JudikaturJustiz7Ob503/86

7Ob503/86 – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Januar 1986

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HONProf.Dr. Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*** B*** MBH, Gleisdorf, Grazerstraße 28,

vertreten durch Dr. Gerald H. Weidacher und Dr. Peter Imre, Rechtsanwälte in Gleisdorf, wider die beklagten Parteien

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird unter gleichzeitiger Aufhebung des Versäumungsurteiles des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 11.3.1985, 28 C 50/85-2, aufgehoben und die Rechtssache zur Verhandlung und neuen Entscheidung über die Berufung ON 9 an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auf die Rekurskosten gleich weiteren Kosten des Berufungsverfahrens Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Begründung:

Über das Begehren der Klägerin, die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 25.960,- s.A. zu verurteilen, wurde, da die erste zur Vornahme einer mündlichen Streitverhandlung bestimmte Tagsatzung vom 11.3.1985 von den Beklagten versäumt wurde, auf Antrag der erschienen Klägerin durch ein der Klage stattgebendes Versäumungsurteil erkannt.

Die Beklagten erhoben gegen dieses Versäumungsurteil Widerspruch. Das Erstgericht beraumte daraufhin eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung für den 22.4.1985 an und verhandelte in dieser und in einer weiteren Tagsatzung vom 30.5.1985 zur Sache selbst, ohne das Versäumungsurteil aufzuheben.

Mit Urteil vom 15.7.1985, ON 8, erkannte das Erstgericht die Beklagten schuldig, der Klägerin S 22.000,- s.A. zu bezahlen; das Mehrbegehren wies es ab.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil, das in seinem abweisenden Teil unangefochten geblieben ist, und das dem Versäumungsurteil vom 11.3.1985 nachfolgende Verfahren als nichtig auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens über den noch strittigen Betrag von S 22.000,- s.A. auf. Es sprach aus, daß das Verfahren vor dem Erstgericht erst nach Eintritt der Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen sei. Ein wirksam erhobener, rechtzeitig und von einer legitimierten Person ergriffener Widerspruch verpflichte das Gericht zur Aufhebung des Versäumungsurteiles zu Beginn der Streitverhandlung. Diese Aufhebung stelle einen notwendigen Formalakt dar. Da das Erstgericht die Aufhebung des Versäumungsurteiles vom 11.3.1985 unterlassen habe, stehe der weiteren Verhandlung und neuen Entscheidung ein Prozeßhindernis entgegen, dem die gleiche Wirkung wie der Streitanhängigkeit zukomme. Dieses Prozeßhindernis sei in jeder Lage des Verfahrens zu berücksichtigen und komme seinem Gewicht nach den in § 477 Abs 1 Z 1 bis 9 ZPO aufgezählten Nichtigkeitsgründen gleich. Der Rechtskraftvorbehalt sei ausgesprochen worden, weil zur Frage der Folgen der Unterlassung der Aufhebung eines Versäumungsurteiles nach Erhebung eines Widerspruches divergierende Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes ergangen seien. Die Klägerin bekämpft den Beschluß der zweiten Instanz mit Rekurs und beantragt, ihn aufzuheben und dem Berufungsgericht eine sachliche Entscheidung über die Berufung der Beklagten aufzutragen. Die Beklagten haben eine Rekursbeantwortung nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und berechtigt.

Die Zulässigkeit des Rechtsmittels ist nicht nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO zu beurteilen, weil das Berufungsgericht wohl die Nichtigkeit des dem Versäumungsurteil vom 11.3.1985 nachfolgenden Verfahrens einschließlich des Urteils vom 15.7.1985, nicht aber die Zurückweisung der Klage mit Beschluß ausgesprochen hat, sondern nach § 519 Abs 1 Z 3 ZPO. Die Anbringung eines Rechtskraftvorbehaltes ist auch dann zulässig und wirksam, wenn die Aufhebung des Urteils wegen eines Nichtigkeitsgrundes erfolgt (SZ 52/153, Rz 1984/60 ua).

Nach § 397 a Abs 3 ZPO ist der Widerspruch, wenn er verspätet eingebracht wurde, vom Prozeßgericht mit Beschluß zurückzuweisen. Sonst hat das Prozeßgericht ohne Abhaltung einer neuerlichen ersten Tagsatzung nach § 244 ZPO vorzugehen; der Widerspruch des Beklagten ist hiebei als rechtzeitig überreichte Klagebeantwortung zu behandeln. Zu Beginn der Streitverhandlung ist das Versäumungsurteil mit Beschluß aufzuheben, auch wenn die dafür anberaumte Tagsatzung nach § 170 ZPO nicht durchgeführt wird; der Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung dieses Beschlusses bedarf es nicht, ein Rechtsmittel ist gegen ihn nicht zulässig.

