daß er seit 1972 ein ehebrecherisches Verhältnis zu Katharina H unterhalte. Diesem Verhältnis entstammt die im Feber 1974 geborene Doris H. Am 3. September 1973 verließ der Kläger die Ehewohnung und zog zu Katharina H, kehrte jedoch später wieder in die Ehewohnung zurück, die er aber in der Folge wieder verließ. Er kamlediglich öfter zum Schlafen, wenn auch erst nach Mitternacht, nach Hause. Am 30. Jänner 1976 hat er die Ehewohnung endgültig verlassen. Seither wohnt er bei seiner Lebensgefährtin. Obwohl er noch bis Jänner 1976 in der Ehewohnung genächtigt hatte, fand der letzte eheliche Verkehr im Sommer 1975 statt. Die Beklagte hatte zwar bis zum endgültigen Auszug des Klägers im Jänner 1976 dessen Wäsche gewaschen, jedoch seit Sommer 1975 nicht mehr für ihn gekocht. Der Kläger nahm selbständig Speisen aus dem Kühlschrank, ohne diese aber zusammen mit der Beklagten einzunehmen. Auch in den sonstigen Lebensbereichen waren die Streitteile völlig voneinander getrennt.

Der Kläger begehrt die Scheidung der Ehe, wobei er unter anderem den Scheidungsgrund des § 55 Abs. 1 EheG geltend macht.

Die Beklagte widersprach der Scheidung, behauptete, sie träfe eine Scheidung härter als den Kläger die Aufrechterhaltung der Ehe, und beantragte für den Fall der Scheidung den Ausspruch, daß den Kläger das Verschulden treffe.

Die Untergerichte haben die Ehe geschieden und ausgesprochen, daß den Kläger das Verschulden trifft. Rechtlich vertraten sie den Standpunkt, trotz Aufenthaltes des Klägers in der ehelichen Wohnung sei in Wahrheit die häusliche Gemeinschaft schon seit Sommer 1975 aufgelöst gewesen, weil zwischen den Ehegatten keinerlei Kontakt mehr bestanden habe. Die Ehe sei unheilbar zerrüttet. Bei der Beurteilung der Frage, wen eine allfällige Scheidung härter treffe, müsse auch berücksichtigt werden, daß der Kläger nunmehr in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebe, der ein Kind entstammt. Demgegenüber fielen die relativ lange Dauer der Ehe und das Alter der Eheleute nicht derart schwer ins Gewicht, daß daraus eine größere Härte für die Beklagte abgeleitet werden könne.

Der Oberste Gerichtshof wies den Kostenrekurs der Beklagten zurück und gab ihrer Revision nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Kostenrekurs ist nicht zulässig, weil schon allein wegen der Vorschrift des § 528 ZPO Entscheidungen der Berufungsgerichte im Kostenpunkt unanfechtbar sind. (Fasching II, 378; JB 4 neu).

Was die Auflösung der häuslichen Gemeinschaft der Ehegatten anlangt, wurde die diesbezügliche Regelung des alten § 55 Abs. 1 EheG wörtlich in die neue Fassung übernommen. Demnach müssen die bei der Auslegung der seinerzeitigen Bestimmung aufgestellten Grundsätze auch für die Auslegung der neuen Fassung herangezogen werden. In ständiger Judikatur (EFSlg. 11 942; RZ 1964, 200; SZ 31/126 u. a.) hat der OGH seinerzeit schon ausgeführt, daß eine "Auflösung der häuslichen Gemeinschaft" auch bei Verbleiben beider Ehegatten in der selben Wohnung möglich ist, wenn die persönlichen Beziehungen der Ehegatten weitgehend ausgeschaltet sind. Es besteht kein Anlaß, diese Frage nunmehr anders zu beurteilen.

Nach den getroffenen Feststellungen gab es mindestens seit dem Sommer 1975 keine persönlichen Beziehungen zwischen den Ehegatten mehr. Aus diesem Gründe haben die Untergerichte mit Recht eine Auflösung der häuslichen Gemeinschaft im Sinne des § 55 Abs. 1 EheG zumindest ab diesem Zeitpunkt angenommen.