In der Entscheidung EvBl 1981/172 hat der Oberste Gerichtshof die Ansicht vertreten, eine Klage könne nach Erhebung des Widerspruches gegen das Versäumungsurteil unter Anspruchsverzicht zurückgenommen werden, und zwar auch vor der formellen Aufhebung des Versäumungsurteils zu Beginn der auf Grund des Widerspruches eingeleiteten Streitverhandlung. Die beschlußmäßige Aufhebung des Versäumungsurteiles sei nur ein Formalakt, dessen Voraussetzungen bereits im Zeitpunkt der Anberaumung der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung zu beurteilen seien. Die Sache sei daher schon mit rechtzeitig erhobenem Widerspruch so zu behandeln, als wäre kein Versäumungsurteil ergangen. Es wäre ein vom Gesetz gewiß nicht beabsichtigter zweckloser Formalismus, trotz der mit dem Widerspruch bereits beseitigten Wirksamkeit des Versäumungsurteils die Zurückziehung der Klage erst nach formeller Aufhebung des Versäumungsurteils zuzulassen und damit unnötigen Verfahrensaufwand und Kosten zu verursachen.

In der Entscheidung JBl. 1983, 266, dagegen ist der Oberste Gerichtshof zum Ergebnis gekommen, das trotz nicht aufgehobenen Versäumungsurteils durchgeführte Verfahren sei nichtig. Zwar stelle der Beschluß, mit dem das Versäumungsurteil gemäß § 397 a Abs 3 ZPO aufgehoben werde, nur einen Formalakt dar. Trotzdem sei dieser Formalakt notwendig, um das Versäumungsurteil zu beseitigen. Würde das Versäumungsurteil bereits durch den rechtzeitigen Widerspruch beseitigt, wäre es nicht erforderlich gewesen, die Aufhebung durch Beschluß ausdrücklich anzuordnen. Das Versäumungsurteil bestehe daher weiter, solange es nicht durch einen Beschluß iS des § 397a Abs 3 ZPO aufgehoben werde, und stehe einer neuerlichen Verhandlung und Entscheidung entgegen. Das trotz des noch nicht aufgehobenen Versäumungsurteils durchgeführte Verfahren und das Streiturteil seien daher nichtig.

Zu dieser Entscheidung hat Petrasch in ÖJZ. 1985, 263, Stellung genommen. Die Aufhebung des Versäumungsurteils sei zwar gemäß § 397 a Abs 3 ZPO vorgeschrieben. Da es andererseits der Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung dieses Beschlusses nicht bedürfe und ein Rechtsmittel dagegen nicht zulässig sei, handle es sich in der Tat um einen Formalakt. Die Nichtigkeitsfolge einer Unterlassung des Beschlusses erscheine unangemessen. Ein Ausweg sei in der Nachholung des Beschlusses zu erblicken. Da das Versäumungsurteil infolge des Widerspruches nicht habe rechtskräftig werden können, handle es sich nur um die Beseitigung einer innerprozessualen Bindungswirkung. Sie sei selbst im Rechtsmittelverfahren durch das Berufungsgericht zu veranlassen.

Auch der erkennende Senat vermag der in der Entscheidung JBl. 1983, 266, vertretenen Meinung, das trotz nicht aufgehobenen Versäumungsurteils durchgeführte Verfahren sei nichtig, nicht beizupflichten. In der Unterlassung der beschlußmäßigen Aufhebung des Versäumungsurteils kann mit Rücksicht darauf, daß es sich hiebei nach einheitlicher Ansicht um einen bloßen Formalakt handelt - dies wird auch in der Entscheidung JBl. 1983, 266, zum Ausdruck gebracht -, keinesfalls ein derart schwerwiegender Verfahrensverstoß gesehen werden, daß er den in § 477 Abs 1 Z 1 bis 9 ZPO genannten Nichtigkeitsgründen gleichkäme. Da der Beschluß, mit dem das Versäumungsurteil gemäß § 397 a Abs 3 ZPO aufzuheben ist, weder zuzustellen, noch auch anfechtbar ist, kann kein Grund gefunden werden, weshalb ein solcher Beschluß im Sinne der Ausführungen von Petrasch aaO nicht auch im Rechtsmittelverfahren ergehen könnte, wenn seine Unterlassung erst in diesem Verfahrensstadium offenbar wird. Es wäre nämlich ein zweckloser Formalismus, den Akt nur zum Zwecke der Nachholung der unterbliebenen Beschlußfassung an das Erstgericht zurückzuleiten.

Es war deshalb dem Rekurs Folge zu geben, der angefochtene Beschluß unter gleichzeitiger Aufhebung des Versäumungsurteils vom 11.3.1985 aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neue Entscheidung über die Berufung der Beklagten aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt erfolgte nach § 52 ZPO.