Die Revision ist insoweit nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt, als sie nicht von einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe ausgeht. Eine derartige Zerrüttung haben die Untergerichte einwandfrei festgestellt. Hiebei handelt es sich um eine aus festgestellten Tatsachen gezogene Schlußfolgerung, die demnach aus Tatsachenfeststellung im Revisionsverfahren nur dann bekämpft werden könnte, wenn sie gegen die Denkgesetze verstieße. Davon kann hier keine Rede sein ...

Geht man sohin von der unheilbaren Zerrüttung der Ehe und der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft seit mehr als drei Jahren aus, so ist der Scheidungsgrund nach § 55 Abs. 1 EheG gegeben. Es war daher nur zu prüfen, ob der Widerspruch der Beklagten dem Scheidungsbegehren des Klägers gemäß § 55 Abs. 2 EheG entgegen steht. Nach der genannten Gesetzesstelle ist dem Scheidungsbegehren auf Verlangen des beklagten Ehegatten auch dann nicht stattzugeben, wenn der Ehegatte, der die Scheidung begehrt, die Zerrüttung allein oder überwiegend verschuldet hat und den beklagten Ehegatten die Scheidung härter träfe als den klagenden Ehegatten die Abweisung des Scheidungsbegehrens. Bei dieser Abwägung ist auf alle Umstände des Falles, besonders auf die Dauer der ehelichen Lebensgemeinschaft, das Alter und die Gesundheit der Ehegatten, das Wohl der Kinder sowie auch auf die Dauer der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft Bedacht zu nehmen.

Die Beklagte hat ihren Widerspruch gegen die Scheidung ausschließlich mit dem Verschulden des Klägers begrundet. Dieses Verschulden des klagenden Ehegatten ist aber die Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Widerspruches im Sinne des § 55 Abs. 2 EheG. Es kann daher im Regelfall nicht zusätzlich für die Abwägung nach dieser Gesetzesstelle herangezogen werden. Insbesondere darf die Abweisung des Scheidungsbegehrens nicht als bloße Strafmaßnahme gegen den an der Zerrüttung schuldtragenden Teil aufgefaßt werden.

Bei der Auslegung des § 55 Abs. 2 EheG muß davon ausgegangen werden, daß hier gegenüber der früheren Rechtslage eine wesentliche Änderung mit dem erklärten Ziel einer Erleichterung der Scheidung unheilbar zerrütteter Ehen eingetreten ist. Grundsätzlich ist eine Ehe bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 EheG zu scheiden. Bei Zulässigkeit des vom beklagten Ehegatten erhobenen Widerspruches ist nicht, wie bisher (Prüfung ob die Aufrechterhaltung der Ehe "sittlich gerechtfertigt ist"), abstrakt auf das Wesen einer Ehe abzustellen, sondern von den subjektiven Verhältnissen der Ehegatten auszugehen. Im Gegensatz zu bisher sind hiebei auch die Interessen des klagenden, wenn auch an der Zerrüttung schuldtragenden Ehegatten zu berücksichtigen. Die Tendenz des Gesetzes, insbesondere der Zusammenhang mit der Bestimmung des § 55 Abs. 3 EheG, läßt erkennen, daß auch die größte Härte für einen der Ehegatten nicht zu einer dauernden Verhinderung der Scheidung im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 EheG führen kann. Der Sinn der Härteklausel des § 55 Abs. 2 EheG liegt darin, daß der schuldlose Ehegatte nicht plötzlich mit der vollen Härte der Scheidung konfrontiert werden soll, ihm in Ausnahmefällen vielmehr eine Anpassungsfrist gewährt werden kann. Hiebei kann aber ein entscheidendes Hindernis für eine Scheidung der Ehe nicht ein bloß unwägbares inneres Unbehagen an dem Scheitern der Ehe sein. Vielmehr müssen konkrete Umstände vorliegen, aus denen für den Einzelfall eine gegenüber dem Normalfall besondere Härte für den der Scheidung widersprechenden Ehegatten abgeleitet werden kann. Welche Umstände Schlüsse auf eine derartige besondere Härte zulassen können, zeigt die beispielsweise Aufzählung des § 55 Abs. 2 EheG. Gerade aus der dort genannten Dauer der ehelichen Lebensgemeinschaft und dem mit einer längeren Dauer in der Regel verbundenen fortgeschrittenen Alter der Ehepartner läßt auf die Absicht des Gesetzgebers schließen, eine allmähliche Anpassung an die neue Situation zu ermöglichen. Allerdings sind diese Umstände für sich allein kein ausreichender Grund für eine Abweisung des Scheidungsbegehrens, weil andernfalls grundsätzlich die Unzulässigkeit einer Scheidung bei gewisser Dauer der Ehe oder bei bestimmtem Alter der Eheleute hätte festgesetzt werden können. Vielmehr werden diese Umstände im Falle des Vorliegens konkreter weiterer Tatsachen, die einen Schluß auf eine besondere Härte zulassen, eher zu deren Bejahung führen als ihr Fehlen.

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte, wie bereits ausgeführt wurde, keine Tatsachen vorgebracht, die ein besondere Härte für sie dartun würden. Den Verfahrensergebnissen kann lediglich eine relativ lange Dauer der Ehe und ein schon etwas fortgeschrittenes Alter der Eheleute entnommen werden. Aus den Lebensverhältnissen der Ehegatten ist überhaupt nichts zu ersehen, was auf eine mit der Scheidung verbundene besondere Härte für die Beklagte hindeuten würde. Vielmehr stunden einer solchen Annahme die bereits relativ lange Dauer der beiderseitigen Entfremdung der Ehegatten und die Tatsache entgegen, daß der außerehelichen Verbindung des Klägers ein inzwischen fünfjähriges Kind entstammt. Die Verweigerung der Scheidung würde daher für den Kläger eine Härte bedeuten, weil sein Interesse an einer Legitimation seines Kindes nicht von der Hand zu weisen ist. Der Hinweis der Revision auf die Bedeutungslosigkeit eines Widerspruches der Beklagten in einigen Jahren geht an der Sache vorbei. Trotz inzwischen eingetretener Gesetzesänderung ist die außereheliche Geburt eines Kindes gesellschaftlich nach wie vor mit einem gewissen Makel behaftet. Mit jedem Lebensjahr wächst die Gefahr, daß ein Kind die Tatsache der Unehelichkeit seiner Geburt und die damit verbundene negative Einstellung der Gesellschaft erkennt sowie daß dieser Umstand in der Öffentlichkeit bekannt wird. Es ist daher das Interesse jedes Elternteiles eines Kindes an seiner ehebaldigen Legitimation begreiflich.

Stellt man alle diese Umstände einander gegenüber, so ergibt sich, daß die Scheidung der Ehe die Beklagte keinesfalls härter treffen kann als die Ablehnung der Ehescheidung den Kläger. Selbst im Falle gleicher Härte müßte aber die Ehe geschieden werden, weil der Wortlaut des § 55 Abs. 2 EheG nur bei größerer Härte für den der Scheidung widersprechenden Ehegatten eine Abweisung des Scheidungsbegehrens zuläßt.

Die Kostenentscheidung grundet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. § 45a ZPO ist im Rechtsmittelverfahren nur anwendbar, wenn es zu einer Abänderung des vorinstanzlichen Urteiles im Sinne dieser Gesetzesstelle kommt (SZ 35/46, die zwar zu der alten Fassung des § 45a ZPO ergangen ist, deren Gedankengang jedoch auch für die neue Fassung gilt, weil diese im hier entscheidenden Punkt keine wesentliche Änderung der Rechtslage gebracht hat).

Rechtssätze
12